It's Ghana be great

Meine Zeit am Goethe-Institut in Accra

Windschattenfahrer und Sonnenaussichten

Als ich heute Morgen 5.45 Uhr Aufstand, um mich für unser morgendliches Workout fertig zu machen, und ich wiederholt mit Mutaba-Bauchkrämpfen (danke an dieser Stelle an meinen Papa für diese vortreffliche Wortschöpfung) an das Waschbecken gelehnt dasaß, mir danach das Gesicht mit Wasser abspülte und in den Spiegel sah, wurde mir schlagartig etwas klar, was vielleicht sonst nur einer Frau klar wird, die geradewegs während einer Livesendung in einen Mülleimer bricht: da war etwas in mir, was da sonst eigentlich nicht ist.

Nein, ich bin nicht schwanger, musste ich auch dem sehr beflissenen Apotheker erklären, den ich an diesem Morgen aufsuchte. Als ich an diesem Morgen gegen 6 Uhr im Dämmerlicht in den Spiegel schaute, wurde auf einmal alles klar: in den letzen knapp drei Wochen hatte ich um die drei Kilo Gewicht verloren, hatte ständig Hunger verspürt, obwohl ich viel gegessen hatte, hatte vor allem großes Verlangen nach süßem Essen, diese Bauchkrämpfe ließen nicht nach und auch dieses matte Schlappheitsgefühl nicht. Das lag daran, dass ich seit ungewisser Zeit einen illegalen Einwanderer in mir trug. Eigentlich keine große Sache, der Apotheker verstand zwar erst, ich hätte Malaria und wollte schon fast einen Test ansetzen, gab mir dann aber doch nur insgesamt fünf Pillen, von denen ich vier sofort nehmen sollte. 2g Hammerpillen sollten den Bastard wohl endlich abtöten. Ich fragte den freundlichen Apotheker dann, ob er denn jemals einen Wurm hatte, mein Gesicht verzog sich ob der bitteren Arznei. Er meinte, er esse nie etwas von der Straße, es sei denn, es ist wirklich gekocht. Auch schon ein Salatblatt auf einem Burger kann deine Eintrittskarte für ein Parasiten-Jointventure sein. Gut. Manchmal ist es auch einfach unvermeidbar. Manchmal hat man eben Hunger auf einen Burger. Knast. Man kann sich ja nicht nur von vakuumverpacktem Pudding ernähren. Mir geht es jetzt wieder prima. Max hat das eher so dargestellt wie „Na alle zwei Monate mal so ne Wurmkur, das ist gut dann“, eher so im Zahnarztbesuch- oder Autowaschmodus. Gerade hat er mir noch eine garteneigene Orange ans Bett gelegt, damit der süße Saft alle restlichen, möglichen Parasiten anlockt und diesen dann mit der finalen Pille letztendlich der Garaus gemacht werden kann. Also alles halb so wild, schätze ich.

Zumindest in meinem Job kann ich meine kulinarischen Eindrücke ganz für mich behalten und mit niemandem teilen, zumindest nicht ungewollt. Gestern hatte ich mein erstes Zusammentreffen mit Jonathan Dotse, mit dem ich vorher nur telefoniert hatte. Nachdem ich hier in Osu am Danquah Circle erst drei Taxifahrer bequatscht hätte, sie würden mir völlig überteuerte Oborunipreise andrehen, fand ich schließlich einen, der mich für einen immer noch fairen Preis nach Jamestown fuhr. Obwohl er sich nicht mal besonders gut auskannte. Wir kamen dennoch dort an und ich war begeistert vom Vibe dieses Viertels. Direkt am Meer gelegen, die dreckigen Docks umspült vom wilden Atlantik, wütende Fischer am Pier, die keine Kameras wollen und sehr viele bunten Wandzeichnungen in den Straßen. Ich wartete ein bisschen vor dem Haus und machte schonmal ein paar Fotos, um mich auf meinen Job einzustellen, da kam Jonathan in seinem schwarzen Nissan Sunny vorgefahren (wie das amerikanische Autoren anmerken würden – mit dem Unterschied, dass ich nicht von Nissan gesponsort werde :p). Ganz in schwarz gekleidet, erkannte er mich sofort als die Deutsche, die vom Goethe-Institut, die beim Dreh fotografieren sollte. Wir reichten uns geschäftsmäßig die Hand, mein Griff war fest und entschlossen, ich hasse es, wenn der erste Eindruck nicht als „Mich kannste nicht rumschubsen“ ausfällt. Aber diese Vorsichtsmaßnahme war bei Jonathan völlig unbegründet. Wir verstanden uns von Anfang an sehr gut, plauderten ein wenig über unsere Berufe und alles war sehr „geschäftlich“. Ich weiß auch nicht, man kommt manchmal in diese Situationen, in denen fühlt man einfach, dass das Ganze so eine Aura von professioneller Geschäftsmäßigkeit umgibt, die ja aber eigentlich gar nicht nötig wäre. Ich habe keine Ahnung, wie alt der Kerl wirklich ist, aber ich schätzte ihn auf maximal fünf Jahre älter als ich. Dennoch hatte er schon einen sehr beeindruckeneden CV: ein Autor, Filmemacher, studierter Informatiker und Philosoph. Noch dazu hatte der Kerl einen sehr guten Sinn für Humor und Manieren. Nein, kein Sexy-Boy-Alarm und auch kein Schwachwerden oder sonstwas, alles war sehr professionell. Bis wir Francis, den Kameramann trafen, der sein Equpiment nicht dabei hatte, weil er irgendetwas falsch verstanden hatte („Willkommen in Afrika“, um zu zitieren). Machte ja nichts, dann hatten wir jedenfalls einen Grund, uns heute nochmal zu treffen und ich fand in Francis ein neues Filmemacher-Idol, was ich den ganzen Rückweg über seine Programme und Erfahrungen ausquetschte.

Es stellte sich nämlich heraus, dass Francis eine eigene kleine Filmagentur leitete, Freelance, mit zwei Angestellten, und schon auf mehreren europäischen Festivals seine Filme vorgestellt hatte. Ich wollte werden, wie er (naja, so ein bisschen) und von ihm lernen und am liebsten nur noch mit ihm arbeiten. Er freute sich und meinte, er wäre gespannt auf meinen „deutschen Stil“. Er bot mir auch an, dass ich für meinen eigenen kleinen Film sein Studio zur Bearbeitung nutzen könnte. Tja, ein gutes Netzwerk ist auch alles. Und wer nachfragen lernt und sich nicht scheut, der kriegt auch im Handumdrehen eins.

Heute Nachmittag trafen wir uns also nochmal im lebendigen Jamestown, ich ließ die Kamera glühen und ein Motiv war reizvoller als das andere. Die Jungs drehten ihr kleines Video und ich dokumentierte, folgte ihnen auf Holzbrettdachhäuser, darüber hinweg, über Müllhaufenberge und Ziegen und durch die kleinen Gassen der Docks bis hin zu den Fischerbooten. Ich beoabachtete zwei Kerle, auf deren Shirts „Don’t look at me that much“ und „With Maggi every woman is a star“ stand. Das hatte in dieser Kulisse etwas Groteskes und unfreiwillig Komisches.
Jonathan setzte uns ab und mit dem Tonmann David fuhr ich schließlich im Taxi wieder zum Goethe-Institut zurück. Zwar war es schon spät, aber heute Abend wollte ich mir unbedingt die donnerstägliche Filmvorführung ansehen, sie spielten heute „Adrift: People of a lesser god“ (interessante Idee, sehr mutiger Journalist, Qualität aber leider eher 2000 als 2010 und die Fehler im englischen Offtext, eingesprochem vom französischen Regisseur, gingen gar nicht). Ich setzte mich mit einem Obstsalat von unser Obstfrau des Vertrauens an der Ecke kurz noch in mein Büro, da kam Mr. Adom herein und fragte, wann der Film genau los gehen soll. Mr. Adom hat hier eine eigene Erwährung verdient, eigentlich schon einen ganzen Eintrag. Er ist die Seele des Instituts, meiner Meinung nach. Beim Film heute habe ich ihn beobachtet, wie er da neben dem Projektor saß und das kostenlose Popcorn knabberte. Ich stelle mir vor, wie Mr. Adom mit dem Fahrrad nach Hause fährt, ein bescheidenes Zuhause, in dem nur er allein wohnt, vielleicht ist seine Frau gestorben oder hat ihn verlassen. Ich schätze ihn auf Ende 50, aber das kann man ja so schlecht schätzen. Adom heißt „Gnade“ in Twi. Mr. Adom ist wohl der gnädigste Mensch, den man sich vorstellen kann. Ich glaube, sein Englisch ist nicht das Beste, wenn man ihn etwas fragt, dann ist seine Antwort meistens „Yes, please“ und er ist ein absoluter Workaholic. Das habe ich erfahren. Er nimmt sich niemals frei. Mr. Adom ist einer von diesen extrem herzensguten Menschen, die vielleicht ein bisschen zu herzensgut sind, um es sich einmal wirklich selbst rechtzumachen und nicht immer den anderen. Wer weiß, vielleicht schaffe ich es ja, ein kleines Porträt von Mr. Adom zu drehen, in dem es mal nur um ihn geht.

Ich mag die meisten Menschen, die ich hier kennenlerne und ich mag es noch mehr, sie zu beobachten und sie wirklich kennenzulernen, mit ihn zu sprechen und sie zu ergründen.

„Onyame Adom“ hab ich heute auf einem Taxi gelesen und war glücklich, dass ich das schon übersetzen konnte: Gottes Gnade. Eine ganz normale Antwot auf die Frage „Wie geht es dir?“ Da ich kein gläubiger Christ bin, sage ich: Mir geht es sehr gut. Medaase. Danke.

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