Ich schreibe immer noch ins Leere, weil ihr mich immer noch nicht sehen könnt. Aber Rettung naht. Unser Server-Verantwortlicher streitet sich momentan mit den Leuten, die zuständig für die „.de“-Vergabe zuständig sind. Die stell ich mir vor wie die Grauen Herren. Sind sicherlich eiskalte Typen. Das kann sich also noch eine Weile hinziehen, bis der Schreibhahn wieder aufgedreht wird. Bis dahin bleiben meine Texte sicher in der Schublade, um eines Tages auf euren Bildschirmen aufzutauchen.
Heute ist der Tag, an dem ich meine letzte Malariaprophylaxe einnehme. Das heißt, ich bin jetzt 35 Tage hier. Ein kleines Resümee gab es ja neulich schon (wovon ihr natürlich noch nichts wisst, weil ihr den Text ja noch nicht gelesen habt). Also kann ich mir das auch eigentlich sparen, man muss ja nicht doppel-moppeln und Zeit für pathetische Showdownreden ist ja noch lange nicht.
Becky ist für diese Woche krankgeschrieben und ich bin mehr oder weniger mein eigener Herr. Dafür kümmert sich unser Big Boss Anne umso rührender um mich und fragt mich gelegentlich, ob es mir denn gut geht oder ich noch keinen Accra-Flash erlitten habe. Am Freitag und Samstag wollen wir zusammen mit ihrem Mann, Lisa und Kathi ins Theater fahren, da findet eine Musicalperformance am Freitag statt und ein politisches Stück am Samstag. Lisa meinte, da sähe es aus wie in der Semperoper, als ich Anne davon erzählte, lächelte sie nur ihr typisches Schelmlächeln und meinte, sie wäre gespannt, was ich davon halten würde. Ich bin auch gespannt. Ich liebe das Theater!
Mein Französischkurs ist hinreißend und ich fühle mich etwas schuldig, dass ich nicht die angesetzten fünf Mal die Woche kommen kann, aber, offen gestanden, will ich das ja gar nicht. Ich wollte drei Mal die Woche. Die Alliance sagt Non. Also stehe ich jetzt nur drei Mal die Woche um 4:45 Uhr und zwei Mal die Woche um 5:45 Uhr auf, für unser Workout mit Max und Kathi. Wir nehmen das sehr ernst. Besonders Max, der jetzt immer mit Sean T persönlich trainiert, also vor uns auf einem kleinen Hocker im Laptop, der ist ein absolut amerikanischer Fitnesstrainer, der mit absolut amerikanischen Fitnessmodels in diesen Insanity-Videos herum springt und die Leute vor den Bildschirmen herumkommandiert. Ich fühle mich immer ein bisschen wie in meiner eigenen 80er-Jahre-Persiflage, fehlen nur noch die Stulpen und Stirnbänder. Es bringt aber wirklich was, wenn man dann so unter die Dusche springt, dann verlangt der Körper regelrecht nach diesem kalten Wasser, man tropft hier einfach bei der kleinsten Bewegung, kein Wunder bei einer Luftfeuchtigkeit von 80%. Normalerweise bin ich ja nicht so ein Schwitzer. Zumindest nicht so wie Max, der regelrechte Sturzbäche produziert, mir immer noch ein Rätsel. Ich habe wieder zwei Kilo verloren, was ich nur sehr ungern auf einen potentiellen neuen ungewollten Mitbewohner schieben möchte. Seit meiner letzten Kur habe ich mich so angestrengt, kein hypothetisch wurmbelastetes Material zu mir zu nehmen.
Am Freitag ist hier leider das komplette System ausgefallen, also konnte ich dann leider doch nicht mehr das beenden, was ich hier angefangen hatte. Irgendwie ging es mir auch ganz seltsam. In der Bibliothek war niemand, ich nutzte also die Zeit für ein kleines Schreibtischnickerchen, aus dem man jeden Moment schnell erwachen könnte, und schlief auch innerhalb weniger Sekunden ein. Das Ganze gipfelte dann in einen klassischen Krankheitsverlauf mit Schwindel, Kopfschmerzen und Fieber, den ich so gut wie möglich, in meinem Theatersitz vor mich hin siechend, verdrängen wollte. Irgendwie scheint das auch geklappt zu haben, denn nach einer Schweineschwitznacht war mein Fieber am Morgen verschwunden, ich war zwar noch schwach auf den Beinen, konnte aber abends schon wieder gemäßigt das Haus verlassen. Aber mal in der Reihenfolge bleiben.
Am Freitag hatten wir nämlich unsere erste Chorprobe bei meiner lieben Kollegin Lisa, die das unglaublich professionell veranstaltet hat, meinen größten Respekt! Ich habe mich wieder gefühlt wie in alten Schulchorzeiten (nur San hat natürlich gefehlt), die Lockerungs- und Einsingeübungen, die Notenblätter, die Stimmverteilung. Wir waren wenige und leider hatte die indische Mutter mit ihrer unerzogenen kleinen Tochter ein Singtalent, was leider nicht nur gegen Null ging, sondern auch gleich Null war. Also Entschuldigung, aber wenn man keine einzigen, ich betone, keinen einzigen, Ton während der anderthalbstündigen Probe treffen kann, dann ist man in einem Chor einfach mal falsch. Ich gehe ja auch nicht zum Fußballtraining oder zum Töpferkurs. Manche Sachen mag man vielleicht cool finden, aber wenn man auf ein Projekt hinarbeitet, was bereits vor Weihnachten stehen sollte, dann kann man sich ja, im Interesse der anderen, bei nicht vorhandenen Fähigkeiten zurückhalten. Lisa blieb natürlich die Probe über ausnahmslos professionell, am Ende reichten aber die Blicke, die wir uns zuwarfen aus, um das zusammenzufassen, was ich euch gerade erläutert habe. Aber es gab auch einige Engelsstimmen, unsere Sopranistin zum Beispiel, die uns Mut machte, dass das doch etwas wird mit dem Weihnachtskonzert, und natürlich auch der „tollste Mensch der Welt“, Felix, mit Zahnpastalächeln und Butterstimme. Ich bin gespannt auf „Tausend Sterne sind ein Dom“ mit vielen samtenen Stimmen bei 30 Grad. 🙂
Danach startete unsere Mädelstour ins Theater, man fühlte sich irgendwie wieder klein, als wäre man mit einer Schulfreundin und ihrer Mama unterwegs, aber irgendwie auch nicht, weil die Mama ja normalerweise nicht gerade mal 11 Jahre älter war, als man selbst. Es hatte also etwas sehr Niedliches von einer girls‘ night out, wir tratschten im Auto, holten uns vor dem Theater noch Chai Latte und Pizza und waren eben mal ganz privat (oder versuchten es zumindest). Lisa und ich mochten das sehr und als sie mir am Samstag einen kleinen Krankenbesuch abstattete und wir den Abend Revue passieren ließen und auswerteten, kamen wir zu dem Ergebnis, dass es Anne sicher auch gefallen hat. Aber dazu vielleicht ein andermal mehr.
Ihr wisst ja noch gar nichts von der eigentlichen Aufführung. Es war alles etwas, wie soll ich das sagen…bizarr. Die Woche des Theaterfestivals wurde zunächst auch für eine Lifestylefair benutzt, was bedeutete, dass das Nationaltheater mit allen möglichen Ständen zugestellt war, die alles verkauften, von WC-Enten über Erfrischungsgetränken bis hin zu Dekokram mit Motivationssprüchen. Dazu wummerte eine laute Highlife-Musik, die leider auch während der Vorstellung nicht abgestellt wurde (ich stellte mir meinen guten alten DS-Lehrer Herrn Raubach vor, der wahrscheinlich aus einem Lippenschürzen gar nicht mehr raus gekommen wäre). Es roch nach Mehrbettzimmer mit schlechter Durchlüftung und vielen nassen Handtüchern, aber da war plötzlich ein gutaussehender Oboruni und das war wieder einer dieser seltenen und seltsamen „der letzte seiner Art“ bzw. „Mogli entdeckt, dass es auch noch andere Menschenwesen gibt“-Momente.
Es gab dann zunächst eine ungefähr einstündige Vorführung des Sinfonieorchesters, mit einer Sängerin, die dann sogar eine Arie aus Carmen sang. Da ging mir das Herz auf und ich dachte an meinen Papa, der mir genau die früher immer vorgesungen hatte. „Eenmal noch de Carmen sehn!“ Herzlichen Glückwunsch nachträglich an dieser Stelle, lieber Papi. Wir wussten nicht wirklich, was das jetzt mit dem eigentlichen Stück zu tun hatte, genossen es aber dennoch. Das eigentliche Stück war dialoglos und für meinen Geschmack ein bisschen klischeehaft oder Single-Stories-anheizend, weil es sämtliche Afrikaklischees bediente, die einem so einfallen. Allerdings war das Zusammenspiel aus Bewegung und Musik sehr stark und eher angelehnt an das epische Theater. Nach meiner ersten Ghanaischen Theatererfahrung war ich also sehr glücklich und zufrieden, ich hatte gesehen, wie man hier Theater sieht und versteht und war dennoch froh, dass ich in einem Land aufgewachsen bin, in dem Kultur ausreichend subventioniert wird. Dazu aber im nächsten Eintrag mehr. Der sollte mal noch heute Abend kommen (wenn ich nicht erschöpft von der Welt wieder beim Tippen einschlafe).
Jebeshia!