Da bin ich wieder! Seit meinem letzten Beitrag ist schon wieder einige Zeit vergangen und ich kam einfach nicht zum Schreiben! Das liegt zum einen daran, dass man oft in seinem Alltagstrott gefangen ist und nicht so Vieles für erzählenswert hält, zum anderen liegt es daran, dass der November bisher ein sehr turbulenter Monat für mich war. Ich war in den letzten Wochen sehr viel unterwegs und muss nun versuchen, all meine Gedanken und Erlebnisse hier so komprimiert, verständlich und gleichzeitig so echt wie möglich niederzuschreiben. Das ist wirklich keine so einfache Aufgabe, aber ich gebe mein Bestes! Angefangen hat alles am ersten November, an Allerheiligen also. Dieser Tag ist auch in Deutschland bestens bekannt, hier in Polen allerdings wird er auf sehr eindringliche Art und Weise gefeiert. Die Stadt wirkt wie verlassen, denn alle Menschen befinden sich auf dem Friedhof, um gemeinsam mit der Familie den verstorbenen Angehörigen und Familienfreunden zu gedenken. Viele fahren hunderte von Kilometern in ihre Heimatstädte, um diesen besonderen Tag (nach Weihnachten und Ostern der wichtigste Feiertag hier) mit ihren Familien zu verbringen. Ich selbst habe den größten Friedhof der Stadt am Abend besucht und war beeindruckt vom Lichtermeer, das mich dort erwartete. Die Gräber wurden schon am Vortag mit Blumen und bunten Lichtern geschmückt, so dass sich ein unvergleichlicher Farbenschleier aus Rot, Grün, Blau und warm leuchtendem Weiß über den gesamten Friedhof legte. Es war wirklich ein sehr beeindruckendes Fest!
Weiter geht es mit dem 11. November. Vielleicht wisst ihr schon, warum dieser Tag für Polen von besonderer Bedeutung ist?!? Genau, an diesem Datum vor genau 96 Jahren erlangte das Land seine Unabhängigkeit.
Der 11. November fiel in diesem Jahr auf einen Dienstag, Montag war ebenfalls schulfrei, das bedeutete vier freie Tage, die ich natürlich zur weiteren Erkundung meines neuen Heimatlandes nutzte! Ich traf mich mit Jolanda, einer anderen „kulturweit“-Freiwilligen in Warschau, der Metropole und Hauptstadt Polens! Ich muss sagen, dass ich diese Stadt im Vergleich zu anderen polnischen Städten wirklich nicht besonders schön finde, aber Warschau berührte mich auf ganz besondere Weise. Die Stadt wurde im Zweiten Weltkrieg fast vollständig zerstört. Ist man in der Altstadt auf dem Rynek (Marktplatz), so wird man umringt von rekonstruierten Häusern, wie sie vor dem Krieg existiert haben. Kirchen, die in barockem Stil wiedererrichtet wurden, wirken irgendwie künstlich und inszeniert. Es fehlt die Ursprünglichkeit der Dinge, eine gewisse Abnutzung, ein Zeichen der Lebendigkeit, das eine Stadt authentisch und echt wirken lässt und ihr einen bestimmten Charme verleiht. Doch die Rekonstruktion ist beachtlich! Es ist bemerkenswert, wie die Menschen nach dem Krieg zu „ihrer“ Stadt hielten und sie mit größter Mühe und Sorgfalt wiederaufbauten, bis sie letztlich heute zu dem geworden ist, was eine Weltmetropole ausmacht. Ich denke, gerade die „Künstlichkeit“ der Stadt ist es, was die Menschen zum Nachdenken bringen soll und was sie in irgendeiner Form sensibilisieren soll. Warschau ist für mich persönlich ein Mahnmal, es nie wieder in der Geschichte zu einem Krieg kommen zu lassen!
Doch nicht nur im rekonstruierten Stadtbild sind die Spuren des Zweiten Weltkriegs und des Dritten Reichs deutlich zu sehen. Blickt man vom beeindruckenden und über 200 Meter hohen Kulturpalast herab, so kann man das frühere jüdische Stadtviertel sehen, von dem nichts rekonstruiert wurde. 1940 wurde dieses Gebiet von der übrigen Stadt isoliert und die jüdische Bevölkerung wurde von deutschen Soldaten auf engstem Raum zusammengepfercht. Im Warschauer Ghetto lebten eine halbe Million Juden auf nur 5 km2. Das Ghetto war der sichere Weg in den Tod. Viele Menschen starben an Hunger und Erschöpfung, im Jahr 1942 begannen die Deportationen von Warschau in das Konzentrationslager nach Treblinka. Eine einfache Abhandlung der bekannten Geschichte kann den Grausamkeiten und Unmenschlichkeiten nicht gerecht werden! So oft man sich mit dem Thema des Nationalsozialismus auch beschäftigt, es ist für mich einfach so unverständlich, wie Menschen solche Taten begehen konnten und damit nicht nur Städte, sondern das Herz der Städte, nämlich ihre Bewohner, die Menschen maschinell und durch grässlichste Ideologie vernichten konnten. Man kommt sich sehr klein und verlassen vor, wenn man sich Warschau von oben betrachtet.
Ich fühlte mich nicht schuldig für das, was vor über 70 Jahren geschehen ist. Ich spürte keine Wut für die Menschen, die vor so vielen Jahren diese Grausamkeiten begangen haben. Ich war einfach unglaublich traurig! Traurig, dass so viele Menschen aus nicht erklärbaren Gründen und auf schrecklichste Weise ihr Leben verloren und Viele alles, was ihnen wichtig war! Traurig, dass eine Welt einen solchen Krieg überhaupt hervorbringen konnte!
Der Zweite Weltkrieg ließ uns nicht mehr los, wir mussten das Museum des Warschauer Aufstandes besuchen. Es zeigt sehr eindrucksvoll durch Kurzfilme, Bilder und Ausstellungen originaler Gegenstände die Zeit rund um den Warschauer Aufstand, der 1944 stattgefunden hat. Die polnische „geheime“ Armee kämpfte knappe 2 Monate gegen die deutschen Truppen und kapitulierte letztlich gegen das damalige Nazi-Regime. Es handelt sich um den größten bewaffneten Aufstand eines einzelnen Landes in Europa gegen das „Dritte Reich“. Sehr interessant ist auch das Verhalten der damaligen Sowjet-Union und der Roten Armee, die beim Anblick des Aufstandes und der baldigen Kapitulation nicht einschritt und somit tatenlos bei der Zerstörung Warschaus zusah. Noch heute ist das Verhältnis zwischen Polen und Russland diesbezüglich angespannt und es gibt etliche Kontroversen zu diesem Thema. Ich will und kann in diesen wenigen Sätzen auf keinen Fall die ausführliche und sehr komplexe Geschichte des besagten Aufstandes wiedergeben. Erfahrene Geschichteliebhaber können das weitaus besser! Aber es ist ein wahnsinnig spannendes Thema, das man gerade aus westlicher Sicht nicht allzu ausführlich beleuchtet, wobei eine Betrachtung von der anderen Perspektive aus sehr interessant wäre! Vielleicht möchte sich der/ die Ein/e oder Andere ja jetzt mehr mit diesem Thema beschäftigen, das würde mich sehr freuen!
Sicherlich seid ihr jetzt schon gespannt auf die Erzählungen vom Unabhängigkeitstag! Nun ja, da gibt es eigentlich gar nicht so viel zu erzählen, da ich schon am Mittag des 11.11. wieder zurück nach Olsztyn gefahren bin. Wie sich später herausstellte, war das auch gut so, denn es gab ziemlich schwere Krawalle und Aufmärsche von Nationalisten, die bereits in den letzten Jahren immer wieder aufgekommen sind. Von den Vorbereitungen habe ich allerdings ein wenig bekommen. Der Platz mit dem Grab des gefallenen Soldaten wurde für die offizielle Feier und den Empfang des Präsidenten hergerichtet und ganze Busse mit Soldaten in gewöhnlicher und auch historischer Uniform reisten an, um in der Parade den Königsweg hinabzumarschieren. Schon am Vorabend zum Unabhängigkeitstag zogen die Leute mit weiß-rot-gestreiften Fahnen auf die Straße und feierten friedlich die Unabhängigkeit ihres Landes. In Verbindung mit dem 25-jährigen Jubiläum des Mauerfalls hatte der Feiertag in diesem Jahr für viele eine besondere Bedeutung! So wurden zeitgleich Unabhängigkeit und Freiheit durch das Ende des Sozialismus gefeiert. Für einen Augenblick war ich sehr gerührt und ich war glücklich, als Gast im Land diesen wichtigen Tag so eindringlich miterleben zu dürfen!
Das Kapitel Warschau ist nun abgeschlossen, auch wenn ich sicherlich noch viel mehr berichten könnte! Am besten besucht ihr selbst einmal die Stadt, sofern ihr das noch nicht getan habt! Es lohnt sich!
Letzte Woche war ich auf dem Zwischenseminar in einem kleinen Dorf in der Nähe von Breslau. Zwischenseminar?!? Ja, der Name verrät schon, dass die Halbzeit meines Freiwilligendienstes bereits erreicht ist und das in Windeseile! Ich kann immernoch nicht glauben, wie schnell die Zeit verfliegt und ich werde jetzt schon wehmütig, wenn ich an den Abschied von hier denke! Aber noch bleiben mir knappe 3 Monate, die ich in vollem Umfang genießen werde!
8 Stunden fuhr ich vom Nordosten Polens in den Südwesten des Landes, fast schon eine kleine Weltreise! 😀
Breslau ist eine wunderschöne Stadt! Ein großer Marktplatz mit den typischen und mir nun schon alt bekannten bunten Häusern bildet den geselligen Mittelpunkt! Es ist immer etwas los hier auf dem Platz, in den unzähligen Bars und Cafés und an jeder Straßenecke ist man gezwungen, wegen betörend schöner Musik begabter Straßenkünstler innezuhalten und für einen Augenblick (oft auch länger :-D) zu verweilen.
Erwartungsvoll freute ich mich schon, die neun anderen Freiwilligen, die in ganz Polen verteilt sind, nach 3 Monaten endlich wiederzusehen und sich auszutauschen! Wir verbrachten einen gemeinsamen Abend bei typisch polnischer Küche und konnten es kaum abwarten, uns gegenseitig unsere bisherigen Erlebnisse zu erzählen. Am nächsten Tag fuhren wir zusammen nach Dobkow, ein 500-Einwohner-Dorf, welches zugleich ein Freilichtmuseum ist. Die meisten Häuser stammen aus der Bismarckzeit, also um 1870 und beherbergen unterschiedliche Werkstätte, in denen die hausgemachten Produkte wie Honig, Likör und auch Keramikfiguren ausgestellt und verkauft werden.
Wir waren in einem sehr hübschen und gemütlichen Haus, der „Villa Greta“ untergebracht und bekamen täglich beste polnische Spezialitäten serviert! Nicht nur kulinarisch, auch inhaltlich war das Seminar super! Wir hatten viel Zeit, um die vergangene Zeit in Polen noch einmal Revue passieren zu lassen und neue Anregungen und Ideen für die kommenden Monate zu sammeln. Ein Höhepunkt war der Ausflug nach Kreisau, ein kleiner Ort, in dem sich die größte deutsch-polnische (oder umgekehrt :D) Jugendbegegnungsstätte befindet. Kreisau ist vielen vor allem durch den „Kreisauer Kreis“ ein Begriff. Dieser war eine Widerstandsgruppe im Zweiten Weltkrieg, die einen gesellschaftspolitischen Entwurf für die Zeit nach dem Nationalsozialismus entwickelte.
In Kreisau wurde kürzlich eine neue, sehr interessante Ausstellung eröffnet, die die deutsch-polnischen Beziehungen im letzten Jahrhundert, angefangen beim Zweiten Weltkrieg bis hin zum Ende der sozialistischen Systeme auf beiden Seiten und der Versöhnung, darstellt. Auch Merkel besuchte diesen Ort vor einigen Tagen:
http://www.dw.de/merkel-w%C3%BCrdigt-deutsch-polnische-vers%C3%B6hnung/a-18077026
Viel zu schnell war das Seminar schon wieder vorbei und es hieß: zurück in die Einsatzstellen! Doch da ich meine lange Anreise in den Süden noch nutzen wollte, um noch eine andere Stadt zu sehen, verbrachte ich zusammen mit Patty noch zwei Tage in Poznan (deutsch: Posen), einer sehr lebendigen Studentenstadt. Schon bei Breslau dachte ich: „Wow, ist das eine tolle Stadt!“ Doch Poznan hat mich ehrlich gesagt noch mehr überrascht! Auch hier staunt man über den groß angelegten Marktplatz mit den bunten Häuserfassaden und Arkadengängen, die man von Postkartenmotiven kennt! In der Mitte türmt sich das riesige in edlem Weiß leuchtende Rathaus vor einem auf, das sehr orientalisch wirkt.
Doch nicht nur die Altstadt hat einiges zu bieten! Wir besuchten die Lech-Brauerei, die die bekanntesten Biermarken wie (Lech, Tyskie, Żubr…) produziert und zusammen mit zwei weiteren Standorten den größten Bierproduktionsanteil in ganz Polen hat. Wir besichtigten die Brauereigebäude und bekamen Einblicke in die unterschiedlichen Produktionsabläufe von der Malzaufbereitung bis zur Abfüllung. Und was darf nach so einer Besichtigung in einer Brauerei auf keinen Fall fehlen?!? Richtig! Ein frisches, gekühltes LECH-Bier natürlich! 😀 Na zdrowie, es war wirklich lecker!
Noch eine kurze Anekdote zum Schluss! Als ich am Samstag von Poznan zurück nach Olsztyn fuhr, traf ich in meinem Zugabteil auf einen sympathischen älteren Herrn. Er fragte mich etwas auf Polnisch und ich war schon bereit für meinen Standardsatz: „Nie mowie bardzo dobrze po polsku.“ (Ich spreche nicht so gut Polnisch.), als er mich fragte, wo ich denn herkomme. „Jestem z Niemiec.“ (Ich komme aus Deutschland.), antwortete ich schließlich und sah schon seine Mundwinkel nach oben huschen. „Ach Sie sprechen also Deutsch…“, bekam ich als Antwort zu hören und schon wusste ich, mir steht eine unterhaltsame Rückfahrt bevor! Es stellte sich heraus, dass sich Krzysztof, so ist sein Name, beruflich mit der Übersetzung polnischer Bücher ins Deutsche beschäftigt. Er war ebenfalls auf dem Rückweg von Poznan und hatte dort ein paar antiquare Bücher gekauft, die er mir zeigte. Unter anderem ein Buch von 1933, „Cosmos“ eine naturwissenschaftliche Zeitschrift, die bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts gegründet wurde. Es war wirklich beeindruckend, wie fundiert und weit fortgeschritten die Wissenschaft schon damals war! So spielt das Leben! Man muss nur im richtigen Zugabteil sitzen und schon nimmt das Schicksal seinen Lauf! Manchmal habe ich das Gefühl, das Leben öffnet mir Türen, bereitet mir Möglichkeiten und fordert mich auf, etwas daraus zu machen! Mail-Adressen sind ausgetauscht und wir werden uns noch öfter treffen, denn ich habe vor, Krzysztof in mein Schulprojekt zu Weihnachten miteinzubeziehen, aber mehr wird noch nicht verraten!
In diesem Sinne! Seid aufmerksam, wenn euch das Schicksal einen Wink gibt und versucht, was draus zu machen! Es lohnt sich!
Bis bald! Liebe Grüße!
![10636083_10205021802287716_9159672766466287575_n[1]](https://kulturweit.blog/franziskainpolen/files/2014/11/10636083_10205021802287716_9159672766466287575_n1-300x225.jpg)

















Pingback: Poznan | Patty in Polen
Bei mir war es genau anders herum: ich kannte Poznan und war von Wroclaw noch mehr beeindruckt… 🙂
Danke für deinen Kommentar, Loulu! Das kann ich gut verstehen, Wroclaw ist eine sehr beeindruckende Stadt! So unterschiedlich können Wahrnehmungen sein! Es kommt eben doch immer auf die Perspektive und die Erwartungen an. Ganz liebe Grüße nach Pila!
Hey Franny,
wieder war es spannend und sehr interessant, deinen neuen Blogeintrag zu lesen. Vorallem mag ich deinen Stil, die Einträge zu verfassen; tolle Sprache! 🙂
Nun bist du in der Halbzeit und ich kann dir aus eigener Erfahrung sagen, dass die Zeit dahin verschwindet. Genieße deine letzten drei Monate, sammle viel Erfahrungen und habe weiterhin viel Spaß!
Liebe Grüße aus dem Reich der Mitte.
Kira 🙂
Liebe Kira!
Vielen Dank, freut mich zu hören, dass dir mein Artikel gefällt! Ja, es ist wirklich unglaublich, wie schnell die Zeit vergeht! Bald sind wir beide schon wieder zu Hause! Dann müssen wir uns unbedingt austauschen! Für mich ist es auch immer wieder sehr unterhaltsam, deinen Blog zu lesen! Du machst im Reich der Mitte ja wirklich unglaublich spannende Erfahrungen, die sich von unsrer europäischen Welt bestimmt stark unterscheiden! (Besonders dein letzter Artikel über das chinesische Schulsystem hat mir sehr gut gefallen!) Genieß du auch deine letzten Monate in vollen Zügen und bis ganz bald! Frany 🙂