Auf einmal ist September und ich bin bereits mitten im Dienst. Der Regen rauscht beständig hinter mir, kein Erich Honecker starrt mich von der Wand an, dafür hängen da absolut neutrale Tulpen, in orange und rot. Ich befinde mich im Brandenburgischen Nirgendwo, im Wald, mit lahmem Internet und vegetarischer Vollverpflegung. Habe mir vorhin nach dem Essen noch meinen bereits seit Stunden erkalteten Chicken-Nugget-Burger reingezogen, der im Vergleich zum Räuchertofu immer noch ein Genuss war.
Also bin ich jetzt offiziell kulturweit-Freiwillige, heute hat das Vorbereitungsseminar begonnen und es ist gar nicht so seltsam und BoBo, wie ich erwartet hatte. Die meisten Leute sind nett und freundlich und bis auf ein paar Quiekend-Anstrengende oder Klischeeseltsame kommt man doch mit den meisten gut zurecht. Man ist eben doch schon älter und weiser als der Durchschnitt. Das ist keine Überheblichkeit, sondern einfach nur ein Fakt. Ich freue mich sogar, dass ich als eine Art Mentor meinen jüngeren und unerfahreneren Mitfreiwilligen mit Rat und Tat zur Seite stehen kann.
Jérémy ist so weit weg und so weit weg erscheint mir unser Bonnie-und-Clyde-Tramper-Trip durch Frankreich, Spanien und Portugal. Es war ein sehr großes Abenteuer. Wir lernten syrische Familien und alte französische Trucker kennen, hörten Geschichten von zwei jungen Engländern in einem weißen Buildervan und rauchten am Strand von San Sebastian mit einem Kleindealer, der dealte, um die Strafe für’s Weedrauchen in der Öffentlichkeit abzubezahlen. Das ist Ironie, liebe Kinder. Oder einfach nur Konsequenz. Jedenfalls waren wir immer ‚on the road‘, lebten im Spirit von Kerouac und Co, schliefen mal im Strand und mal im piekfeinen Hotel. Das war eine Zeit, die ich mir schöner nicht hätte vorstellen können.
Jetzt bin ich nun seit zwei Wochen wieder getrennt von ihm und kriege meine Broken-Heart-Disease-Anfälle nur allmählich in den Griff. So ist wohl das Nomadenleben, immer auf dem Sprung, Heute hier, Morgen dort. Das habe ich ihm vorgespielt, Hannes Wader, und habe übersetzt. Aber was soll ich hier rumheulen oder mich beklagen, ich bin aufgeregt, Mann, und wie ich aufgeregt bin, wie ich mich auf Afrika freue, Afrika, ist das zu glauben?! Ich fliege nach Afrika und zwar in 11 Tagen. Vorher muss ich noch Malariapillen schlucken, Mosquitonetz imprägnieren, Goethe-Institut um eine Back-up-Telefonnummer bitten (falls mich Maxwell Samstagabend doch nicht vom Flughafen abholt; mal eben so nen Bus nehmen ist da vielleicht nicht ganz so ein easy Unterfangen) und erstmal das noch 9 Tage andauernde Vorbereitungsseminar überstehen. Habe mich heute ertappt, wie ich leichte Klassenfahrts-Unwohlsein-Anflüge hatte. Dieses Gefühl, gefangen zu sein und über mehrere Tage nicht ausbrechen zu können. Ich bin einfach weder ein Lager- noch ein Vereinsmeiertyp. Ist nicht mein Ding. Brauche mehr Freiraum. Deswegen sind solche Lager für mich eine harte Probe, die ich aber in Anbetracht des exzellenten Programms gerne gewillt bin, auf mich zu nehmen. Erstens kommt alles anders und zweitens als man denkt. Daran hat mich gestern Nacht der liebe Jul freundlicherweise nochmal erinnert.
In 7 Minuten ist hier offizielle Nachtruhe. Ich denke, ich mache es so wie bei ner Misswahl, gehe jetzt duschen, hole mir dann eine große Portion Schönheitsschlaf neben meiner Mitbewohnerin und träume vom Weltfrieden. Oder von Bildung durch nachhaltige Entwicklung, das klingt ein bisschen elaborierter und das habe ich heute oft gehört. Aber wirklich, ich freue mich auf die nächsten Tage und alles ist sehr spannend und neu und aufregend. Am Ende bräuchte ich nochmal ’nen Abschlussbericht. Nur nicht zu viel davor, ist ja noch gar nicht so weit. Geduld, Geduld.
Bis die Tage!