Gerade komme ich aus einem Meeting mit einem sehr kleinen Franzosen, der mich unwillkürlich an eine sehr haarige Version von Phil Collins erinnerte, und seiner Kollegin, die mir besonders sympathisch wurde, als sie bei dem Satz „Bei kulturellem Eventmanagement schaut man immer in die Zukunft!“ gedankenverloren ins Leere blickte. Ich habe sicherlich genauso gedankenverloren drein geblickt, gelegentlich, denn ich glaube, ich werde in der Gesellschaft von Franzosen immer ein bisschen gedankenverloren. Dann denke ich an meinen eigenen Franzosen und an den Tag, an dem wir uns wiedersehen. 98 noch. Zweistellig. 18 bis 80. Bis zur Hälfte.
Meine Ebony-and-Ivory-Schokolade ist leider alle, Lisa und ich haben gerade die letzten beiden Stücke verputzt und wir haben beide schon wieder Hunger. Ich gehe wohl gleich vor dem Twi-Kurs nochmal zur Obst-Uschi, wie wir sie liebevoll getauft haben. Und ich bin müde. Gestern bei der Tagesschau bin ich einfach eingeschlafen, seitlich gequetscht auf meinem Kopfhörer, schöner Abdruck auf der Backe, sieht ja um die Zeit zum Glück eh keiner mehr. Ich habe mal gezählt: all meine Veranstaltungen eingerechnet bin ich jetzt bei einer 48,5-Stunden-Woche. Darauf muss ich mich wohl erst mal einpegeln. Das läuft so noch bis zum 15. Dezember. Geht.
Ich hatte noch gar nicht von meiner freitäglichen Christenepisode erzählt. Ich saß da so in meiner Bibliothek, na eigentlich stand ich gerade, weil ich mir ein Buch ansah, aus dem Regal der Neuzugänge, da kam ein Ghanaischer Künstler, mit dem wir hier im Rahmen einer Ausstellung zusammenarbeiten. Der hat mich dann ungefähr eine Stunde lang zugelabert. Ich wurde im Vorhinein schon gewarnt, dass sich bereits viele andere ghanaische Künstler und Kollegen von ihm abgewandt hatten, weil er wohl allen ein bisschen zu sektenmäßig drauf ist. Ich setzte also meinen sehr durchdringenden „Ich bin ein toleranter, aber überzeugter Atheist“-Blick auf und ließ erst mal wie Großmutter Weide alles auf mich einwirken. Zunächst schenkte er mir eine Ananas. Hatte etwas Komisches, im Sinne von etwas Lustiges. Dann ließ er sich darüber aus, wie positiv meine Ausstrahlung doch sei und dass immer, wenn er in meiner Aura stünde, er in eine Art tranceähnlichen Zustand versetzt würde. Ich bedankte mich höflich und erklärte das damit, dass ich eben versuche, stets das positive in Situationen zu sehen, da man ja nur ein Leben hätte und das nicht mit mieser Laune verplempern sollte. Er stimmte mir eigentlich bei jeglichen meiner Aussagen zu. Das Prediger-Zepter wurde also zwischen uns immer hin- und her gereicht. Er schien mich zu analysieren, meinte dann, er hätte einen Hintergrund in Psychologie. Irgendwann sagte er dann unvermittelt, man müsste auch dazu in der Lage sein, sich selbst zu vergeben: wenn man eine innere Stimme hörte, die sagte „Es ist jetzt Zeit, du kannst dir nun vergeben“, dann sollte man dieser nachgeben. Auch, wenn das alles so eine leichte Aura der Christenbekehrung hatte, brachte mich das Gespräch dennoch irgendwie weiter. Ich habe fast täglich Alpträume, weil ich dieser inneren Stimme offenbar noch nicht nachgeben kann. Soll das jetzt eine Art Absolution für mich sein? Ich weiß es nicht. Ich finde nur, es ist endlich Zeit für bessere Träume.
Gut, für den einen Alptraum war ich neulich selbst verantwortlich, der war aber auch nicht einer von den typischen, wiederkehrenden, mit dem gleichen bärtigen Gesicht. Ich war hoch oben und hing an einer Strickleiter, meine Füße rutschten und eigentlich war es unmöglich, sich mit seiner reinen Körperkraft dieses letzte Stück da hochzuziehen. Ich hasse diese Vertigoträume. Aber wie gesagt, ich bin selbst schuld, oder vielleicht war es auch einfach der Leuchtturm selbst. Leuchttürme sind ja auch sehr beliebte Horrorfilmmotive, spätestens seit „The Ring“. Am Sonntag hatten wir nämlich einen sehr schönen Vormittag, weil uns der deutsche Soldat, ein alter Haudegen und Junggeselle, aus unserem Twi-Kurs zu einer kleinen Accra-Tour in seinem Militärjeep eingeladen hatte (der kurzerhand die Rolle einer Trockensauna übernahm, alter Schwede, das ich so schwitzen kann, war mir auch noch nicht bewusst). Der Soldat wusste viel und wir genossen die Fahrt und die Insidertips, demnächst muss ich unbedingt einen der Kunstmärkte aufsuchen. Unsere kleine Spritztour endete nach ungefähr zwei Stunden mit dem Leuchtturm von Jamestown, dessen Stufen wir dann 40 Meter in die Höhe wanderten. Leider war die Wendeltreppe sehr schmal und hatte auch kein wirkliches Geländer und ganz oben stand dann so eine nicht ganz so zuverlässig erscheinende Wackelholzleiter für die letzten Meter bis zur Aussichtsplattform. Meine Beine schlotterten also, mein Herz raste und meine Atmung schnappte. Es war nicht schön. Aber dafür hatte es sich dann gelohnt (ich muss endlich mal diese Bilder hochladen).
Am Samstag hatten Kathi und ich vor unserem zweiten Theaterstück an diesem Wochenende eine besonders große Ehre, da wir von unserem Boss und ihrem Mann zum Pizzadinner eingeladen wurden. Das hatte etwas besonders Niedliches, wie wir da so saßen, alle vielleicht etwas unbeholfen ob der peinlichen Situation, wenn man also diesen Rahmen des Professionellen verlässt und plötzlich Businessmeeting gegen Pizzadinner und Cheesemuffin eintauscht. Ich könnte mich ja noch in stundenlange Ausschmückungen dieses Abends verlieren, aber für den Moment belasse ich es dabei: ich finde es schön, wenn man einen Boss hat, der so was auch mal machen kann. Jedenfalls ging es danach wieder ins bereits wohlbekannte Nationaltheater, der Bass der Lifestylefair wummerte schon oder immer noch und diesmal wurde mein Brecht verwöhntes Theaterherz auf eine noch härtere Probe gestellt. Zwei Worte: Product Placement. Im Theaterstück. Und zwar ohne irgendeine künstlerische Intention, rein kommerziell und mit der Faust in die Magengrube. Das tat wirklich weh. Das geht einfach nicht. Bei der Kleinbürgerhochzeit packt auch keiner seine Clubmateflasche aus, da hängt auch dann kein großes Schild davon rum, und erwähnt beiläufig, wie gut die schmeckt. Es war einfach nur traurig mit anzusehen. Jaja, ich erwähnte ja schon, keine Subventionen für Kunst, aber muss man diese dann derartig auf die Straße schicken? Ich weiß es nicht, ich fand alles fragwürdig, natürlich bin ich offen gewesen für dieses Stück und über den einen Kandidaten musste ich auch wirklich regelmäßig lachen. Es war sehr interessant zu sehen, wie Theaterkultur hier verstanden wird. Ich sagte das bereits, aber gerade bei diesem Stück war das nochmal höchst interessant. Wenn Theater die Position des Kinos eingenommen hat. Wenn Leute hinter dir mit Popcorn rascheln und die Typen auf einmal zu pfeifen anfangen oder obszöne Zwischenrufe los lassen, wenn eine Schauspielerin lediglich die Bühne betritt. Ich wollte weinen und der Popcorngeruch bewirkte einen Brechreiz. Aber was soll ich sagen, ich beschwere mich nicht, ich beobachte nur und nehme zur Kenntnis. Ich möchte niemanden bekehren, jeder nach seiner eigenen Façon.
Heute Abend beginnt hier ein Filmfestival, ich hoffe allerdings, dass ich mich pünktlich um 17 Uhr hier davon schleichen kann, weil wir heute gerne ins Honeysuckle gehen wollten, mit Beatriz‘ Spaniern, ich will endlich mal wieder Spanisch sprechen (nachdem mich neulich ein Ghanaischer Bibliotheksbesucher auf Spanisch anquatschte und wir kurz plauderten), da läuft heute eine Partie fútbol. Cruzenme los dedos, chiquillos! 😉