Ich habe für meine Verhältnisse schon echt lange nichts mehr geschrieben. Einfach, weil ich keine Lust hatte. In den letzten Wochen ist so viel passiert. So viel Neues hat begonnen und altes ist zu Ende gegangen. Ich habe mich von so vielen Menschen verabschiedet, von meiner Wohnung, „meiner Stadt“.
Meine letzte Woche in Shumen habe ich mit meiner Tante Jasmin verbracht. Die Zeit scheint mir auch schon wieder ewig her zu sein. 40 Grad und dann ein Unwetter, so ist sie in Varna gelandet. Eine Nacht direkt am Meer, am Goldstrand in einem süßen Hotel, dass man nur erreicht, in dem man durch die Hotelanlage eines riesigen hässlichen Hotelkomplexes geht. Shopska zu jeder Tages- und Nachtzeit. Immer Desert. Der Vollmond über dem Meer. Gespräche. Schlafen mit dem Wellenrauschen als Hintergrundgeräusch. Schwimmen gehen vor dem Frühstück. Im stickigen heißen Zug Richtung Shumen. Sightseeing: Moschee, Rumys Garten, Monument und der Friedhof. Ein wirklich friedlicher Ort. Eine angenehme Zeit.
Abschiede von meinen Schülern. Vielen Dank, für die Blumen! Abschied von Elena mit einem gemeinsamen Essen und natürlich wunderbarem Shumensko, ein paar Tränen. Abschied von Viki und Rumy. Ein letzter Abend in meiner leeren Wohnung. Dann wieder im heißen Zug quer durchs Land.
Jetzt bin ich schon über eine Woche in Sofia und habe es noch immer nicht realisiert, dass ich nicht mehr in meinen Alltag zurück kehren werde. Mein erster Abend hier: Essen auf dem Balkon mit Josi und Chiemseer. Mussten beide daran denken, dass so auch unser erstes treffen verlaufen ist. Ein Abendspaziergang zu einer Bank neben der Metrostation. Ein kleiner Moment, aber als wir da so im Abendlicht saßen dachte ich mir: das ist mein Leben und ich genieße es gerade wirklich sehr. Nach diesem ersten Abend habe ich noch weitere tiefenentspannte Tage verbracht. So relaxed und zufrieden habe ich mich lange nicht mehr gefühlt. WG-leben mit Josi und Pius sieht so aus: „Machen wir Zuchinisuppe?“ „Ah ne heute doch nicht.“ Spät aufstehen. Wollen wir ins Freibad gehen? Ne doch lieber Döner essen, also wieder keine Zuchinisuppe. Einfach vor dem NDK chillen. Dann noch ein bisschen durch die Straßen schlendern und wieder zurück zum NDK. Der Himmel sieht aus wie Zuckerwatte. Mit der letzten Metro nach Hause fahren. Lange schlafen. Ich stehe auf und gehe in die Stadt. So viele Eindrücke. Mit jedem Mal gefällt mir Sofia besser. Vor einer kleinen Kapelle sitzt ein Priester mit Smartphone, langem Bart und Beatles Shirt. Ich setze mich und schreibe Tagebuch. Ich kaufe mir eine Karte für den nationalen Kinderchor. Maite begleitet mich. Innen sieht es aus wie das Bürgerzentrum in Waiblingen in schön. Wir bekommen beide feuchte Augen und Gänsehaut. Pius ruft an: „Wir machen Zuchinisuppe.“ Also machen wir Zuchinisuppe, spielen Basketball, Karten, machen eine Mirabellenschlacht. Der Weg in Josis Wohnung ohne Schlüssel: mit dem Türcode ins Nachbarhaus, hinten wieder raus, einmal über den Schulhof und wieder rein. Wenn man mit dem Aufzug fährt, der oft stecken bleibt, dann muss man unbedingt in die Hocke gehen.
Abends gehe ich auf die Abschlussparty von Elias Kollegin und lerne sie dort kennen. Seltsame Party. Viele skurrile Menschen. Die Metros fahren nicht mehr, wir nehmen ein Taxi. Zum Glück haben wir alle die selbe Adresse. Die kommunistische WG. Wir teilen alles: unser Glas, unser Wasser, unsere Bodylotion. Wir gehen in Museen. Moderne Kunst, dann Steine. Im Steinmuseum gibt es ein Glasdach, eine Orgel samt Organist, stickige Luft, die Wände bemalt mit Kirchenbildern. Wir suchen den nächsten Shopskasalat, treffen Pius und Elias zufällig in der Stadt. Sitzen auf einer Bank, fahren nach Hause, klettern aufs Dach der Schule um den Sonnenuntergang anzuschauen. Die Berge, die Blöcke im Abendlicht. Es ist 23:30 Uhr. Ich helfe Josi und Pius beim Packen und mache nebenher Shopska, was sonst? Am nächsten morgen sind wir alle früh wach. Ich mache mich auf zur Arbeit und Pius und Josi trampen nach Nordmazedonien. Beides sehr aufregend.
Eine Woche ist schon rum. Wir haben Ausflüge gemacht, ich bin Profi im Monster High Uno spielen und smalltalk halten. Die Gruppe ist toll. 11 sehr coole 8-11 jährige. Hobbys: Pizza essen, Bücher über den 2. Weltkrieg lesen, Eulen beobachten. Es ist stressig, besonders wenn man versucht die Kinder schnell durch ein Mitmach-Museum zum nächsten Workshop zu bringen, obwohl es so viele interessante Dinge gibt und man alle 2 Meter wieder ein Kind einsammeln muss.
Leider bekomme ich immer zu wenig schlaf, weil ich nach der Arbeit noch was unternehmen möchte. Fußball schauen in Elias Wohnung, die ich so cool finde. Es war ein richtiges feeling mit Pizza und Chips auf dem Sofa mitzufiebern. Nur leider gab es Elfmeter schießen… Also war wieder die letzte Metro weg, das nervt echt. Und aufgrund des Spiels, war auch keines der zahlreichen Taxen frei. Also eine Stunde nach Hause laufen. Hab unterwegs schonmal meine Augen ausgeruht und bin immer 10 Sekunden mit geschlossenen Augen gelaufen um sie dann wieder zu öffnen und auf den Weg zu schauen.
Mit Maite und Bele habe ich am nächsten Tag, nachdem ich Wäsche gewaschen habe und an der gruseligen lebensgroßen Pappmaché Puppe vorbeilaufen musste, Pitch Perfect geschaut. War wie eine Zeitreise.
Jetzt ist Wochenende. Das heißt ausschlafen! Ich war unter der Sveta Sofia Kirche im Museum. Super viele Gräber, die mich ein bisschen an Pizzaöfen erinnert haben, aber dadurch trotzdem nicht weniger gruselig geworden sind. Es war schon eine kleine Überwindung alleine dort unten herumzulaufen. Ein bisschen hatte ich das Gefühl in einer Folge von die drei Fragezeichen zu sein. Vor allem, da man den Kirchengesang der Priester gehört hat. Über mir fand zu dem Zeitpunkt eine Hochzeit statt. Generell habe ich echt viele Hochzeitsgesellschaften und hässliche Limousinen heute gesehen. Ein Abstecher in die nationale Kunstgalerie, auch ganz sehenswert.
Dann habe ich alle Utensilien für Shopska gekauft. Gab es zwar erst gestern bei Bele und Maite, aber ich glaube man kann keine Überdosis bekommen. Gestern gab es Shopska in der Hängematte auf dem Balkon mit Elias, Beles und Maites Gästen. Ein paar Spiele gespielt und das tolle daran, dass die Beiden nebenan wohnen: der Weg nach Hause ist so kurz!
Mein Leben ist echt schön: Frisbee spielen im Park, freie Limonade am NDK trinken und unter einem Baum dösen, Pius beim Kirschkerne gegen die Scheibe spucken zuschauen, mit Josi YouTube schauen und Shopska machen.
Am Montag geht es weiter mit dem Goethecamp in den Räumlichkeiten vom Soho Coworking Space. Dann heißt es wieder ein paar Menschen sitzen im Innenhof und arbeiten, 2 Hunde laufen umher und 30 kreischende Kinder rennen durch die Gegend. Ich werde immer „Frau“ von ihnen genannt. Einfach „Frau“, weil man das auf Bulgarisch so sagt. Irgendwie ist es echt lustig.
Trotzdem freue ich mich darauf ganz frei zu sein, keine Verpflichtungen mehr zu haben und in viel zu stickigen Zügen durchs Land ans Meer zu fahren.