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Das Brotproblem

 Käsebrot ist ein gutes Brot.

Supersexy Käsebrot. (Helge Schneider)

Ich bin nicht alleine. Es gibt viele von uns. Exilbrotesser. Unser Schicksal: Wir sind in Deutschland groß geworden, dem Land der Brote. (Nein, nicht die Menschen. Paderborner, Münsterländer, Schwarzbrot, Graubrot, Weltmeisterbrot, Sonnenblumenbrot, Dinkelbrot, Kartoffelbrot, Mehrkornbrot… das sind nur die Brotsorten, die bei mir ohne allzu große Hirnanstrengung innerhalb der ersten zwanzig Sekunden durch die Synapsen rauschen.) Es gibt morgens Brot, zur Schule oder Arbeit schmiert man sich ein Pausen- oder ein paar verirrte Seelen im Süden auch ein Veschper-Brot und abends wird dann schnell noch eine leckere Stulle mit Käse gegessen. Heißt ja nicht umsonst Abendbrot. Ganz Verwegene legen eine Scheibe Gurke drauf. Und dann steigt man in ein Flugzeug oder in eine Eisenbahn oder auf ein Schiff und verlässt das Land, um woanders, jenseits der Grenzen des Brotparadieses zu leben. Das ist an sich völlig in Ordnung, Horizonterweiterung, Abenteuer und so, voll spannend. Aber irgendwann kommt der Moment, in dem man im Laden steht und Ausschau nach der Brottheke hält. Oder durch die neue Stadt läuft und sich fragt, wo eigentlich der Bäcker ist. Wenn man Glück hat, findet man in der hintersten Ecke des Riesensupermarktes ein kleines Regal, in dem in Plastiktüten dicht an dicht die labbrigen Toastbrote vor sich hinschwitzen und auf härtere Zeiten warten. Wenn man richtiges Glück hat, gibt es das Toastbrot sogar als „Vollkorn“, also in hellbraun statt weiß, mit einer ganz schwach zu erahnenden gepunkteten Teigstruktur, die manch phantasievollen Geist mit ausgeprägtem Vorstellungsvermögen vage an Körner erinnern mag.

So erging es mir damals in Litauen. Nichts gegen litauische Essgewohnheiten, sowohl Cepelinai (mit Pilzen und Speck gefüllte Kartoffelknödel in Zeppelinform) als auch Saltibarscai (kalte Rote-Bete-Suppe) gehören nicht nur wegen kreativer Namensgebung oder kreativer Zubereitung (kalte Suppe, wat is dat denn bitte) in internationale Kochbücher aufgenommen, auch geschmacklich sind das verspeisenswerte Gerichte. Aber Brot, Brötchen (Normale, Roggenbrötchen, Kürbiskernbrötchen, Käsebrötchen, Laugenbrötchen, Vitalbrötchen, Schokobrötchen, Rosinenbrötchen, Milchbrötchen… ich muss aufhören, mir laufen ganze Riviere im Mund zusammen), Teilchen (Erdbeerplunder, Windbeutel, Franzbrötchen, Nussecke, Amerikaner, Schweineohren… jetzt so ne Rosinenschnecke zum Kaffee…) und was sonst noch so tagtäglich die Auslagen deutscher Bäckereien schmückt und für den gemeinen Einkäufer so selbstverständlich ist, dass er blicklos daran vorüberläuft (wie KANN er nur?!), sucht man vergebens.

Und nun bin ich in Namibia gelandet. Man könnte meinen, hier wäre der Notstand in Sachen Brot noch schlimmer. Ist er aber nicht. Zumindest teilweise nicht. Immerhin kamen die deutschen Brotesser vor 130 Jahren hierher, blieben und hatten seitdem mehr als genug Zeit, ein bisschen zu backen. (Wir wissen, dass das nicht ok war, was die Jungs hier gemacht haben, nur weil sie auch ein Stück vom Kolonialkuchen wollten. Andere haben darüber aber schon so viel gesagt, dass ich mich hier erstmal wieder dem Brotproblem widme.)

Also. Geht man hier in die üblichen Supermarkt-Ketten, ist die Situation meist wie oben beschrieben. Viel Toastbrot, wenig Bissfestes. Nicht so im SuperSpar, dem Paradies des deutschstämmigen Einkäufers. Denn im SuperSpar, da kann man zwar nicht unbedingt super sparen, aber alles von Haribo über Nutella bis hin zum guten Vollkornbrot an der Backtheke kaufen. Wenn man denn dafür nach Afrika gekommen ist. Mich und meinen schmalen Praktikantengeldbeutel kann man hier eher selten antreffen (nur wenn es für ein Geburtstagsgeschenk die guten Original-Nimm2-Bonbons für den Vitaminschnaps sein müssen), aber ich habe den Verdacht, dass die Küche der DHPS hier ihr Brot bezieht, das wir täglich morgens im Kindergarten und für uns Praktikanten bekommen. Und damit sind wir beim Brotproblem.

Kindergarten, 8 Uhr, Frühstück. Fünf Erzieherinnen stehen im Speisesaal und inspizieren die große Brotkiste. Wenn eine Neue dazu kommt, ist die erste Information, die weitergereicht wird, die über den Frischestand des Brotes. „Heute ist das Brot weich!“ ist wohl die gleichermaßen gefürchtetste wie auch willkommenste Mitteilung. Denn nichts geht über frisches, weiches Brot. Aber dann isst man davon eben auch. Ein Viertel. Und noch eins. Damit hat man dann schon eine ganze Scheibe gegessen. Aber aufhören? Ach, eine kleine noch. Da wird gedrückt und getastet, welches Brot wohl am frischesten ist (nachdem man die Kinder drei Sekunden zuvor ermahnt hat, dass das Brot, das man angefasst hat, auch aufgegessen wird), da werden die groteskesten Verrenkungen gemacht, um zu inspizieren, wo man noch eins mit doppelt Käse finden kann, da werden ganze Umstapelungsmaßnahmen durchgeführt, um an die unterste und hoffentlich frischeste Schicht Brot mit Marmelade zu gelangen. Und dann stehen wir da, kauend, und beschweren uns, dass wir Woche um Woche dicker werden und unser Wille einfach nicht stark genug ist um zu widerstehen. Jeden Morgen geben wir uns aufs Neue dem Brot geschlagen.

Ähnliche Situation in der Praktikantenküche: Es gibt frisches Sonnenblumenbrot, das unter den Damen der Heimküche nur noch als „Prakti-Brot“ gehandelt wird. Innerhalb weniger Stunden ist der gesamte Laib erst im Sandwichtoaster (das Gerät, das in unserer Küche wohl am häufigsten genutzt wird, kein Wunder, man kann damit Käse zum Schmelzen bringen), dann in den Bäuchen der gierigen Praktikanten verschwunden. Am Anfang hatte man wenigstens noch den Anstand, nach der ersten Scheibe fünf Minuten zu überlegen, ob man wirklich noch eine zweite essen soll. Mittlerweile hat man sein Brotproblem gestanden, den anderen ergeht es nicht anders und so schiebt man sich gemeinsam eine Scheibe nach der anderen rein. Dass man selbst nicht der einzige Junkie ist, erkennt man unter anderem an den Brotkrümeln, die noch schnell verstohlen aus dem Mundwinkel gewischt werden, wenn man in die Küche kommt, den verräterischen Körnern auf der Anrichte und den wütenden und anklagenden Blicken, wenn am Abend mal wieder nichts vom Brot, dass mittags aus der Küche geholt wurde, übrig ist als die Frischhaltefolie, in die es eingepackt war.

Wie ich dieser Sucht Herr werden soll, weiß ich nicht und mittlerweile gesellt sich zu dem ausgewachsenen Brotproblem langsam aber sicher auch ein Fleischproblem, denn wenn es in Namibia ein landestypisches Essen gibt, dann Fleisch. Rind, Wildschwein, Kudu, Zebra, Oryx (mein Favorit)… yummie.

Ausführlicher dazu jedoch vielleicht ein anderes Mal, jetzt geh ich mir erstmal eine Stulle machen. Über Brot reden macht hungrig.

 

 

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