Der Kirchenchor singt sehr schön hinterm Haus. Ich höre auch einen Beat dazu. De Presbyterianer da drüben haben es echt drauf, besonders, wenn am Sonntag der Starsänger wieder ausgepackt wird. Ich habe es immer noch nicht geschafft, mal rüber zu gehen. Will mich auch gar nicht auf noch mehr Religionsgeschreie einlassen, als so schon in TroTros, auf Märkten und an Umschlagplätzen, die sollen ja gerne ihre Megaphonreden halten, halte ich nur nicht viel davon. Vielleicht schaffe ich das ja mal zusammen mit meiner lieben Freundin Caro, die am Samstag in einer Woche hier eintrifft. Wenn ich dann hoffentlich wieder die gewohnte 5km/h-Speed drauf habe und keine Krücken mehr brauche.
Der Unfall ist jetzt eine Woche her und nachdem ich gestern nur unter Bestialoschmerzen einschlafen konnte, hatte ich nicht mehr viel Hoffnung, dass das irgendwie was wird mit meinem geliebten Togo-Plan. Heute fühlt es sich besser and und ich hoffe, hoffe, hoffe, dass der gute Dr. Zak Morgen sagt: „Reis mal n bisschen rum, Mädel“. Oh bitte. Bitte, Dr. Zak, lassen Sie mich nicht Weihnachten in meinem Bett in meinem Mottenkugelloch verbringen. Chris fährt am Sonntag los und diese Gelegenheit will ich mir eigentlich nicht entgehen lassen. Naja, habe ja dann noch so gute 36 Stunden für eine Express-Deluxe-Genesung, bevor es losgehen würde.
Trotz meiner Schildkröteneinschränkung in dieser Woche setzte ich die Arbeit an meinem Filmprojekt fort (Der Chor hat gerade aufgehört, „Alle Jahre wieder“ zu singen…Mann, die haben es aber auch echt drauf, selbst bei Harmattan und dennoch tropfenden Temperaturen so eine richtig urige Weihnachtsstimmung aufkommen zu lassen…in 7 Tagen ist Weihnachten…in einer Woche ist Weihnachten??? Ach du liebe Zeit!). Der Grieche war der letzte und komplizierteste Kandidat, ich hatte da schon ein ganz ungutes Gefühl bei der Sache und wusste eigentlich, dass er abspringen würde, das tat er dann auch. Meine Fragen hätten ihn zum Nachdenken gebracht und nun müsse er das alles erstmal verarbeiten.
Na gut, dann waren es halt nur noch zwei. dafür kann ich mich jetzt wenigstens richtig auf die beiden konzentrieren, das muss ich nur noch alles ein bisschen in einen guten Stundenplan bringen, die Zeit rennt mir davon und jetzt noch viel mehr, weil ich ja nicht mehr rennen kann. Wie schön das war, sich im Bett zu räkeln, die Füße auszustrecken und dann einfach aufzuspringen, wei schön war das, zu tanzen und einfach irgendwo mal eben hinzulaufen. Mir fehlt das sehr und ich könnte schon wieder heulen, wenn ich hier meinen Fuß so leicht bewegen möchte und er einen völlig ramponierten Eindruck macht. Es geht eben einfach noch nicht.
Leider weiß ich auch noch immer nicht genau, was es nun ist. Dr. Zach wollte einfach mal so aus einem Gefühl heraus einen Gips für sechs Wochen anlegen, wäre halt die sicherste Variante. Nee, nicht mit mir, ich lass mich doch hier nicht ins Bett verfrachten. Nachdem ich dann also ein bisschen mit Bismarck (ich glaube wirklich, dass das sein Vorname war) diskutiert habe und er mir geduldig auf so eine typischen Arzttafel gezeigt hat, welche Bänder genau betroffen sein könnten und sich darüber wunderte, warum ich denn meine Beinhaare rasiere (warum gilt Neugierde in Deutschland eigentlich immer als Indiskretion?), einigten wir uns alle drei darauf, dass ich nun einen stabilen Mullverband, einen extra Stützstrumpf aus Neopren und absolutes Laufverbot für zwei Wochen erhalte. Manchmal möchte ich schreien und heulen und in Selbstmitleid darüber baden, dass ich genau jetzt in der Weihnachtsfeier- und Silvesterzeit eigentlich so gut wie gar nichts machen kann, was eine Distanzzurücklegung von mehr als 500 m verlangt. Dann denke ich mir aber wieder dass ich, wenn ich nur ein bisschen anders gefallen wäre, jetzt vielleicht gar nicht mehr Weihnachten feiern könnte. Also trotze ich dem ganzen und fahre Morgen mit Chris nach Togo, wie ich das geplant habe. Vielleicht hat es ja was Gutes und die geldgierigen Grenzbeamten verschonen mich ein bisschen mit ihrer Korruptionsprozedur. Aber mein Fuß, sehen Sie nicht meinen Fuß? Lischen meint „Wenn nicht du das schafft, wer dann?“. Der Krankenpfleger meint „Man sieht, dass Sie keine Ghanaerin sind. Sie kämpfen wirklich mit aller Kraft“. Anne meint „Wenn du merkst, es geht nicht, dann kannst du ja immer noch umkehren“. Deswegen werde ich mich jetzt da durchkämpfen. Jean-Jacques von meinem Hotel weiß schon Bescheid. Ich mach halt alles ganz kakra n kakra. Um am Strand rumzuliegen und zu lesen braucht man keinen rechten Fuß.
Am Donnerstag war unser großer Betriebsausflug zum Beads Market und zur Stone Lodge bei Koforidua. Das ging auch eigentlich mit Krücken ganz gut und Marktschreier Isaac schenkte Lisa und mir zwei Schlüsselanhänger. Das Mileid ist hier immer groß, sehr niedlich eigentlich. Wir saßen lange Zeit im Bus, schliefen viel, bekamen guten Saft und leckere Sandwiches und alles erinnerte an Wandertag in der Grundschule, so einer, an dem man von ganz früh morgens bis spät abends unterwegs war. In der Stone Lodge gab es leckeren und reichlichen Lunch und viele Pfauen, einen Pool und noch mehr Libellen. Ich lag am Ufer und fotografierte.
Gestern Abend entschieden uns Lischen und ich spontan für ein kleines Weihnachtsdinner und fuhren mit dem Taxi zum Khana Khazana, einem sehr angepriesenen indischen Restaurant in Adabraka. Es dauerte eine Weile, bis der Taxifahrer mit unserer Hilfe die Stelle gefunden hatte, an der er uns absetzen musste. Leider ist das ja hier mit den Taxifahrern so, dass sie weder Straßennamen kennen, noch Karten lesen können. Nein, das ist nicht übertrieben, wir haben das empirisch belegen können. Als wir dort dann schließlich angekommen waren, öffnete sich uns ein kleiner Überraschungsruhetempel unter freiem Himmel, das Essen war ein Traum und zum Abschluss fuhr uns der Restaurantbesitzer noch nach Hause. Er erzählte von seinem Imperium, was sich schon auf drei Restaurants und ein Hotel in der Umgebung verteilte und war überaus bodenständig und freundlich. Zufälligerweise waren Kathi und ich auch bei unserem letzten Restaurantbesuch in seiner zweiten Filiale in Osu. Das hat man geschmeckt, das gleiche, feine Rezept der Butter Masala Sauce.
Heute Abend feiert Max seinen Geburtstag und hat schon die Veranda sehr niedlich mit Luftballons dekoriert und die Stühle so aufgesellt, dass eine ordentliche Tanzfläche zu Tage getreten ist. Naja, ich kann ja ein bisschen die Krücken heben. Oder damit den Takt schlagen. Oder neue Krücken-Dancemoves erfinden. Eigentlich freue ich mich auch darauf, einfach nur zu pennen. In seinem eigenen Haus kann man ja mit Leichtigkeit den polnischen machen.
Chris sagt mir dann heute Abend Bescheid, ob wir Morgen fahren oder Montag. Jean-Jacques von meiner Auberge habe ich gesagt, dass ich Sonntag ankomme. Ich hab auch Bock, Morgen einfach loszufahren. Hopp über die Grenze zu den Francophonen. Ach, hab ja noch gar nicht erzählt, dass ich jetzt offiziell mein B1-Level in der Tasche habe, eheee. C’est trop cool! Also sollte das auch ganz gut klappen mit der Kommunikation. Ich freue mich auf’s Essen. Und auf den Strand. Ich will ganz viel lesen und reden, wenn ich Bock habe und viel schreiben und nachdenken und myself a merry little Christmas haven. Jetzt freue ich mich auf einmal ganz doll. Vielleicht sind das Spätfolgen vom Diclofenac. Stimmungsschwankungen. Jetzt bin ich einfach ganz aktiv und packe schon mal. Oder lese im Reiseführer. Oder höre Weihnachtsmusik. Die darf ich nicht vergessen! Wie vor zwei Jahren in Uruguay. Ich mach’s wie vor zwei Jahren in Uruguay. Jawohl. Brauche noch ne rote Mütze. Hab ja auch nen roten Rucksack, reicht, der reicht, platzmäßig. Wie auf Victoria Island. Ich melde mich dann von den Nachbarn her. À la prochaine!