Heute Mittag bin ich in den Süden zurück gefahren, ja richtig, Riga liegt im Süden. Es kommt eben immer darauf an mit was man etwas vergleicht.
Bevor ich von meinen Reiseeindrücken berichte aber erst noch zu der Zeit davor in Riga.
Die letzte Woche war die Sonne sehr viel zu sehen. Das hat mich total glücklich gemacht. Ich habe mit der lieben Dachgeschoss WG Pizza gebacken und einen schönen WG Abend verbracht.
Wir waren im KGB Museum, Geheimdienst der Soviets. Das Gebäude ist gleich neben meinem Apartment. Dort wurden politische Gefangene eingesperrt. Wir haben eine Führung von einem österreichischen Zivildienstler bekommen. Super spannend und verstörend von den Ungerechtigkeiten und der Willkür zu hören. Traurigerweise wird das Museum dieses Jahr geschlossen, aufgrund von Einsturzgefahr. Sehr traurig, dass „kein Geld da ist“ um diesen wichtigen Teil der Vergangenheit aufzudecken.
Dann hat sich der Kriegsbeginn gejährt. Ich bin auf ein Benefizkonzert im Schneesturm gegangen. Zusammen mit Melanie, Venca, Amanda und lustigerweise habe ich meinen Mitbewohner Joseph getroffen, der sich AUCH mit Melanie verabredet hat. Wirklich ein Dorf. Der Schneesturm hat sehr gut zu den melancholischen Lieder gepasst. Melanie wurde die ganze Zeit gefilmt und ein Mann hinter uns hat uns auf seinem Handy einen Fernsehausschnitt von uns gezeigt. Wir sind jetzt landbekannt 🙂
Danach waren wir bei Lido, einer lettischen Kantine, essen. Roggenbrot mit Knoblauch, sehr lecker. Pfannkuchen und den Brotbeerennachtisch.
Am Sonntag waren wir: Marius, Marek, Debbie (die Dachgeschoss WG) und Antonia, auf dem Flohmarkt. In einem wilden Preis-Sprachmix aus russisch und lettisch bin ich nun stolze Besitzerin eines Kartensets und eines Schachbretts. In der Markthalle haben wir noch ein wenig rumgestöbert.
Danach waren Debbie und ich noch im Okkupationsmuseum. Das hat mir sehr geholfen die Geschichte Lettlands und das schwierige Verhältnis zwischen Letten und Russen besser zu verstehen. Die ganzen Gräueltaten und alles erst 30 Jahre her. Junge Unabhängigkeit. Der Einfluss der Deutschen überall. Schade, dass man nicht lernt in welchen Ländern das auch ne Rolle spielt. Die global player kaut man Jahre kang durch, aber alle „unwichtigen“ werden nicht mal genannt.
Lettland hat ein Drittel der Bevölkerung verloren durch Flucht und Krieg. Während sich Estland an Finnland gehangen hat und Litauen an Polen, blieb Lettland in der Mitte ein wenig zurück.
Das Baltikum ist sehr mystisch und naturverbunden. Die Nationalbibliothek in Riga wurde nach einer dieser nationalen Sagen designed. Es handelt sich um ein Schloss aus Licht. Um alle Bücher in die neue Bibliothek zu bekommen gab es wieder eine Menschenkette, die die Bücher von der alten in die neue transportiert hat. Sehr cool.
Es macht mir Spaß einen Ort tiefer zu verstehen und nicht nur, wie auf Reisen, an der Oberfläche zu kratzen.
Ich bin sehr viel draußen gewesen. In den Parks, die gefrorene Daugava. Und darauf Möwen, Enten, Raben und Spatzen. Ganz viel Sonne.
Überall Schnee und Eis. Und auf dem Eis Sand und Kies. Die Eiskönigin muss aus Lettland stammen. Wie können die Frauen hier in Röcken und hohen Schuhen auf dem Eis laufen?
Die Inflation ist krass. In Estland 25%. Dort sind die Preise schon skandinavisch. Lettland ist teurer als Deutschland, aber in Relation zum Norden, ist es schon wieder preiswert.
Ich war in der russisch orthodoxen Kirche. Der erste Kirche, seit ich hier bin. Am Donnerstag, nachdem ich in der Vorlesung viel Vorfreude hatte, vorallem auf Helsinki, bin ich dann nach Tallinn losgefahren. Im nachhinein hat mir Tallinn sehr viel besser gefallen. Auf der Busfahrt so viel Schnee und Seen mit Eisfischern, Wald und eine wunderschöne Farbe des Himmels. Achtung kitsch: Sonne ist das schönste Accessoires für Stadt und Natur.
Tallinn ist supersüß. Ich habe das kulturweit Netzwerk genutzt und bei Ben, einem Freiwilligen, geschlafen. War zum Glück gar nicht seltsam. Kaum hat er die Türe aufgemacht haben wir ununterbrochen geredet. Kleiner Abendspaziergang zur Linnahall. Einer Ruine, früher Stadthalle für die olympischen Spiele. Direkt am Meer. Windig, aber guter Blick auf die Stadt.
Die Häuser sind sehr niedrig im Vergleich zu Riga. Sehr süße Altstadt. Avi, Bens Mitbewohner war auch mit am Start. Ewig geredet, Nachmitternachtssnack und dann gut geschlafen.
Was gehört zu jeder Stadt? Richtig! Eine Freewalkingtour. Sehr viel Neues gelernt. Man ist nur Estnisch, wenn man ein startup hat. Bolt, das pendant zu uber kommt aus Estland. Genauso wie Skype. Gerade werden Essenslieferroboter entwickelt, die auch noch die Lieblingsmusik spielen. Der erste in den USA wurde leider von einem Bus überfahren.
Mit Kadri, unserem guide habe ich über Polarlichter geredet. Ein klares Zeichen des Klimawandels, dass man die gerade sogar in Deutschland sehen kann. Hat mit elektromagnetischen Phänomenen zu tun. Falls ich das jemals verstehe, hatte das in meiner Geo Vorlesung, sage ich Bescheid. Total schön viel Sonne. Hatte sogar einen leichten Sonnenbrand. Man gewöhnt sich an die Temperaturen. Ich hoffe, mir wird der Sommer in Deutschland nicht zu heiß. Am Freitag geht’s endlich in die Sauna!
Ich habe ein cooles Hipsterviertel entdeckt. Viel street art. Dann war ich in Kalamaja. Fischhaus übersetzt. Mir wurde ja schonmal gesagt Kala heißt Fisch. Maja, eines von weniggen Worten, die im estnischen und lettischen gleich sind Haus. Also das Viertel der Fischer. In der Markthalle habe ich Linsensuppe und veganes Gebäck gegessen. Die Stadt ist so cool. So modern und auf die Zukunft ausgerichtet. Ben hat mir erzählt, der einzige Ort in Tallinn in dem Kartenzahlung nicht möglich ist, ist die deutsche Botschaft… Na klar.
Ich hatte einen richtig schönen Tag.
Abends dann auf die Fähre nach Helsinki. Ganz eigene Welt. Mit shows und Einkaufsmöglichkeiten. Total absurd. Habe mich unwohl gefühlt. Deshalb lieber draußen auf dem offenen Deck gestanden und den Schneesturm auf dem Meer gespürt. War faszinierend. Helsinki ist fremd und vertraut. So weit entfernt, aber auch sehr westlich. Die Innenstadt hat mich stark an Stuttgart erinnert. Leider kein Kompliment. Aber genau wie Stuttgart hat Helsinki auch schöne Orte.
Das billigste host: cheap sleep. Der schlaf war auch ziemlich cheap. Eine witzige Sache: was war das erste was ich je mit Finnland in Verbindung gebracht habe? Die Band sunrise avenue und hollywood hills. Das glaubt mir jetzt niemand, aber welcher song lief, als ich im hostel an der Rezeption stand? Genau, hollywood hills.
Nachdem ich akzeptiert hatte, dass ich nur eine Nacht schlafen dort schlafen muss habe ich mich schnell abgefunden.
Wieder free walking tour. Der Dom von Helsinki ist schon beeindruckend.
Schnee in Helsinki. Das gehört zusammen. Ich hatte die volle Dosis. Wann sind Finnen offen? Wenn sie Alkohol trinken, singen oder nackt sind.
Anscheinend sind sie total naturverbunden. Glaube ich auch ein bisschen, genauso wie sie ein gutes Sozialsystem haben, zukunftsorientiert sind, das erste Land waren indem Frauen wählen durften UND gewählt werden konnten. Im Moment, bis zur nächsten Wahl in einem Monat, von 5 Frauen regiert wird. Ziemlich cool alles. Aber dieses Verständnis von Naturverbundenheit, da habe ich ein bisschen ein anderes. Überall gibt es Rentier- und Bärfleisch und ich habe noch nie so viele Leute mit Pelzmänteln oder Mützen gesehen. Diese Ignoranz und Unwissenheit sticht mitten ins Herz. Spricht voll gegen die Fortschrittlichkeit.
Zweite Nationalsprache von Finnland ist Schwedisch. Alkoholkonsum ist ein großes Problem. Alkohol ist zwar teuer, aber Tallinn ist ja nur 2 Stunden entfernt. Und wird zur Alkoholbeschaffung reichlich genutzt. Sehr viele Menschen mit Einkaufswagen voll Bier auf der Fähre.
Irgendwie habe ich mir Helsinki großer vorgestellt. Ich bin in der berühmten Felsenkirche gewesen, habe einen tollen Bücherladen gefunden. Habe mich so treiben lassen.
Die Zentralbibliothek Oodi besucht. Was ein Design! Ein Ort, wie ich mir Utopie vorstelle. 3D-Drucker, Maschinen jeglicher Art, Nähmaschinen, Computer, Konferenzräume, Cafe, Kino, Restaurants, so viele Plätze zum Sitzen und lernen und lesen. Hat mich tief beeindruckt.
Dann war ich so halb ausversehen in der Mensa von Helsinki. Leider habe ich nicht verstanden was auf den Schildern stand und zwei Hauptgerichte genommen. Musste glücklicherweise nicht mehr zahlen, war teuer genug und das wollte mir der Typ nicht noch antun. Endlich mal wieder was gscheits zum Essen. Hier gibt es überall so viele Fertiggerichte in den Supermärkten, überall nur Fastfood. Ist das in Deutschland auch so?
Dann war ich noch im Designmuseum, habe mir Zimtkekse gekauft und im Dom gegessen und Tagebuch geschrieben.
Zurück auf der Fähre, von einem Land mit Äs und Ös wieder ins andere.
Avi hat mich reingelassen und ich bin erschöpft von diesem Städtetrip eingeschlafen.
Heute morgen, Ben hat noch geschlafen, sind Avi und ich noch ein bisschen durch einen anderen Teil von Tallinn gefahren und haben uns gut unterhalten. Über Rassismus, Länder, Kulturschock und Bewusstsein.
Jetzt sitze ich im Bus zurück nach Riga. Habe wahrscheinlich einen neuen Mitbewohner wenn ich ankomme und im Moment eine sehr volle Blase. Kleine Homage an Josi und ihr Gedicht über ihre kleine Blase 🙂 Daran muss ich jetzt gerade denken <3
Morgen beginnen die Vorlesungen in Präsenz. Ich freue mich auf Alltag und, dass es sich gerade so anfühlt wie nach Hause zu fahren. Ich freue mich aufs Einkaufen und weiter meine Stadt zu erkunden.