It's Ghana be great

Meine Zeit am Goethe-Institut in Accra

High Tech und High Willkür

Planmäßig in drei einhalb Stunden landen meine Eltern hier in Accra und ich will mir lieber gar nicht vorstellen, wie nervös sie jetzt gerade sind. Als wir gestern Abend noch telefoniert hatten, standen sie kurz vor dem Herzinfarkt, als ich, leicht „scherzhaft“ meine Überraschung anteasern wollte, die dann leider ins Wasser fallen musste, um sie nicht komplett aus der Bahn zu werfen und in einem Anfall von Last-Minute-Panik doch wieder in Erwägung ziehen lassen sollte, irgendeine Botschaft zu konsultieren. Jedenfalls meinte ich nur noch, als letzte Bemerkung beim Telefonat: „Das ist jetzt ganz wichtig, hört bitte genau zu: Wenn ihr am Flughafen ankommt, sucht nur nach eurem Namen, lasst euch von niemandem ansprechen und vor allem nicht anfassen und mitzerren, egal, was derjenige sagt, schaut nur nach eurem Namen, okay?“ Gut, es kann sein, dass ich das ein wenig zu sehr im Agententhriller-Style ausgespielt habe, meine Eltern hörten sich jedenfalls stotternd-hysterisch an und fragten immer wieder völlig bestürzt „Was? Du bist dann nicht am Flughafen??? Du bist dann nicht am Flughafen???“. Ich musste also die Wahrheit auspacken, dass ich sehr wohl am Flughafen sein würde, dass ich allerdings einfach nur überraschungsmäßig so tun wollte, als wäre da jemand anderes, mit dem Schild, was ich extra vorbereitet hatte. Mein Vater sagte mir dann, er hatte mich schon in den Fängen nigerianischer Terroristen gesehen. Ironischerweise lag ich zum Zeitpunkt des Gesprächs in meinem Bett und schaute mir eine Sat1-Liebesschnulze auf Youtube an (Ja, darauf hatte ich halt mal Bock.).

Übrigens ist die Ankunft in Accra normalerweise wirklich genau so, wie ich es beschrieben hatte, das war nicht mal übertrieben. Wenn man aus dem Gebäude heraustritt, dann ist das ein bisschen wie bei The Walking Dead, ich nenne das hier mal The Walking Taxifahrer, weil da dann so an die 50 Taxifahrer in einem Pulk stehen und im perfekten Reisverschlussprinzip deinen Ausweg versperren und dich empfangen mit „Ich habe schon auf dich gewartet, komm mit!“ oder „Ja, ich bin hier, um dich abzuholen!“ und dich am Arm packen. Das ist erstmal ein ziemlich origineller Empfang. Ich bin mal gespannt, wie ich mich nachher bei The Walking Taxifahrer eingliedern kann, ohne entweder einer von ihnen zu werden oder heillos unterzugehen.

Aber Mama und Papa, ihr nehmt mir das ja jetzt hoffentlich nicht böse, ich fand das eher sehr niedlich, ich freue mich auf euch mit genau der gleichen Freude wie in dieser einen denkwürdigen Situation in der Mondgruppe bei Benjamin im Wildhüterwegkindergarten, als die superstrenge Beate uns schon im Bulldozerton angeherrscht hatte „SO, IHR MACHT JETZT ABER AUCH SOFORT MITTAGSSCHLAF HIAR!“ und im allerletzten Moment Herr Wittlich als Held durch die Tür der Mondgruppe getrabt kam, um uns abzuholen. Ich glaube, ich habe ihn in diesem Moment tatsächlich in Slow Motion rennen sehen, ich erinnere mich auch an Benjamins und meine Freudenschreie nur noch in Slow Motion. Das sind so diese besonderen, heroischen Freudemomente im Leben und so freue ich mich auf euch. 🙂

Am Freitag hatten wir ein kleines Event am Goethe-Institut, was ich erstmals ganz allein organisiert hatte und somit auch der Conférencier der ganzen Sache war, mein Künstlerkumpel Jonathan und seine Kollegen kamen für eine Präsentation ihrer Erfahrungen beim African Futures Festival. Das war dann ziemlich cool, weil sich herausstellte, dass Jonathen die erste Firma in Ghana betrieb, die mit Virtual Reality arbeitete, ich löcherte ihn anschließend mit Fragen und dann durften wir auch alle das Google Cardboard ausprobieren, sogar Mr. Adom wollte mal und wurde fast nicht wieder. Für mich hatte das alles so etwas von nostalgische Futuristik, ich dachte die ganze Zeit daran, wie die Leute wohl auf den ersten Fernseher oder das erste Radio reagiert hatten, diese ganzen leicht zaghaften Bewegungen und Berührungen und Blicke, dieses Verzaubertsein von einer ganz neuen Dimension, es war herrlich und spannend und witzig. Jonathan fragte uns dann noch, ob wir zusammen mit ihm und seinen Kollegen ein Bierchen trinken würden und so saßen wir noch eine Weile zusammen im Hof. Kathi fand den Jonathan übrigens auch „sehr schön“, vielleicht erinnert ihr euch ja an mein erstes Treffen mit ihm bei dem Jamestown-Dreh, ja, der hat irgendwas…Weltmännisches? Liegt vielleicht daran, dass er in Kanada studiert hat, alterslos zu sein scheint, diesen eleganten, aber gleichzeitig casual Kleidungsstil hat und Atheist ist. Ein ghanaischer Atheist, in etwa so wahrscheinlich wie ein französischer Veganer. War uns allen jedenfalls sehr sympathisch.

Kathi und ich zogen dann noch weiter, weil wir endlich mal das „Buka“ ausprobieren wollten, ein sehr hoch gelobtes Restaurant mit ghanaischen und nigerianischen Spezialitäten (wahrscheinlich laut denen ausschließlich nigerianische Spezialitäten, weil die Nigerianer immer alles erfunden haben, immer und alles). Das hatte leider zu, als wir 21:34 dort aufschlugen. Na gut, dann wurde weiter gesucht, wir landeten bei einem Inder mit der leckersten Chicken Tikka Massala meines Lebens, ich wollte mich da einfach rein legen. Wir einigten uns darauf, dass wir unbedingt nach Indien wollten. Bea schwärmt auch immer so von Indien. Ich will unbedingt mal nach Indien! Na, erstmal einen Job finden ab März. Dann klappt das vielleicht nächstes Jahr. Am liebsten möchte ich nach Paris. Pah! Hahahaha. Mit einem sehr wohlwollenden B1-Level. Aber nur, wenn man alle Augen zudrückt. Unmöglich? Wahrscheinlich. Aber ich denke man einfach an diesen weisen, abgenudelten Brechtspruch.

Gestern war Flohmarkt am Goethe-Institut, aber nicht, wie man sich das so vorstellt, eher so High-End-Luxusflohmarkt mit allen möglichen hochwertigen Neuwaren. Wir hielten uns ungefähr drei Stunden dort auf, weil es einfach so viel zu sehen gab und zu stöbern und es war ja alles so schön, man konnte sich kaum zurück halten im Kaufrausch. Mein Bagelkumpel Solomon war wieder da, er freute sich, mich zu sehen, schenkte mir einen Zimtbagel und ich schwatzte ein bisschen mit ihm, fand heraus, dass er eigentlich aus Gambia war, ich sagte ihm, ich möchte gerne einen Film machen und würde mich freuen, wenn ich ihn interviewen dürfte einmal. Da kam mir dann nämlich die Idee für meinen Projektfilm. Aber das ist eine andere Geschichte.
Nachdem wir uns satt gesehen und -gekauft hatten, ging es weiter zum Makola Market, weil wir mal wieder neue Klamotten brauchten. Der Schimmel in meinem Zimmer hat bisher zwar nur meinen Reisepass, mein Mosquitonetz und meine Handtasche angegriffen, aber der Zerschleiß ist hier irgendwie sehr groß, durch fehlende Waschmaschinen. Ach, apropos Reisepass, da gab es ja noch eine freitägliche Episode vom Immigration Service. Wir mussten nämlich uns Vism verlängern. Klar, logisch, unser sechsmonatiges Multiple-Entry Visum reicht natürlich nicht. Ich erlaubte mir dann, den Official mal zu fragen, wonach sich denn das richte, wie viele Tage Visum man bei der Einreise nach Ghana erhält. Er meinte dann, ganz unverblümt und stolz zu mir: „Ja, das richtet sich nach dem Beamten bei der Einreise, der entscheidet das, das können 30 Tage, 60 Tage, aber auch nur ein paar Stunden sein“. Wie bitte? Der denkt sich dann also „Joa, Alde, wenn mir dein Gesicht nicht passt, dann kannst du dich mal ganz hinten hier anstellen, ich kann dir auch nur ein drei-Stunden-Visum erteilen, nje-heh-heh-heeeeh“. Bestens. Willkür wie im tiefsten DDR-Dickicht, aber hier noch ganz offiziell und freundlich zugegeben. Wir lernen also daraus, Ghana macht einen auf Berghain. Ganz offiziell. Da kann sich dann jeder drauf einstellen und hoffen. Es ist doch einfach nur ein großer Scherz. Freedom and Justice. Für. Den. Arsch.
Jedenfalls warten wir jetzt auf unseren Reisepass, ich habe dem Beamten freundlich erklärt, dass ich den aber spätestens am 20.11. wieder brauche, weil wir da das Land verlassen müssen. Er kann für nichts garantieren. Großartig. Einfach großartig.

So. Ich werde mich jetzt mal um meine Französischhausaufgaben kümmern. Und mich so langsam fertig machen zur Flughafenabfahrt. À plus!

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