Auf einmal ist das Ende da. Jérémy sitzt neben mir, die Klimaanlage plärrt und ein es riecht ein bisschen verbrannt. Die Kirche spielt heute nur ganz leise und jetzt nicht mehr. Ich sitze hier ganz ruhig und entspannt. Sehe mich so ein bisschen um im Zimmer. Jérémy packt seine Souvenirs eins nach dem anderen auf dem Bett aus. Sie sind wunderschön und ich stelle mir vor, wie sie eines Tages bei ihm in einem selbstgemachten Regal stehen, wenn er schon graue Haare hat und Fünfjährige daran vorbei gehen und sie ansehen wie ich damals die Ebenholzelefanten meines Opas. Ich beobachte ihn und muss grinsen. Er lächelt zu mir herüber und sagt „That was a cool day“. Das war eine coole Zeit.
Wochen sind vergangen jetzt und ich habe nie geschrieben. Ich fühle mich ein bisschen schuldig meiner Blogehre gegenüber, wenigstens ein mal pro Woche hätte ich ja ein bisschen was festhalten können, aber in den letzten paar Wochen, besonders in den ersten zwei ein halb, habe ich mich mehr so gefühlt wie in den Tag hineinleben, Völlerei ausleben, ins Wasser springen, wenn mir danach war, singen und dabei die Füße gen Himmel strecken, viel schlafen und faultieren und die Zeit zu vergessen. Was ist Zeit?, haben mich mal zwei kalifornische Hippies gefragt. Auf jeden Fall etwas, was ich für dieses Afrikaabenteuer mal für einige Zeit vergessen wollte. Meistens waren wir einfach irgendwo im Paradies und da war keiner, außer ein paar freundlicher Menschen, die uns ab und zu fragten, ob und was wir denn essen wollten. Dann sprang man mal in die Fluten wie man war und spürte das Meer wild um einen herum, in der Bucht sind die Wellen barmherzig und umspielen einen wie Liebhaber, ich vermisste das Meer so unendlich und wollte nun jeden Augenblick genießen. Manchmal glaube ich, am Meer finde ich etwas, was ich lange gesucht habe. Ich war wirklich glücklich in diesen letzten Wochen. Weil ich das alles teilen konnte mit genau demjenigen, mit dem ich das alles teilen wollte.
Wir begannen unser Abenteuer versteckt hinter den sieben Hügeln von North Legon, irgendwo an einem Pool, in einem Zimmer mit Balkon und lebten von Früchten, Champagner und KFC-Buckets, Chelsea-Hotel-Style in Accra, dann lauschte ich ihm, wie er mir Le Petit Prince vorlas oder wir drehten de Musik ganz laut und rieten, von wem dieser eine bestimmte Rocksong war. Pixies. Wir verbrachten dann auch eine Nacht in Lima, bei dem Rosamunde-Pilcher-Hostelbesitzer, der war aber gar nicht da und wir bekamen das letzte verfügbare Zimmer, was ich immer haben wollte. Wir liefen durch die Nachbarschaft, kauften Sobolo und Brot und aßen in weiße Laken gehüllt den französischen Käse auf, den wir noch gerettet hatten.
In Winneba trafen wir Becky, nachdem wir an die 7 Stunden gebraucht hatten, hauptsächlich wegen eines Phantomstaus, den sich niemand letztendlich erklären konnte. Aber Zeit spielte ja keine Rolle. Es war also sehr spät, wir mussten aber unbedingt Indomie probieren, da schwatzen wir dann noch ein bisschen mit der Indomie-Lady und das Essen schmeckte hervorragend. Mit Becky gingen wir dann in die heißersehnte Dorfdisse, da wackelte schon alles, was wackeln konnte und animierte uns, mitzuwackeln und das taten wir dann auch, die Clubs flossen uns die Kehle hinunter und ich trug mein hübsches neues A-Schnitt-Kleid mit kleinen Zebras. Wir liefen durch die kühle Winnebaer Nacht und am nächsten Tag ging es schon in mein geliebtes Cape Coast, im Oasis kannte man sich langsam schon, der kleine Bungalow direkt am Meer hatte eine Hängematte und ich las ihm Gilbert vor.
Eine schon erprobte Odyssee trug uns nach Butre, wir lernten den Radiomann Latiph kennen, der uns erklärte, warum in Ghana Musik ständig durch Gequatsche unterbrochen wird (rein kommerzielle Gründe) und erzählte uns von seinen Radioshows, von einem Programm, in dem er gerne anspricht, was niemand anspricht, während um uns herum nur Dschungel und kein Licht war. In Butre wartete niemand auf uns außer dem süßen Team, was uns unseren Bungalow aufschloss und uns essen kochte, wir saßen allein mit den rauschenden Wellen und genossen das Foodfest. Am nächsten Morgen waren frittierte Bananapancakes die besten, die wir je hatten, wir zogen um ins Baumhaus und planschten ein bisschen, saßen lange da auf dem Sarung und schauten aufs Meer. Am nächsten Tag verließen wir das kleine Paradies, um unsere paradiesische Strandroute fortzusetzen. Auf Twi manövrierten wir uns durch das Dorf bis nach Busua, ein Marsch von knapp zwei Stunden mit 18 Kilogramm auf dem Rücken. Dann kam man auf der anderen Seite des Berges an, ein leerer Strand, alles fallen lassen und ins Wasser sprinten, bevor es weiter geht nach Busua. Dort saßen zwei Vorzeige-Hippies am Strand, Sartre, Notizbuch, Kraut, der eine war ganz lässig und ihm schien alles mehr oder weniger egal, er wollte nur was sehr Gutes schreiben, für sich, der andere war gewollt exzentrisch und hatte uns beobachtet, entschieden dass wir „im Leben gewinnen“. Wir saßen dann da eine Weile, philosophierten darüber, wie man denn die Schaumkronen auf den Wellen am besten bezeichnet, die beiden waren nicht so zufrieden mit einfach nur Schaum, es musste ein flauschigeres Wort her.
Wir wollten dann eigentlich zum Cape Three Points, nach einer Nacht im entspannten Busua, landeten dann daneben in Akwidaa, da gab es eine kleine Lodge ohne Gäste, geleitet von einem alten Australier, uns wurde ein großzügiger Bungalow zugeteilt, es war schon ganz dunkel, wir bekamen wieder Essen und saßen dann am Meer, Fear and Loathing at the Gold Coast, aber wenn man sang und die Füße austreckte und sich das Gesicht mit kaltem Wasser wusch, dann war weniger Fear und mehr loslassen, Sigur Ros sang etwas, was klang wie „Tu es où?“ und wir mussten lange lachen.
Wir wollten uns nicht so recht von der Küste trennen, aber doch wollten wir das geheimnisvolle Kumasi kennen lernen, dort, wo Ashantikultur ganz groß war, also nahmen wir einen Bus von Takoradi in den Norden und ließen uns absetzen in Bekwai, wieder war es viel zu spät, aber wir fanden ein Taxi, was uns zum Lake Bosumtwe bringen sollte, weil es da so wunderschön und friedlich sein sollte. Der Taxifahrer war leider alles andere als friedlich und schmiss uns aus dem Taxi, mitten im Nirgendwo, dort war es so duster, dass man seine eigene Hand vor Augen nicht sah, weil er nicht glaubte, dass es tatsächlich nur noch 2 km bis zum Ziel waren, dabei lügt google maps in der Regel nicht. Wir liefen dann also, wutentbrannt du missmutig, durch die kühle und stockfinstere Nacht, erreichten die hübsche Lodge und fielen in einen langen Schlaf. Als wir erwachten, stellten wir fest, dass wir in einem paradiesischen Garten waren, mit allen Arten von Früchten, da waren Mangos an den Bäumen und Papayas und Soursap und Sternenfrüchte, die aßen wir zum Frühstück. Es war dann Sonntag und wir gingen um den See, da war ein kleines Dorf mit weiteren Mangobäumen, die Kinder nahmen uns bei der Hand und folgten uns auf Schritt und Tritt, im Paradiesgarten las ich ihm wieder vor, ich hatte eine rote Blume im Haar, die hatte er mir angesteckt. Dann gab es ein großes Dinner, Tilapia und Fried Rice, das wird mir fehlen, manchmal ging der Strom aus und man sah nichts, dann bekamen wir eine kleine Kerze und das gefiel mir noch mehr.
Am nächsten Tag ging es dann also nach Kumasi, eine stickige und staubige Stadt, unser Hotel machte einen ungemütlichen Affären-Absteige-Eindruck und irgendwie zog das die Stimmung runter. War es vielleicht einfach dieser Grauschleier über der Stadt, das Umherirren zwischen Ständen und Menschenmassen, die behelfsmäßig überall auf den Straßen verteilt wurden, weil der Kejetia Market eigentlich neu gebaut wird, wie wir dann erfuhren. Es war wohl schlichtweg zu heiß. Manchmal rang man nach Luft. Trotzdem lernten wir einiges über die Ashanti. Und dann war da noch dieser eine Tag, den wir einfach an einem Pool verbrachten und Essen bestellten, es ging immer um Gourmandie, wir genossen das wirklich, jeden Bissen und jeden Schluck und wir redeten viel und waren dann oft sehr müde und schliefen einfach ein, obwohl man ja noch so viel machen wollte. Schließlich waren wir dann auf dem Weg in den hohen Norden, nach Tamale, knapp 400 km aber innerhalb Ghanas eine neunstündige Weltreise. Irgendwann brannte der Bus, die Leute wurden laut und der Fahrer wurde beleidigt, nichts geschah dennoch, wir fuhren einfach weiter. Wir kamen sicher in Tamale an, es war nun wirklich viel zu spät, aber irgendwie klappt immer alles, natürlich gab es allerhand Zickereien zwischen uns, den Protagonisten dieses Abenteuers, aber das bleibt wohl nicht aus, wenn man 24/7 für Wochen aneinander klebt wie zwei kleine Otter. Und manchmal werden dir die Augen geöffnet von jemandem, wie nie zuvor, der noch nicht mal deine Sprache spricht. Mit dem würde ich mich auch bis an mein Lebensende anzicken.
Dort blieben wir also zwei Nächte bei zwei lieben Hundedamen, denen gefielen wir sofort, im Norden war es wüstenheiß und wir schlichen durch die Mittagshitze, im Stadtzentrum trafen wir auf einen Kerl, der mit uns Oware spielte, dem kauften wir dann ein solches Spiel ab und ich fand eine Ledertasche, in die ich mich verliebte (so muss es sein). Ein anderer Kerl zeigte uns eine Bar auf einer Dachterrasse, der Kellner dort war cool und selbstreflexiv, das erlebten wir nicht oft, normalerweise war die Reaktion auf „Haben Sie das?“ ein Pokerface-„No“, kurz und knapp, ohne Skrupel, es ist ja nicht meine Schuld. Aber der eine fand das selbst nicht ganz so cool, dass die Speisekarte zwar 20 Seiten umfasste, aber vielleicht 10% vom Inhalt verfügbar war. Wir lachten nur und mittlerweile hatte sich auch Jérémy daran gewöhnt, man wird hier sehr flexibel und dann zuckt man einfach mit den Schultern und ist einverstanden.
Dann fuhren wir nach Larabanga, da wo die alte Moschee steht, die Allah aufzubauen half, wir schliefen dort bei einer großen Familie in einer kleinen Lehmhütte, die Mama kochte uns Spaghetti mit Tomatensoße, die waren ganz zerkocht, aber wir liebten sie und aßen mit großem Appetit, der kleine Babypawian saß auf meinem Schoß und trank seine Ersatzmilch, die er größtenteils auf meinen Beinen verteilte. Am späten Nachmittag führten uns zwei Jungs zur Moschee und der eine, Jussef, plauderte ein bisschen mit mir, 11 Jahre alt, war stolz auf sein Dorf und wollte mal ein großer Fußballstar werden. Der Junge war überaus wohlerzogen und höflich, wir ließen die beiden Getränke aussuchen und gaben ihnen auch noch unsere Wasserflaschen, am liebsten hätte ich den kleinen Jussef mitgenommen. Sehr geduldig zeigten sie uns ihr Dorf und die Moschee und wären am nächsten Tag auch noch bis zum Nationalpark mit uns gelaufen, aber wir dankten herzlich und verabschiedeten uns und schickten sie nach Hause zu ihren Familien.
Am nächsten Morgen mussten wir viel zu früh aufstehen und zum ersten Mal seit Monaten spürte ich wieder etwas, was sich Kälte nannte. Die Mami machte uns Frühstück und der Papa fuhr uns dann zum Nationalpark, für zwei Stunden gingen wir auf eine Walking Safari mit John, der zwar bewaffnet war aber mir später erzählte, dass er die Waffe noch nie benutzen musste. Die Elefanten waren sehr friedlich. Ganz nah standen wir dabei, als sie sich unter einen Baum quetschten und einen Snack einnahmen oder am Wasserloch tranken. Ganz viele Pumbaas sahen wir außerdem, mit mächtigem Haarpelz. Pawiane liefen durchs Dorf wie King Louie.
Am Ende waren wir wieder in Accra, der Kreis hatte sich geschlossen, nachdem wir 13 Stunden zurückfuhren, ein Nollywoodfilm nach dem anderen, „Kiss on a Royal Balcony“ mit gefühlten fünf Fortsetzungen, wer sich mit mir über die Qualität dieser Filme streiten möchte ist herzlich eingeladen, die Dialoge sind himmelschreiend haareraufend, der Plot ist unmotiviert dramatisch und ohne erkennbare Aussage, die Schauspieler verkörpern keine Rolle sondern die bestmögliche Darstellung ihrer eigenen Person. Aber bitte. Die drittgrößte Filmfabrik der Welt, wird einfach total unterschätzt. Ja, bitte. Seht gerne selbst.
Das ist jetzt auch wieder über eine Woche her. Meine letzte Arbeitswoche verbrachte ich mehr damit, mein komisches Fieber und meinen nervigen Husten auszukurieren. Das ist normal hier, hat man mir gesagt. Wenn man in Ghana reist, ist man danach erst mal krank. Das war es dann jetzt fast. Ich sitze an meinem Schreibtisch im Büro, keiner ist mehr da, Lischen müsste gleich kommen und mich abholen, dann will ich zu meiner Schneiderin und mich verabschieden, so gern hätte ich noch ein Kleid gehabt aber sobald man nicht mehr im Urlaub ist, ist Zeit wieder existent und kann Probleme verursachen. Heute ist mein vorletzter Tag. Also eigentlich kein Grund zur Panik. Ich will Jérémy ausführen heute Abend, ein großes Gourmandie-Abschiedsessen, eine letzte tropische Nacht, denn tropisch ist eine Nacht ab über 20 Grad, manchmal ist das viel zu viel hier aber ich weiß, dass mir das fehlen wird in Deutschlands kaltem Februar.
Jetzt ist also wieder ein Kapitel vorbei. Das sind jetzt wohl die dramatischen letzten Zeilen. Vielleicht sollte ich das gar nicht so dramatisch fassen. Mehr so locker und mental angepasst, es geht los, wenn das TroTro voll ist, nicht, wenn es Zeit ist. Das nehme ich mit, auf jeden Fall. Dieses andere Zeitgefühl. In Europa wartet wieder der Zeitkäfig, 14:53 oder 37 Minuten oder morgens, mittags, abends. Ich weiß das, aber ich kennen auch die freie Zeit und kann los lassen. Vielleicht habe ich das in diesem halben Jahr noch viel besser gelernt. Dafür bin ich dankbar. Und für all die coolen, süßen, inspirierenden Leute, die ich hier getroffen habe und die das alles mit mir geteilt haben. Das war ne tolle Zeit. Mit nem grandiosen Finale. Ja, ich glaube, jetzt ist wirklich ein guter Zeitpunkt, um zu gehen. Neue Abenteuer warten auf unsere Helden. Vielleicht sollte ich ja mal aus Paris berichten. Da gibt es bestimmt auch ne Menge zu erzählen. Aber zunächst: Medaase Paa paa paa. Danke, Ghana. Danke, dass ich hier zu Hause sein durfte. Yebehiya.