Archiv für den Monat: April 2014

Eine Stadt im Kaukasus

Tiflis/Georgien? Taucht in meinem geistigen Memorandum der „europäischen“ Länder und ihrer Hauptstädte nur auf einem kleinen Erinnerungsfetzen auf, irgendwo im Topografieunterricht zwischen der siebten und neunten Klasse. Gerade so, dass es mir bekannt vorkommt.

Tbilisi (tatsächlich ausgesprochen wie’s geschrieben steht), so die internationale Bezeichnung, allerdings unaussprechbar für Russen, die es der Einfachheit halber zu Tiflis änderten, lässt sich am einfachsten als aufgequollenes Dorf beschreiben. Man muss sich nur ein paar Meter aus seiner Umgebung/Komfortzone bewegen, in meinem Fall die siebenhundert Meter zwischen Freedom Square (თავისუფლების მოედანი) und Rustaweli Ave. und trifft schon auf bekannte Gesichter. Einmal, gleich in den ersten Tagen, stand ich ratlos vor einem Taxifahrer, der mir den Weg zur Metrostation erklären sollte, und dessen Englisch auf dem selben Niveau wie mein Georgisch rangierte, als neben mir plötzlich ein Englisch mit ziemlich deutscher Färbung auftauchte und mir erklärte, dass sie gleich um die Ecke, vielleicht zwanzig Meter, wäre. Wie sich herausstellte Luis, Berlin.

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An manchen Straßenecken stehen Tische um die herum sich Grüppchen älterer Männer drängen und an denen gezockt wird. Die einen, die die Karten in der Hand haben und die anderen, die ihnen über die Schulter gucken und Kommentare zum Spielgeschehen abgeben. Am Ende wechselt das Geld zügig, quer über den Tisch seinen Besitzer.

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Man könnte die Stadt um ihr vieles Grün fast beneiden, es ist als würde ein Park fließend in den nächsten übergehen. Zur Mittagszeit ist es schwer hier einen Sitzplatz zu finden, denn auf jeder Bank sitz ein schmusendes Pärchen (Glücklicherweise sind Wiesen in Tiflis zum Sitzen da.. ), man trifft sich hauptsächlich in der Öffentlichkeit, denn zuhause wohnt meist die ganze Familie, ausgezogen wird in der Regel erst mit der Heirat, in manchen Fällen sogar noch später.

Orthodoxe Kapelle

Orthodoxe KapelleSchachspiel + Publikum im Hintergrund Schachspiel + Publikum im Hintergrund

Das macht es auch schwierig WG’s zu finden, speziell Georgische, denn das Land ist kaum größer als Bayern, und, bei etwas mehr als einer Millionen Einwohner innerhalb der Stadtgrenzen, hat auch derjenige der in der entlegensten Ecke wohnt Verwandtschaft in Tiflis, wo er während des Studiums wohnen kann. Über die Sommermonate ist es unter den Städtern üblich, dass man in sein Heimatdorf fährt und die Ferien bei Großeltern und Familie verbringt.

Einige winzige Gässchen erinnern mich an arabische Städte, und dieses Verwinkelte ist vielleicht auch, was die Stadt so unüberschaubar erscheinen lässt. In den ersten Tagen bin ich einfach zu Fuß losgegangen, zu Treffpunkten und zur Schule, und habe mich ausnahmslos jedes Mal verlaufen. In meinen Augen die Beste und vielleicht auch einzige Methode eine Stadt richtig kennenzulernen, Reiseführer hatte ich von Anfang an als unnötigen Ballast aus meinem Gepäck verbannt.

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Tiflis wird von der Mtkwari (Georgisch ausgesprochen ungefähr vergleichbar mit dem Geräusch unterdrückten Niesens) in zwei Hälften geschnitten und von Bergen umsäumt, der höchste davon, Mtazminda mit siebenhundertdreißig Metern, erhebt sich direkt vor meinem Fenster und auf ihm der Fernsehturm, der nachts wie eine kitschig beleuchtete, windschiefe Karikatur des Eiffelturms über der Stadt hängt.

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Alles in allem beinahe ländliche Idylle, wäre da nicht der Verkehr.

Ich bin von Berlin, wo die Verkehrsregeln von Millionen Autoreifen so sehr eingeebnet wurden, dass man sie vom Asphalt kratzen müsste, einiges gewohnt, daher hatte ich mit den Verhältnissen der Tiflisser Straßen nicht so zu kämpfen wie andere Deutsche, die aus ruhigeren Ecken des Landes kommen, aber anfangs habe ich mich echt schwer getan.

Generell sind zwei Punkte zu beachten:

Straßen überqueren: Nach fünfzig abgebrochenen Versuchen über die Straße zu kommen fasste ich noch häufig den Entschluss die fünfhundert Meter zurückzulaufen und die Unterführung zu nehmen. Jetzt weiß ich’s besser. Wenn ich irgendeinem Georgier in meiner Nähe die Absicht ansehe, die selbe Straße wie ich zu überqueren, laufe ich einfach synchron mit und zwar auf der rechten Seite, sodass ich beim Aufprall wenigstens etwas abgedämpft werde. Letztens hab ich’s alleine geschafft, würde mich aber noch nicht als Fußgänger erster Klasse bezeichnen, die Natives hier stellen meine Bemühungen doch sehr in den Schatten.

Hupen: Wird man, egal ob als Fußgänger Auto – oder Beifahrer, angehupt, sollte man nicht den Fehler begehen, dies als Warnsignal (solange das Auto nicht brennt) oder Ankündigung einer Überholabsicht deuten! Das käme in dieser Stadt einer völligen Zweckentfremdung dieses schönsten aller Automobilen Organe gleich. In neunundneunzig Prozent der Fälle hat es folgende Gründe:

  • Du hast dich vollkommen korrekt und ordnungsgemäß verhalten
  • Fahrer hat gute Laune und möchte dies der Welt mitteilen
  • Fahrer kennt dich und möchte dich darauf durch zweiunddreißigmaliges Betätigen der Hupe aufmerksam machen
  • Fahrer hat keinen Führerschein
  • Du bist eine attraktive Frau
  • Fahrer ist am Steuer eingeschlafen
  • Ein Tier sitzt am Steuer
  • Du bist zu weit entfernt um angebrüllt oder beschimpft zu werden

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ankommen

Dienstag, 18. März 2014
Es geht los. Um sieben Uhr morgens stehe ich am Gate in Tegel, China noch halb im Herzen, Georgien im Kopf, und werfe noch einen letzten Blick zurück nach Deutschland. Halten tut mich nichts mehr, nicht nach drei Monaten sinnloser Bemühung um ein Visum, Vorbereitung auf 12 Monate China und letztendlich zwei Wochen Gammeln in permanenter Ungewissheit, garniert mit zwei Einsatzstellenwechsel (China – Serbien – Georgien).
Ich habe sie hauptsächlich in meinem Zimmer verbracht um mich ja nicht wieder an Deutschland zu gewöhnen, während achtundneunzig Prozent der anderen Freiwilligen direkt nach dem Seminar ausgereist sind. Natürlich ein Vorhaben, dass zum Scheitern verurteilt ist, da mein Zimmer und das bisschen drumherum deutscher ist als eine schwarz – rot – goldene Kartoffel, die Transkulturalität fällt dem Besucher beim Eintreten nicht vor die Füße.
Als das Flugzeug den letzten Rest Schwerkraft abschüttelt und Berlin anfängt in eine Fensterluke zu passen, habe ich also irgendwie immer noch Bodenhaftung. Daran ändert sich auch vorerst nichts, nach meiner Zwischenlandung in Istanbul. Zwei Stunden Zwischenstopp sind eingeplant, leider zu wenig um mein Schlafdefizit (nicht viel länger als mein Zwischenstopp) aufzuholen aber zu viel um nicht wegzunicken, denn in Flugzeugen mache ich normalerweise kein Auge zu. Also renne ich quer über den Flughafen, der deutlich exotischere Eindrücke bietet als alle anderen, die  ich bisher von Innen sah.
Wundert mich nicht, ist ja mein erstes mal außerhalb Europas.
Hier scheinen so ziemlich alle Ethnien Asiens vertreten zu sein, (wahrscheinlich) gottgewidmete Bärte und Trachten in den verrücktesten Farben und Formen, an einer Stelle hat sich eine Gruppe Afrikanischer Reisender einquartiert und schläft, an anderen riecht die Luft nach angesengtem Gummi, wohl durch die zweirädrigen Roller bedingt, mit denen das Personal über den Flughafen brettert, für meinen Geschmack zu hektisch, aber komischerweise noch nicht in Deutschland angekommen.
Der Weiterflug nach Tiflis, von jetzt an nur noch Tbilisi ,dauert knapp zwei Stunden. Dass die Zahl der Deutschen im Flugzeug drastisch gesunken ist, wird schon nach einer Viertelstunde deutlich, denn die Stimmung ist ausgelassen, Menschen laufen durch das Flugzeug, unterhalten sich laut und über mehrere Sitzreihen hinweg auf Georgisch, aber ihre Vorfreude darauf, endlich anzukommen, kann nicht größer sein als meine!
Es ist siebzehn Uhr, noch ca. zwanzig Minuten bis zur Landung, als wir in Georgischen Luftraum einfliegen. Da die Wolkendecke zu dicht ist, bekomme ich erst kurz vor Ankunft freie Sicht auf das Land. Der erste Eindruck ist rau und karg, Ockerfarben und hügelig soweit das Auge reicht, hier und da einige Häuser, die wirken als wären sie über der Landkarte fallen gelassen worden.
Siebzehn Uhr über Georgien
Der Flughafen ist eine mehr oder weniger sandige Piste, ein paar Kilometer vor der Stadt. Beim Verlassen, nehmen mich die Taxifahrer aufs Korn und zwinkern in Richtung ihrer geöffneten Taxitüren. Wie ich im Nachhinein rausfinde, hauen die jeden ahnunglosen Ausländer über’s Ohr, und das wahrscheinlich ohne, dass er es mitbekommt. Warum auch? Sechzig Lari, fünfundzwanzig Euro, erscheinen auf den ersten Blick als guter Preis für die Dreiviertel  Stunde Fahrt zwischen Flughafen und Zentrum. Erst wenn man erfährt, dass jeder Preis über fünf Lari innerhalb der Stadt für eine Taxifahrt größter Wucher ist, erkennt man, dass man freundlichst übers Ohr gehauen wurde. Denn übelnehmen kann man es den meisten dieser Jungs nicht, egal wie grimmig und düster ihre Mienen auf den ersten Blick erscheinen. In Sachen Gastfreundlichkeit sind sie kaum zu schlagen.
Ich bin jedenfalls froh, dass Robert, entsandter Deutschlehrer aus Süddeutschland, und Sopo, seit kurzem Lehrerin an der Zwanzigsten Öffentlichen Schule, meiner Einsatzstelle, irgendwann auf dem fast menschenleeren Flughafen vor mir stehen. Wir fahren zu Robert, wo ich die ersten Tage wohnen kann. Unterwegs holen wir sein Auto aus der Werkstatt ab. Vielleicht auch nur bei einem Autoschrauber. Oder vielleicht auch nur bei einem Mann, der in seiner Garage an Autos rumbastelt. So richtig sicher scheint sich da niemand zu sein und es interessiert wohl auch niemanden, solange das Auto hinterher wieder fährt.
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Einen TÜV gibt’s hier nicht. Der Versuch ihn einzuführen, würde laut
Robert auch zu den größten Protesten führen, die das Land je gesehen hat.
Obwohl es bei meiner Landung gegen halb sechs noch hell ist und die Sonne den Horizont noch nicht berührt, sind wir erst lange nach Sonnenuntergang zuhause. Georgische Wege scheinen länger zu sein, auch wenn sie kürzer aussehen.