Chorsu [Bildserie!]
Der zentrale Basar vor Taschkent: ein riesiges Labyrinth an Händlern unter Baldachinen, ein Menschgetümmel an allen Ecken und durch die Gassen und Straßen die heiße Sonne, der blaue Himmel – Schlagschatten wie aus Wüstenfilmen. Anderthalb Liter Wasser und eine Kanne Tee habe ich innerhalb dreier Stunden getrunken – also ohne den Verlauf des restlichen Tages zu berücksichtigen; wer mich kennt, weiß, dass ich wenig trinke – eigentlich. Und nicht die Menschen, sondern die Waren sind die Hauptakteure, Hauptattraktionen – hier stehen Säcke mit Körnern, Samen, Mais dicht an dicht, dort irgendwie höhergelegt eine riesige Kreuzpassage mit Ausstattungshändlern, Schuhmachern, Schneidern; irgendwo dazwischen Kaffeekannen, Wasserhähne, Teekannen, Küchenmesser, Teppiche; dann die Tische voll Trauben, Bananen, Pfirsichen, Nüssen – ich hatte den Eindruck, hier – und wieder bin ich überzeugt nicht zu übertreiben – gibt es nichts, was es nicht gibt. Das Ausmaß des Areals, über das sich all diese Augenweiden hinweg reihen, ist beeindruckend. Und es macht definitiv keinen Sinn, herzukommen, um etwas Spezielles zu kaufen – außer als eingefleischter Basarkäufer vielleicht.
Ich als Ausländer werde häufig angequatscht, wie ich heiße, woher ich komme („Da, Germanija, ja znaju – Hände hoch!“), werde eingeladen, an ihren Ständen zu kaufen, Porzellan und Teegeschirr, will ich gerade nicht, danke. „Can I write your contact, because I want to study in Germany. Maybe you can give me advice.“ Auch das nicht, tut mir Leid, und an der Zeile von Juwellieren, Kramgeschäften, drogerieähnlichen Läden vorbei, und irgendwo draußen, vor all dem Trubel, geradeaus die Metrostation und die letzte Meile, die letzten aufdringlichen Geldwechsler, bevor die Navoj ko’chasi den Markt im Süden begrenzt.
Für meinen Ausflug hatte ich den Donnerstag zur Verfügung, als muslimischer Feiertag (man hörte von ihm in Blogs anderer aus Tadschikistan und Ghana) auch in Usbekistan ein Grund zur Schließung des Goethe-Instituts. Elmira und Alisher, sowie ihre Familie begingen ihn nicht. Mir aber gab er Raum zum Tourismus; deshalb hier ein eher nüchterner Bericht, keine emotionalen Schlagwellen… Beginn war für mich die Metro – nicht zum ersten, nein zum zweiten Mal inzwischen. Zunächst lief ich zu einer der laut Reiseführer sehenswerten Stationen und stieg hinab – 1000 Sum pro Fahrt und einen Plastikchip, den man nicht behalten soll und, anders als in Sankt Petersburg, auch nicht behalten will. Die Beamten vor den Drehkreuzen hatten leider anscheinend sehr wenig zu tun, und nutzten die Gelegenheit, mich und meinen Pass ausgiebig zu kontrollieren. Am Ende sollte ich ihnen halb auf Russisch, halb auf Englisch erklären, was so meine Arbeit in der Programmabteilung des Instituts ausmacht und durfte schlussendlich gehen – nicht ganz angenehm, allein die Uniformierung provoziert Nervosität… Man merkt eben doch manchmal so eine Art unangenehme Atmosphäre, unangenehme Stimmung in der Luft – auch wenn es Ausländer erstmal besser haben als Usbeken. Ich kann wenigstens relativ sorglos (auf Deutsch, Englisch) reden; ob das auf Russisch oder Usbekisch so geht? Nachteil ist der Argwohn auf Seiten der Behörden. Man muss aber auch hier den Antitypus verteidigen: Zweimal bereits haben mir Polizisten sehr nett weitergeholfen. Alisher meinte neulich zu mir, die Polizisten hier seien nicht wie in Deutschland – hier seien alle unfreundlich und korrupt, in Deutschland alle freundlich und hilfsbereit. Na, da wüsst ich aber Leute, deren Halsschlagader deutlich anschwölle bei solcher Aussage… Der Qualitätsunterschied jedoch ist signifikant. Man bekommt, und ich verlasse natürlich die berichtende Ebene (Widerspreche ich mir? Dann widerspreche ich mir eben.), hier ein bisschen mit, wie sehr Deutschland stilisiert wird, und plötzlich sehe ich klarer, kann mir eher vorstellen, wie Leute aus Ländern, denen es wirklich dreckig geht, dieses Land in Mitteleuropa, aus dem nicht viel mehr als Wirtschaft, Recht und Reichtum (und Bier) über die Grenzen des Kontinents schallt, zum heiligen Land, zum Paradies stilisieren und ihr größter Wunsch ist, dorthin zu gelangen, wenn gleichzeitig so viele Deutsche sich zunehmend abwenden, von der Politik, der Wirtschaft, sich entkoppelt fühlen und sich mit dieser Eigendynamik über ihnen, die sie nicht kontrollieren können, unwohl fühlen… Der deutsche Ruf eilt aller Wirklichkeit voraus. Weiter im Text, am besten mit einem Bild:
Die Metro darf man nicht fotografieren (als Kind des Kalten Krieges kann sie zu einem Atombunker umfunktioniert werden), also habe ich den Platz daneben genommen: Der stolze Juri Gagarin (kann mich jemand berichtigen?) vor einem den russischen Astronauten gewidmeten Denkmal und irgendwelchen Regierungsgebäuden. Daher heißt die Metrostation hier: Kosmonovtlar. Die einzelnen Stationen übrigens sind sehr schön und teilweise, wie hier, thematisch ausgestaltet, mit verzierten Säulen und Wänden. Es ist schwer zu beschreiben und fotografieren darf ich es nicht, nur deswegen nach Taschkent zu kommen, muss auch nicht sein, aber wenn man mal da sein sollte, könnte man sich die Metrostationen (Welche? Guckt im Reiseführer nach…) ruhig anschauen.
Anfangs bin ich von der Metrostation „Chorsu“ nach Süden gelaufen, das entlang, was ich oben als „letzte Meile“ bezeichnet habe. An der Navoj ko’chasi, der ich (mit ihren sich verändernden Namen) von hier bis zur Wohnung von Elmira und Alisher folgen könnte, dem Südrand des Basars, steht die (laut Reiseführer) Medrese Kukeldash (links, s.u.). Da ich eigentlich wegen des Marktes dort war, habe ich keine weiteren Erkundungen angestellt. Im zentralen Hintergrund eine Moschee.
Dieselbe Moschee aus anderem Blickwinkel – ich fand diese Leere so schön.
Ein sinnbildliches Motiv – o.g. Medrese (nun rechts) vor einem unfertig in den blauen Himmel ragenden Betonskelett. Alt und Neu, identitärer Wandel, politische Stagnation, all so was – ihr wisst, was ich meine.
So leer sah es zwischenzeitlich aus, im Hintergrund der „Fleisch-Dom“ – Erinnerungen an Ich-weiß-nicht-was, Bilder, die man gesehen hat, aus arabischen Ländern der Sonne… Hier (nach 20-30 Minuten) hatte ich bereits eingesehen, dass ich die Sonne meiden, den Schatten suchen und meine Wasserflasche nicht schonen sollte. Weiß ich, welche Temperatur herrschte, es brannte ordentlich was runter.
So sah es innen aus, im von mir so genannten „Fleisch-Dom“, um den sich die Baldachine scharen. In diesen Vitrinen, von denen eine leere im Vordergrund zu sehen ist, bieten dutzende Händler in bestimmt sechs oder sieben kreisförmigen Reihen um diese Säule im Zentrum verschiedenstes Fleisch an – für den europäischen Supermarkt-Blick eine kleine Überforderung. Und, füge ich im Hinblick auf meinen Magen hinzu, sicher auch für die europäische Hygiene-Küche. Vegetarier hätten ihren Spaß.
Später: ein Schnappschuss nach außerhalb des Marktes – solche Szenerien sind es, die mich manchmal an die USA erinnern. Auch wenn das Ambiente ganz klar sowjetisch geprägt ist: die Weite, die Ecken und der Beton sind Charakteristika, die ich aus meinem kurzen Aufenthalt in Übersee heraus mit Amerika verbinde.
Kurz nach dem vorherigen Bild dieser Blick Richtung Garküchen (dort, wo die festen Gebäude beginnen und das Licht vom Rauch geschluckt wird). Zum Schluss habe ich mich unter jene Dächer gesetzt und beeindruckend gewürzten Schaschlik (hier fast selbstverständlich Hammel) gegessen. Dazu Brot und Tee, natürlich. Das Fleisch wird zur Eigenwerbung vorne an der Straße gebraten (wie das duftet!), der Kunde dann unter die Dächer gelockt, an einen Tisch gesetzt und rustikal bewirtet – ansonsten stehen entlang der Gebäude Händler, die selbstgemachte Somsa – typische, gefüllte, krosse Teigtaschen – anbieten. Der Schaschlik ist hier billiger als sonst – eine volle Mahlzeit (es wurde standardmäßig eine Salatbeilage gereicht) hat mich 9000 Sum gekostet, also unter zwei Euro Schwarzmarktpreis oder drei nach offiziellem Kurs.
Als ich zur Halle ging, in der Brot verkauft wird (ein ganzer Raum mit diesem fantastischen Weißbrot – Lepjoschka – was für ein Geruch!) und neugierig in einen Raum mit Backöfen schaute, winkte mich der eine Bäcker herein, fragte mich, woher ich komme, wie ich heiße und forderte mich auf, seinen Ofen zu fotografieren – die nassen Teigfladen klebt er mit einer Art Kissen an die Wände, wo sie auch hängen bleiben, bis er sie mit einer Art Kescher wieder „einfängt“, wenn sie fertig sind. Solcher Nettigkeit zuliebe fühlte ich mich gezwungen, eines der ofenfrischen Stücke zu erwerben – für gnadenlos günstige 700 Sum (offizieller Kurs: ca. 25 Cent, Schwarzmarkt: 14 Cent). Zu Beginn der Woche hatte ich auf dem Alaiskiy Basar neben dem Goethe-Institut noch ein (zugegebenermaßen deutlich größeres) Brot für 3000 Sum gekauft.
Tatsächlich wurde ich während meines Besuchs wiederholt angesprochen, von Leuten, die wissen wollten, wer ich bin und so… Man fällt hier auf als deutsche Bartträger.
Das war also der Chorsu-Basar… Lohnend nicht nur für einen Besuch, aber mehr als ein paar Stunden waren in der Hitze auch nicht empfehlenswert. Hört sich an wie irgendwie zu gut? Nun, ich denke, als Kontrast zu meinen beiden ersten Einträgen lässt sich das bejahen; ich habe mich gut gefühlt an dem Tag.
P.S.: Natürlich ist der Basar eigentlich sehr voll, doch ich bevorzuge die Leere zum Fotografieren – das stille Ineinander der Bauten und Formen, sämtlich menschgemacht und doch ohne Mensch. Mir gefällt die abstrakte Anwesenheit des Schöpfers, ohne dass er im bildlichen Sinne zu sehen wäre… Ohne daraus eine Philosophie konstruieren zu wollen; ich war nur bei wiederholtem Besehen der besseren Bilder erstaunt, wie Bilder eines so gedrängten, vollen Platzes, wie es der Basar (im Allgemeinen) ist, solch fanatische Leere aufweisen können – das versuche ich (nicht zuletzt vor mir selbst) zu erklären.
P.P.S.: Das Ganze kann einfach nicht enden, ohne dass ich doch noch einen negativen Kommentar loswerden muss. Es ist mir unangenehm, als Tourist über den Basar zu gehen, wenn ich weiß, dass er ohne mich besser auskommt – der Nutzen liegt hauptsächlich in dem Treiben, das ohne mich stattfindet und indem ich es beobachte, fotografiere, mache ich zur Attraktion, was zuvor nur Alltag war. Als Fremdkörper bringe ich in diese Menge eine Deutungsebene, die sie gar nicht besaß – und wenn aufgemerkt wird, dass Touristen kommen, weil sie dieses Treiben, für sie exotisch, so spannend finden, dann findet ein Wandel statt, ein Wandel zur Repräsentation anstatt purer Auslebung des Alltags – als ungestörte, kleine eigene Welt ist der Basar am schönsten, und so möchten Touristen ihn gerne sehen. Je mehr kommen, desto mehr wird dies unmöglich. Der Basar selbst wird zur Ware und verkauft seine Identität.










