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Wie misst man ein Jahr im Leben?

„Five hundred twenty five thousand six hundred minutes
Five hundred twenty five thousand moments so dear
Five hundred twenty five thousand six hundred minutes
How do you measure, measure a year?

In daylights, in sunsets
In midnights, in cups of coffee
In inches, in miles, in laughter, in strife
In five hundred twenty five thousand six hundred minutes
How do you measure a year in the life?“

Seasons of Love, Rent Musical

(Solange ich noch die Aufmerksamkeit habe, zunächst ein Hinweis in anderer Sache: Zur Titel- und Liedwahl haben mich meine coolen Freunde inspiriert, die in Rostock gerade ein absolut geniales und in keinster Weise größenwahnsinniges Projekt auf die Beine stellen. Hinfahren, angucken! www.rentinrostock.de)

Nun zum Eigentlichen. Ja, wie messe ich dieses Jahr? Was zähle ich, was nehme ich mit, was bleibt im Kopf? Wann hat dieses Jahr überhaupt angefangen? Mit der Zusage von kulturweit, mit dem Abschicken der Bewerbung oder sogar irgendwie noch davor, als ich mir überlegte, dass ich dringend mal wieder für längere Zeit weg muss? Und wann hat es aufgehört? In dem Moment, als ich ins Flugzeug in Windhoek gestiegen bin? Oder erst, als das Flugzeug in Johannesburg den afrikanischen Kontinent verlassen hat? Mit dem offiziellen Datum auf meiner kulturweit-Teilnahmeurkunde? Oder ist es noch gar nicht vorbei, weil es mich immer noch so oft beschäftigt und weil diese Zeit ein Teil von mir ist, neue Synapsenverbindungen entstanden sind, die jetzt in meinem Gehirn bleiben?

Ich bin angekommen am Windhoeker Flughafen, habe die Eingangshalle betreten und das Erste, was ich zu hören bekam, war: „Hey, beautiful Lady! How long are you gonna be in Namibia? One year? Oh, then you need a namibian husband! I’m available, you know!“ Ich bin mit meinem Shuttle-Fahrer, einem reichen Deutschen und einem brummigen, schweigsamen Spanier Richtung Windhoek gefahren, habe mich über nackte Pavian-Ärsche gefreut und über die deutschen Straßennamen gestaunt.

Ich habe in einem Haus mit im Schnitt fünfzehn anderen Praktikanten gelebt und ich habe mit ihnen alles geteilt, Zimmer, Bad, meine Privatsphäre, die Küche, den Dreck, und die guten Zeiten. Ich habe am Pool gelegen, habe meine Bahnen unter afrikanischer Sonne gezogen und nachts den Hund der Erzieherin zum Bellen gebracht. (Sie hat uns aber im Pool nicht entdeckt und der Hund wurde zu Unrecht angeblafft.) Ich habe im Warehouse gefeiert, ich habe beim Karaokesingen charmant wenige Töne getroffen, ich habe Flunkyball und Volleyball gespielt und Sonntagabende mit Tatort und Cramer-Eis verbracht.

Ich habe gearbeitet, Sandkuchen gebacken, Windeln gewechselt, Pflaster aufgeklebt, Obst geschnitten und Essen verteilt, ich habe gebastelt, Kunstwerke bewundert, Memory gespielt, die Kinder in die Tiefen der deutschen Grammatik (Plural, Artikel, Satzstellung, Verniedlichung, Präpositionen…) geführt und Stempel auf alle möglichen und unmöglichen Körperteile gedrückt. Ich war Pferd, Auto, Flugzeugbauer, Zauberer oder Hexe, Gefangene und Fänger (vor allem von Damien, dem kleinen Ausreißer), Schaukel-Anschubser, bin auf der Hüpfburg gehüpft und habe Bücher vorgelesen, am liebsten das eine zehnmal hintereinander.

Ich bin Taxi gefahren, alleine, zu zweit, zu acht. Ich bin mit Fahrern gefahren, die stolz ihre Deutschkenntnisse präsentierten: „Du Kartoffelnuss!“, ich habe Heiratsanträge abgelehnt und witzige Unterhaltungen über die Heiratswilligkeit meiner Schwestern und Freundinnen geführt. Ich habe den Frust von Taxifahrern erlebt, über die Reglementierungen, über die Arbeitszeiten, über die nicht vorhandenen Verdienste und die Schwierigkeiten, damit eine Familie zu ernähren. Ich habe mich oft unwohl gefühlt, wenn wir uns zu sechst oder siebt in ein Taxi gequetscht und alle die ganze Zeit nur Deutsch geredet haben. Bin aber doch mitgefahren, man muss ja irgendwie nach Hause kommen.

Ich habe gute Ratschläge in den Wind geschlagen und bin nachts um zwei mit Isabell über die Independence Avenue gelaufen um das Kudu zu besteigen. Ich bin fast sechs Monate lang zweimal in der Woche alleine oder nachher zu zweit zum Sprachkurs und zurückgelaufen. Es ist nie etwas passiert und nur manchmal habe ich mich unsicher gefühlt. Ich bin alleine rumgelaufen, die Berge rauf und runter, habe die Aus- und Ansichten fotografiert und bin immer wieder aus den Autos heraus seltsam angeschaut worden. („Warum, zur Hölle, läuft sie?!“)

Ich bin einmal überfallen worden, in Begleitung von vier anderen Praktikanten, man hat versucht, mit einem Messer meine Tasche abzuschneiden, bis ich sie hergab. Ich habe zwei Tage später einen Anruf erhalten von einer Frau, die meinen Führerschein und andere Papiere gefunden hatte und sie mir wiedergeben wollte. Wir sind noch einmal angegriffen worden, zu dritt, nachts auf dem Weg nach Hause, von einem Typen mit Glasflasche, er konnte nichts erbeuten. Ich bin weiter rausgegangen.

Ich habe während der WM im Andy’s (die deutscheste Kneipe der Welt) an der Theke gestanden, neben mir ein betrunkener, widerlicher Typ, der eine Kellnerin dumm angemacht und übelst rassistisch beleidigt hat, weil sie ihm sein Bier nicht schnell genug gebracht hat (was seine Schuld war, weil er nicht mitbekommen hat, wie sie ihn suchte und deshalb das Bier jemand anderem gab). Und ich bin ehrlich, ich habe hilflos daneben gestanden und nicht mehr gesagt als ein viel zu leises „Jetzt reichts aber mal“, weil der Typ doppelt so groß und dreifach so breit und zehnfach so betrunken war wie ich und ich fühle mich immer noch schlecht deswegen.

Ich bin mit zehn anderen Deutschen mit hässlichen Helmen und neongelben Warnwesten auf gelben Mountainbikes durch Katutura gefahren, um das Leben jenseits der weißen Welt Windhoeks zu sehen. Ich war sonntags in der Suppenküche und habe mit Kapepo alias dem Mann mit dem Streichholz im Mund, John, Philemon und wie sie alle heißen, Möhren und Kartoffeln und Zwiebeln in gleißender Sonne geschnippelt und an hungrige Kindermäuler verteilt und dabei äußerst interessante Unterhaltungen geführt. („You know, Doro, you seem to be more black!“ Ah ja. Is it?!) Ich habe mich mit John getroffen, um Oshiwambo zu lernen und habe dabei zum ersten Mal mit meiner Pünktlichkeit zu kämpfen gehabt. (Auf eine halbe Stunde Warten hatte ich mich irgendwie nicht eingestellt.) Ich bin durch das Wellblechhüttenlabyrinth in Katutura gelaufen, habe Frauen auf Plastikstühlen vor ihren Häusern begrüßt („Walelepo meme!“), die Orientierung völlig verloren, aber zum Glück nicht den Anschluss an unsere kleine Gruppe, habe die Wasserverteilungsstellen gesehen, an denen man sich mit einem Chip Wasser in Kanister füllen kann, habe mich unter interessant verlegten Stromleitungen gebückt und habe Boereworsstückchen vom Grill probiert. Ich bin von Shebeen zu Shebeen gezogen, habe mit gefühlt allen und jedem Bier getrunken und mich beim Tanzen völlig zum Affen gemacht. Ich habe einen Gottesdienst miterlebt inklusive Dämonenaustreibung und wurde von der Pastorsfrau mit der unbeschreiblich tiefen Stimme beherzt an ihren goldglitzernden Busen gedrückt. (Also, das Kleid war goldglitzernd. Nicht der Busen.)

Ich habe das Farmleben und die Herzlichkeit der Farmersleut‘ kennengelernt und Diskussionen über Wilderer und Farmarbeiter beigewohnt. Ich habe gesehen, was so manche Farmersfrau alles kann und bin in den Genuss von selbstgemachtem Farmbrot, Farmeiern, Farmmilch, Biltong, Trockenwurst und Rauchfleisch gekommen. Ich bin hinten auf dem Bakkie mit Posten gefahren, habe Tore geöffnet (meist mehr als weniger erfolgreich!), habe Geier über einem toten Rind kreisen sehen, das man schon aus 300m Entfernung riechen konnte und von den Schakalen ausgehöhlt wurde und seine Kennmarke im Busch gefunden. Ich habe eine Giraffe gestreichelt und Kudus elegant über Zäune springen sehen, ich habe mit Kühen am Feuer gesessen und einen sehr sabbrigen Ball bestimmt tausend Mal für einen sehr unausgelasteten Hund geworfen. Ich habe die Selbstverständlichkeit kennengelernt, mit der hier Achtjährige Autofahren und Schießen und Tiere auszunehmen lernen und das scheinbar unerschöpfliche Talent der Farmer, aber auch wirklich alles irgendwie reparieren zu können.

Ich hatte mein erstes Oktoberfesterlebnis, mit 1L-Bierkrügen, auf denen Palmen und Giraffen zu sehen waren und habe deutsche Brauchtumspflege auf diversen Karnevalsveranstaltungen betrieben.

Ich habe namibisches Bier getrunken, nach deutschem Reinheitsgebot gebraut, ich habe Wein getrunken, weiß und rot und Glüh-, manchen guten und viel schlechten, ich habe Springbokkies (Pfefferminzschnaps mit Amarula), Amarula und Brandy Coke getrunken und so manches Mal hatte ich deshalb am nächsten Tag einen schönen Babalas. Ich habe wilden Spinat gegessen, der zwischen den Zähnen knirscht, als wäre es ein Sandkuchen aus dem Kindergarten und Omajova-Pilze, die auf Termiten-Hügeln wachsen und so groß wie Pizza-Teller werden können. Ich habe gebraait und Buschmann-Fondue gemacht und dabei gutes Fleisch (Springbok, Gemsbok, Rind…) zu schätzen gelernt, ich habe verschiedene Potjies probiert (ein Topf über der Glut, in den man alles und Fleisch hineinwirft und jeder macht ihn ein bisschen anders und ist überzeugt, dass seiner der Beste ist) und konnte mich nicht entscheiden, welcher der Beste ist. Ich habe mit den Fingern gegessen, Millie-Pap in köstliche Soße getaucht, Fleisch von Knochen genagt, Kapana mit Tomatensalat und Spezialgewürz genossen und mir an frischem, heißen, köstlichen Vetkoek die Finger verbrannt. Ich habe Butternut in jeglicher Form verschlungen, aber am liebsten als Suppe und mit Leidenschaft Squashi-Hälften ausgelöffelt. Wie so viele andere bin ich dem Oshikandela, einem fürchterlich süßen Trinkjoghurt mit diversen Flavours, und dem Tex-Riegel verfallen. Und natürlich habe ich das Brotproblem entwickelt.

Ich bin tausende Kilometer über Namibias (und Südafrikas) lange, gerade Straßen gefahren, durch karge Landschaften, scheinbar endlose Weiten, Dornenbuschsteppen, auf Asphaltstraßen und Gravelpads, durch abgehende Riviere und durchgeweichte Sandpisten, über kurvige Bergpässe mit atemberaubenden Aussichten und spritschluckenden Steigungen, vorbei an Warzenschweinfamilien, Giraffenhälsen, Pavian- und wasserlassenden Elefantenhintern. Ich habe alles gesehen, was die namibische Tierwelt hergibt, ich habe auf einer Düne gestanden und von dort auf den Atlantik geblickt, ich habe tausende Robbenbabys verzweifelt nach ihrer Mutti rufen hören und wäre dabei fast am Gestank erstickt. Ich habe in Dachzelten geschlafen, habe Feuer gemacht, um Nudeln zu kochen, wurde von Affen verfolgt und hatte dabei so viel Angst wie noch nie. Ich stand in sintflutartigen Regenschauern, die nach einer Neuauflage des Baus der Arche Noah schrien und in Wüstengebieten, in denen es seit 2011 nicht geregnet hat. Ich habe Sonnenauf- und Untergänge gesehen, unvorstellbare Sternenhimmel und wolkenloses Blau, so strahlend, dass es einem fast in den Augen schmerzt.

Ich habe das Fahrradfahren vermisst, öffentliche Verkehrsmittel, die Unabhängigkeit und Freiheit. Manchmal habe ich meine Freunde vermisst und meine Familie, habe es gehasst, Dinge zu verpassen, die zuhause passieren, wie die Geburt meiner Nichte, die Hochzeit einer Freundin. Ich habe Musik vermisst, weil ich kein Radio hatte, das Internet weder YouTube noch Spotify zugelassen hat und die Auswahl auf meinem Mp3Player mir irgendwann auf die Nerven ging. Ich habe gute Konzerte vermisst (die wenigen, die ich in dem Jahr erlebt habe, waren dafür großartig.), Theater, Kino und Cafés. Ich habe das Grün vermisst (dieses Grün, das mich fast erschlagen hat, als ich es jetzt wiedergesehen habe) und die Wolken. Manchmal. Oft habe ich aber auch gar nichts vermisst, habe das Andere geliebt, die Wärme, die Aussicht auf Windhoek von jedem Hügel, die Grundgelassenheit der Menschen. Ich habe meinen PC die meiste Zeit ausgelassen (nicht nur, weil er nicht anging), ich habe viel gelesen, Gutes und Schlechtes. Ich habe zwei neue Sprachen gelernt versucht zu lernen und viel zu viel schon wieder vergessen.

Ich habe so viel Wärme und Gastfreundschaft erfahren, habe Bekanntschaften gemacht und neue Freunde gefunden. Ich habe mich einsam gefühlt, ich habe gezweifelt, ich war wütend auf mich und andere, frustriert von der Arbeit oder auch vom Leben drumrum, manchmal war ich überfordert, ich bin an meine Grenzen gestoßen und habe sie immer mal wieder überschritten, ich habe selten geweint und viel gelacht, ich habe gefeiert, gesungen und getanzt; und sehr oft war ich ganz einfach sehr glücklich.

Ja, so ungefähr war es wohl, mein Jahr, und es fehlt doch noch so viel, was aber vielleicht nicht hierhin gehört oder den Rahmen sprengen würde oder auch schon an anderer Stelle erzählt wurde. Was ich noch zu sagen habe: Wenn ihr fertig gelesen habt, geht raus. Guckt euch die Welt an. Macht einen Novemberspaziergang im Nebel, fahrt ans Meer. Öffnet Fenster und Tür, lasst frische Luft und neue Leute rein. Nutzt Gelegenheiten, die sich ergeben. Geht auf kulturweit oder rausvonzuhaus und bewerbt euch. Egal, wo es euch hinverschlägt, und wenn es das Nachbardorf oder Siegen ist, es lohnt sich. Immer. (Allein schon für die Bilder und Statusupdates, die ihr im Fratzenbuch posten könnt und die Geschichten für die Enkel später.)

Ach ja. Und dann fehlt natürlich noch das DANKE. An kulturweit und die Steuerzahler, die kulturweit finanzieren. An all die Menschen, die ich kennenlernen durfte und die mein Jahr mit zu dem gemacht haben, was es jetzt für mich bedeutet. An meine Familie, die mich hat gehen lassen (was sollten sie auch tun, ne) und immer für mich da war, auch wenn es um hässliche Dinge wie Bewerbungsangelegenheiten ging. An meine Freunde, die mich mit monatlichen Umschlägen, die diverse Notrationen enthielten, versorgt haben, mich besucht haben, mir Briefe und Karten geschickt haben und damit dafür gesorgt haben, dass ich nicht vergesse, wie lieb ich sie alle habe. Und ein Danke an alle, die meine Blogeinträge gelesen haben, ich habe mich immer extrem über eure Aufmerksamkeit gefreut.

Jetzt ist dann aber endgültig Schluss. Enda po nawa! („Verbleibt gut!“ – ziemlich wörtliche Übersetzung aus dem Oshikwanyama)

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In Deutschland steht das Kaninchen im Mond Kopf.

Was ist das eigentlich mit diesem Ende? Nie war die Landschaft schöner als beim letzten Wochenendtrip, nie haben die Kinder mehr lustige Dinge gesagt, nie größere Fortschritte gemacht, gerade jetzt sind die Kollegen einfach großartig und überhaupt, warum vergeht die Zeit plötzlich so schnell? Ich muss doch noch das erledigen und hier wollte ich unbedingt nochmal hin und mit dem muss ich mich noch treffen, ein Sundowner muss auf jeden Fall noch drin sein und war das jetzt wirklich schon der letzte Abend im Warehouse? Das letzte Mal Independence Avenue, das letzte Mal mit den Einkäufen den Berg hochhecheln? Man soll gehen, wenn es am Schönsten ist. Ernsthaft? Was ist das denn für ein schlechter Spruch? Oder ist es gerade dann am Schönsten, weil man geht? Damit diese Erinnerungen die nicht so guten Tage überlagern und sie im Schatten der Schönheit letzter Tage verblassen lassen?

 

Jedenfalls. Die Zeiten der lustigen Blogeinträge über miese Moskitomossies sind vorbei. Ich werde wieder von Mücken gestochen. Esse wieder dunkles Vollkornbrot (Danke, Rita!), atme betörenden Bäckereiduft und friere mir in klarer nach Gülle riechender Oktoberluft den Popo ab. Das ist nicht unbedingt schlecht. Aber irgendwie bin ich noch nicht wieder richtig angekommen. Klar, das Flugzeug ist gelandet, mein Körper ist ausgestiegen, hat sich mittlerweile mit der Luftfeuchtigkeit abgefunden (Cremetöpfe adé, die Stirn fettet wieder fröhlich vor sich hin) und selbst mein Koffer ist  – nach verlängertem Aufenthalt in London – bei mir angekommen und über kurz oder lang ausgepackt worden. Alle haben’s geschafft, nur der Kopf, der kommt nicht so ganz mit. Mein Gehirn hängt immer noch viel zu oft in Windhoek rum, will in den Kindergarten gehen, mit den Kindern spielen und den Kollegen lachen, im Warehouse Karaoke singen, Fotos angucken und alte Blogeinträge lesen, es steuert meine Beine auf die linke Gehwegseite, auch wenn das ein Leben auf Kollisionskurs bedeutet und versucht verzweifelt, wieder das Kaninchen im Mond zu sehen. Dafür muss es sich aber fürchterlich verrenken, denn hier hockt der Mann da oben und nur wenn man den oder eben sich selbst auf den Kopf stellt, sieht man wieder das Kaninchen.

Manchmal möchte ich es dann packen, das Gehirn, einmal ordentlich schütteln (Ja, Frau J., ich habe im Seminar aufgepasst und weiß, was Schütteltraumata mit Gehirnen anrichten können. Aber nur einmal, ganz kurz, ein klitzekleines Bisschen? Bitte?), mit der Faust auf den Tisch hauen und es anschreien, ob es sich bitte mal beruhigen könne, schließlich hätten wir jetzt wieder hier ein Leben, das es zu leben gäbe. Blöd, wenn das Herz da auch noch munter mitmischt, sich aber nicht so richtig entscheiden kann und deshalb im einen Moment aufgeht, weil wir in Rostock sind, endlich wieder das Meer und unsere Freunde sehen, weil das Herbstlaub so schön raschelt und die kleine Nichte ganz bestimmt das goldigste und klügste und überhaupt Kind (so schnell hatte sicher noch überhaupt niemand so viele Zähne!) auf der ganzen Welt ist, im nächsten Augenblick dann aber dem Hirn zuruft, bitte ganz viele Erinnerungen durchrattern zu lassen, weil es das sich Sehnen nicht sein lassen kann.

Und was mache ich? Ich stehe bedröppelt dazwischen, hebe manchmal zögernd die Hand und versuche vorsichtig, etwas zu sagen (bin wohl doch nicht so der Mit-der-Faust-auf-den-Tisch-Hauer), lasse es dann aber lieber sein, denn eigentlich weiß ich ja auch nicht, was ich will. Sonst war Hesse der, der wusste, wo’s lang geht und wie das ist mit Neuanfängen. Hat doch bis jetzt immer super geklappt mit dem Zauber. Aber an diesem Neuanfang ist gerade so gar nichts zauberhaft. Der ist grau und nebelig und bergig und verdammt anstrengend und das finde ich total blöd, weil bis jetzt all meine Anfänge gar nicht so waren, ob Litauen oder Rostock oder eben Namibia. Und weil ich ein anfangsverwöhnter, aber auch superreflektierter Mensch bin (Danke Studium, danke kulturweit!), weiß ich auch, dass ich das Ganze in meinem Gehirn und in meinem Herzen in die richtige Perspektive rücken, dem Anfang hier eine Chance geben muss, damit sein Zauber bei mir wirken kann.

Kommt Zeit, kommt Rat? Für heute lassen wir das mal mit den klugen Sprüchen. Nur eins weiß ich, nämlich, dass das hier noch nicht der letzte Beitrag sein kann in diesem Blog. In dem werde ich nämlich mit Abstand zurückblicken auf dieses einmalige Jahr mit seinen Höhen und Tiefen, vor euch ausbreiten, was das mit mir gemacht hat und wie ich mich verändert habe und was ich alles gelernt habe und wie ich jeden Tag zur Völkerverständigung beitragen konnte und ich werde kluge, zusammenfassende Worte dafür finden, wie es ist, das Leben in einem afrikanischen Land, von dem man hier in Europa so vage Vorstellungen hat (Afrika halt, ne), das aber jeden Tag auf’s Neue anders um die Ecke kommt und sich nicht in Grenzen pressen lässt, weil es eben so ist, das Leben. Überall auf der Welt.

Bis dahin: Kisten packen, Kopf aufräumen, Bergsteigen trainieren und den Rest der Zeit überlassen. (Ist halt doch was Wahres an diesen Sprüchen. Deshalb sind sie so nervig.)

 

 

 

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Letzte Tage

Heute Nacht träumte mir, ich hätte vergessen, meinen Koffer zu packen. Eine Stunde vor Abflug. Ein eindeutiges Zeichen, dass die Weichen auf Abschied gestellt sind… und dass mir das Gehen dann doch gar nicht mal so leicht fällt. (Ich glaube, ich bin von einem völlig anderen Ort als Windhoek zu einem völlig anderen Ort als Berlin geflogen, aber so ist das manchmal mit der träumerischen Freiheit verwirrter Gehirne.)

Letzte Tage sind ähnlich wie erste Tage. Man erlebt alles intensiver, es sind alltägliche Dinge, die mich plötzlich zum Staunen bringen und mich denken lassen, ach Mensch, das ist dein Leben hier und nur noch sechzehnmal Schlafen und dann ist das alles vorbei. Es ist ein Leben im Zwiespalt: Einerseits die Freude auf Familie und Freunde, altbekannte Orte, Fahrrad fahren, im Regen stehen, Waldspaziergänge, die coole Tante sein, öffentliche Verkehrsmittel nutzen. Andererseits lässt man so viel hinter sich. Ein faszinierendes Land, Menschen, Erinnerungen. An meiner Wand hängen Bilder, auf meinem Schreibtisch liegen so viele Dinge, Eintrittskarten, Steine, Muscheln, Holz, Geburtstagskarten, Briefe, Fotos, Geschenke von Kindergartenkindern, Sprachkursunterlagen, sie bilden Haufen und rufen: Nimm mich mit, nimm mich mit!

Es sind die kleinen Dinge, die Situationen, die man jeden Tag erleben kann, die ich letztendlich vermissen werde:

  • mit Flip-Flops und Sonnenbrille zum Potji um die Ecke laufen, die Haare noch nass vom Pool, um frisches Obst fürs Abendbrot zu kaufen

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  • auf dem Heimweg vom Sprachkurs die Sonne hinter den Bergen um Windhoek beim Untergehen beobachten
  • Sonnenuntergänge oder auch Sundowner generell, ob beim Joggen, mit einem Bierchen in der Hand oder auf irgendeinem höhergelegenen Ort in und um Windhoek herum
  • sich beim Braaien die Frage stellen, wann man eigentlich angefangen hat, braaien statt grillen zu sagen und aufgehört hat, Salat zum Grillen zu essen. Und dann beherzt ins Oryx-Filet beißen.
  • morgens um viertel vor Sieben in kurzen Hosen aus dem Haus gehen ohne zu frieren (Das war früher. Jetzt stellt sich eher die Frage: Wie kann es in Afrika frieren? Minusgrade .. wie bitte?)DSC02757
  • auf endlos langen Straßen im Nirgendwo fahren, eine Stunde ohne Gegenverkehr und dann einen Eselkarren überholen
  • Giraffen, Poviane und Warzenschweine am Straßenrand sehen, so wie zuhause Rehe und Hasen
  • durch Katutura (ehemaliges Township) fahren und denken, dass man scheinbar doch was vom Leben verpasst, wenn man sich in der DHPS-Blase hinter dem Zaun aufhält
  • den Erlebnisparcours “Independence-Avenue” laufen (hier gilt es aufgerissene Bürgersteige zu durchqueren, Bauschutt zu überwinden, sich zwischen hupenden Autos hindurchzuschlängeln und riskante Überholmanöver extremer Langsamläufer bei dichtem Gegenverkehr zu überstehen) und sich dabei fragen, wann man eigentlich zum letzten Mal eine Ampel bei Grün überquert hat
  • am Wochenende mal eben ans Meer fahren – 400km sind nichts in den Weiten Namibias!
  • sich über einen wolkigen Regentag freuen, weil man dann endlich mal wieder einen gammeligen Tag mit Tee, Kerzen und Buch im Bett verbringen darf ohne ein schlechtes Gewissen zu haben, dass man das gute Wetter nicht nutzt
  • Sätze wie „Ich denke so“ als Zustimmung, ein hinterfragendes „Ist das?“ oder „Geh mir aus der Pad“, wenn jemand im Weg steht, ganz selbstverständlich in den alltäglichen Sprachgebrauch einbauen und das völlig oreit finden
  • Farmwochenenden, an denen man prinzipiell nichts anderes tut, als köstliche Dinge zu essen, faul herumzuliegen bzw. auf dem Bakkie über die Farm gefahren zu werden (ok, manchmal muss man Tore öffnen. Das ist durchaus herausfordernd, denn Tor ist nicht gleich Tor! All diese unterschiedlichen Schließmechanismen!) und wieder zu essen und natürlich das Trinken nicht zu vergessen

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Es gibt auch Dinge, die ich nicht vermissen werde. Die Zäune. Die Abhängigkeit vom Auto. Nicht kommen und gehen zu können, wann man möchte, weil zu gefährlich, weil Strom oder Security Man nicht da, weil is nich. Den täglich präsenten Gegensatz von Arm und Reich und Schwarz und Weiß und die Unsicherheit, wie man damit umgehen soll, auch nach einem Jahr noch. Und auch an die übertriebene Aufmerksamkeit samt Heiratsanträgen an mich oder meine Freundinnen/Schwestern/“any beautiful german girl you know“ habe ich mich nicht wirklich gewöhnt. Aber das ist schon ok, denn auch das ist Teil meines Jahres und meiner Erfahrungen hier und machen es zu dem einzigartigen Erlebnis, das es ist.

Noch sechzehnmal Schlafen und dazwischen alle Kleinigkeiten aufsaugen, die mir begegnen: Das ist der Reiz der letzten Tage.

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Kindergarten? Gefällt mir!

Zehn Monate im Kindergarten haben mir vor allem eines gezeigt: Erzieher sein heißt alles sein. Wir arbeiten täglich in tausend verschiedenen Berufsfeldern! Ein kleiner Einblick in die Top Ten:

 

 

Ernährungsberater: „Ich weiß, dass wir in Namibia sind, trotzdem ist es für eine ausgewogene Ernährung gut, auch das Brot zur Wurst/die Kartoffeln zum Steak/die Nudeln zum Bolognese-Hack zu essen. Und ein Salatblatt.“ und Knigge-Benimm-Trainer (Basics): „Nein, Sunay, die Gabel ist kein Haarkamm, damit essen wir!“ und „Georg, setz dich bitte wieder auf den Stuhl, wir essen nicht vom Boden.“

Palliativmediziner: Bis zu einem bestimmten Alter funktioniert das Reduzieren von Schmerz nachgewiesenermaßen durch das Ausstoßen des Atems über der schmerzenden Stelle. Bei länger anhaltenden Schmerzen sollte die entsprechende Stelle ggf. durch rhythmisches Streichen mit der Hand behandelt werden, das durch medizinische Heilworte wie „Heile heile Segen, drei Tage Regen, drei Tage Sonnenschein, wird gleich wieder besser sein. Heile Heile Husch!“ unterstützt werden kann. Und das ganz ohne Risiken und Nebenwirkungen (außer vielleicht ein Anflug von Blödheit im Kopf des behandelnden Arztes, aber nur bei einem außergewöhnlich langen Behandlungszeitraum).

Ingenieur/Architekt/Baustellenchef: „Doro, guck! Kaputt!“ – Kein Problem, ich reparier das. Oha. Jetzt ist das andere Teil auch noch ab… Äähm, ich war das nicht, das war schon so. „Du, Doroo? Kannst Du eine Garage für das Auto bauen?“ – Na klar, komm, wir bauen eine zusammen. „Doro, ich brauche ein Flugzeug, schnell!“ – Gib mir das Blatt Papier, dann geht es los. – „Warum faltest du das da so komisch?!“ – Ähm, das…das…das sind die Bremsen!

Sekretexperte (Experte für Körperflüssigkeiten in allen Formen und Farben): „Ich geh mal schnell Damians Windel wechseln, die Hose hängt schon wieder so schief und weit unten.“ (Was bei mir die Frage aufwirft, ob Mitglieder bestimmter Personenkreise mit tiefhängenden Hosen gar nicht mal so cool sind, sondern einfach nur die Hose voll haben.) „Doro, du hast verschiedene Flecken auf deiner Hose!“ – Ach .. warte kurz .. oh, das Gelbliche ist nur Konrads Rotze, das da ist Haydens Speichel gemischt mit gequetschter Banane und der Fleck, ach ja, das war Claire, die hat sich heute morgen das Frühstück nochmal durch den Kopf gehen lassen und ich stand zufällig daneben. Dinge passieren…

Textilreinigungsfachkraft: Die oben aufgeführte Fleckenbildung durch unterschiedlichste Vorkommnisse muss natürlich irgendwie behoben werden, wenn man nicht sein Monatsgehalt in den Kauf neuer Klamotten investieren möchte. Außerdem wären da noch die täglich anfallenden Berge an Lätzchen, Handtüchern, Wickelunterlagen, Pipi-Unfall-Klamotten und Hüten (die eigentlich als Sonnenschutz dienen sollten, sich aber wirklich viel besser als Sand- und Wassertransportmittel eignen), die fachgerecht gereinigt werden wollen… Mittlerweile hat Wäsche waschen und aufhängen schon fast etwas Meditatives für mich. Schmutz von der Seele waschen oder so, hat irgendein weiser Chinese oder Japaner bestimmt mal was zu gesagt.

Biologe mit Schwerpunkt Flora und Fauna:  „Doro, guuck, was ist das?!“ – Joa, also das, das ist eine…hm, eine Riesenheuschrecke. Ganz klar. „Doro, guuck, ein Chongolollo! Warum hat der so viele Beine?“ – Puh, ja, gute Frage! Damit der schneller rennen kann als du! „Doro, guuck, ein Krokodil!“ – Nein, Isa, schau, das ist eine Giraffe, die hat einen ganz langen Hals. Und bei der Frage Pferd oder Esel habe ich mir schon lange Streitgespräche und Fachdiskussionen mit Smilla geliefert („Ein Esel!“ – Nein, ein Pferd, das hat keine langen Ohren. – „Doch!“ – Nein. „Doch!“ Brillant argumentiert.).

Rechtsexperte, Richter, Mediator: „Doro, weißt duuu, der…(beliebigen Namen einsetzen, manche fallen allerdings wesentlich häufiger als andere) hat mir die Schippe aufn Kopf gehauen/mir weh gemacht/mir geschuubst/mich das Bagger weggenehmt/mit Wasser gemorscht*/usw. usw. usw.“ Natürlich hat auch der Angeklagte das Recht, seine Position darzulegen, also wird nachgefragt: „…, was war da los? Stimmt das, dass du … mit der Schippe auf den Kopf gehauen/weh gemacht/geschubst/den Bagger weggenommen/mit Wasser gemorscht hast?“ Meistens wird der Schuldvorwurf gar nicht erst abgestritten, sondern mit einem überzeugten „Ja!“ bestätigt (… hatte es wohl eindeutig verdient, die Schippe übern Kopp gezogen zu kriegen), nur Wenige starten wenigstens den Versuch einer Verteidigung („Abaa, abaa, abaa, abaa…“). Der Richter fällt das Urteil („Gib ihm die Schippe wieder“ oder „…, entschuldige dich bei ….“), der eine streicht dem anderen mehr oder weniger zärtlich über den Kopf/das Gesicht/den Arm und innerhalb der nächsten zehn Sekunden spielen die beiden mit Schippe und Eimer in seeliger Eintracht. Wenn sich alle Konflikte so einfach lösen ließen, die Welt wäre ein besserer Ort. Schickt Putin doch mal zum Praktikum in den Kindergarten.

*morschen: Ein sehr vielseitiges Wort des Südwester-Deutsch, das in Bedeutungszusammenhängen wie plempern, kleckern, aber auch verschwenden verwendet wird.

multidisziplinärer Künstler: Plastisches Gestalten, Arbeiten mit Papier, Pappe, Holz und anderen Naturmaterialien, Blei- und Buntstiftzeichungen, Aquarelltechnik und Scherenschnitte sind nur einige Beispiele aus dem umfangreichen Repertoire einer staatlich geprüften Bastelschl… ahem, Erzieherin. Nicht unterschätzt werden sollten auch die täglich unter Beweis zu stellenden Fähigkeiten als Puppenspieler, Zauberer, Spieleerfinder und Verkleidungskünstler.

Sänger und Ohrwurmexperte: Nicht singen können gibt es hier nicht, da man meistens mehr oder weniger die einzige ist, die hörbar und verständlich die Melodie verbunden mit dem richtigen Text wiedergeben kann. Es beginnt mit dem fröhlichen Guten Morgen-Lied, dass einem, wenn im Morgenkreis nicht zufällig noch das Lied über mich gesungen oder Laternenumzugs-Lieder geübt werden, bis zum Mittagessen im Kopf bleibt und auch nachmittags (oder nachts hinten auf dem Bakkie des hoffnungsvollen Jungfarmers) summt der ein oder andere Kindergarten-Praktikant noch Rolf Zuckowskis Weihnachtsbäckerei vor sich hin.

Aber ist die Bezahlung denn auch angemessen bei einem derart anspruchsvollen Beruf, bei dem Qualifikationen in so vielen Bereichen nachgewiesen werden müssen (und ich habe ja noch gar nicht von Elternarbeit, Entwicklungsberichten, Bürokram etc. angefangen)? Geld verbrennen wir jetzt nicht mit den Kindern gemeinsam am Fluss, weil wir es im Überfluss hätten. Warum man trotzdem dabei bleibt? Da wäre zu nennen:

Die kleine Kinderhand, die sich vertrauensvoll in deine schiebt.

Die freudigen „Dorooo!“-Rufe, wenn die Kinder dir auf dem Kindergarten-Flur begegnen.

Der kleine Junge, der dich Doti nennt, weil er deinen Namen nicht aussprechen kann.

Die „Meine Doro“-„Meine Vaama“-Battle mit dem kleinen Mädchen auf dem Schoß, die wahrscheinlich niemals enden würden, wenn ich nicht irgendwann doch aufhören würde.

Der kleine Junge, der noch vor einigen Wochen „Nane“ zu Banane sagte und kaum in ganzen Sätzen sprach und dich jetzt fragt: „Darf ich bitte auf die Toilette gehen?“

Die Kinder, die auf dich zugestürmt kommen und alle mit zu Molli (die Zebra-Handpuppe der Sprachförderung) wollen, auch wenn sie gar nicht zur Sprachförderung müssen.

Das kleine chinesische Mädchen, das vor drei Wochen noch kein Wort Deutsch sprach und dich jetzt mit einem „Auf Wiedersehen“ begrüßt und all die anderen Kinder, die täglich so viel Neues dazulernen, dass man ihr Gehirn förmlich wachsen sehen kann.

Die großen Kinderaugen, die an deinen Lippen hängen, wenn du die Geschichte von den wilden Kerlen erzählst und sich erschrocken an dich drängen, wenn sie deren fürchterlichen Klauen sehen und ihr fürchterliches Gebrüll hören.

Die ungezählten Bilder und Basteleien, die dir tagtäglich freudestrahlend geschenkt werden (und die nach der Arbeit ein wenig schuldbewusst auf den Schmierpapierstapel oder auch gleich in den Papierkorb wandern) und all die anderen kleinen Geschenke wie Steine oder Blüten, die du irgendwann in deinen Hosentaschen wiederfindest.

Dieses Gefühl, das die Kinder dir geben, dass du jetzt gerade die Welt für sie bedeutest. Weil du Zuhörer, Geschichtenerfinder, Schmerzenwegpuster, Tränentrockner, Popoabputzer, Traumfänger, Monstervertreiber, Sandburgenbauer bist. Klingt extrem kitschig, aber weil es so ist, lass ich es so stehen.

Das Gute an Blogeinträgen ist, dass ich die Tage und Stunden gekonnt unter den Tisch fallen lassen kann, an denen ich die Kinder alle miteinander an die Wand klatschen möchte, weil sie meine Geduld mehr reizen als der ausgebluffteste Spieler es beim Skat je wagen würde; die Momente, in denen mir einer der Rotzkandidaten erster Güte seine Nase in die frischgewaschenen Klamotten schmiert und ich hart an meine Ekelgrenze stoße; die Streitereien, Bockigkeiten und rebellischen Phasen einiger Kinder, bei denen ich mit meinem nicht vorhandenen Jura- und abgeschlossenem Pädagogik-Studium auch nicht weiter weiß; die Sprachfördereinheiten, in denen das eine Mädchen völlig in ihrer eigenen Welt bleibt und auf Englisch spannende Gespräche mit dem Fenster führt, während ich verzweifelt versuche, ihre Aufmerksamkeit auf die Verkleinerungsform und Pluralbildung im Deutschen zu lenken; die Tage, an denen ich mich fühle wie eine kaputte Schallplatte, die bei „Lass das! Nein! Nicht hauen! Bleib sitzen! Nicht mit dem Essen werfen! Alle Kinder aufräumen!“ hängen geblieben ist und mich frage, was bloß aus dieser Welt werden soll, wenn das mit den Blagen für immer so weiter geht.

Und dann lese ich noch einmal die Geschichte vom Grüffelo vor oder mache das 54-Teile-Hunde-Puzzle (fürs Erfolgserlebnis) oder höre, wie die Kinder nach sechs Fördereinheiten die Verniedlichung auf einmal auch im Alltag anwenden, einfach so, oder führe mit Dante wissenschaftliche Gespräche über Termitenhügel oder meine Kompetenz als Erzieherin („Du kennst doch so viele tolle Spiele!“) und weiß, dass ich letztendlich am absolut richtigen Ort für meinen Freiwilligendienst gelandet bin.

 

Jetzt noch schnell der Nachtrag für alle Innen: Ich weiß, Erzieher sind grad im Kindergarten überwiegend Innen. Mein Sprachgefühl mags aber lieber ohne, das reaktionäre, chauvinistische Ding. Bitte seht von Drohbriefen ab. Herzlichst, Eure AutorIN.
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Das Brotproblem

 Käsebrot ist ein gutes Brot.

Supersexy Käsebrot. (Helge Schneider)

Ich bin nicht alleine. Es gibt viele von uns. Exilbrotesser. Unser Schicksal: Wir sind in Deutschland groß geworden, dem Land der Brote. (Nein, nicht die Menschen. Paderborner, Münsterländer, Schwarzbrot, Graubrot, Weltmeisterbrot, Sonnenblumenbrot, Dinkelbrot, Kartoffelbrot, Mehrkornbrot… das sind nur die Brotsorten, die bei mir ohne allzu große Hirnanstrengung innerhalb der ersten zwanzig Sekunden durch die Synapsen rauschen.) Es gibt morgens Brot, zur Schule oder Arbeit schmiert man sich ein Pausen- oder ein paar verirrte Seelen im Süden auch ein Veschper-Brot und abends wird dann schnell noch eine leckere Stulle mit Käse gegessen. Heißt ja nicht umsonst Abendbrot. Ganz Verwegene legen eine Scheibe Gurke drauf. Und dann steigt man in ein Flugzeug oder in eine Eisenbahn oder auf ein Schiff und verlässt das Land, um woanders, jenseits der Grenzen des Brotparadieses zu leben. Das ist an sich völlig in Ordnung, Horizonterweiterung, Abenteuer und so, voll spannend. Aber irgendwann kommt der Moment, in dem man im Laden steht und Ausschau nach der Brottheke hält. Oder durch die neue Stadt läuft und sich fragt, wo eigentlich der Bäcker ist. Wenn man Glück hat, findet man in der hintersten Ecke des Riesensupermarktes ein kleines Regal, in dem in Plastiktüten dicht an dicht die labbrigen Toastbrote vor sich hinschwitzen und auf härtere Zeiten warten. Wenn man richtiges Glück hat, gibt es das Toastbrot sogar als „Vollkorn“, also in hellbraun statt weiß, mit einer ganz schwach zu erahnenden gepunkteten Teigstruktur, die manch phantasievollen Geist mit ausgeprägtem Vorstellungsvermögen vage an Körner erinnern mag.

So erging es mir damals in Litauen. Nichts gegen litauische Essgewohnheiten, sowohl Cepelinai (mit Pilzen und Speck gefüllte Kartoffelknödel in Zeppelinform) als auch Saltibarscai (kalte Rote-Bete-Suppe) gehören nicht nur wegen kreativer Namensgebung oder kreativer Zubereitung (kalte Suppe, wat is dat denn bitte) in internationale Kochbücher aufgenommen, auch geschmacklich sind das verspeisenswerte Gerichte. Aber Brot, Brötchen (Normale, Roggenbrötchen, Kürbiskernbrötchen, Käsebrötchen, Laugenbrötchen, Vitalbrötchen, Schokobrötchen, Rosinenbrötchen, Milchbrötchen… ich muss aufhören, mir laufen ganze Riviere im Mund zusammen), Teilchen (Erdbeerplunder, Windbeutel, Franzbrötchen, Nussecke, Amerikaner, Schweineohren… jetzt so ne Rosinenschnecke zum Kaffee…) und was sonst noch so tagtäglich die Auslagen deutscher Bäckereien schmückt und für den gemeinen Einkäufer so selbstverständlich ist, dass er blicklos daran vorüberläuft (wie KANN er nur?!), sucht man vergebens.

Und nun bin ich in Namibia gelandet. Man könnte meinen, hier wäre der Notstand in Sachen Brot noch schlimmer. Ist er aber nicht. Zumindest teilweise nicht. Immerhin kamen die deutschen Brotesser vor 130 Jahren hierher, blieben und hatten seitdem mehr als genug Zeit, ein bisschen zu backen. (Wir wissen, dass das nicht ok war, was die Jungs hier gemacht haben, nur weil sie auch ein Stück vom Kolonialkuchen wollten. Andere haben darüber aber schon so viel gesagt, dass ich mich hier erstmal wieder dem Brotproblem widme.)

Also. Geht man hier in die üblichen Supermarkt-Ketten, ist die Situation meist wie oben beschrieben. Viel Toastbrot, wenig Bissfestes. Nicht so im SuperSpar, dem Paradies des deutschstämmigen Einkäufers. Denn im SuperSpar, da kann man zwar nicht unbedingt super sparen, aber alles von Haribo über Nutella bis hin zum guten Vollkornbrot an der Backtheke kaufen. Wenn man denn dafür nach Afrika gekommen ist. Mich und meinen schmalen Praktikantengeldbeutel kann man hier eher selten antreffen (nur wenn es für ein Geburtstagsgeschenk die guten Original-Nimm2-Bonbons für den Vitaminschnaps sein müssen), aber ich habe den Verdacht, dass die Küche der DHPS hier ihr Brot bezieht, das wir täglich morgens im Kindergarten und für uns Praktikanten bekommen. Und damit sind wir beim Brotproblem.

Kindergarten, 8 Uhr, Frühstück. Fünf Erzieherinnen stehen im Speisesaal und inspizieren die große Brotkiste. Wenn eine Neue dazu kommt, ist die erste Information, die weitergereicht wird, die über den Frischestand des Brotes. „Heute ist das Brot weich!“ ist wohl die gleichermaßen gefürchtetste wie auch willkommenste Mitteilung. Denn nichts geht über frisches, weiches Brot. Aber dann isst man davon eben auch. Ein Viertel. Und noch eins. Damit hat man dann schon eine ganze Scheibe gegessen. Aber aufhören? Ach, eine kleine noch. Da wird gedrückt und getastet, welches Brot wohl am frischesten ist (nachdem man die Kinder drei Sekunden zuvor ermahnt hat, dass das Brot, das man angefasst hat, auch aufgegessen wird), da werden die groteskesten Verrenkungen gemacht, um zu inspizieren, wo man noch eins mit doppelt Käse finden kann, da werden ganze Umstapelungsmaßnahmen durchgeführt, um an die unterste und hoffentlich frischeste Schicht Brot mit Marmelade zu gelangen. Und dann stehen wir da, kauend, und beschweren uns, dass wir Woche um Woche dicker werden und unser Wille einfach nicht stark genug ist um zu widerstehen. Jeden Morgen geben wir uns aufs Neue dem Brot geschlagen.

Ähnliche Situation in der Praktikantenküche: Es gibt frisches Sonnenblumenbrot, das unter den Damen der Heimküche nur noch als „Prakti-Brot“ gehandelt wird. Innerhalb weniger Stunden ist der gesamte Laib erst im Sandwichtoaster (das Gerät, das in unserer Küche wohl am häufigsten genutzt wird, kein Wunder, man kann damit Käse zum Schmelzen bringen), dann in den Bäuchen der gierigen Praktikanten verschwunden. Am Anfang hatte man wenigstens noch den Anstand, nach der ersten Scheibe fünf Minuten zu überlegen, ob man wirklich noch eine zweite essen soll. Mittlerweile hat man sein Brotproblem gestanden, den anderen ergeht es nicht anders und so schiebt man sich gemeinsam eine Scheibe nach der anderen rein. Dass man selbst nicht der einzige Junkie ist, erkennt man unter anderem an den Brotkrümeln, die noch schnell verstohlen aus dem Mundwinkel gewischt werden, wenn man in die Küche kommt, den verräterischen Körnern auf der Anrichte und den wütenden und anklagenden Blicken, wenn am Abend mal wieder nichts vom Brot, dass mittags aus der Küche geholt wurde, übrig ist als die Frischhaltefolie, in die es eingepackt war.

Wie ich dieser Sucht Herr werden soll, weiß ich nicht und mittlerweile gesellt sich zu dem ausgewachsenen Brotproblem langsam aber sicher auch ein Fleischproblem, denn wenn es in Namibia ein landestypisches Essen gibt, dann Fleisch. Rind, Wildschwein, Kudu, Zebra, Oryx (mein Favorit)… yummie.

Ausführlicher dazu jedoch vielleicht ein anderes Mal, jetzt geh ich mir erstmal eine Stulle machen. Über Brot reden macht hungrig.

 

 

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Neue Entwicklungen an der Kältefront

Manchmal muss man einfach nur an die Öffentlichkeit gehen, um etwas zu bewirken. Merkt euch das.

Als ich heute nach Arbeit und Teamsitzung durch den frostigen Flur zu meinem Zimmer eile, durchforste ich in Gedanken schon meinen Kleiderschrank nach den wärmsten Klamotten, die das Sortiment hergibt (Kaputzenpulli, Jogginghose von Lea geschnorrt, dicke Socken und neu erstandene, göttlich warme Rentier-Fell-Puschen).

Ich öffne die Tür, da liegen die Lebendheizung und der im letzten Beitrag erwähnte Typ mit dem unverschämten Glück im Zimmer rum und verbreiten Körperwärme. Nicht schlecht. Aber noch viel besser: Neben meinem Bett steht ein HEATER! Und auf dem Bett liegen ZWEI kuschelige DECKEN! Meine Situation scheint das Herz von Hans im Glück so zum Schmelzen gebracht zu haben (war ja eh schon durch diverse Wärmequellen erhitzt), dass er etwas von seinem Überfluss teilen wollte. Er konnte ja auch aus dem Vollen schöpfen. Und so sitze ich nun, während ich diese Zeilen schreibe, neben einer rotglühenden Heizstange mit Kuschelpuschen an den Füßen und mein Herz hüpft schon vor Vorfreude, nachher unter die drei Decken zu hüpfen.

Heater, Puschen, Kuscheldecke. Alles, was das Herz begehrt.

Heater, Puschen, Kuscheldecke. Alles, was das Herz begehrt.

Mein Glück ist vollkommen.

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Und nun zum Wetter.

Ja, meine Damen und Herren, es ist wahr, in diesem Blog konnte bis dato noch kein Beitrag zu namibischen Wetterverhältnissen gefunden werden. Vielleicht wurde das Thema an der ein oder anderen Stelle peripher tangiert und mit wenigen Worten angerissen, aber reicht uns das?! Ich sage: Nein! Wir wollen mehr Wetter! Eins der Themen, die mir wirklich am Herzen liegen.

Also gut, ihr habt es so gewollt. Lasst uns über’s Wetter reden. Das tun die Jerrys doch so gerne. (In den Augen Ohren der Deutschnamibier reden die Deutschen, liebevoll Jerrys genannt, vor allem über eines, nämlich das Wetter. Vielleicht haben sie da nicht ganz unrecht. Besser sind sie aber auch nicht, denn insbesondere die Farmer beschäftigt vor allem eines, nämlich der Regen. Und das ist ja wohl auch Wetter.)

Wie dem auch sei, kommen wir nun endlich zu diesem ominösen Wetter. Was kann man zum namibischen Wetter sagen? Da die Welt hier Kopf steht, ist hier Sommer im Winter und Winter im Sommer. Bedeutet: Es wird gerade Winter. Bitterkalter, frostiger Winter mit eisigen Ostwinden. (Mit der Himmelsrichtung bin ich mir jetzt nicht hundertprozentig sicher, aber aus irgendeiner Richtung muss der Wind ja kommen, also warum nicht Osten. Eisiger Ostwind klingt doch gut und irgendwie auch nach klirrender Kälte. Russland und so, Väterchen Frost, man kennt die Klischees. Allerdings, ob hier auch, das ist so eine Sache! Wie ich das mit meinem eurozentrischen Weltbild einfach so voraussetze…ei.)

Egal. Weiter im Text. Morgens, wenn ich zur Arbeit gehe, erfriere ich. Dann ist es zwölf, dann ist es warm (seit Wochen keine Wolken mehr am Himmel), dann schwitze ich. Dann ist die Sonne abends wieder weg, dann erfriere ich wieder. Und die Sonne ist früh weg, weil ja Winter ist (halb sechs: Einbruch der Dunkelheit. Aber dafür sieht man jetzt dank der klaren Luft noch Milliarden, ach, was sag ich, sternenzahl mehr Sterne als im Sommer). Und ich habe es noch gut, denn ich kann mich wenigstens noch vage an deutsche Winter erinnern und weiß deshalb, was WIRKLICHE Kälte bedeutet. Die Namibier gehen jetzt nur noch mit Schal, Pudelmütze, Handschuhen und Winterstiefeln aus dem Haus. Dabei ist es draußen tagsüber wie ein erster warmer Frühlingstag in Deutschland, bei dem das ganze Volk in den Volkspark strömt, Hunde und Waschbärbäuche auspackt und die Wärme der Sonnenstrahlen auf erbleichter Haut genießt.

Wirklich kalt ist es hier dagegen IM Haus. Dünne Wände, schlecht überhaupt nicht isolierte Fenster und der Mangel an Zentralheizungssystemen (was für eine Erfindung! Und Fußbodenheizung! Ich ehre Dich!) gestalten den Aufenthalt in den vier Wänden, die ja eigentlich Schutz vor Kälte bieten sollten, in den letzten Tagen als eher unangenehm. Dadurch lassen sich aber auch äußerst interessante Studien über Strategien zur Kältbewältigung betreiben. Die effektivste  Strategie (und gleichzeitig die mit den schönsten Nebenwirkungen) ist wohl die Körperwärmespende an bedürftige Mitbewohner. Vorausschauende WG-Mitglieder haben die letzten Wochen genutzt, eifrig Partnerwerbung betrieben und befinden sich nun in der glücklichen Position, eine Lebendheizung im Bett ihr Eigen nennen zu dürfen. Eine andere, nicht ganz so kuschelige, aber immer noch effektive Variante ist der Besitz verschiedener lebloser, wärmespendender Objekte wie Decken oder Heater (=Miniofen, Öl- oder Elektroheizung). Derartige Produkte sind jedoch auch nicht jedem vergönnt, das Schicksal bestimmte, wer in ein Zimmer zog, in dem der Vorgängerzimmerbesitzer diese Kleinode für kalte Wintertage zurückließ. Manche Personen haben das unverschämte Glück, sowohl Lebendheizung als auch 2 (in Worten: ZWEI!!) Heater und eine pervers hohe Anzahl an zusätzlichen Decken in ihrem Besitz zu wissen.

Ich sitze derweil in meinem Wieder-halb-Einzelzimmer (meine Mitbewohnerin spielt Lebendheizung) neben dem Privatkühlschrank und ärgere mich, dass ich die rechtzeitige Partnersuche irgendwie verpasst habe und auch die luxuriöse Ausstattung, die ich nach meinem Umzug anfänglich so feierte, eher weniger auf meine momentanen Bedürfnisse abgestimmt ist. Steckerleisten, Adapter, Teppiche und Tischdecken halten eben nicht langfristig warm.  Immerhin, wenn es noch kälter wird, kann ich den Kühlschrank als Wärmequelle nutzen. Wie bei den Inuit. Cool.

So viel zur momentanen Kälte. Gleichzeitig trinkt die Luft da draußen jeden Tropfen meiner Hautfeuchtigkeit, was diese, also die Haut, wiederum dazu veranlasst, Feuchtigkeitscreme zu trinken. In Massen. Ich bin ja jetzt wirklich nicht so der Kosmetikschmierepampetyp. Aber hier schöpfe selbst ich aus vollen Cremetöpfen, um meine Haut vor der völligen Austrocknung und damit verbundenen Häutung zu schützen. Es gibt sogar Leute, die haben blutige Nasen von der Trockenheit. Aber sonst gefällt es mir hier immer noch sehr gut, doch.

 

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Hinter Gittern – Der Praktikantenknast

Windhoek, Nähe Ausspannplatz. Eine Mauer, ein Elektrozaun, ein Stacheldraht. Dahinter: Ein Haus. Gitter vor den Fenstern, die Türen abgeschlossen, teilweise zusätzlich mit Vorhängeschlössern versehen. Innen: Zwei Flure, von denen dunkelbraune Holztüren in Ein- und Zweibettzimmer abführen. Zwei Küchen Eine Küche und eine Abstellkammer, die die Bezeichnung Küche nicht verdient hat (nur weil da zwei Herdplatten, ein Kühlschrank und ein Waschbecken stehen, ist das noch lange keine Küche). Nein, das ist nicht das namibische Staatsgefängnis, das ist das Haus, in dem die DHPS ihre Praktikanten unterbringt.

20:53 Uhr. Türkische (Schlacht- oder Freuden-, das bleibt offen) Gesänge hallen über den Flur. Anhaltendes Gelächter aus Zimmer D. Nebenan hört man die Klospülung. Und natürlich auch die Aktivitäten, die solch einer Spülung vorausgehen, denn hier bleibt einem nichts vorenthalten. Aber was mir nicht erspart bleibt, kann ich zumindest dem werten Leser verschweigen. Literarische Freiheit oder wie man das nennt. Irgendwo heult mal wieder eine Alarmsirene, interessieren tut das schon lange keinen mehr. Kann mal endlich jemand den Aus-Knopf drücken?

Doch nicht nur die Geräuschkulisse bietet immer wieder Grund zur anhaltenden Freude, auch die sozialen Geflechte, die in einer Wohngemeinschaft von vierzehn Männlein und Weiblein wachsen, sorgen für mehr Unterhaltung als so manches Vorabendprogramm im Privatfernsehen. Wer mit wem wann wo gesehen wurde, wer bei wem in welchem Zimmer und welcher Zimmernachbar mal eben ins Wohnzimmer verbannt wird (oder auch freiwillig weicht) um den Turteltäubchen ganz selbstlos ein wenig Quality-Time zu gewähren, sind nur einige der Fragen, die man täglich neu klären könnte. Sturm der Liebe und GZSZ sind nichts dagegen!

Und dann natürlich auch noch die ganz alltäglichen Leiden des WG-Lebens in kumulierter Form. Das, was man sonst mit zwei, drei oder auch mal vier Mitbewohnern ausdiskutieren muss, gleicht hier schon einer Konferenzsitzung (bzw. würde gleichen, in Wirklichkeit hat so etwas noch nie stattgefunden.) Es sind immer die Gleichen, die verschmutzen und die Gleichen, die putzen. Regulationsversuche wie Schilder über Waschbecken oder Arbeitsflächen, teilweise in freundlich-anregendem Ton mit pädagogisch wertvollen Smileys, teilweise in militärischer Befehlsform mit Betonungs-Unterstreichung auf dem SOFORT (da ist wohl mittlerweile jemand hoffnungslos und verzweifelt) können im Fach „versucht und gescheitert“ abgelegt werden. Wir dürfen uns glücklich schätzen, dass die Schule jeden Tag Reinigungskräfte zu uns schickt, die reinigen und uns somit den Untergang im eigenen Dreck ersparen. Das Experiment Praktikantenknast bestätigt das, was Soziologiedozenten dozieren würden: Wenn ich für etwas nicht bezahlen muss, gehört es nicht mir und ich fühle mich nicht dafür verantwortlich. Warum sollte ich die Waschbecken putzen, die andere mit Zahnpasta/Haaren/Zahnpastahaaren (Leute! Neun langhaarige Mädels mit gefühlt krankhaftem Haarausfall auf einem Haufen, wir könnten eine Perückenfirma gründen! Und damit reich werden, die wollen hier doch alle unsere Haare.) verschmutzt haben und es wieder tun werden? Und mein Geputze wird dann auch noch als selbstverständlich oder – noch schlimmer – gar nicht wahrgenommen? Da spucke ich meine Zahnpasta lieber obendrauf und warte auf das chemische Wunder der Haarzersetzung durch Zahnpasta. Könnte ja passieren, früher oder später.

Aber dann sind da ja auch noch die lustigen Seiten. (Nein, wir schlagen uns nicht nur mit Besen die Köpfe über riesigen Staubhaufen ein.) WG-Braais, gemeinschaftliches Sonntagabend-Tatort-Gucken, Ausflüge, Spiel (Flunkyball) und Sport (Basketball) unterm Sternenhimmel, epische Küchenpartys und ganz viel Liebe, auch das hat man davon, wenn man mit dreizehn anderen jungen Erwachsenen das Abenteuer Afrika erlebt. Und der Mensch ist so ein anpassungsfähiges Wesen, dass es schon wieder faszinierend ist, wie schnell man die Geschirrhaufen in der Spüle als bereicherndes Dekorationselement wahrnimmt. Da war doch Tine Wittler am Werk!

 

Außerdem habe ich elf Moskitostiche an EINEM Fuß, von dem anderen fang ich gar nicht erst an. Ich sags nur.

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Ostereiersuche in Südafrika

Warnung: Dies ist einer dieser langatmigen und ausschweifenden Reiseberichte, bei denen man nach fünf Minuten einschläft, weil man nicht selbst dabei gewesen ist. Wem die Augen zufallen, Bildchen angucken.

Zwei Wochen Osterferien: Wer bleibt da schon in Windhoek? Aus unserer WG jedenfalls niemand. Privilegierte Praktikanten, möchte man sagen… Während die einen sich auf den Weg Richtung Norden machten (zehn Leute in zwei Autos, da hab ich doch gleich dankend abgewinkt. Außerdem war ich da ja schon längst.) setzten Isabell und ich auf Zweisamkeit und machten uns auf wie Maria und Josef, zwar nicht nach Galilaea und auch nicht zu Fuß, aber eben zu zweit, und zwar nach Südafrika. Zwei Wochen Kapstadt und die Garden Route entlang (eine Region an der Südküste Südafrikas), genauer Plan: keiner.

Karfreitag ging es am späten Nachmittag mit dem Intercape Sleepliner (lies: Bus, in dem man die Sitze nach hinten klappen kann, was bedeutet, dass man 22 Stunden mit einem DSC02179Rentnerkopf unter der Nase verbringt) und ohne jegliches Proviant außer unseren Wasserflaschen (ach, Karfreitag ist ja ein Feiertag! Da haben die Läden ja gar nicht offen! Rückständiges Namibia.) los Richtung Cape Town, der Stadt am Kap. Zur Fahrt an sich gibt es nicht viel zu sagen, man ist halt jung, da macht man solche Eskapaden schon mal mit. Das biblische Unterhaltungsprogramm in den Busfernsehern war…biblisch.

Nach 22 Stunden Ankunft in Kapstadt. Es gibt Bürgersteige! Überall! Und so richtige Hochhäuser, nicht nur an einer Straße! Und Cafés und Restaurants, die auch an Feiertagen nachmittags UND abends geöffnet haben! Da tauchten wir natürlich gleich ganz tief ein in das Leben als Tourist in der Zivilisation: Stadtrundfahrt im Hop-on-Hop-off-Touri-Bus, Sekt-Cruise auf dem Katamaran Richtung Sonnenuntergang, an der Wasserkante den Tagesfang, den man am Vormittag noch im Aquarium bewundert hatte (Yellowtail hinter Fensterglas vs. Yellowtail auf Teller) mit lecker Weinchen genießen, Ostermontag am weißen Sandstrand chillen und abends auf der Longstreet* richtig fette Party machen. *(Longstreet = lange Straße, auf der es so viele Kneipen und Bars nebeneinander gibt wie insgesamt in Namibia.)

 

Eine besondere Aktion, der man durchaus einen eigenen Abschnitt widmen darf, war unser Aufstieg auf den Tafelberg. Die sonnigen Tage ließen wir ungenutzt vorüberstreichen, am letzten möglichen Tag für einen Aufstieg quollen natürlich Wolken von oben runter. Die Seilbahn, die weniger ambitionierte Hobbyhiker an sonnigen Tagen nach oben bringt, hat heute aufgrund der Wetterbedingungen (!) geschlossen. Davon lassen sich hart gesottene und erfahrene Alpinisten aber nicht abschrecken. Ausgerüstet mit hochwertiger, eigens dafür angeschaffter Funktionskleidung T-Shirt, Sonnenbrille und Handtasche gings los. Der Taxifahrer, der uns zu unserem Startpunkt bringen sollte, war zunächst verwirrt, weil er dachte, er sollte uns bis auf den Tafelberg rauffahren (was unmöglich ist, da dort keine Straße hinführt), dann war er verwirrt, weil er nicht glauben konnte, dass wir wandern können („you wanna hike?? really?? like real hiking??“) und setzte uns dann aber doch am richtigen Startpunkt des Wanderweges ab. Der Blick nach unten: Wundervoller Sonnenschein, blauer Himmel, blaues Meer, bisschen windig vielleicht (fühlt sich jedenfalls in den Haaren so an). Der Blick nach oben: Oha. Ungemütlich? Grau? Bedrohliche Wolken, die über die Bergkante quellen? – Aaaach, von sowat lassen wir uns nich abschrecken!

 

Es geht bergauf. Je weiter wir nach oben kommen, desto kälter wird es. Hat man da nicht mal was in Physik oder Chemie oder Bio oder so gelernt? Die Sonne verschwindet, der Himmel verdunkelt sich, dicke Nebelschwaden winden sich durch die Schlucht und bedrohen uns. Wir wären irgendwie nicht überrascht, wenn gleich dahinter die apokalyptischen Reiter kämen. Zwischendurch begegnen uns einige wenige vermummte Gestalten, die bereits aufgegeben haben, der Berg hat sie besiegt und sie fliehen so schnell sie können nach unten. Wir nicht. Unsere Funktionskleidung wärmt so gut, wie es die Werbung verspricht und unsere Orientierung führt uns trotz Sicht unter 10 Meter sicher auf das Plateau des Berges.

 

Oben fühlen wir uns wie Frodo und Sam in den Nebelsümpfen vor Mordor oder in irgendeiner anderen Fantasy-Landschaft, in der der Held der Geschichte gleich in eine große Gefahr gerät. Wir haben das Plateau ganz für uns allein, mit niemandem müssen wir die spektakuläre Aussicht auf Wolken teilen. Dann reißt der Himmel auf und gewährt uns atemberaubende Blicke auf Kapstadt, die Buchten und den Atlantischen Ozean. Die Strapazen und Entbehrungen der letzten (zwei) Stunden haben sich gelohnt. Wir genehmigen uns ein stärkendes Mittagessen zusammengekauert zwischen Felswand und Mauer, nutzen die wenigen Wolkenlücken für spektakuläre neue Profilbilder und treten dann mit neuem Mut den Rückweg an. Wieder durch Nebelbänke und eisige Winde, die durch die Schlucht heulen, aber mit dem Wissen, dass unten die Sonne auf uns wartet, klettern wir (nach halbem Weg mit zitternden Knien und Oberschenkeln) die natürlichen Steinstufen (von Riesen angelegt) hinunter. Mission Tafelbergbesteigung erfolgreich überstanden! (Den Muskelkater nach einigen Tagen auch.)

 

Für die nächsten neun Tage haben wir uns ein putziges kleines grünes Auto gemietet: Luigi, der Italiener unseres Vertrauens. Unser erstes Ziel ist Stellenbosch, danach: Malgucken (ein wunderschönes südafrikanisches Fleckchen, wie wir in diesem Urlaub mehrmals feststellten). In Stellenbosch wurde selbstverständlich eine Weintour gebucht. Nach 2 Weingütern, 9 Rotweinen (Merlot und Schiraaaassss und wie sie alle heißen), 3 Weißweinen und einem Sektchen genossen wir auf dem dritten Weingut nur noch das Bouquet der Weinstöcke und die Aussicht im Abgang. Und ja, wir haben von den Spuckeimern Gebrauch gemacht und nicht alle Gläser komplett leer getrunken. Merlot- und Chiraz-Trauben mixt man besser nicht, ein Fieldblend von Merlot und Cabernet-Sauvignon ist dagegen sehr zu empfehlen. Je gelber der Wein, desto süßer und roter Dessertwein ist gar nicht mal so lecker. Wir haben viel gelernt!

 

Dann lasen wir in unserem Backpacker-Ratgeber nach, wo Luigi uns hinfahren soll. Wilderness, das klingt so nach wilder Schönheit, ein gutes Ziel. Und der Name verspricht nicht zu viel: Wir biegen um die letzte Kurve des ganz schön steilen Bergpasses und vor uns erstreckt sich ein langer, menschenleerer Sandstrand, an dem hohe Wellen brechen, Gischtnebel liegt in der Luft, Sonnenstrahlen brechen sich in den Wassertropfen und scheinen auf die bewachsenen Hänge, die der Bucht einen grünen Rahmen geben. (Hach. Wie idyllisch das klingt. Ich denke über eine Karriere als Reisebroschürenverfasserin nach.) Unser Hostel liegt direkt über dem Strand, von den Holzterrassen blickt man auf die Bucht und das Wellenrauschen wiegt uns in unserem Stockbett mit Meerblick in den Schlaf (nachts merkt man dann, dass die Romantik ganz schnell geht, wenn die Kälte kommt. Junge, haben wir gefroren!).

 

Von hier aus machen wir einen Tagesausflug zu den Cango Caves, Tropfsteinhöhlen mit Stalagtiten und Stalagmiten, viel zu vielen Touristen und einem Reiseführer, der lustig sein wollte und das nicht geschafft hat. Aber so ne Höhle ist an sich schon eher von der beeindruckenden Sorte und die Fahrt über kurvige Bergpässe war auch klasse.

Anschließend nahmen wir den Rat der Hostel-Chefin an und erkoren “Plett” Plettenberg Bay zum nächsten Zwischenhalt unseres Roadtrips. Da war es auch schön. Ein verregneter Nachmittag mit gutem Buch und Kaffee vor dem Kamin unseres neuen Lieblingshostels und ein Sonntag mit Deluxe-Frühstück und anschließender fünfstündiger Wanderung über die Robberg-Halbinsel (bei Interesse an Naturbeschreibungen siehe Bilder und die Kommentare zu Wilderness plus Robben, die sich im Wasser tummeln) machen den Aufenthalt hier zu einem ebenfalls unvergesslichen Erlebnis.

 

Die dominierenden landschaftlichen Eindrücke dieser Reise sind grüne Berge, weiße Sandstrände und türkisblaue Buchten des Indischen Ozeans. Da macht auch unser nächster Halt im Nature’s Valley im Wild Spirit Backpackers keine Ausnahme. Beim Hostel ist der Nomen das Omen: Sehr viele sehr freie und wilde Geister auf einer Farm inmitten von Mutter Natur. Das Erste was wir zu Gesicht bekommen, sind barfüßige Typen mit Bart und langen Haaren, die an ihrer Selbstgedrehten ziehen und dabei ganz eins sind mit der Natur und ihren Mitmenschen. Wir teilen uns unseren Schlafsaal mit Fledermäusen und lernen Jay/J kennen, einen hageren, bärtigen Amerikaner, der das Laufverhalten des Jaguars mit dem des Menschen vergleicht, dazu Laufstudien an sich selbst am Strand vornimmt und mir außerdem wertvolle Tipps zur Vermittlung mathematischer Konzepte von Addition und Subtraktion im Kindergarten geben kann. Die wassersparenden Duschen sind so wassersparend, dass überhaupt kein Wasser rauskommt, deshalb machen wir uns auf zum Wasserfall im Wald mit natürlichem Badepool, in dem ein Bad sehr erfrischend sein soll. Auf dem Weg dorthin rennen plötzlich Paviane/Poviane/Bobbejane/Baboons in einem Affenzahn (Hahahaha. Welch ein Wortspiel.) an uns vorbei (Isabells Kommentar: “Ach, das war nur ein Hund!”) und lauern uns am Wegesrand auf. Da ich meine Steinschleuder (welche Vorahnung, meine lieben Freunde!) leider nicht dabei hatte, treten wir unauffällig, aber zügig den Rückzug an. Dafür spielen wir dann am nächsten Tag selber Affen und sausen auf der Canopy-Tour an langen Drahtseilen durch die Baumkronen des Urwaldes im Tsitsikamma-Nationalpark.

 

Die Duschen sparen immer noch Wasser und so treten wir am nächsten Morgen ziemlich vergammelt den Rückweg Richtung Cape Town an, letzter Zwischenstopp: Hermanus. Hier sieht man im Sommer Wale, wir stellen sie uns einfach vor. Hermanus ist ebenso grün, blau und weiß wie die Küstenlandschaft bisher und wir verbringen eine gemütliche Nacht in einem ziemlich coolen Surfer-Hostel mit ziemlich coolen Surfer-Typen und einer unglaublich fetten Katze (vielleicht kriegt sie aber auch zehn flauschige Katzenbabys).

 

Dann beginnt der letzte Tag unserer Straßenfahrt. Natürlich haben wir uns hierfür ein weiteres Hochlicht südafrikanischer Landschaft aufgehoben: Wir fahren direkt an der Küste entlang bis zum Kap der Guten Hoffnung. Die Strecke ist eindeutig der schönste Abschnitt unserer Fahrt, hinter jeder Kurve (und davon gibt es viele) lauert ein neuer spektakulärer Blick auf Meer, Klippen und Sonnenglitzern.

 

Je näher wir Kapstadt und seinen vielen Küstenvororten kommen, desto mehr weiße Autos und Feiertagsausflügler gesellen sich in dieses Bild und machen das Autofahren gleich viel weniger spaßig. Schließlich stehen wir aber doch am Cape Point und am Cape of Good Hope (ja, es gibt da auch noch verschiedene Kaps! Verwirrend.) und spüren den Wind in den Haaren und sehen die Wellen an den Klippen zerschellen an diesem Ort, der für mich immer der Inbegriff von Fernweh und Abenteuer war. Abenteuerlich sind an diesem Tag zwar eher die Menschenmassen, mit denen wir diesen magischen Moment teilen müssen, trotzdem ist es ein würdiger Abschluss unseres Urlaubs.

 

Wer bis hierhin durchgehalten hat (oder wieder einsteigt), der soll wissen, dass uns der Intercape heil wieder nach Windhoek gebracht hat (diesmal ohne biblisches Unterhaltungsprogramm aufgrund eines kaputten DVD-Players) und der Alltag schon seine Fänge nach uns ausstreckt, während wir noch Fotos sortieren, unseren Roadtrip-Hitmix hören und versuchen, diese epischen zwei Wochen in einen Blogeintrag zu pressen. Die schwere Geburt ist hiermit überstanden und das Kind ist wirklich sehr lang. Seid nett zu ihm, es kann ja nichts dafür.

 

 

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Hä? Oshidingsbums?

Namibia ist ein Vielvölkerstaat. (Kannste bei Wikipedia nachlesen. Wikipedia ist super, wenn das heimische Bücherregal nicht in Reichweite ist.) Das heißt: Hier wohnen ne Menge Menschen. Ok, das ist jetzt ein bisschen übertrieben, wenn man bedenkt, dass Namibia die geringste Einwohnerdichte der Welt hat (Schätzung nach Doro, März 2014) und die Hauptstadt mit 300.000 Bewohnern gerade mal Rostock Konkurrenz machen kann (ich erinnere mich noch an die euphorischen Plakate, mit denen die Hansestadt ein Baby begrüßte – “Wir sind wieder 200.000!” – Herzlichen Glückwunsch.), aber dafür sind Karte Namibiadie Menschen hier alle total unterschiedlich, also abgesehen jetzt von der individuellen Individualität eines jeden Einzelnen von uns. Hier wohnen Herero und Himba und Nama und San und Owambo und Namibiadeutsche und noch einige mehr und die sprechen alle wunderschönes Englisch (How are youuu, ne?) und außerdem aber natürlich auch noch* ihre ganz eigene Sprache. Und damit stehe ich vor einem kleinen Dilemma. Kulturweit hat mir aufgetragen, einen Sprachkurs zu besuchen. Ich als sprachbegeisterte und –begabte Person natürlich voll enthusiastisch, cool, noch ne Sprache lernen, mit der ich dann voll eintauchen kann ins Leben hier und mit allen kommunizieren und so… Die Euphorie legte sich bei meiner Ankunft, als ich merkte, hm, ich brauche irgendwie nur Deutsch und Englisch. Mist aber auch. Und wenn ich einen Sprachkurs belege, muss ich mich auch noch zwischen Nama und Afrikaans und Otjiherero und Oshiwambo entscheiden. Schwierig! (Nama ist cool, weil’s da Klicklaute gibt, Afrikaans fetzt, weil es nur einen Artikel kennt und Otjiherero kann man immer gebrauchen, macht sich halt auch gut im Lebenslauf.)

Aber ich habe es geschafft, dieses Dilemma für mich zu lösen und versuche nun seit Anfang Februar, mich des Oshiwambo zu bemächtigen. Oshiwambo ist eine Bantu-Sprache der Owambo, die im Norden Namibias wohnen und ganz groß im Windhoekschen Taxigewerbe involviert sind. Also dachte ich mir, ist doch ganz praktisch, wenn man hinten drinsitzt und versteht, wie der Fahrer sich grad mal wieder über die dumme weiße Touristin lustig macht  – oder meine Schönheit bewundert. Kann ja auch sein. Und so habe ich nun zweimal in der Woche einen Termin bei Immanuel, der uns in die Weiten des Oshiwambo einführt.

Halt, Oshiwambo? Nein! Oshiwambo ist nicht gleich Oshiwambo! Da gibt’s Dialekte! Insgesamt acht, denn Owambo ist eigentlich nur der Sammelbegriff für acht Stammgruppen, die alle superlustige Namen haben. Achtung, los gehts: Die Aandonga sprechen Oshindonga, die Ovakwanyama sprechen Oshikwanyama, die Aakwambi sprechen Oshikwambi, die Aangandjela sprechen Oshingandjela, die Aambalanhu sprechen Oshimbalanhu, die Aakwaluudhi sprechen Oshikwaluudhi, die Aakolonkadhi sprechen Oshikolonkadhi und die Ovambadja sprechen – na, wer hat’s verstanden? – richtig, Oshimbadja. Wer schon nach Oshikwanyama abgeschaltet hat, kein Problem, laut unserem Lehrer sind Oshindonga und Oshikwanyama die beiden Hauptdialekte und eh verstehen sich alle Oshiwambosprechenden untereinander ungefähr so wie die Leute in Babel vor dem Turmbau. Ich verstehe zwar nach zwei Monaten Oshikwanyama-Kurs immer noch ungefähr gar nichts, aber ich komme ja auch nicht aus Babel. Und immerhin erkenne ich inzwischen, ob der Mensch jetzt Oshiwambo spricht oder nicht. Glaube ich zumindest.

Außerdem kann ich mittlerweile Begrüßung und Verabschiedung ziemlich gut (kein Wunder, die Sprachkurslehrerin, die wir in den ersten Wochen hatten, hat mit uns nichts anderes geübt. Ach doch, die Zahlen. Ich kann jetzt auch bis 1000 zählen. Das hilft ungemein im Alltag, ohne Witz. Deshalb haben wir dann einen neuen Lehrer bekommen. Jetzt lernen wir auch Grammatik, wie sinnlos.) und probiere meine Kenntnisse immer mal wieder am Security Man oder Taxifahrer aus. Meistens ernte ich dafür Gelächter und eine Antwort auf Englisch, was bei mir die Frage aufwirft, ob ich möglicherweise doch nicht Oshikwanyama, sondern irgendeine Fantasiesprache lerne (was durchaus sein könnte, wenn man mich fragt), oder ob sie einfach so verdutzt sind, dass sie nicht wissen, wie sie reagieren sollen. Eine richtige Antwort würde ich aber wahrscheinlich sowieso nicht verstehen.

Wenn ich das Ganze objektiv betrachte, lerne ich diese Sprache wohl eher für mich und nicht für den alltäglichen Gebrauch, denn die Menschen, mit denen ich größtenteils zu tun habe, sprechen Deutsch oder Englisch. Somit fehlt auch das “Sprachbad”, in dem ich zum Beispiel in Litauen jeden Tag geschwommen bin und das mir beim Erlernen des Litauischen (eine ebenfalls ziemlich fantastische Sprache übrigens, wer sich sowas ausdenkt!) ungemein geholfen hat. Als studierte Sprachheilpädagogin weiß ich selbstverständlich auch theoretisch, wie wichtig solch ein Pool reinsten Wortwassers für den Spracherwerb ist. Hier schwimme (und dusche und trinke) ich leider nur in Chlorwasser…

Und einfach so jeden mal auf Oshikwanyama ansprechen ist auch keine so gute Idee, eben aufgrund der oben erwähnten ethnischen Vielfalt Namibias. Da kann man ganz schön ins Fettnäpfchen treten, wenn der Mensch vor einem plötzlich Otjiherero spricht und sich gar nicht darüber freut, dass man einen Oshiwambo-Dialekt und nicht seine Sprache lernt. (Ist einer Kollegin tatsächlich passiert, deshalb bin ich da vorsichtig.) Aber ich hab ja noch fünf Monate hier, da bleibt noch viel Zeit, um auch Otjiherero, Nama (nee, das ist raus, die Klicklaute kriegt mein Mundwerkzeug motorisch einfach nicht gebacken.), Afrikaans und wie sie alle heißen (guck Wikipedia) zu lernen. Erstmal erfreue ich mich aber weiterhin an einer Sprache, die Fehler mit einem okadimifo ausradiert, Nachrichten im Otiivi guckt und den ganzen nächsten Monat Apilili sagt. Also dann, nangala po nawa! Gute Nacht!

*Hiermit eröffne ich feierlich den Wettbewerb: “Wer kann die meisten Füllwörter möglichst sinnvoll aneinanderreihen?” Ich finde, ich habe den Maßstab ziemlich hoch gesetzt.
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