Es ist spät und der Harmattan macht uns seit Tagen unendlich müde. Kein Schweiß rinnt mehr langsam die Wirbelsäule hinab, keine Sonne knallt mehr unbarmherzig, das Land ist überzogen von einem dunstigen Schleier, der Accra besonders im Morgengrauen in ein graues, kaltes Frankfurt-am-Main-Kleid steckt. Und doch hat das Ganze etwas Anheimelndes, wenn es schon keine weiße Weihnachten gibt, dann wenigstens eine dunstige. Ist doch auch was, da hat man mal was Eigenes. Francis’ tote Katze liegt neben mir auf dem Tisch (Obacht, kleiner Tonmacherwitz) und Morgen beginnt der Dreh für meinen kleinen Film. Pressure! So viel Druck in der Weihnachtszeit. Was ist mit der guten alten Heimlichkeit? Wann werden hier endlich mal Plätzchen gebacken und was ist mit Glühwein und Feuerzangenbowle. Kommt alles. Planmäßig am Freitag. Da soll dann im Institut eine klassische Weihnachtsbäckerei Einzug halten, ich habe sieben Plätzchenrezepte ausgesucht, an denen wir uns dann ausprobieren. Dann ist am Nachmittag unser Weihnachtskonzert und es gibt kleine Cocktailhäppchen sogar, zur stilechten Feuerzangenbowle und wenn alles glatt läuft sogar den Film am Ende.
Aber ich habe ja noch gar nicht vom Samstag erzählt! Das war nämlich extrem cool da, beim weihnachtlichen Poetry Slam, meinem ersten hier in Accra. Das war eine sehr gemütliche Gartenrunde neben der Togolesischen Botschaft, in der wir erstmal alle sagen mussten, was denn Weihnachten für uns bedeutete. Wir drei Deutschen konnten uns natürlich schön mit Weihnachtsklischees auslassen, aber genau das bedeutet Weihnachten auch für mich, da diskutiere ich gar nicht lange, das ist mein Ding, fertig. Nichts hier mit „apart from the birth of Jesus“, ja, ich weiß schon, dass der Kerl da geboren wurde, aber ich schätze ihn so ein, dass der sicherlich auch nichts gegen nen Glühwein auf nem hübsch eingeschneiten und beleuchteten Weihnachtsmarkt gehabt hätte. Na jedenfalls traten bei dem Poetry Slam allerhand Leute auf, da waren nicht nur Poeten, sondern auch Sänger dabei und sogar Accra-Semi-Prominente waren am Start, von denen mir mein Boss schon erzählt hatte. Wir lachten tatsächlich, mir ging das Herz auf als ich merkte, dass sich hier tatsächlich ghanaischer Humor mit meinem eigenen trifft. Ja, nach drei Monaten eingängiger Analyse von Leuten und Populärkultur fühle ich mich dazu in der Lage, den Kulturhumor hier einzuschätzen und dieser Abend war wirklich eine positive Überraschung. Drei Monate! Ja! Krass. Am Samstag ist es soweit. Drei Monate und auch zufälligerweise genau 13 Wochen ist es dann her, dass ich zum ersten Mal den Boden meiner neuen Heimat betreten habe, zum ersten Mal dieses unwahrscheinlich gute Gefühl von dieser schwülen Wand auf der Haut spürte, nasser Waschlappen im Gesicht, zum ersten Mal ghanaische Ungezwungenheit erlebt habe. Es gefällt mir immer noch. Viel besser jetzt als „damals“.
Wieder sind fast 24 Stunden vergangen, ich weiß auch nicht, was hier los ist, ich komme gar nicht mehr hinterher und freue mich schon so sehr auf die Weihnachtsferien…wo es da hin geht, werdet ihr hier bald erfahren! (Oder habe ich das etwa schon mal preigegeben? Dann ist das ja nur ein billiger Spoiler. Na tun wir einfach so, als wüsste man von nichts. Sonst kann ich gar nicht mehr diesen absoluten dankbaren Wortspieltitel bringen). Am Sonntag ist nämlich mal wieder Prüfungsansicht angesagt, yayyy, nochmal mit Schmackes am dritten Advent. „Hallo Peter, hier Carola. Du sag mal, ich wollte doch am Freitag eine Party bei mir geben. Könntest du schon 14 Uhr zu mir kommen und mir bei der Vorbereitung helfen? Ich schaffe das sonst nicht allein! Vielen Dank, Tschüss!“ schallt dann wieder in einem Murmeltier-Kreislauf durch die Hallen. Aber hat ja auch alles was Niedliches.
Heute war ein besonders aufregender Tag, denn ich hätte die große Ehre mit Solaiman, dem Bagelverkäufer aus Gambia zu drehen und sehr lange zu plaudern, meinem ersten Protagonisten. Es stellte sich heraus, dass der Kerl unglaublich inspirierende und schlaue Ansätze vertrat, war mit 20 in die USA gegangen, hatte dort sein Handwerk und erstaunliche Businessskills gelernt und entpuppte sich zu einem überaus sozialen, smarten, kompetenten und durchsetzungsfähigen Geschäftsmann. Strahlte gleichzeitig auch diese bescheiden-optimistische Obama-Attitüde aus, immer ein breites Lächeln auf den Lippen, niemals verzagend, denn es gäbe ja immer etwas zu tun. Regte sich sehr über die Inkompetenz und das Statusgehabe der Chiefs auf, hatte eine sehr ausgewogene Globalsicht, kannte sich sehr gut aus dafür, dass er niemals studiert hatte oder eine richtige Ausbildung absolviert hatte. „Viele Leute sind so arm, denn alles was sie haben, ist Geld“, zitierte er dann noch Bob Marley, nicht ohne vorher eine Andeutung zu Marie Jeane zu bringen. Ich habe heute auf jeden Fall viel gelernt und ein paar Wahnsinnsbilder in den Kasten bekommen. Nachdem er mich für unser Interview auf ein Bierchen und einen kleinen Lammgrillsnack eingeladen hatte, bezahlte er dann auch noch mein Taxi zur Arbeit zurück. „The world is beautiful. You just have to see“, sagte er immerzu. Wirklich wunderschön.
Alles geht zu Ende, meine Französischprüfung habe ich hinter mir, nächste Woche ist die letzte Arbeitswoche in diesem Jahr und Bea will jetzt auch noch aus dem Africa House ausziehen. In meiner neuen Dunkelkammer fange ich an, mich heimisch zu fühlen, die Dunkelheit macht wenigstens immer so einen auf Weihnachtsstimmung. Die Matratze sollte man nicht anheben, weil einem dann der Geruch des Todes entgegenströmt, aber abgesehen davon riecht es ganz in Ordnung bzw. immer noch nach den widerlichen Mottenkugeln, die sich trotz nur ca. sechsstündigem Aufenthalt in meinem Zimmer scheinbar in jede Faser gefressen haben. Der Harmattan zieht einem jegliche Feuchtigkeit aus den Poren und das ist nicht so gut. Sieht ziemlich fies aus mitunter.
Oh ich habe ja noch gar nichts vom chilenischen Film am Montag erzählt, der Titel stellt eine kleine Hommage zu diesem Abend dar, mein Herz ging mir auf aber zerbrach gleich darauf schon wieder, weil ich Chile und Santiago und mi vida allá einfach so schmerzlich vermisste innerhalb dieser neunzig Minuten. Ich gab mich ganz dem Akzent hin, versank in den Anspielungen, die nur un chileno de corazón verstehen kann und schmachtete. Der Film war süß, aber nichts für die Filmgeschichte und dem chilenischen Botschafter war der vielleicht auch etwas peinlich, weil er danach ganz schnell die Biege machte. Auf jeden Fall sehr offenherzig und derbsprachlich wie der obige Titel. Aber 120 % chilenisch. Da saßen wir nun, mit Spaniern, Deutschen, Ghanaern und sahen uns diesen Film an, das hatte etwas Surreales und Magisches, ein kulbprovokatorisches Vermischen von verschiedenen Welten, abgefahren. Schön!
Ich werde mir jetzt mal Harmattanschutz auftragen und dann demnächst nach draußen gehen, um mir den spanischen Film im Festival anzusehen. Nochmal kurz abschalten vor dem großen Tag der Weihnachtsfeier Morgen.
Que les vaya bien, chiquillxs.