Adele hat gute Chancen, den Youtube-Hit des Jahres zu landen. Das hatte ich gerade gelesen und mir gedacht, na gut, dann höre ich mir das doch mal an, so in der Pause, ist gerade niemand da, also Kopfhörer auf, Vollbild an und bitte. Nach der zweiten Songzeile schluchzte ich bereits hemmungslos. Ich frage mich, wann ich das letzte Mal so haltlos und leidenschaftlich und befreiend geheult habe. Anscheinend geht das ja noch mehr Leuten so, wenn die Gute bereits mehr Klicks hat als der neue Star-Wars-Trailer. Ist ja auch irgendwie beruhigend und weniger schmalzig, wenn man so bei sich denkt: „Okay, gut, die besingt nicht nur genau deinen Kram, das geht auch noch gut einer Million anderen Leuten so“. Leider kommt man dann doch auf sehr schmalzige Ideen. Wenn Geburtstag und Weihnachten näher rücken, dann hängt halt immer so ein sehr großer Zwangsgleichgewichtsdruck in der Luft, alles will man schön und bereinigt haben und da passen so Adele-Texte und jede Nacht fieser zubeißende Alpträume eben gerade nicht so. Versuchen ist gut und Zeit vergehen lassen auch aber uncool, wenn man doch nur so im luftleeren Raum hängt.
Normalerweise schiebe ich das ja auch ganz gekonnt weg, es gibt ja so viel zu organisieren. Dienstag stand nun das große Konzert an, das dann doch nicht ganz so groß ausfiel, weil kaum Leute gekommen waren. Ich glaube, der deutschen Band zumindest war das nicht ganz so genehm, obwohl sie sich natürlich höchst professionell nichts anmerken ließen. Die Kinder waren goldig wie immer, tanzten und sangen auf ihre entzückende, leichte Art und Weise und strahlten mich an und mal traute eine sich auch, was zu sagen „You are beautiful!“, das hört man hier oft aber ihr kaufte ich das tatsächlich ab, obwohl sie mit ihren goldenen Ohrringen und dem strahlenden Lächeln natürlich viel schöner war. danach bekamen alle Jollof Rice und Chicken und eine Fanta und Becky erklärte mir, dass einige von den Kids vielleicht nie Chicken bekommen und auch sie damit aufgewachsen ist, dass es sowas eigentlich nur an Weihnachten gab. Ich war umso glücklicher, dass wir den Lieben eine derartige Freude bereiten konnten. Manchmal kann man eben doch genau das Richtige machen.
Gestern Abend konnte ich endlich mal wieder Spanisch sprechen, eine ganze Stunde lang, mit meiner lieben Petra, mit der ich ein halbes Jahr in Chile in unserer Knuta zusammen gewohnt hatte. Das war wieder mal eine dieser seltsamen Weltvermischungen, wir waren uns einig, dass wir der Zeit stetig, aber ungewollt nachtrauerten und wussten, dass sie einmalig und unwiederbringlich ist. Das fühlt sich schal an, aber wir versuchen ja, das Beste daraus zu machen, wie gesagt. Vor genau zwei Jahren hatten wir unsere Trampertour durch Chilóe und schwelgten in Erinnerungen. Wie das so ist mit den Erinnerungen, beziehen die ja leider auch immer Ecken mit ein, die nunmehr tabu sind und in die man sich wirklich nicht verkriechen will aber dann wird etwas erwähnt und dann ist es schon da und man hat es gehört und will eigentlich gleich wieder zurück und das vergessen und verhören aber der Magen krampft sich schon ganz widerlich zusammen. Na jedenfalls geht es weiter, alles dreht sich weiter und wir gehen weiter. Wir sind ja nicht vorbei. Und damit hatte ich dann an einem Tag vier Sprachen gesprochen und war glücklich darüber. Man ist hier eben viel beschäftigt. Das ist das richtige Leben jetzt, mit 40-Stunden-Woche Plus und auf eigene Faust. Ich bin oft für mich, aber nicht einsam. manchmal ist es gut, einfach für sich zu sein. Viel Nachdenken. Und dann über den Berg kommen.
Es gab dann hier eine Lesung von Prof. Anyidoho, der diese begann, indem er eine indigene Weise sang, die angeblich von seinem Onkel komponiert wurde. Ich war hin und weg und stellte mir einen deutschen Professor vor, der seine Lesung mit „Theo, spann den Wagen an“ beginnt. Warum wird so wenig gesungen, im akademischen Kontext? Warum hat Gesang so einen niedrigen Stellenwert in meiner Kultur? Oder, vielleicht keinen niedrigen, aber einen so auf einen breiche festgelegten, warum gibt es da keine Überlappungen in andere Bereiche? Das war jedenfalls der genialste Icebreaker aller Zeiten. Alles war still. Der Professor hatte nun die ungeteilteste Aufmerksamkeit. Das einzige Geräusch kam von den ab und zu über uns her flatternden Fledermäusen. Kleine Batmans. Mir gefiel seine Lyrik und die Art und Weise, wie er sie vortrug. Ein weiser, alter Mann, der über sich selbst lachen konnte und sich selbst auch sehr kritisch sah. Mubarak war gekommen, ein äußerst sympathischer Kerl aus meinem Französischkurs, „Bonsoir Elisa“ hörte ich auf einmal von hinten und dann setzten wir uns gemeinsam an den Tisch und lauschten und ich erklärte ihm meine Canon und jetzt möchte er auch gerne so eine.
Irgendwann schlief ich dann später in meinem Büro auf dem Schreibtisch ein, eigentlich wollte ich nur die Kamera wegbringen und dann auf Becky und ihren Fahrer warten, aber ich hielt nicht mehr wirklich meiner Müdigkeit stand. Schließlich nahm mich der Soundtechniker im Auto mit, vorher hatte ich noch erfahren, dass einer unser Wachmänner, ein sehr groß gewachsener, den ich noch nach seiner Größe fragte, er darauf aber nur schüchtern wegschaute und lächelte (anscheinend ist es hier peinlich, um die 2 Meter zu sein), einen Doktor gemacht hatte, ein Ingenieur war, aber nun viel zu teuer für den Arbeitsmarkt sei, das meinte Becky. Das tat mir in der Seele weh, ich wollte ihn anschreien und ihm sagen „Meine Güte, Sie sind ein so kluger und sympathischer Kerl, ich flehe Sie an, bitte machen Sie etwas aus sich und vertun nicht ihr Leben in diesem weißen Security-Shirt!“, da kam dann das Auto und nahm mich mit in die Nacht. Am gleichen Tag meinte mein Twi-Lehrer Chambas zu mir: „Freiheit gibt es nicht in Ghana“. Ich habe gestern viel gelernt.
„At least I can say that I’ve tried“.