Schweiß und schwere Träume

Hier beschränken sich nun die Temperaturen nicht mehr, dem Frühling zu schmeicheln, mit der Sonne zu kokettieren, nein, der Sommer, die Zeit der kurzen Ärmel, hat bereits begonnen – und unsere Heizung läuft noch immer. Ich kann es kaum glauben, dass dies der Winter gewesen sein soll, ob nicht noch ein Schlag auf uns wartet, im März? Es wäre doch die Zeit dafür. Der internationale Frauentag gibt als Dienstag dem Präsidenten Möglichkeit zu einer seiner barmherzigen Freundlichkeiten, per Erlass ist der Montag ebenso frei. Die Arbeiterklasse wird dazu angehalten, am Samstag Ausgleichsdienst zu halten. So habe ich Ruhe, an meinem Blog zu schreiben, immerhin drei Artikel inklusive diesem warten auf ihre Fertigstellung, und die Stadt neu zu erkunden, um Ende März für meine Eltern den Fremdenführer zu mimen – wenn’s nur die Eltern wären. Mit neun Leuten sind wir fast eine Reisegruppe, ich ihr Guide. Seit ich das letzte Mal die Stimme erhob, ist viel passiert, ich bin noch einmal viel gelaufen und habe eine Menge zu erzählen, wie immer kaum wissend, wo anzufangen.

Man fühlt sich echt sommerlich, wenn man morgens aus warmem Schlaf erwacht, das Fenster angelehnt offen und im kurzen Hemd beim kargen Frühstück schwitzt, dieser ewige Sonnenschein erinnert mich an Paris oder Rom. Mein Körper ist verwirrt und ich trinke weiterhin Tee mit Zitrone, habe mir Ingwer gekauft und hoffe, über diese Innentemperaturen heil hinweg zu kommen. Wenn nachmittags die Sonne durch mein Fenster schlägt, ist es kaum auszuhalten – in kurzer Hose, barfuß und in ständigem Schwitzen. Wahrlich, mehr Tee muss her, wenn ich diesen Artikel noch bei lebendigem Leibe beenden will. Die Tage sind so heiß, dass man kaum etwas tun kann, kaum sich regen, kaum sitzen, malen, liegen, schreiben, lesen kann. Zwar nicht, weil es draußen schon solche Grade annimmt, sondern weil unsere Heizung fleißig weiter brüllt, und das ist bei den Temperaturen tödlich. Außen freilich streichelt die Luft den Körper, es lässt sich aushalten. Wenn ich am Computer sitze, ist das Wechselspiel besonders schwer, denn die beiden Plätze zum Schreiben sind nahe dem Heizkörper unterm Fenster. Ich werde kränklich, abwechselnd heiße und kalte Schauer jagen über meinen Körper. Der Mund ist trocken, ich trinke literweise Tee und Wasser und schwitze, dusche zweimal pro Tag. Deshalb versuche ich die Zeit zu beschränken, was meiner Intention, fleißig Blog zu schreiben, widerstrebt. Sehr unangenehm, besonders abends, wenn die wieder kühle Luft von draußen und die pumpende Heizung sich in der aufgewärmten … durchmischen, abwechseln. Mein Raum ist eindeutig der wärmste in der Wohnung, hier fällt, wie in die zum Flur und Wohnzimmer offene Küche, nachmittags die wärmste Sonne ein und hier ist ein Fenster Richtung Straße leidlich genug. Im Wohnzimmer, dessen Fenster nur morgens etwas Licht sehen, ist es glatt zehn Grad kühler als bei mir, und all diese Veränderungen tun dem Körper nicht gut. Ich hoffe nur, ich werde nicht richtig krank. Genug der Weinerlichkeit, auf zu anderen Themen.

Unsere Filmreihe wurde bewilligt! Nach nur drei Monaten! Selbstverständlich kann nicht die Rede von vollständiger Zustimmung der zuständigen Behörde (Uzbekkino) sein, aber immerhin – vier von zehn Filmen, das kann sich sehen lassen. Weil „Victoria“ dabei ist, und „Finsterworld“. Der Film, in dem menschliche Hornhaut zu Keksen wird, in dem ein Schüler erschossen, ein Mädchen in einen alten Ofen von Buchenwald gestoßen wird und der schmächtige Helfer dafür schuldig gesprochen, faschistische Tendenzen in der deutschen Gesellschaft von heute wie Leuchtfeuer aufflammen, der wurde genehmigt? Sie setzen ihre Prioritäten wohl differenzierter. „Jack“, ein toller Film, hatte den Makel, dass die Schauspielerin, nachdem sie beim just begonnenen Sex von ihrem kleinen, hungrigen Sohn Jack überrascht wurde, nackt zum Mitternachtsfrühstück marschierte und wurde wegen diesen zwei Minuten rausgeschmissen, mehr brauchte es nicht. Warum wir solche Filme einreichen würden, meinte Asja von Uzbekkino ganz pikiert. Dass „Finsterworld“ neunzig Minuten Kontroverse liefert, scheint sie nicht gestört zu haben. Umso besser, denn falls die Reihe doch noch irgendwann stattfinden sollte – wir überlegen, einen der zahlreichen neuen Fritz-Bauer-Filme einzubinden – können wir mit diesem Filmen, v.a. „Victoria“ und „Finsterworld“ echte Perlen des jüngsten deutschen Kinos zeigen. Ich bin zufrieden.

Doch bis dahin ist es ein weiter Weg, inzwischen haben andere Erfolge ihren Platz gehabt. Kohlhaas in Usbekistan, dieses Wahnsinnsprojekt, das so eindeutig auf die hiesige Situation abzielt und doch so gut zu verteidigen ist, es hat geklappt und über diesen Coup kann man sich nicht anders als freuen. Es war letzten Freitag, der 04. März, dass die Premiere unter Anwesenheit des deutschen Botschafters, Vertretern der französischen und israelischen Botschaft, sowie zahlreichen Mitarbeitern des Goethe-Instituts, interessierten Normalbürgern und einigen Studenten, für die Simon und Cedric eine Einführung gehalten haben, statt fand und ein voller Erfolg wurde. Sicher 250 Plätze des wohl 100 weitere umfassenden großen Saals waren gefüllt, von völlig unbekannten Gesichtern genauso wie von alten Bekannten, und gerade diese Geschichte, die doch jedem so bekannt vorkommen muss, stieß auf positiven Widerhall. Jener Künstler, den ich einst erwähnte, welcher seine Kunst im Inland nicht ausstellen darf und ins Ausland nicht reisen, ging verschmitzt aus der Vorführung und einer unserer usbekischen Mitarbeiter meinte nachher, ihn hätte das Stück am Herz gepackt. Ob es nun auf dem Spielplan landen wird, ist unsicher, aber der entsteht sowieso erst eine Woche im Voraus. Der gesamte Arbeitsprozess mit dem Jugendtheater, in dem alles statt fand, war doch von Unwägbarkeiten und Unklarheiten geprägt, so auch die Pressekonferenz, die uns am Montag mitgeteilt wurde, von deren Existenz am Mittwoch die für Öffentlichkeitsarbeit zuständige Frau am Theater nichts wusste und die dann doch stattfand – auf einem Sofa, im Hintergrund eine Pinnwand mit Presse zur deutsche Aufführung, Plakaten und ähnlichem, auf der einen Seite Franziska und Philipp vom Jungen Theater Heidelberg plus Obid vom Jugendtheater Usbekistans, auf der anderen drei stilechte Pressefrauen mit Zettel und Stift, sowie der Übersetzer, als den wir spontan Shomansur vom Institut verpflichten mussten. Dahinter und drum herum Kameras, Foto und Video, die kamen und gingen, und ich. Eine seltsame Konferenz. Sie tun gerne professionell – so meinte Obid bei einer der Endproben, zu denen ich am Donnerstag anwesend war, Regeln für das Verhalten im Theater erklären zu müssen. Letztendlich aber sind sie, im Gegensatz zum Ilkhom, weit entfernt von westlichen Theaterstandards, und man kann schon froh sein, wenn die Schauspieler einen Rest (oder Anfang) Individualität zeigt. Denen wurde natürlich ordentlich der Kopf gewaschen, im Verlaufe der sechswöchigen Arbeit aber konnte Franziska doch so etwas in Richtung selbständiges Schauspiel aus ihnen heraus kitzeln, usbekisch blieb es trotzdem, auch wenn alle drei ihr Bestes gaben und die Premiere auch souverän gespielt haben, da kann man ihnen nichts vorwerfen. Im Nachhinein gab es einen kleinen Sektempfang, aber das muss ich vielleicht nicht erwähnen. Denn es war usbekischer Sekt, also klebrig süß (wie meine Finger über der Tastatur, bei diesen Graden), hören wir auf. Das Gegenteil an Theater ist natürlich das Ilkhom, zu dem es mich wieder gezogen hat, ich erwähnte, meine ich, Ibsens „Gespenster“, die ich mir vorher aus dem Gutenberg-Projekt besorgte und zur Vorbereitung durchlas, schlicht beeindruckt war und mich sehr auf die Ilkhom-Perspektive freute, als ich dann dort war und der Schauspieler erkrankt ausfiel, das Stück auf unbestimmte Zeit aus dem Spielplan genommen und stattdessen „Sergej Jessenin. Sky Drummer“ gespielt werden sollte. Die stellvertretende Institutsleiterin Simone, die zufällig mit Freunden aus der amerikanischen Botschaft zum selben Stück gehen wollte, tauschte ihre Karten um und sie verließen das Theater, ich blieb. Ebenso zufällig hatte ich das Stück auf dem Spielplan gesehen und mich über Jessenin informiert, dessen Name mir bis dahin sträflicherweise kein Begriff war, dessen Gedichte ich mir im Nachhinein aus dem Internet zog und nun dabei bin, sie mit einem großartigen Online-Wörterbuch der Universität Leipzig zu übersetzen, d.h. ihren Sinn zu verstehen – bei fast hundertjähriger russischer Lyrik anzuraten, wenn man im Lesen und Verstehen doch nicht mehr als ein Anfänger ist – auch wenn sich die Bücher und Namen im Zimmer stapeln, als jüngstes Mitglied Alexander Blok, Gedichte, vom Yangiobod. Ich war also informiert über diesen Kerl, der 1925 mit 30 Jahren und in der vierten Ehe Selbstmord beging, indem er sich die Pulsadern aufschnitt und dann aufhängte. Nicht nur diese Tat, sondern auch, dass er mit seinem Alkoholexzessen und Wütereien in Bars und Hotels der sowjetischen Obrigkeit zunehmend auf den Keks ging, ließ dutzendfach Gerüchte ins Kraut sprießen. Seine Lyrik aber ist weich und von Selbstzweifeln geprägt, mit starken Bildern und viel Sehnsucht, wie ich sie liebe, nach dem dörflichen Russland, dem Körper und Seele Jessenins entsprungen sind – die Birken, die alte, gezimmerte Holzhütte, die Natur herum, das Bäuerliche am Leben. Ein großer Dichter mehr entdeckt, und irgendwo in Deutschland muss ich mir ein Bändchen von ihm besorgen, neben Paul Celan nun der zweite Dichter, von dem ich das unbedingt vorhabe. Um zurückzukommen: Ich war erneut vom Ambiente des Ilkhom begeistert, der Bücherecke, in der auch eine Leinwand hängt, in der Dostojewski & Co. stehen, der Halle mit der modernen Kunst und dem Eckchen mit Marketingprodukten (Irgendwann kaufe ich mir so ein T-Shirt), das Stück an sich war diesmal aber weniger beeindruckend, als in schlichter Weise gut. Ein Mann, jung wie Jessenin es war, rezitierte Verse des Dichters, von denen ich kaum mehr als eingestreute Wörter verstand, während seine Einsamkeit nur vom Gitaristen gebrochen wurde, dessen Loop Station ihm malerische Freiheit ließen, zudem das Spektakel von alten Aufnahmen in Schwarz-Weiß untermalt, sowohl Spielfilmausschnitte als auch Dokumentarmaterial. Warum erwähne ich das? Sie können etwas sehr Schlichtes wie Gedichte in eine angenehme Hirnerregung verwandeln, die nicht nur massiert, sondern mir auch den Nachhauseweg, ich lief ihn komplett, Gedanken gaben, die schließlich in eine kleine Welle Gedichte mündete, allerdings leichte, larmoyante, in der Schönheit bloßer Nebeneffekt ist, deren Existenz sich einzig meiner Müdigkeit verdankt, weder besonders kreativ noch neu sind, einfach um sich abzuschreiben ins Tagebuch gehören, zu mehr nicht wert. Aber immerhin, ich schreibe. Freut mich jedes Mal.

Denn in der Tat ist es eine verdrießliche Zeit, die Erfolge im Institut wiegen schwerlich die Misserfolge auf, und ständige Begleiter sind Vergesslichkeit und Müdigkeit, mir ja so gut bekannt aus den vergangenen drei Jahren. Vielleicht ernähre ich mich nicht vielseitig genug, dachte ich mir, und gab letzte Woche vermehrt Geld für Apfelsinen, Bier und frisches Gemüse – Salat – aus, habe mir neue Gewürze gekauft und trotzdem – wie ein Stein in meiner Brust zieht es mich ab, empfängt mich kühl die Wirklichkeit, als wäre die Realität etwas, das mich enttäuschte. Ich gebe mich so sehr hinein, dass alles, was ich höre, wie mir selbst zustößt und ich mich fühle wie pressiert, unter Druck. Der Druck ist allgegenwärtig, doch was geht er mich an? Ich habe das Gefühl, es ist die Veränderung meiner Umgebung, die mich dazu bringt, mich angegriffen zu fühlen, Shahrisabz könnte tatsächlich Anfang dieses Prozesses gewesen sein, der doch am Ende nur Reichtum bringen wird, auch wenn Geld dafür verloren geht und vielleicht sogar Gesundheit, so ist es die Erfahrung, die zählt. Sie haben den Alaiskiy niedergerissen, das große Baldachin, unter dem Obst und Gemüse verkauft wurden, Souvenirs, Gewürze, Mehl, Reis und vieles mehr – diese Verkäufer drängeln sich nun auf dem kleinen Parkplatz eines zugehörigen kleinen Einkaufszentrums für Kleidung, und das große Areal dieses wertvollen, sowjetischen Betonbaus ist leer, bzw. war schnell nicht mehr als lauter Schutt. Es geht mir ans Herz, dass sie alles abreißen, neu bauen, „verschönern“, es geht doch nur darum, den langen Schwanz zu zeigen und sich breit zu machen: Der Usbeke ist ein stolzer Mann. Gerade heute gingen wir, d.h. Simon, seine deutsche Mitbewohnerin Kristina, sowie die Neuankömmling Vera, ins Next, Einkaufszentrum, nachdem wir auf dem Yangiobod waren, und sahen uns begeistert die Produktpalette des Usbekistan-Merchandising an. Eine Winterjacke, in den Farben der Fahne, hinten groß „Uzbekistan“, eine Weste in gleichem Stil, Pullover mit stilvollem „UZ“ auf der Brust, und Shirts mit Drucken wie „Proud to be Uzbek“, „Sunny Land Uzbekistan“ und so weiter, bis einem vor lauter Lachen das Kotzen kommt. Gelegentlich denke ich, ich sollte nicht so viel lachen, wer bin ich, mich darüber lustig zu machen – wie stark ist doch die europäische Bigotterie, die, weniger offensiv und antik, ich genauso bejammere. Vor allem aber denke ich, ich sollte mich nicht so benehmen, mich trifft es ja nicht. Ein dünnes Fell, es kann ruhig noch dichter werden. Ja, der arme Alaiskiy verändert sein Gesicht, das so oft ich nun gesehen, dass es mir Leid tut um ihn. auch der Mirobod-Basar wird teils renoviert, glücklicherweise steht der Laden noch, in dem ich meine Kekse kaufe, ihnen gebührt ein großer Anteil an der Länge dieser Blogs – wie sollte ich sonst so lange sitzen bleiben?

Die Auswirkungen beschränken sich nicht aufs Jammern, auch die Arbeit am Schreibtisch im Institut verwirrt mich nur. Vielleicht ist es der Kontrast, den ich doch liebe, der mich verwirrt. Innen ist alles sauber, gerade und deutsch, außen herrscht das strenge Regime des schönsten Landes der Welt, Usbekistan. Ich habe fünf Dinge zu erledigen, fange alle fünf an, und beende sie nach drei Stunden zur gleichen Zeit. Währenddessen springe ich von diesem zu jenem, ohne wirklich den Zusammenhang zu wissen, doch wenn ich beim ersten bin, so fällt mir der Schlüssel zum dritten ein, und so öffne ich dieses Projekt, um nur wieder zu erkennen, dass ich bald nicht weiterkommen, lieber mit dem zweiten weitermache und so weiter. Erstelle im Vorhinein für jede Mail, die geschrieben werden muss, einen Entwurf, um nicht zu vergessen, worum es ging, und merke am Ende des Tages auf, war nicht noch was? richtig, der Entwurf, ich habe vergessen, ihn fertig zu stellen. Stattdessen, weil ich glaubte, alles mehr oder weniger erledigt zu haben, guckte ich die jüngste „Anstalt“ oder googelte nach einer Figur, deren Name meinen Weg gekreuzt hatte, erweitere meine Allgemeinbildung, dessen Ergebnis ich wiederum nach 24 Stunden und einem müßigen, unruhigen Schlaf wieder vergesse. Deshalb freue ich mich immer, wenn ich raus darf, das Theater besuchen, oder den Yangiobod – was freilich weder Müdigkeit noch Verwirrung mindert, aber mich doch wenigstens entlastet, nach all der Anstrengung ist der Schlaf gleich viel schöner und gemächlicher, hingegen nach einem purem Bürotag nehme ich mir ein Minütchen für Abendgymnastik, das ich mehr schlecht als recht zusammenbastele. Wahrscheinlich habe ich zugenommen, aber am ganzen Körper und denke, ich sehe gesünder aus als nach dieser Schulzeit, die mich so ausgezehrt hat. Dennoch, Arbeit bleibt Arbeit und die muss erledigt werden, da fühle ich die Pflicht stärker als die Neigung, zumal beides hier nicht weit entfernt voneinander liegt. Große Aufgaben warten nicht auf mich, aber genug, um den Tag zu füllen: einige Texte hier zu schreiben, Tabellen erstellen, E-Mail und Facebookseite pflegen – auch unsere Website hatte und hat Aufgaben für mich parat, denn größtenteils ist die auf dem Stand von 2011. Nun bin ich ein Charakter, der schon bei der Vorstellung, eine Website im Internet zu erneuern, verschreckt davon rennt, aber einige kleine Aufgaben konnte man mir doch überlassen. Ich hätte gern mehr getan, wenn ich nicht so an meinem Glück mit der Informatik zweifeln würde. Doch nicht verzweifeln, auf uns kommen eine Reihe spannender Veranstaltungen zu – gerade hat das Ilkhom-Theater mit der Arbeit an Kafka, die Anfang Mai premieren soll, aus unserem Budget begonnen, nächstes Wochenende eröffnet einer von uns unterstütze Plakatausstellung (deren Genehmigung wir nach einigem Kämpfen vor zehn Tagen bekommen haben), im April kommt die Heidelberger Kohlhaas-Inszenierung auf ein Gastspiel vorbei und ein Literat aus Leipzig (!) für vier Wochen Residenz, Lesungen, Treffen und Seminare. Ende April beginnt unser großes Kinder- und Jugendfilmfestival „Shum bola“, das immer eine Heidenarbeit bedeutet und das vielleicht das Schönste ist, was uns noch geblieben ist, das wir halbwegs kompromisslos umsetzen können: Kinderfilme, ohne Propaganda, Werbung, Sex und Gewalt, ganz im Interesse der Usbeken, die ihren Nachwuchs glücklich sehen wollen. Dieses Mal wird eine ganze Delegation aus Deutschland das Festival begleiten und es werden, mehr konnte verhindert werden, usbekische Kurzfilme vor den deutschen Langfilmen gezeigt. Ab Ende Mai, nach einer UNESCO-Museumskonferenz in Kokand zum Thema der Museumspädagogik kehrt wieder Ruhe ein und ich kann meine beiden noch übrig gebliebenen Reiseziele ansteuern: Tadschikistan, das ich unbedingt sehen will, und Karakalpakstan – die Gegend, die immer schon extrem war, durch die Aralseekatastrophe noch extremer geworden ist und deren Grad an Abgerissenheit mich brennend interessiert – ich wisst schon, „looking for an angry fix“, Erfahrung, Erlebnis, uns was ist spannender als ruinierte Städte? „Ich liebe Städte, deren alte Mauern…“ So viel zu meinen Plänen. Wer weiß, ob ich alles schaffe, träumen kann ich immer. Denn ausschlaggebend für Karakalpakstan wird sein, ob das Wetter mitspielt – bei 60 Grad will niemand reisen – für Tadschikistan, ob ich mit meinem Bart rein gelassen werde, sie sind in dem Belange strenger als hier.

So Leid es mir tut, des begonnenen Kontinuums wegen, ich muss doch die Miscellaneous-Ecke wiederbeleben, sonst komme ich nicht hinterher mit all dem. Lass es uns pragmatisch machen. Neulich sah ich auf der Rückseite eines der grünen, japanischen, klapprigen Busse, deren Rückseite oft Werbung ziert, eine Anzeige für Papayaaufstrich. Das allein klingt nach Deutschland, Bio und Vegan, aber als eine der drei beworbenen Sorten auch noch steviagesüßt sein sollte, vergaß ich plötzlich alle Vorurteile. Es gibt also auch hier ein Publikum für solche Produkte. Gut überleiten lässt sich nun zum kulinarischen Höhepunkt der letzten Wochen: Leberschaschlik. Gut, den gibt’s hier und dort, ist an sich nichts Ungewöhnliches, aber dieser war von einem Geschmack und einer Qualität, dass es mir um die Ohren brauste. Dass Usbeken so würzen können, mag man nicht denken, wenn man sich die klassischen Speisen wie Lagman, Plov, Norin ansieht. Sie können es, und wie. Kleiner Nachteil der Sache: Das Ganze war irgendwie underground, weit entfernt von allem und geöffnet von halb Vier bis um Sieben Uhr morgens. Anscheinend gibt es auch Publikum, das früh arbeiten muss und vorher noch Schaschlik essen will. Nicht teurer als auf dem Chorsu war der Spaß, doch natürlich muss man mit dem Schlaf bezahlen – ich kann nur sagen: Wenn ich wahrscheinlich auch nie wieder an diesen Ort kommen werde – er wurde uns natürlich von einem Insider, Usbeken, gezeigt – einmal dort gewesen zu sein, kann ich nicht bereuen, einfach weil dieser Schaschlik so unglaublich gut war. In der nächsten Woche musste ich zu meiner großen Überraschung entdecken, dass es beim zur Gewohnheit gewordenen Tartaren auch Leber gibt – nicht teurer als der Rest, die Bouletten und Beef Stroganov. Manchmal etwas zu gut gebraten, aber doch eine Entdeckung. Welche Leber nehmen sie überhaupt, dass sie die für einen Euro inklusive Beilagen verkaufen können – Schaf? Gereicht wurde sie im Übrigen mit Zwiebeln und Apfel, dazu Kartoffelbrei und man ist fast in Berlin.

Ein Sprung und kurze Zwischenfrage: Lebt Elmiras Mutter noch, die Alzheimerkranke, die zu Sylvester schon sehr lediert war? In unserem Wohnzimmer fanden sich neulich 200 Bücher, aus Respekt nur konnte ich mich zurückhalten, sie nicht alle zu untersuchen, die meisten von ihnen russisch, und als ich fragte, woher plötzlich diese Tüten, die am nächsten Morgen ausgebreitet und sortiert im Schrank standen, meinte Alisher nicht ohne Belag auf der Stimme, von Oma. Sie lebt also noch. Dann, als beide einmal, wie es nicht selten vorkommt, außer Haus waren, konnte ich nicht umhin, die Sammlung zu inspizieren: Sergej Jessenin, sofort geschnappt, Turgenews „Väter und Söhne“ für die Zukunft gemerkt, Blok, Tolstoj, Majakowski, Puschkin, vieles vieles mehr.

Anekdote aus dem Fahralltag: Was den die weißen, gestrichelten Linien auf den Straßen bedeuteten, fragten zwei eine Usbekin. Sie zuckte mit den Achseln, wisse es nicht, „Keiner weiß“, aber glaube, wenn durchgezogene Linien bedeuten, dass man sie nicht überfahren darf, so müssten die gestrichelten Linien doch anzeigen, man könne fahren wie man will – auf dieser breiten Fläche. Es sind also gar keine Fahrbahnmarkierungen, sondern lediglich Hinweise auf eine weite Fläche, die mit dem Autoscooter beliebig durchquert werden darf. In der Diversität der Autos, die ich im ersten Blogeintrag erwähnte, ich muss es endlich eingestehen, hätte ich mich nicht schlimmer täuschen können. Abgesehen davon, dass tatsächlich Autos aus jedem der letzten vier Jahrzehnte in der Stadt herumtuckern, sind 80 Prozent immer noch von Daewoo/Chevrolet, die als einzige Marke im Land produziert werden – und Importe sind teuer. Das wollte ich loswerden. Was noch? Vorbei für dieses Mal, würde ich sagen, die Miscellaneous-Ecke. Ich komme drauf zurück. Wo war ich?

Bei Verwirrung und Müdigkeit, Vergessen und Schlaf. Die ewigen Themen, die irgendwie auch alles Schreiben schwerer machen, denn heraus kommt nur Sülze, wenn ich über mich rede, ich hasse eigentlich diese Oberflächlichkeit, die ich hier Mal für Mal zelebriere. Eine gute Illustration dieser Phase mag die Mitte letzter Woche gewesen sein.

Ich hatte einen seltsamen Tag. Gestern schon fing es an, dass ich meinen Rucksack dort vergaß, wo wir das Pub Quiz hielten, leer nach Hause ging und sofort zurückjagte, ihn abzuholen. Wieder in der Wohnung bemerkte ich, meine Kopfhörer fehlten. Vielleicht sind sie herausgefallen, die Tasche stand eine Weile offen, nachdem im Kino, wo wir wegen Shum bola waren, der Wächter sie offenbar nicht richtig geschlossen hatte – oder sie wurden geklaut, doch wer würde sie stehlen und ließe den Mp3-Player oder die Kreditkarte drin? Sogleich nahm ich letztere heraus, ich brauche sie ja nicht alle Tage, dann, am Morgen im Büro, versicherte ich mich, dass meine Kopfhörer nicht hier auf den Boden gefallen waren. Nach dem Mittag auf dem Basar, plötzlich, fand ich keinen Schlüssel zur zweiten Etage des GI in meiner Tasche, lief den Weg zurück, wo ich gegessen hatte, wo ich gelaufen bin, das ergab alles keinen Sinn, und zurück, oben, als ich erfolglos gegen die Glastür pochte erst, da fand ich ihn in einer anderen Tasche, der kleinen oben am Gürtel, für Schlüssel und ähnliches genäht, und dort hatte ich ihn vergessen. Ein Schock mehr, als ich meine Kreditkarte nicht im Rucksack fand, und erst wieder am Abend, zuhause, erinnerte ich mich, ich hatte sie ja gestern raus gelegt. Beunruhigt davon ging ich durch den Tag und das Ende der Geschichte war, dass mir Geld fehlte, ich plötzlich scheinbar grundlos weniger besaß, als das er Fall sein sollte. Da war ich schon so erschöpft von den ganzen Aufregungen, dass ich die Gedanken verschob, erst Tage später fiel es mir ein: Ich hatte mein Handy damit aufgeladen. So etwas passiert, nur die Kopfhörer sind nicht wieder aufgetaucht, inzwischen habe ich mir neue gekauft, in einer Art Basar für Elektrowaren, eine große Parkplatzfläche mit Schutt, um die herum in mehreren Reihen und Gängen sich aller Art Geschäftchen gruppiert haben, jeweils ihre Produkte verkaufend – Malika, noch so ein Name.

Ja, inzwischen ist es Abend, ich schwitze immer noch, um halb Neun, habe gegessen und denke, es ist Zeit aufzuhören. Mit dem schweifenden Blick in meinem Kopf gefangen, verließ ich schon im vorherigen Beitrag nicht den Käfig der Gedanken. Das sollte dieses Mal anders werden, denn inzwischen hatte ich wieder eine Reihe an Neuigkeiten zu bieten, die hier, auf dem Jahrmarkt der Eitelkeiten, feil gehalten wurden. Ich verkaufe nichts von all dem. Es gehört mir, auch die Erschöpfung und der Verlust an Geld und die Einsamkeit, mit der ich meinen schlechte Stil verteidige – ehrlich, je mehr ich spare, desto geiziger werde ich. Stelle mir vor, was ich alles in Deutschland damit anstellen könnte. Durch Antiquariate jagen, auf der Suche nach Schätzen, reisen natürlich, bis mein Studium anfängt – Party und Alkohol, bevor es wieder in strengere Strukturen geht, ja – ich träume viel von Deutschland, lebe schon in meiner Zukunft, während ich hier alles so gut es geht der Gegenwart verschreibe. Ich bin mir immer sicherer – ein Ort zum Leben wäre es nicht für mich.

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