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Erste Tage

 

Das Erste, was mir einfällt, wenn ich meine neue Bleibe beschreiben sollte, ist der gute alte Schützenfestkracher: 20m links, 20m rechts, 40m im Quadrat, eingezäunt mit Stacheldraht, wisst ihr wo ich wohne? Ich wohne in der Zone… Niveauvoll, ich weiß. Aber es ist so. Die ganze Anlage ist wie ein kleines Dorf, bestehend aus Schule, Vorschule, Kindergarten und Internatsgebäuden. (Ich bin immer noch dabei, meine Orientierung dazu zu bewegen, mit mir zusammen zu arbeiten, damit wir die Wege von A nach B in Zukunft schneller bewältigen.) Eines der Internatsgebäude ist das Praktikantenheim, in dem ich wohne, zusammen mit 16 anderen Praktikanten, die hier für kürzer oder länger die Kinder mit ihren Talenten bespaßen. Und überall ist ein Zaun drum. Wenn eine Straße dazwischen verläuft, gibt es eine Brücke, die die verschiedenen Teile der DHPS miteinander verbindet, man müsste also niemals raus aus diesem abgesicherten Hochsicherheitsbereich. Nicht einmal zum Einkaufen, Essen gibt’s hier nämlich auch (zwar kein Rostocker Mensaniveau, aber wir wollen die Kirche auch mal im Dorf lassen). Und meine Kollegen im Kindergarten kommen größtenteils ebenfalls aus Deutschland oder sind Deutschnamibier, nur vom SecurityMan oder von kleinen Kindern, die im Eifer mal vergessen, dass sie Deutsch sprechen sollen, hört man mal ein englisches Wort oder Afrikaans. Ich könnte also ein Jahr in Klein-Deutschland in Namibia verbringen, wenn ich denn wollen würde.

Blick über den Zaun

Aber da ich ja jetzt nicht so der extreme Sicherheitstyp bin, habe ich tatsächlich auch schon meine Füße vor die Tür gesetzt. Und siehe da, es gibt ein Leben jenseits des Zauns! Es tobt da draußen! Viele weiße Autos, die immer aus der falschen Richtung kommen, viele Menschen (unter der Woche und vor zehn Uhr abends), viel Sonne und ich mittendrin, mich noch ein bisschen fehl am Platz fühlend. Ich stehe am Straßenrand, als ob ich noch nie eine Straße überquert hätte. Ich laufe durch den Supermarkt, als ob ich noch nie einkaufen gewesen wäre. Alles ist lauter, bunter, voller, verwirrender, sagt mir mein Gefühl. Da bin ich manchmal direkt froh, wenn ich nach so einer reizüberflutenden Expedition in die Welt da draußen zurückkehren kann in meine Komfort-Zone, beim Bahnenziehen im schuleigenen Freibad der afrikanischen Sonne beim Untergehen zuschaue und mich freue, dass noch alles heil ist und all meine Sachen noch in keinen fremden Besitz übergegangen sind. Und das ist etwas, was mich irritiert. Wer mich kennt, weiß, dass ich gerade in solchen Dingen eigentlich an das Gute im Menschen glaube und nicht sonderlich ängstlich durch die Gegend laufe. Aber hier ist das irgendwie anders. Ich klammere mich jetzt nicht ununterbrochen an meine Tasche und schaue paranoid von links nach rechts, aber da ist schon mitunter ein unsicheres Gefühl im Hintergrund. Ob es an den Warnungen und Geschichten der anderen Praktikanten liegt, oder an der Tatsache, dass man auf der Straße ziemlich oft angesprochen wird (Schilder mit „I don’t need a husband“, „I don’t need a taxi“ oder „I know I’m pretty“, würden wahrscheinlich auch nicht helfen), ich weiß es nicht. Andererseits dramatisiere ich das Ganze aber jetzt mal nicht und gehe einfach davon aus, dass ich mich an alles gewöhnen werde. Und wer weiß, vielleicht sonne ich mich am Ende nicht nur in der Sonne, sondern auch in der Aufmerksamkeit und werde beides fürchterlich vermissen, wenn ich ins kalte Deutschland zurückfliege. Das ist der Reiz der ersten Tage: Alles ist möglich!

 

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