Wir wurden heute darauf hingewiesen, dass wir hier gar nicht so meinungs- und pressefrei sind, wie ich eigentlich dachte. Ich habe bisher in meinem Leben und in meinen Blogs immer, immer, immer frei von der Leber weg geschrieben und, zumindest solange ich in Deutschland bin, werde ich mich auch von nichts und niemandem daran hindern lassen. Hier wo ich saß, saßen noch vor 30 Jahren Leute (warum sagt man neuerdings eigentlich immer ‚Menschen‘, ist ‚Leute‘ nicht mehr politisch korrekt?), die eben wirklich nicht sagen konnten, was ihnen vielleicht gerade durch den Kopf ging. Ich kann das aber, ohne dass ich Angst haben muss, weg gesperrt zu werden. Und dann mache ich das auch, frei und bewusst und ehrlich.
Wie ich bereits erwähnt habe, bin ich absolut kein Vereinsmeyertyp. Leider bin ich hier mit dieser Einstellung komplett falsch und fühle mich nach dem dritten Tag im Camp bereits wie ein Hamster im Käfig, wie ein Papagei im Vogelbauer, wie eine Maus in der Falle. Ich komme hier nicht raus, ich komme hier nicht weg, ich kann mich so gut wie nie der Gruppe, dem Lärm, der Gemeinschaft und des gemeinschaftlichen Diktats entziehen. Ich frage mich, ob jeder der 240 Teilnehmer (ich hasse gendern übrigens; es trägt nicht bei zur Gleichberechtigung sondern hebt etwas hervor, was eigentlich selbstverständlich sein sollte) die hier verbreiteten, teilweise populistisch-linksradikalen Redebeiträge, die weder Toleranz noch Pluralität fördern, diese auch tatsächlich so unterstützt. Ich habe keine Lust, hier schon wieder in einen politischen Diskurs einzusteigen und mich am Ende vielleicht noch rechtfertigen zu müssen, was ich in meinem eigenen Blog schreibe. Nee nee nee.
Natürlich bin ich dankbar für diese Chance und freue mich über meinen Auslandseinsatz und die Möglichkeiten, die damit verbunden sind. Aber ist es wirklich nötig, mich vorher 10 Tage politisch, ökonomisch und ökologisch meinungsbildend auszustatten? Bin ich mit 24 Jahren und einem abgeschlossenen Hochschulstudium nicht selbst dazu in der Lage, mich gewissenhaft, selbstsicher und gewandt auf einen Dienst im Ausland einzulassen und dabei die deutsche Kultur (warum geht es eigentlich immer nur um Politik und Wirtschaft?) verantwortungsvoll und würdig zu vertreten? Absolute Kapitalismuskritik bei Finanzierung durch Steuermittel finde ich fragwürdig. Ich lerne gern dazu. Aber ich mag weder Heuchelei noch Scheinheiligkeit. Ich möchte mich gerne mehr mit meiner Kultur befassen, denn die soll ich im Ausland repräsentieren, am Goethe-Institut. Das Goethe-Institut ist nämlich unpolitisch. Es darf keine explizite politische Meinung vertreten. Das haben wir heute erst gelernt.
Ich genieße die Ruhe in meinem Zimmer. Vorhin rutschte ein kleiner Junge das Treppengeländer runter und sang dabei „Smoking weed everyday“. Das war seltsam. Das haben wir nicht gemacht, damals. Wir haben Spirelli mit Jagdwurst und Tomatensoße gegessen, damals. Das geht heute nicht mehr. Es ist nicht nachhaltig. Der Trainer blickt mit einer stoischen Ruhe im Stuhlhalbkreis umher. Die Stille ist peinlich. Mit einer durch jahrelange Übung aufgebaute Kommunikations-Expertise wird entweder leise ge’hmm’t oder sehr ruhig „gut“ oder alternativ auch „okay“ gesagt. Überall hängen bunte Zettel. Eddings in allen Farben liegen in Plastikkisten bereit. Flipcharts stehen bedrohlich, bereit für die nächste pädagisch ausgefeilte Überschrift. Das. Ist. Nicht. Meine. Welt. Es tut mir Leid. Ich möchte damit niemandem zu nahe treten. Auch, wenn das alles nichts für mich ist, weiß ich, was etwas für mich ist: ein Auslandsaufenthalt an einer Kulturinstitution. Und diese Inhalte haben damit zum Glück eher wenig zu tun.
Ich gehe jetzt ins Bett und lese noch ein bisschen FAZ, um gesellschaftspolitisch auf dem Laufenden zu sein. „Ich bitte dich, komm sei so gut, mach meine heile Welt kaputt“.
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