Frisch zurück aus der Weihnachtspause sitze ich an meinem Schreibtisch und habe das Gefühl, Jahre weg gewesen zu sein. Nicht, weil ich mir so alt vorkomme, sondern weil sämtliche Utensilien in feinen aber dichten Staub gehüllt sind, der meine Finger ganz rau macht. Der Harmattan hat sich in den letzten zwei Wochen hier so richtig gehen lassen. Die wichtigsten Tasten sind schon halbwegs vom Staub befreit, dann lege ich wohl mal los und erzähle von unseren großen Abenteuern an der Westküste und bei den Wasserfällen im Osten, bei den Ewe, fast wieder auf togolesischem Gebiet.
Vorletzten Sonntag, noch bevor wir uns aufmachten zur großen Reise, stand der ebenfalls große Ehalakasa Poetry Slam in Legon an, Sir Black führte durchs Programm und wir wurden regelrecht weggeblasen von Dichtern, die so schnell und so schneidig und so unglaublich genial ihre Worte wählten, mein Lieblingsdichter war der, der so besessen von Zahlen war und so unglaublich findige Wortspiele bildete, ich war ganz begeistert und wollte eigentlich, dass er gewann, aber der Sieg ging an 100%. Der brachte eigentlich auch nen ganz guten Witz. Der Gute regte sich über die wahnwitzige Ökonomiserung der Sprache in sozialen Medien auf und provozierte mit „Wenn aus einem good morning ein gm wird, wie macht man das dann in Frankreich, bonjour, bj – blowjob?“. Das war die Elite der ghanaischen Slammer, wie uns stolz von Sir Black angekündigt wurde und den Eindruck hatten wir auch. Mit Mubarak gaben wir ein süßes Team ab, drei Oboruni girls mit diesem smarten und unfehlbaren Mubarak, immer irgendwie geheimnisvoll und unergründlich, dann fuhr er uns noch zu einer Pizzeria um die Ecke und wir bestellten Jollof Rice. Oh, wie mir Jollof Rice fehlen wird! Das kompensiere ich damit, dass ich jetzt keine Gelegenheit mehr auslasse, Jollof Rice zu essen. Jawohl.
Wir fuhren dann am nächsten Tag nach Cape Coast, das zog sich dann ganz schön in die Länge, weil die Kerle, die Caro eine SIM-Karte verkaufen wollten, sich alle Zeit der Welt ließen, wir dann am MetroBus auch noch mal etwa eine Stunde auf die Abfahrt warteten und es unterwegs allerhand Stimmengerangel im Bus gab. Wir kamen dann abends an in Cape Coast, es war schon lange dunkel, aber das hat ja hier nichts zu bedeuten. Dort trafen wir auf eine Gruppe deutsche Motorradtarzans mit Gossendialekt, viele viel zu junge Freiwillige („zwei alte Schachteln auf Tour“) und unsere Sista Talitha mit ihrem Liebsten, der aus Deutschland gekommen war. Ich konnte schon besser laufen und so saßen wir dann da am Strand, schauten auf’s Meer und tranken ein Bier.
Kurioserweise trafen wir während unser ca. einwöchigen Reise quer durch den Süden vier, ja, vier Parteien wieder, die wir entweder zusammen oder vereinzelt vorher schon mal irgendwo anders getroffen hatten. Erinnert ihr euch an diesen Kerl mit der Rosamunde-Pilcher-Held-Ausstrahlung und seinem Hostel? Genau an diesem Abend hatte ich ein Mädchen kennen gelernt, was dann plötzlich da auftauchte, im Oasis Oder einen Tag später, beim Verlassen, da kamen auf einmal die beiden Damen vom GIZ in Benin daher, die ich mit Kati an der togolesischen Grenze kennen gelernt hatte. Dann gab es noch Sally, die wir zunächst in Butre und danach in Wli wieder trafen, zwei Orte, die 12 Busstunden voneinander entfernt liegen. Alexander Kulb schlug wieder zu. Dann gab es noch diesen Kerl, halb Deutscher, halb Ghanaer, unser Alter und irgendwie sehr verbraucht aussehend, fahrig und zitternd, wenn man mit ihm sprach, aber meistens laut und präsent, den taufte ich Bernhard, weil er eben aussah wie ein Bernhard, dann meinte Caro zu mir, als wir in Wli am letzten Tag beim Frühstück saßen „Da sitzt übrigens Bernhard“ – ebenfalls an die 12 Stunden von unserem ersten Treffpunkt entfernt. Es bleibt mysteriös! Aber dazu später mehr. Wo war ich? Ach, in Cape Coast. Wir ließen es uns gut gehen am Strand, manchmal ging es einem nicht so gut und man bekam wieder Angst, dann zählte man seine Finger vorwärts und rückwärts in allen Sprachen, die einem einfielen, beobachtete den sehr jungen Freiwilligen in einem schwarzen Kleid am Strand und es sah aus, als würde er Yoga-Übungen turnen, aber eigentlich baute er wohl eine Sandburg, dann prustete man vor schallendem Gelächter und konnte plötzlich an nichts anderes mehr denken als Crêpes mit Nutella, die kamen nach einer Ewigkeit und nichts hätte besser tun können, gegenüber saß der alte Däne, der angeblich 17 Sprachen beherrschte. Ein viel zu junger und viel zu aufdringlicher Niederländer, der so tat, als ob er Ami wäre, hielt mich für eine Engländerin und konnte nicht fassen, dass mein Akzent so lupenrein war, ich meinte, na deiner ist doch auch ganz schön echt und er freute sich, dass man ihn für einen Ami hielt, stellte dann aber wirre Fragen über die Notwendigkeit des Deutschlernangebots in Ghana und ich verlor die Lust am Gespräch beim Blick in seine glasigen Augen.
Im Baobab gab es gutes Essen unter Verzicht auf Fleisch, wir entdeckten FanIce und FanYogo für uns, jeden Tag im Handumdrehen, das wird mir fehlen in Europa. Cape Coast Castle war lehrreich, die Führung noch mehr als in Elmina, weil durch die größere Gruppe mehr Fragen gestellt wurden und man ein informativ ausgewogeneres Bild bekam.
Von Cape Coast aus ging es nach zwei Nächten in einer gut durchdachten Odysee nach Butre, das hieß zunächst mit dem Trotro nach Takoradi, von dort aus dann weiter nach Agona und da fuhr dann kein Trotro mehr, sodass wir mit dem Taxifahrer, der uns regelrecht aufgedrängt wurde, noch einen ganz backpackerfreundlichen Preis aushandeln konnten. Die Fahrt hatte es dann abenteuermäßig und X-Faktor-technisch in sich, ein kleines Auto im großen Dschungel, links und rechts nur Dickicht und potentielle Waldungeheuer, unter uns der unebene Schotterboden. Das hatte etwas Unheimliches, besonders durch den Kontrapunkt der leise vor sich hindudelnden Highlife-Musik im Autoradio und dem Fahrer, der konsequent schwieg. Wir waren dennoch furchtlos und vertrauten. Nach ungefähr 40 Minuten erreichten wir Butre, stiegen aus dem Wagen und sahen nicht viel, da schien das Ufer zu sein, da kam einer und wollte uns zur Anlage bringen, alles war aber dunkel und ich fragte erst mal, wer der denn eigentlich sei. Steven stellte sich dann als hilfsbereiter und unkomplizierter Manager des Ganzen heraus, wir wanderten etwas unbeholfen durch eine Hintergasse des Townships auf eine Brücke zu, die wackelte, steil war und nur bedingt ein Geländer hatte, über eine relativ tiefe Lagune, ich fühlte mich an fiese Vertigoträume erinnert und hoffte, dass wir das irgendwie auf die andere Seite schaffen würden, es war stockduster. Schließlich erreichten wir den Strand und was sich da vor uns auftat war eine kleine Paradiesbucht. Kleine Bungalows, verschlungen im leichten Urwald, ein paar Palmen und Felsen am Strand, lampionhafte Beleuchtung, ein Lagerfeuer und leise Musik. Dort sollten wir also in das neue Jahr feiern. Einen besseren Ort hätte es nicht geben können.
Die nächsten zwei Tage verbrachten wir mit Drinks in Kokosnüssen, endlich endlos lesend am Strand mit Essen, dass plötzlich angeschwebt kam und neben dir landete, einer Tour zum Fort Batenstein, einer richtigen Ruine, mitten im Dschungel, mit Blick auf die Bucht, wir waren ja so Robinson Crusoe. Ich bin jetzt fertig mit meiner als Lunchlektüre gestarteten Lektüre von „La sombra del viento“ und ich habe geweint. Das war ein höchst magisch-verzauberndes Buch.
An Neujahr verließen wir unsere Paradiesbucht, mit dem Architekturstudenten Dominik fuhren wir nach Agona, denn dort gab es den nächsten ATM, wir überreichten ihm das Geld und meinten, er solle doch mal in Cantonments vorbei kommen. Als wir gingen meinten die netten Ladies, mit Jérémy sollte ich dann im Baumhaus übernachten. 20 Tage noch.
Wir kehrten zurück nach Accra, von Takoradi aus ging ein Bus auf direktem Wege, direkt durften wir dann auch anderthalb Stunden warten, bevor es losging. Fünf Stunden lang wurden wir dann beschallt von sehr fragwürdigen ghanaischen Filmproduktionen, in denen zunächst technisch alles falsch gemacht wurde, was man falsch machen konnte (mein Filmemacherherz krampfte regelrecht) und man inhaltlich zwischen Magenumdrehung und Dauerfaceplam hin- und hergerissen war. Die episodenhaften Filme, die komischerweise in Dauerschleife liefen, zeigten abwechselnd eine Ghanaerin, die neben ihren zunehmend verwesenden Eltern Totenwache hielt und potentielle Ehemänner damit abschreckte, dann sah man wieder eine mit einem sehr dicken Po, die beim Spülen tanzte, sollte vielleicht ein Softporno sein, jedenfalls kicherten die Teenagerjungs in den Reihen vor uns, als wäre das etwas ganz Obszönes, dann spielte noch die klassische Teufelsaustreibung eine Rolle, unsinnige Gewalt im Haushalt, Dialoge zum Wegrennen, Kameraführung zum sich in die Hand beißen, ich fühlte mich unwohl in diesem Bus.
In Accra angekommen, entschieden wir uns nach 12 Stunden unfreiwilligen Hungerstreiks für ein Neujahrsdiner bei Papaye. Da war es proppenvoll, verständlich, geht ja auch schnell und schmeckt gut, fried rice and Chicken und ne Cola, die Ladies neben uns waren unsere Höflichkeit nicht gewöhnt und kicherten und beobachteten uns neugierig, wie wir Shito auf unseren Reis träufelten.
Am nächsten Tag wollten wir nach Wli zu den Wasserfällen, von „Bernhard“ empfohlen, die Waterfall Lodge, geführt von wenig gesprächigen Deutschen, die sich aber dennoch immer nach dem persönlichen Wohlbefinden erkundigten. Die sollte direkt an den Fällen gelegen sein und wir sollten doch den geheimnisvollen Kwami besuchen, ein Mann, der direkt im Wald wohnte, wir könnten ihn nicht verfehlen, auf unserem Weg zu den Wasserfällen, er wäre sehr gastfreundlich und wir sollten ihn doch lieb grüßen. Mir gefiel diese märchenhafte Gestalt, eingebettet in diesen märchenhaften Kontext. Nach Hohoe zu kommen, den nächstgrößeren Transporthub vor Wli, war leider gar nicht so einfach. Wir warteten wieder an die zwei Stunden in Madina im Trotro, schließlich ging es dann los, zunächst nach Ho, da wurden wir auf halber Strecke von Polizisten kontrolliert, die durchsuchten aber nur zwei Kerle, dann fragte ich die danach, wieso und sie meinten, sie wären junge Männer ohne Hemdkragen, das genüge, um verdächtig auszusehen. Der Angesprochene entpuppte sich als Nigerianer, der begeistert war von diesem einen nigerianischen, sehr beliebten und sehr berühmten Exorzismus-Prediger, ich sagte nur, ich sei nicht religiös, das wollte er nicht so recht akzeptieren und sagte mir dann im Verlauf des Gesprächs, schon etwas mitleidig, dass ich ja noch nicht Mutter war, obwohl ich doch so einen hübschen Ehemann hatte, dass Gott mir schon eins geben würde. Amen.
Endlich kamen wir in Hohoe an, keine großen Hoffnungen mehr auf ein Trotro ins 40 Minuten entfernte Wli, da standen da auf der Straße drei junge Kerle herum, den einen, Bright, wie sich herausstellte, der schien tatsächlich hell, also strahlend irgendwie, mit dem quatschte ich, der grinste und kicherte immer so, irgendwie gefiel der mir, obwohl er mich kaum verstand und schließlich wurde uns dann ein Trotro organisiert, einfach im Vorbeifahren, kurz please gesagt, nochmal 5 Cedi draufgelegt und es ging durch die Nacht bis zur Haustür. Medaase. Beziehungsweise Akpe, denn wir waren ja schon längst offiziell im Ewe-Gebiet.
Nach weiteren 250 Metern durch den stockfinsteren Wald merkten wir, dass es hier frischer war. Am Tor angekommen, hätten wir eigentlich anrufen sollen, aber es gab kein Netz. Wir riefen in die dunkle Stille hinein und ein alter Mann erschien am Tor, der uns wortlos zu unserem Zimmer geleitete. Irgendwie erinnerte mich das an Bate’s Motel. Das Bett sah zunächst herrlich aus, 2×2 Meter, aber man wollte nicht so recht gemütlich darin werden. Mitten in der Nacht hörte ich ein lautes Klopfen. Das Zimmer war mir unheimlich, man sah überall fremde Schatten. Ich ignorierte das Klopfen und hüllte mich enger in meine zwei nötigen Decken.
Am nächsten Morgen schien die Sonne hell ins Zimmer, die Luft war frisch und etwas kühl, wir frühstückten mit Blick auf Berge und die Wasserfälle, alles war friedlich und einladend. Nach dem Frühstück zogen wir also los zu den Wasserfällen und fanden tatsächlich Kwamis Hütte im Wald. Da er nicht zu sehen war, wollten wir lieber nicht rufen, er schlief ja möglicherweise. Also setzten wir unseren Weg fort, niemandem begegnend, ein Pfad voller Schmetterlinge und kleiner Bäche, die glitzernde Sonne zwischen den Blättern. Wir erreichten die Wasserfälle und waren ganz angetan von diesem weichen, sprühenden Fall des Wassers, dachten an Goethes Naturlyrik und tauchten unsere Füße in eiskaltes, klares Wasser (das laut des Rangers meinen Fuß heilen sollte, mit dem Faith – ich bin nicht religiös!). Da kam Victor Kofi daher, ein „Rastaman“, eine große, klischeehafte Tüte zwischen seinen Fingern, der sich mit uns über Literatur unterhielt und wir fragten nach Kwami, wir sollten ihm doch Grüße ausrichten, auch auf dem Rückweg schlief er noch, aber ich würde ja wiederkommen. Die Luft am Nachmittag war gespickt mit kleinen Aschefetzen, denn überall auf den Bergen brannte es, geplant.
In unserer zweiten Nacht sah Caro das Mädchen aus „The Ring“ in unserem Zimmer, was sich dann als ihr Handtuch entpuppte, auch sie hörte Geräusche, es war unheimlich an diesem Ort. Am Abend hatte sie mir von ihrer mysteriösen Begegnung mit dem elbanischen Katzenaffen erzählt, die nie wirklich aufgeklärt werden konnte. Hat jemand auf Elba schon mal einen Affen gesehen? Oder ein Wesen, das etwa so groß war? Ich grübele immer noch.
Jetzt sind wir also wieder in Accra, nach einer astreinen Aldenaction im südlichen Ghana. Von den Kernbergen an die Goldküste, hat schon etwas Putziges.
Wir grüßen ganz lieb und gehen mal runter zum Essen, zumindest mein Magen knurrt schon ziemlich.