BalkanBalkone (Tag 218-225)

Ich sitze im Zug. Er fährt so langsam, dass ich den Klatschmohn, der links und rechts neben dem Gleis wächst in Ruhe betrachten kann. Ich beschließe, dass ich von nun an eine Lieblingsblume habe. Der Kontrast zwischen grün, blau, grau und dem rot begeistert mich.

Leider dauert die Zugfahrt nur 20 Minuten. Seufzend stehe ich auf, schaue auf die Uhr und beeile mich nach dem Aussteigen auf die andere Seite des Bahnhofs zu kommen, damit ich den Bus nicht verpasse. Eine unnötige Sorge wie es scheint. Denn nachdem ich die wartenden Leute frage, ob hier der Bus nach Ruse abfährt und daraufhin ein bestätigendes Kopfschütteln erhalte, begleitet von den Worten: „Чакам, wait“, finde ich mich damit ab, dass der Bus Verspätung hat. Na ja, abfinden vielleicht doch noch nicht so richtig. Aber ich denke, dass der Bus schnell kommen wird.

Ich schaue in den Himmel: strahlend blau, die Sonne scheint mir ins Gesicht. Ich schaue auf die Betonplatten zu meinen Füßen: die ersten Tropfen fallen und werden innerhalb von Sekunden zum strömenden Regen. Zusammen mit den anderen, stelle ich mich unter das schmale Bahnhofsdach. Ich packe einen Müsliriegel aus und schaue mich um, immer darauf hoffend, das gleich der Avtobus um die Ecke düst. Auf der anderen Seite des Bahnhofs sitzt ein Mann mit Gummistiefel und langem Regenmantel. In der Hand wohl nicht das erste Bier. Ich sehe auch weitere Männer in Gummistiefeln und frage mich, ob das Angler sind, oder nur auf das Wetter sehr gut vorbereitete Bulgaren.

Der Regen hört auf. Die Wolken verziehen sich sehr schnell und ich werde wieder von der Sonne gwärmt. Ich werde von der Seite angesprochen. Ein anderer Wartender fragt mich, ob ich nach Ruse fahre, oder weiter. Ich bin etwas verwirrt, warum er das wissen möchte. Anscheinend sieht man mir das an. Er sagt, er fährt weiter nach Bucureschti. Mein Gesicht hellt sich auf und ich nicke zustimmend, bis ich merke, dass er auch zu den Kopfschüttlern gehört, weshalb ich daraufhin etwas ungelenk als Bestätigung den Kopf schüttle. Zufrieden mit meiner Antwort wendet er sich einer anderen Person zu. Neben ihm stehen eine Menge Gepäckstücke. Ich betrachte ihn weiterhin. Sein Aussehen erinnert mich an einen Buddha. Er hat eine Glatze und ein sehr freundliches breites Lächeln im Gesicht. Allerdings verhält er sich viel zu unruhig für einen Buddha. Ständig läuft er zum Kaffeeautomaten, zum Bahnhofspersonal und anderen Fahrgästen. Man merkt ihm seine Unruhe deutlich an und auch ich bin langsam gestresst. Am Tag zuvor habe ich noch Witze gemacht, dass ich den Zug verpasse, wenn der Bus Verspätung hat. Jetzt sieht es ganz danach aus, als ob mein Witz zur Wahrheit wird.

Immer nervöser halte ich Ausschau. Endlich! Nach 40 Minuten ist er da. Хайде хайде! Erleichtert rennen wir alle fast Richtung Bus. Es kommt mir so vor, als ob die Tür in Zeitlupe zur Seite gleitet. Давай! Ungeduldig und mit der Hoffnung, dass ich es doch noch rechtzeitig nach Ruse schaffe, sichere ich mir einen Platz und denke es geht sofort los. Aber ich habe die Rechnung ohne den Busfahrer gemacht. In aller Ruhe steigt er aus um erstmal eine Zigarette zu rauchen. Ich drehe fast durch vor Ungeduld. Dann kommt auch endlich der Kontrolleur um die Ecke. Sie unterhalten sich noch ein wenig, bevor sie sich dazu bequemen in den Bus zu steigen und ab geht die Post!

Wenn es mir sonst immer ein wenig zu rasant ist, möchte ich den Busfahrer heute am liebsten zu noch waghalsigeren Überholmannövern überreden. Zum Glück habe ich meinen Buddha-Verbündeten dabei, der den Kontrolleur fragt, ob er noch seinen Zug schafft. Den scheint das nicht wirklich zu interessieren. Also komme ich zum Einsatz. Buddha erklärt, dass hier die Deutsche auch in den Zug will. Sofort erwacht er zum Leben und holt sein Handy heraus. Ein paar Anrufe später weiß ich noch immer nicht genau, ob wir es in den Zug schaffen werden. Vor lauter Stress bin ich total verspannt und bekomme Kopfschmerzen. Wenn wir anhalten, dann muss immer jemand rauchen, oder aufs Klo gehen. Wenn der Bus dann endlich wieder losfährt, steht ein Auto im Weg und obwohl der Busfahrer hupt, wacht der im Auto mit offenem Mund schlafende Besitzer nicht auf um sein Auto umzuparken. Aus lauter Angst auf die Uhr zu schauen und weil mein Akku bald leer ist beschließe ich zu schlafen. Als ich aufwache regnet es wieder. Wir fahren auf schmalen Straßen, durch hübsche Dörfer, vorbei an Ziegen und Kühen, die halb auf der Wiese, halb auf der Straße stehen. Wir sind fast in Ruse, ich traue mich endlich auf die Uhr zu schauen. Der Kontrolleur und Buddha unterhalten sich wieder. Ich verstehe, dass der Haltestellenplan geändert wird. Wir fahren zuerst zum Bahnhof und danach zu den anderen Stationen. Ich bin erleichtert, aber kann mich erst entspannen, wenn ich es in den Zug geschafft habe. Auf Mission mit Buddha. Wir steigen aus, Fuß in Pfütze, ich verfluche mich, dass ich nicht an meine Regenjacke gedacht habe. Weil Buddha mein Verbündeter ist, möchte ich ihm mit seinem Gepäck helfen. Doch das lässt er nicht zu. Wir streiten eine Weile, bis ich einsehe, dass wir den Zug verpassen werden, wenn ich weiter darauf beharre ihm zu helfen. Er zeigt Richtung Bahnhofsgebäude und sagt, ich soll schonmal vorrennen zum Ticketschalter.

Ich kaufe mein Ticket während er sein Gepäck verläd. Völlig fertig überlasse ich dem Polizisten meinen Ausweis und setze mich in die Deutsche Bahn, in der Hand mein Ticket auf Deutsch. Wir fahren los. Buddha läuft an mir vorbei und streckt erleichtert seinen Daumen in die Höhe. Wir haben es geschafft. Über die Donau rüber sind wir schnell in Bulgarien. Ich weiß nicht, warum ich dachte, dass ein Fluss als Grenze bedeutet, dass es am anderen Ufer plötzlich anders aussieht. Ist nicht der Fall. Immernoch Regen, Müll en masse, ein leuchtend grüner Urwald. Nur sehen die Mensche anders aus und die Plattenbauten werden niedriger. Wieder und wieder nicke ich ein. Wir fahren nach Bukarest. Vor lauter Regen sehe ich nur sehr wenig. Am Bahnhof Gara de Nord steige ich aus und laufe in Richtung Metro. Die sieht in Sofia auf jeden Fall edler aus.

Ich kann kein einziges Wort rumänisch, weshalb sich die ganze Situation: neuer Ort, neue Menschen voll nach neuem FSJ anfühlt. Zum Glück hlft mir die Frau am Ticketschalter und zeigt mir, dass ich direkt mit Kreditkarte die Metro bezahlen kann. Kein Müll entsteht und es geht super schnell. Ich bin beeindruckt. Ich möchte meine Dankbarkeit zeigen, weiß aber absolut nicht was ich sagen soll. Auch mein Lächeln hilft unter der Maske nicht viel weiter. Rumänisch hört sich für mich nach einer Mischung aus Niederländisch und Italienisch an. In der Metro schaue ich erstmal auf den Plan, ob ich auch richtig bin. 2 Stationen und wieder raus. Das erste was ich sehe: Dynamo Bukarest. Um ein Foto zu machen trete ich in die nächste Pfütze. Ich laufe die Straße entlang. Eigentlich immer nur gerade aus, aber dann doch ab und zu abbiegen. Die Häuser sind niedriger als in Bulgarien. Es fühlt sich an also ob ich in einer großen Kleinstadt bin, obwohl es eher eine kleine Großstadt ist. Es sieht schön aus. Und wie immer denke ich „ein bisschen französisch“. Alles scheint wie eine Filmkulisse. Ich muss auf die Toilette und beschleunige meine Schritte. Vor mir erblicke ich ein Haus und bevor ich auf die Adresse schaue weiß ich, dass das das Haus der Bukarest WG ist in der ich übernachten werde.

Luca, Anni und Anne erwarten mich. Später wird noch Anna dazustoßen… Und wie immer, wenn man neue kulturweit Freiwillige trifft, kommt man sofort ins Gespräch und kann sich austauschen über die Gemeinsamkeiten und Unterschiede, die das Land betreffen. Dann trifft auch Sophia in der WG ein und nach einer Runde Billahummus, dem inoffiziellen kulturweit Snack schlechthin, ziehen wir los in die Stadt. Luca gibt uns eine abendliche Stadtführung, wir machen uns auf in die Innenstadt. Immer dem Bass hinterher. Das ganze Viertel scheint zu pulsieren. Anscheinend heißen alle Freiwilligen in Rumänien gleich und kommen aus Baden-Württemberg.

Am nächsten Morgen wachen wir aufgrund der stickigen Luft im Zimmer auf und schleichen uns aus der Wohnung um die anderen nicht zu wecken. Ich probiere allerlei rumänische Spezialitäten, Sophia und ich schauen uns ein paar Kirchen an und ich bin beeindruckt vom Gesang eines Priesters und mit welcher Hingabe die Leute in der Kirche ihren Glauben ausleben.

Am größten Brunnen der Stadt machen wir halt und werden sofort von einem Polizisten, dessen Aufgabe es anscheinend ist dafür zu sorgen, dass niemand am Brunnen sitzt, vertrieben. Aus sicherer Entfernung von seinem Schlagstock, beobachten wir wie der Brunnen gereinigt wird.

Arbeiten oder Mittagspause?

Der Brunnen ist so laut, dass man den Verkehrslärm nicht mehr hören kann. Ich mag den Ort. Im Hintergrund kommunistische Blöcke mit kapitalistischen Werbeplakaten. Auf diese Ironie hat mich Sophia aufmerksam gemacht.

Wir laufen weiter. Ein richtiges Zentrum scheint es nicht zu geben, also laufen wir von Park zu Park. Vor dem Parlamentspalast, einem der größten Gebäude der Welt, und nach dem Pentagon dem zweitgrößten Parlament, bleiben wir stehen und buchen eine Führung für den nächsten Tag. Fynn hatte mir schon sehr vom Parlament vorgeschwärmt, und es sieht wirklich beeindruckend aus.

Wir lassen uns treiben, finden immer mehr schöne Gebäude. Die Architektur der Stadt beeindruckt mich. Neubauten und altes in einem verbunden. Alles sehr niedirg, grau und so viele Säulen und Stuck. Ich kann gar nicht genau beschreiben, warum ich das alles so faszinierend schön finde.

2 meiner Lieblingshäuser

Wir beobachten die Leute auf der Straße, die Autos fahren nochmal ne Ecke rasanter, ich habe Angst die Straßen zu überqueren. Die Bänke sind alle in superschönen Gebäuden.

Vor dem Geschichtsmuseum suchen wir Schutz vor dem nächsten Regenschauer und essen danach Langosch, natürlich die rumänische Art.

Wir treffen uns mit den anderen bei der aufgespießten Kartoffel. Einem Denkmal für das Ende des Kommunismus und machen uns dann auf zur legendären Tischtennisplatte, an der man anscheinend ganz Bukarest trifft. Sie steht in einem Park, der sehr verwunschen aussieht. Außerdem gibt es eine futuristische Toilette, alte und junge Schach- und Rummikubspieler und uns, die die Tischtennisplatte als Ort für das perfekte Picknick wählen. Rumänisches Bier schmeckt besser als bulgarisches. Es gibt sogar Glasflaschen! Und Eightpacks anstatt Sixpacks, die Rumänen scheinen mehr Freunde zu haben, oder einen höheren Bierkonsum. Nach und nach trudeln die anderen ein und die Bartour kann beginnen. In der Stammkneipe, two bastards, trinken wir auf dem Gehweg, zwischen Fahrradweg und der Straße eingequetscht unser erstes Bier. Das Abendlicht taucht die Gebäude in rosa Licht, die Menschen sind freundlich und wir lustig drauf. Nachdem alle nochmal aufs Klo gegangen sind kommen wir langsam in Stress. Schnell weiter zum Oktoberfest! Die Bar mit dem billigen Bier. Wir ziehen von Bar zu Bar, tanzen, trinken und genießen die Nacht. Treffen unzählige Menschen, unterhalten uns auf verschiedenen Sprachen in einem Mischmasch und landen am Ende wieder im Park. Es ist spät, es ist kalt, ich bin müde. Die anderen scheinen mehr Energie zu haben. Es wird hell als wir schlafen gehen.

Sehr unausgeschlafen findet man Sophia und mich ein paar Stunden und eine Runde Mikrowellenporridge später im Parlament. Wow! Die Säle sind echt krass! Jeder Raum wird vom nächsten noch einmal übertroffen.

Wir laufen durch die Stadt, unterhalten uns in Parks, ich esse zum ersten Mal Pastei de Nata, in Bukarest, nicht in Lissabon. Wir verlieren uns in einem Buchladen in unserer Fantasie, betreten ein „hohes“ Gebäude und laufen bis ins oberste Stockwerk.

Dort stehen drei Klappstühle, das sehen wir als eindeutige Einladung, lassen uns nieder und schauen aus dem Fenster, erschöpft vom Stadtrundgang, der Hitze und dem Schlafmangel. Wir stöbern in einem Vintage Laden und treffen uns wieder im Park. Ich bin so fertig, habe keine Kraft mich zu unterhalten. Lausche den Straßenmusikern, höre dem Klang des Tischtennisspiels zu und versuche mich auf die Gespräche um mich herum zu konzentrieren. Aber es gelingt mir nicht. Nachdem wir ein paar Stunden auf den Bänken saßen, gab es eine neue Mission: Essen besorgen. Ein Spaziergang zu Carrefour. Im Abendlicht, bei der genau richtigen Pullitemperatur spazieren Sophia und ich am Fluss entlang, machen halt und schauen uns intensiv um. Im Wasser spiegeln sich die Höuser, der Mond ist schon am orangenen Himmel zu erkennen. Wir sind mitten in der Stadt, es ist laut und trotzdem seltsam friedlich.

Nach dem Einkaufen geht es einmal mehr quer durch die Stadt. Abwechselnd löffeln wir unser veganes Salted Caramel Eis, während es langsam dunkel wird. In der WG Küche, die absolut nicht für 8 Personen ausgelegt ist, schaue ich den anderen beim Kartoffeln schälen zu. Lasse die Situation auf mich wirken und muss manchmal lachen über eine Aussage, oder einen Gesichtsausdruck. Wir essen Kartoffeln mit Krautwickel und Tomatensoße. Das scheint den anderen wieder Energie zu geben. Auf gehts in die Stadt! Ich entscheide mich in der WG zu bleiben und Sophia und ich verbringen einen ruhigen Abend auf dem Balkon. Tee trinken, Musik hören und bei Kerzenschein unterhalten.

Die Stadt unter uns liegt ruhig da. Ab und zu düst ein EScooter vorbei, ansonsten hört man kaum ein Geräusch. Ich liebe Balkone! Die frische Luft tut gut, wir sitzen auf Klappstühlen, die Füße auf dem Geländer, bis wir langsam so schläfrig werden, dass eine Unterhaltung kaum mehr möglich wird.

Am nächsten Morgen geht es für mich wieder zurück nach Bulgarien. Wie viel in 72 Stunden Rumänien passiert ist. Die Eindrücke, totale Reizüberflutung, im Zug nicke ich ein paar Mal ein. Ein Taxifahrer in Ruse hört nicht auf mir eine Taxifahrt nach Shumen schmackhaft machen zu wollen. Entnervt gebe ich meinen Vesperplatz vor dem Bahnhofsgebäude auf und setze mich auf eine Bank am Bahnsteig. Der Zug ist leer. Das Fenster bleibt wie immer nicht unten, weshalb ich meinen Rucksack an den Griff hänge.

Ohne den Fahrtwind wäre es aber auch echt zu stickig. Wieder schlafe ich ein. Bulgarische Züge haben sowas geborgenes. Wenn man ein Abteil für sich alleine hat, Schuhe ausgezogen, Musik hörend, aus dem Fenster schauend und seinen Gedanken nachhängend, vergesse ich für eine Weile alles um mich herum.

In Zügen fühle ich mich frei, Busse stressen mich und mir wird schlecht, ich fühle mich eingesperrt. Wie immer auf der Heimfahrt plane ich unterwegs meine Einkäufe. Mit letzter Kraft schleppe ich mich zu Billa um dann in meiner Wohnung anzukommen. Seltsam wie ich bin, gönne ich mir keine Pause, bevor ich nicht mein Essen (Linsencurry) gekocht, den Rucksack ausgepackt und geduscht habe. Dann erst bin ich angekommen.

Am nächsten Tag ist mal wieder ein Feiertag. Das heißt: Nationalhymne, Flaggen tragen, und natürlich der obligatorische Blumenkranz vor jeder Statue. Es ist der Tag der kyrillischen Schrift. In der Stadt auf einer Bühne tanzen Kinder Volkstänze. Ich gehe mit den Deutschlehrerinnen Kaffee trinken, bin aber noch immer müde vom Wochenende und genieße es, wieder alleine in meiner Wohnung zu sein. Beschäftigung habe ich genug. Ich lese die Mappen der 11.Klässler durch, schreibe hier und da Tipps und Anregung auf, gebe ihnen Feedback und überlege, was sie noch verbessern können. Es sind teilweise wirklich anspruchsvolle Themen, die sie gewählt haben. Beim zurückgeben der Mappen wirken sie ein bisschen erschlagen und ich versuche ihnen Motivation zu geben. Auf jeden Fall wirken alle, als ob sie genug Ideen haben. Ich bin zuversichtlich. Mit der 10.Klasse sammle ich Argumente für unsere Covid-talkshow und bringe ihnen Jugendsprache bei. Sie bringen mir auch bulgarische Jugendsprache bei, leider vergesse ich alles sofort wieder. Der Ausruf: bist du vom Wald gefangen? Gefällt mir aber sehr gut. Bedeutet so viel wie: bist du verrückt?

Wie jeden Abend, genieße ich es auf dem Balkon zu stehen, während ich meine Zähne putze. Wie putzen Leute ohne Balkon ihre Zähne? Die kühle Abendluft tut so gut. Schon krass wie Wasser und Luft so verschieden sein können.

Ich schaue mir die Bilder an, die diesen Monat entstanden sind und kann kaum glauben, wie viel schon wieder in so kurzer Zeit passiert ist. Jedes Wochenende unterwegs zu sein ist schon so zur Gewohnheit geworden, dass die Vorstellung das Wochenende nicht wegzufahren mir sehr seltsam vorkommt. Aber ich weiß, dass ich mal eine Pause brauche. Einen Gang runterschalten, Kräfte sammeln für die kommenden Wochen und mal wieder ein bisschen für mich alleine sein. Dann bin ich auch wieder bereit für die nächsten Abenteuer, die Bulgarien für mich bereit hält!

Mein Besitz in einer Billatüte, Zeitraffer Bulgarien (Tag 212-217)

Zdrasdi,

ich hab richtig Lust mal wieder ein paar Alltagsbeobachtungen aufzuschreiben, meine Gedanken zu ordnen oder auch die Sätze zu teilen, die ich im letzten halben Jahr wahrscheinlich am öftesten gesagt habe.

„Вие говорите англиски?“ (Vie govorite angliski? –> Sprechen sie Englisch?)

Den Satz, den ich viel zu oft ziemlich französisch betont habe und auf den ich meistens die Antwort „Ne.“ bekommen habe, das aber gar nicht wahr ist. Irgendwie kann doch jeder ein wenig Englisch. Und trotzdem ist es vielleicht ganz gut so, weil ich dadurch immer gezwungen werde aus meiner Komfortzone zu treten und mein Gehirn mal wieder angeregt wird zu verstehen, was mein gegenüber mir mitteilen möchte. Ob das nun die Bezeichnung für Süßkartoffel, die Information, dass ich einen Einkaufswagen benötige, oder ein Kompliment für meine Hose ist (hoffe ich zumindest…). Auf jeden Fall ein Klassiker unter den meist verwendeten Sätzen.

Auch beim Verschicken von einem Paket mit Speedy – es ist wirklich total nervig, dass ich Speedy von meinem Haus aus sehe, aber einen riesigen Umweg machen muss, weil zwischen mir und dem Laden 2 Straßen und ein Fluss liegen und die nächste Überquerung voll weit entfernt ist – konnte ich mich auf Englisch-Bulgarisch verständigen. Alle Sachen wurden sehr sicher verpackt, wobei ich den ganzen Betrieb aufgehalten habe und gefühlt alle meine Daten hergegeben habe, damit das Paket auch sicher ankommt.

Highlight an diesem Tag war, dass ich tatsächlich Joghurt im Glas gefunden habe. Im Laden, der billigere Nüsse hat als Billa: Nirvana. Sonnenblumenkerne mit Schokolade umhüllt, einfach genial! Ich fühle mich irgendwie Pseudogesund, wenn ich die esse. Mein Konsum ist ziemlich gestiegen… Letztens habe ich den Schuldirektor beim Bäcker meines Vertrauens getroffen und da ich immer sehr schnell mit smalltalk überfordert bin habe ich ihn gefragt was sein Lieblingsbrot ist, woraufhin er mir geantwortet hat, dass er immer nur Süßes kauft. Auch gut. Habe ich ihm gleich nachgemacht.

Außerdem sehe ich nur noch E-Scooter um mich herum. Werden die gerade noch mehr gehyped? Ist das auch in Deutschland so? Die Menschen fahren auf der Straße damit. Der Scooter wird mit an den Tischim Café und sogar mit an den Strand genommen. Rollatoren für alte Menschen, E-Scooter für verspielte Erwachsene und das Rollatoren pendant für Kleinkinder: kleine elektrische Autos, die einen höllischen Lärm machen und noch langsamer fahren, als die Züge hier. Letztens habe ich sogar ein Minimotorrad mit schlechtem, aber trotzdem krass, Radiolautsprecher gesehen, aus dem der all-time Klassiker „Let it go“ ertönte. Ich bin mir sicher, der Kleine ist der Schwarm aller 3-5 Jährigen.

Apropos 3-5 Jährige. Die scheinen hier alle eine große Leidenschaft zu teilen: Tauben jagen. Kein Wunder also, dass die Tauben total durch den Wind sind und halsbrecherische Manöver fliegen, weshalb ich mich regelmäßig ducke, wenn ich durchs Zentrum laufe und deshalb ausgelacht werde. Aber hey: besser ausgelacht als Taube in den Haaren.

Endlich habe ich auch mal wieder Viki gesehen! Es war so viel los, aber richtig schön wieder bei ihr in der Wohnung die beste Aussicht auf Shumen (natürlich nicht so gut wie vom Monument, aber fast) zu haben. Ihre Mutter, die gerade frisch Pinterest für sich entdeckt hat, hat Foccacia gemacht. Ähnelte aber eher einem Gemälde von Van Gogh oder so 😉

Außerdem gab es Rharbaberkuchen. Auf Balkonien. Für den Balkon haben wir uns mit Hilfe einer Münze entschieden. Kopf = Balkon, Zahl = Garten. Zum Kuchen gab es türkischen Granatapfeltee. Der Balkon ähnelt einem Strandkorb im Pflanzenparadies, der perfekte Frühlingsnachmittag. Wir haben über Studium, Job, Politik, Flüchtlinge und unsere Sommerpläne gesprochen. Richtig schön.

Auf dem Heimweg wurde ich von der Orchestermusik, die vor dem Theater gespielt wurde, begleitet.

„Аз говориям малко български“ (As govorijam malko bulgarski –> ich spreche ein wenig bulgarisch)

Und daraufhin immer wieder die Antwort: wow, das ist doch nicht wenig, sehr gut, sehr gut. Na ja.

На добър час Абитуриенти! Auf eine gute Zeit Abiturienten! Das war das Motto letzten Freitag. Nicht nur in der Schule, sondern in der ganzen Stadt, wie sich später noch herausstellen sollte. Im Gegensatz zu Deutschland, ist hier die Abifeier vor den Abiprüfungen, die diese und nächste Woche anstehen. Das heißt, dass am Freitag alle Blumenläden ausverkauft waren, alle Familien schick, auch mit schicker Maske, vor der Schule standen und die Abiturienten gefeiert haben, die alle in schöner Kleidung und mit so viel Motivation, wie ich sie im Klassenzimmer nie gesehen habe, aus tiefster Kehle ihre Freiheit beschrieen haben. Luftballons, Musik, Reden, Geschenke, Feuerwerksknaller, Blumen, die Übergabe des deutschen Sprachdiploms. Die Stimmung war festlich und auch ein wenig sentimental. Ich habe mich an meinen eigenen Abschluss erinnert, der Covid bedingt nicht so gefeiert wurde und deshalb habe ich mich gleich doppelt für sie mitgefeiert. Die ganzen planlosen Schüler, die das Schulende so herbeigesehnt haben und jetzt vor einem neuen Lebensabschnitt stehen.

So wie ich vor einem Jahr. Altes Leben, 2 Stunden im Flugzeug, komplett neues Leben, und bald ist dieses neue Leben hier zu Ende und es heißt hoffentlich Zug und nicht Flugzeug zurück und wieder eine komplette Veränderung in einen neuen Lebensabschnitt. Ich habe die Zeitrafferoption an meiner Kamera für mich entdeckt. An sich fühlt sich diese ganze Zeit hier an wie mit dem Zeitraffer aufgenommen. Immer neue Eindrücke. Angekommen, Zack, halbes Jahr rum, Zack, keine Zeit um still zu sitzen, oder doch irgendwie schon. Trotzdem verfliegt die Zeit. Alles geht so schnell, aber irgendwie reflektiere ich doch ziemlich viel.

Auch im Lehrerzimmer wurde mit einem großen Büffet und dem Banizasong singend gefeiert, dass die 12.Klasse bald die Schule verlässt. Aus Platzmangel haben ein paar der Deutschlehrerinnen und ich uns auf den Weg in ein Café gemacht. Die Idee hatten anscheinend auch alle Abiturienten Shumens. Unterwegs eine Autokolonne mit hupenden Autos und in jedem Café laut rufende Schüler. Dafür ernteten sie Kopfschütteln von den Deutschlehrerinnen, die mir erklärten, wie verrückt sich die Schüler verhalten, aber ich glaube insgeheim haben sie sich auch mitgefreut. Da unterhalten wegen der lauten Musik und den Rufen ziemlich schwierig war, haben wir stattdessen ein bisschen mitgetanzt und uns dann alle mit Kopfschmerzen auf den Heimweg gemacht. Da alle Schüler frei hatten, habe ich mich gefühlt wie ein Promi als ich durch ide Stadt gelaufen bin und von allen Seiten gegrüßt wurde. Auch oft etwas unsicher, weil ich mir noch immer nicht alle Gesichter merken kann.

Im Eiltempo habe ich meine Wohnung geputzt und dann ganz genau Josis Anforderungen befolgt sie mit einem Paar Socken, dass mindestens bis zur Hälfte der Wade reicht und einem Wegbier vom Bahnhof abzuholen und ihr die Stadt und das Monument zu zeigen.

Am Bahnhof habe ich ein altes Paar beobachtet, sie den Arm um ihn legend in die Richtung schauend aus der der Zug kommen sollte. Eine schöne Alltagsbeobachtung. Und ein schönes Bild.

Dann mit der Josi auf zum Monument. In der schwülen Abendluft sind wir ganz schön ins Schwitzen gekommen. Auf der wortwörtlichen Instagramplattform haben wir usn hingesetzt und die Schokosonnenblumenkerne gegessen. Dann gab es Pizza, Döner und Ayran und zum Nachtisch noch einen Cocktail bei Bacardi. Davor habe ich von Josi noch die grüne Strickjacke bekommen, die wir zusammen in unserer ersten Woche in Sofia gekauft haben und die nun mir gehört. Trotz der Freude habe ich das Gefühl sie ist froh eine Sache weniger in ihrem Koffer unterzubringen und ich verzweifle langsam daran all meine Sachen zu verstauen…

Nachdem wir müde in meiner Wohnung angekommen sind, Josi mit den Worten: „Ich schlafe doch nicht auf einer Tischdecke!“, mein Bett frisch bezogen hat und ich aufgrund dieser Aussage so lachen musste, dass ich mich fast an meinem Karottenbrot verschluckt hätte, haben wir noch ein bisschen gequatscht, ich habe meine „Tischdecke“ (feinstes Satin, Spaß) verstaut und sind dann schlafen gegangen.

Neuer morgen, neues Müsli. Haben unseren billigen Nussvorrat, Beernuts müssen sein!, aufgefüllt und den Markt besichtigt. Nachdem wir eine Flüssigkeit in kleinen Wasserflaschen, die uns stark an Apfelsaft erinnert hat und wir deshalb nicht weiter auf Schilder geachtet haben kauften, Josi den ersten Schluck nahm und gleich wieder ins Gebüsch spuckte, mussten wir unseren Fehlkauf des Tages eingestehen. Apfel ja, aber nicht Saft, sondern Essig.

Also haben wir uns mit einer Flasche Essig im Rucksack aufgemacht und ich bin zum ersten Mal mit dem Bus nach Varna gefahren. Geht natürlich schneller, aber mir ist irgendwie schlecht geworden. Zug fahren fühlt sich einfach mehr nach Freiheit an. Im Bus fühle ich mich eingesperrt. An diesem Tag war in Shumen eine Autorallye, der wir durch unseren Ausflug aus dem Weg gegangen sind. Aufheulende Motoren sind mittlerweile zu einem trigger für mich geworden, weshalb ich umso erleichterter war, als wir in Varna in einem Restaurant am Strand saßen, mit den Füßen im Sand und dem Blick aufs Meer. Alles sieht jetzt so verändert aus. Man kann nicht mehr weit schauen, weil die Bäue Blüten und Blätter haben, es gibt so viele grüntöne, die Sonne bräunt unsere Haut, der Sand entfernt unsere Hornhaut. Am Strand waren für unseren Geschmack viel zu viele Deutsche. Medizinstudenten, die wir neugierig belauscht und beobachtet haben.

Ein so entspannter Tag, im Sand liegen, die Beine eingraben, schreiben, schauen, dösen. Hat wirklich gut getan. Was darf an keinem Tag fehlen? Natürlich: Second Hand Shopping! Habe ausnahmsweise nichts gekauft. Rückfahrt mit dem Zug. Der Klatschmohn, der auf den Wiesen wächst und so im Abendlicht geleuchtet hat, hat mich total fasziniert. Wir haben eine Achtklässlerin von mir und ihre Freundin getroffen und uns ein bisschen unterhalten. Auf Englisch, Spanisch, Französisch, Bulgarisch, sogar ein bisschen Deutsch war dabei. Nachdem uns ganz trocken gesagt wurde, dass wir wie 15 aussehen und Josi trocken zurück gegeben hat:“ Ihr auch.“, wurde das wichtigste natürlich sofort abgefragt: die Frage nach dem Sternzeichen. In Bulgarien aus keinem Gespräch wegzudenken, eine wirklich unverzichtbare Information, wodurch ich mich tatsächlich auch wieder mehr damit beschäftigt habe. Halb ironisch, halb ernst. Im Weltuntergangssommerregen sind wir dann sehr schnell nach Hause gelaufen um Kartoffelpuffer mit Ofengemüse zu machen.

„всичко“ (vsitschko = alles)

Klassiker Antwort auf всичко. Beim Bäcker, auf dem Markt oder in der Schule. Nach 7 Monaten noch immer mein Lieblingswort.

Den letzten morgen mit Josi in Shumen verbrachten wir in der Moschee. Saßen auf dem Boden und sahen uns die Decke an. EIne wirklich schöne Moschee. Auch nach meinem 5. Besuch. Natürlich haben wir auch dort Pralinen bekommen (erst kürzlich war das Zuckerfest). Ob in der Moschee, beim Trampen, auf der Straße, in der Schule, überall bekommt man immer wieder Pralinen. Da всичко zu hatte, gab es ein schnelles Frühstück zuhause und dann ging es auch schon mit dem Taxi zum Bahnhof. чао чао Josi!

„Добре“ (dobre = gut)

Hört sich viel besser an als gut und man fühlt sich gleich bulgarisch.

Mai ist wirklich ein seltsamer Monat. Ganz viele Feiertage und freie Tage und dann wieder 7 Stunden in der Schule, DeutschAG, Projekte planen, absprachen, merken wann man wo sein soll und mit welcher Klasse man was genau macht. Kein wirklicher Alltag.

Meine Konstanten: in der Quarantäne habe ich tatsächlich Freundschaften geschlossen. War mir damals gar nicht so bewusst. Aber der alte Mann, den wir immer beim Autos einweisen beobachtet haben wohnt bei mir im Haus und grüßt mich immer im Treppenhaus. Und der kleine Nachbarsjunge vom Wurstbalkon schaut immer ganz schüchtern gerade so über das Geländer zu mir rüber und versteckt sich dann wieder. Ich lächle ihm beim Wäsche aufhängen zu, winke, wenn ich meine Zähne mal wieder auf dem Balkon putze und freue mich diese besondere Freundschaft mit einem kleinen Bulgaren zu haben, und wir uns beide immer freuen, wenn wir gleichzeitig auf unseren Balkonen sehen.

Ich mag es sehr mit den Schülern Diskussionen zu führen, ihre manchmal verrückten Ideen zu hören und zusammen zu lachen. Humor funktioniert trotz Sprachbarriere. Heute wieder mein Lieblingsthema Konsum Lösung Teilen. Waren uns alle einig, dass man Sportschuhe nicht teilen sollte, wegen Fußpilz und weil die Füße von anderen stinken. Mit allen Schülern wieder in der Schule, füllt sich auch das Lehrerzimmer. Die Schüle wird lebendig und hoffentlich gewöhnen sich die Schüler bald wieder an den Schulalltag und dass man in der Schule mehr machen muss als vor dem Bldschirm. EIne wirklich schwierige Situation.

Heute ist hier auch ein orkanartiger Sturm zu spüren. Ich taufe es Sturmtief Baniza. Ein richtiges workout sich gegen den Wind zu lehnen. Mein Fenster muss ich gar nicht aufmachen um zu lüften. DIe Fenster sind so undicht, dass der Wind auch in der Wohnung zu spüren ist. Ein bisschen zu wenig.

Vorhin habe ich einen Teil meines Lebens in eine Billatüte gepackt. Schon verrückt. Alles was ich besitze muss ich irgendwie nach Hause transportieren. So auch meine Bücher und Winterklamotten, die ich an Sophia weitergebe und ihr Onkel sie mit nach Deutschland nimmt. Und dann mache ich erstmal eine Deutschlandtour und sammle alle meine Sachen wieder ein.

Und zu guter letzt: „хайде айде“ (Chaide, Haide, Aide = auf gehts oder sowas in der Art)

Хайде Чао!

 

 

Der Anfang von Träumen (Tag 196-211)

Je seltener ich schreibe, desto schwammiger werden die Einträge. Also ist es an der Zeit meinen Gehirnschwamm mal wieder ordentlich auszuwringen.

Kleine Gedächtnisstütze für mich beim Schreiben: abhängen mit dem landesbesten in Tetris, Schulabschlussbräuche in Bulgarien, Skorpione und Schlangen, 3 Evas im Wasser, 1.Mai Wanderung zu Billa, 3 mal um die Kirche laufen, Morgensmeditationsstimmung, die überraschendste Kirche Bulgariens, internationales Treffen am Fluss, Abendsonne auf der Brücke, eine fast verpasste Lichtshow, ramontische Abendstimmung auf einem Gebäude am Fluss, Zuggespräche, Stara Zagora, der krasseste Hostelempfang aller Zeiten, überall Schilder, ein ungenutztes Flussufer, die Hügel von Plovdiv, Hinterhofgespräch, Essen gehen nicht nach 21 Uhr, ein ausgiebiges Frühstück, die längste Fußgängerzone Europas, Antiquitätenramschladen, Restaurantauswahl, Abendsonne mit bulgarischem Snack, eine lustige Runde mit neuen Spielregeln, ein Spiel für 2-jährige, das Hosentasche-Zahnputz-Phänomen, Mission Hügel, Opa Bielefeld, Bishops Basilica mit Kinderecke, die Kichererbsenvergiftung, die andere Seite vom Hügel. die Angst sich in das falsche Bett zu legen, Tipps fürs Dorf, Busbahnhofidylle, Trojanpass, Lidlwanderung, wandern zur Kreuzung, nachhause trampen, Omas auf Bänken, die Haustour, bulgarischer Couscous, Sternenhimmel, Wasser holen an der Quelle, das meistbesuchte Naturkundemuseum Bulgariens, Schmetterlinge, Museumskonzept, Trojankloster, kitschige Schwäne, Kapelle im Wald, durchs Gestrüpp, eisiges Wasser, Lagerfeuergespräche, nächtliche Haustour, wandern um 15 Uhr, die Wichtigkeit von Handys und Pfeilen, Hüttentour, trailrunning, Ausnahmesituation, Reizüberflutung im Restaurant, 1 Liter Ayran, Zug nach Hause, Alltag Essen schwierig, die richtige Aussprache von Щъркел, Stadtfest mit bulgarischem Kuschelrock Konzert.

Okay, ganz schön viel, aber eigentlich ist damit auch schon alles gesagt. Ich geh mal noch ein bisschen ins Detail.

Vor gar nicht all zu langer Zeit hat die Deutsch-AG einen Ausflug auf das Schumenplateau gemacht. Wir haben Spiele gespielt, Aussichten erkundet und die Schüler waren so süß begeistert von der Natur, dass sie gar nicht mehr nach Hause wollten. Von Marin wurde ich aufgefordert seinen Tetrisrekord zu knacken. Natürlich habe ich die Herausforderung angenommen und dann doch mal nachgehakt, was denn sein Rekord ist. Antwort: Ich bin Landesbester. Ach so. Tja, ist er immernoch…

Am nächsten Tag hatte ich eigentlich eine Stunde mit den 12.Klässlern, die ganz aufgeregt ankamen um zu fragen, ob sie in meiner Stunde ihre Lehrerin zur Abifeier einladen können. Natürlich habe ich ja gesagt. Da wusste ich noch nicht was auf mich zukommt. Ich habe mich hinters Pult gesetzt und dem Herumgewusel der Schüler zu geschaut, die gerade dabei waren ihre Lehrerin herzulocken. Alle sahen so herausgeputzt aus, da hätte ich eigentlich schon stutzig werden müssen. Dann wurde eine Torte aus einer Konditorei auf den Tisch gestellt und ein ziemlich kitschiges Luftballonding. Da dachte ich mir schon: krass die geben sich ja richtig Mühe. Ich drehe meinen Kopf Richtung Tür, durch die plötzlich ein Kamera- und ein Videomann hereinkommen und anfangen mich und die anderen zu filmen. Ich war so verwirrt. Dann wurde ich aufgeklärt, dass dieses ganze Trara immer so ist. Ein Video davon wie die Lehrerin zur Abifeier eingeladen wird!!! Wow. Sie kam, hat sich gefreut, es wurden Gruppenfotos gemacht und ich habe auch ein Stück der unglaublich leckeren Torte bekommen. Also alle zufrieden. Abends war ich so glücklich über meine Pläne und voller Vorfreude, dass ich alleine in meiner Wohnung plötzlich laut lachen musste vor Glück. Ein schönes Gefühl.

Da das orthodoxe Ostern einen Monat später ist, gab es ein paar Tage schulfrei, die ich sehr ausgiebig genutzt habe. Mit dem Zug ging es am 1.Mai nach Veliko Tarnovo. Dieses mal im gefühlten Hochsommer. Kurz bevor der Zug ankam habe ich aus dem Fenster heraus Paula und Frida den Zug filmen sehen. Nachdem ich mein Gepäck im Hostel abgeladen habe, haben wir uns erstmal getroffen. Im Park auf einem Berg. Natürlich über zahlreiche Stufen zu erreichen.

Die Bulgaren und ihre Treppen. Wegen der schwülen Hitze haben wir uns dann bald auf den Weg zum Fluss gemacht. Dafür mussten wir aber erst ein paar Hindernisse überwinden.

Für Paula war die Eisenbahnbrücke eine Herausforderung, davor haben wir noch einen Skorpion gesehen und nach der Brücke auf dem Trampelpfad gab es die nächste Schock-Begegnung. Ich mitten im Gespräch: „Oh Schlange.“ Und wir alle wieder ein Stück zurück. Schutzkleidung in Form von Stoffhosen und Handtüchern wurde angezogen, Stöcke gesucht und die Amazonas Expedition konnte weitergehen. Waren wir froh als wir den Betonweg erreicht hatten. Bei der nächsten Aufgabe musste sich Frida überwinden ins schlammige Wasser zu treten. Wir drei Evas im Amazonas. Aber war gar nicht so kalt. Und auch gar nicht so tief.

Nach und nach hat sich unser 8er Hostelzimmer gefüllt. Bis wir zu neunt waren. Es ging erstmal die Tourimeile rauf und runter. Viel zu viel. Große Gruppe, erschöpfende Hitze. Bele, Paula und ich haben uns dann auf den Weg zum nächsten Billa gemacht. Für unsere Maiwanderung gab es natürlich ein Wegbier aus einem Kiosk. War auch ne ganz schöne Strecke. Auf dem Rückweg gab es dann ne Pause am Fluss. Ausgehungert und durstig haben wir uns angeregt unterhalten und komplett die Zeit vergessen. Es wurde Dunkel und wir haben nicht gefroren, so warm war es! Irgendwann ist uns dann aber doch aufgefallen, dass wir schon ziemlich lange weg sind und wir haben uns auf den Rückweg gemacht und waren plötzlich in der Mitte eines Familienfests. Ein Mann kam auf uns zu und sagte etwas auf Bulgarisch. Nach kurzem umherschauen meine Erkenntnis: „Ah das ist ne Sackgasse.“ „Da, Sackgasse.“ – die Bestätigung. Also wieder rauf die Gasse und weiter. Ganz schön verschlungen die Straßen in Tarnovo. Im Hostel war die Stimmung erstmal nicht so gut. Kein Wunder, ich wäre auch sauer, wenn ich so lange auf mein Essen hätte warten müssen. Fertig vom Tag wurde es dann eher ein entspannter Abend mit dem Abschluss Ostergottesdienst um 0 Uhr. Eine riesige Menschenmenge hat sich vor der Kirche versammelt. Man konnte die Festung leuchten sehen, es gab einen leichten Sommerniesel, Kerzen wurden gekauft und Pius und Josi haben uns gefunden. Der Gottesdienst wurde draußen abgehalten und nach Tradition sind wir mit unseren Kerzen um die Kirche gelaufen. Allerdings nicht drei mal. Es hat genervt, dass die Kerzen immer so schnell ausgegangen sind. Erschöpft ging es ins Bett.

Am nächsten Morgen bin ich früh aufgewacht und hatte das Gefühl erstmal raus zu müssen aus dem Zimmer mit den 8 anderen. Ein bisschen frische Luft, die nur früh morgens noch kühl ist, ein bisschen Ruhe und Zeit zum Nachdenken. Also ab zum Fluss.

Auf einer alten Brücke habe ich mich in die Morgensonne gesetzt und dem Rauschen des Wassers zugehört. Später habe ich mich mit den anderen vor der Kirche auf der Festung wiedergetroffen.

Die überraschendste Kirche Bulgariens. Wirklich jeder der wieder heraus gekommen ist war geflasht und meinte: “ Also das hätte ich nicht erwartet.“ So auch ich. Zum ersten Mal war ich hier dann froh über den Wind. Der hat die Hitze erträglicher gemacht. Erschöpft und hungrig vom Sightseeing ging es in ein Restaurant am Fluss. Taratar, Wasser-Joghurtsuppe mit Gurken, Knoblauch und Walnüssen. Super erfrischend. Danach haben wir uns wieder nach Interesse aufgeteilt. Für Bele und mich hieß das Richtung Hostel um Pius einzusammeln und dann runter zum Fluss. Allerdings brauchten wir dann so lange, dass Lorna, Paula und Josi sich uns anschlossen. Pius war nicht so überzeugt von unserer Badestelle vom Vortag und hat kleine bulgarische Jungs gefragt, ob sie uns helfen einen Baumstamm an eine andere Stelle des Flusses zu tragen. Mit der Zeit kamen immer mehr bulgarische Kinder und Jugendliche dazu. Und auch immer mehr Franzosen. Zu Beginn waren wir nur mit einer franzöischen Erasmus Studentin im Wasser, aber es kamen immer mehr. Internationales Flusstreffen. Erfrischt haben wir uns danach auf die Brücke der Entspannung gesetzt und mit unserer Musik gegen die bulgarischer Teenager gegengehalten und Karten gespielt, den Nachmittag genossen. Im Aufenthaltsraum lag eine Packung mit einem Osterzopf aus dem sich jeder von uns im vorbeigehen immer wieder bedient hat. Aber ist ja Ostern…

Abends wurde dann gemeinsam gekocht und auf der Terrasse gegessen. Bis plötzlich die ersten bunten Lichter am Himmel gesichtet wurden. Sollte die Lichtshow nicht erst in einer halben Stunde sein? Hals über Kopf hat sich jeder einen Pulli, Geld und sonst was geschnappt, das Geschirr wurde in die Spülmaschine gepackt und wir sind zur Festung gerannt um dort die letzte Sekunde der Lichtshow zu sehen. Das zweite Mal in Tarnovo und schon wieder nix mit Lichtshow…Wir haben uns auf den Platz gesetzt und über die Situation gelacht. Zum Glück saßen wir eine Weile, denn die Lichtshow ging in die zweite Runde und wir hatten Premiumplätze. Ich hätte mir das ganze trashiger vorgestellt, aber alles wurde sehr detailliert ausgeleuchtet und sah ziemlich cool aus. Danach wurden Snacks und Bier gekauft und wir haben wieder unseren ramontischen Flussspot auf der Bauruine aufgesucht. War wieder ne kurze Nacht.

Am nächsten Morgen ging es für Bele und mich nämlich schon weiter Richtung Plovidv. Nachdem ich von meinem Wecker aufgewacht bin habe ich links von mir auf dem Boden Josi und Pius gesehen, die auch lieber im Hostel, als im Auto schlafen wollten. Im Aufenthaltsraum hat uns dann ein Franzose berichtet, dass eine Katze gestern Nacht in sein Bett kam und er deshalb auf den Kissen im Aufenthaltsraum geschlafen hat. Alles klar. Bei angenehmer Temperatur haben wir uns auf den Weg zum Bahnhof gemacht und im Zug interessante Gespräche geführt. Aber was wir für einen Hunger hatten. Zum Glück hatten wir einen längeren Aufenthalt in Stara Zagora. Nur hatte alles geschlossen. Ostermontag. Also gab es ein Schwammbrot mit Lutenitsa. Wurde ganz schnell weggeatmet während wir uns ausgiebig über Bücher unterhalten haben. Zum Glück hatte Bele genug Lesestoff für uns beide dabei.

Im Hostel in Plovidv wurden wir mit „homemade Lemonade“ erwartet. Alles ist eingerichtet mit antiken Möbeln, Man fühlt sich ins letzte Jahrhundert zurückversetzt. So nen Empfang hatte ich noch nie. Das beste Hostel Bulgariens. Ein Herzlich Willkommen Schild mit meinem Namen hing an der Wand. Je genauer man sich umgeschaut hat, desto mehr dieser Schilder konnte man erblicken. Ganz amüsant. Ausgerüstet mit Informationen über die Stadt mit der längsten Fußgängerzone Europas machten wir uns auf den Weg um eine Nektarine zu suchen. Gab wieder nur Brot. Aber dieses mal mit Hummus und ner Tomate. Auf dem Stadtplan haben wir einen Fluss gesehen. In Sachen Stadtplanung müssen wir aber ganz klar sagen, dass das Flussufer besser genutzt werden könnte. Wir haben keine einzige Bank finden können. Dafür ist die Lage des Hostels genial. Direkt neben unserem Lieblingshügel, heute geht es viel um Hügel, von Plovdiv. Nach einem wunderschönen Sonnenuntergang hatten wir große Lust auf Pizza. Aber erstens war ziemlich viel los im Kneipen und Restaurantviertel Kapana und zweitens war schon nach 21 Uhr. Von Restaurant zu Restaurant wurden wir pessimistischer, dass noch irgendwo die Küche aufhat und haben uns schließlich mit einem Döner zufrieden gegeben.

Am nächsten Morgen haben wir ausgiebig im Innenhof des Hostels gefrühstückt, fassungslos darüber wie liebevoll das Essen für uns angerichtet war, und auf Simon gewartet. Zu dritt haben wir einen Park, einen weiteren der sieben Hügel Plovdivs, von denen aber nur noch sechs existieren, erkundet, das römische Theater und einen Antiquitätsladen besichtigt, ich habe eine Postkarte aus Shumen entdeckt, aus dem letzten Jahrtausend, aber so viel hat sich gar nicht verändert. Dieses FSJ ist wirklich eine Zeitreise.

Nachdem wir Simon unseren Lieblingshügel gezeigt haben, hatten wir die Qual der Wahl der zahlreichen Restaurants.

Wir haben uns für ein Restaurant entschieden mit Biergläsern, so groß, dass man sie mit kleinen Händen nicht fassen kann und mit einem Klo, dass aufgrund des flackernden Lichts nicht für Epileptiker geeignet ist. Auch diesen Abend verbrachten wir wieder auf unserem Hügel. So schnell bilden sich Gewohnheiten. Bei einem bulgarischen Abendessen: Baniza, viel zu selten leider mit Spinat gefüllt, für jeden eine Gurke, Wein und toasted corn, haben wir Karten gespielt. Beles neu erfundene Spielregeln, die absolut keinen Sinn gemacht haben, haben uns dabei sehr zum Lachen gebracht. Generell haben wir so viel gelacht, über so viele Dinge, die im nachhinein überhaupt nicht mehr komisch sind. Aber es war lustig!

Im Aufenthaltsraum des Hostels hatten wir noch unseren Spaß mit einem Spiel für 2-jährige. Mit Beles neuen Regeln wurde daraus ein Vokabelspiel. Beim Zähne putzen ist mir dann aufgefallen, dass wir ziemlich cool Zähne putzen. Wir standen alle drei mit einer Hand in der Hosentasche vor dem Waschbecken. Ich werdein Zukunft mal darauf achten, ob das auch andere machen.

Am nächsten Morgen haben wir Bele zum Bahnhof gebracht und danach noch weitere Hügel erkundet. Während unserer Unterhaltung auf dem ersten Hügel kam plötzlich ein alter Mann, der uns von seinem Bruder in Bielefeld erzählt hat und uns darauf aufmerksam machte wie komisch die Deutschen Zahlen sagen. Stimmt schon. Auf dem zweiten Hügel gab es ne Vesperpause und wir haben über die Aussprache verschiedener Wörter gesprochen. Beton oder Betong? Wir bringen jetzt das neue Parfum Betain heraus. Nachdem uns nachdrücklich vom Hostelinhaber die Mosaikausstellung in der Bishops Basilica empfohlen wurde, machten wir uns auf um uns das genauer anzuschauen. Mit Simons FSJ-Ausweis kam auch ich billiger rein. Nachdem ich mich mit „Merßi“ bedankt habe, wurde ich gefragt, ob wir aus Frankreich kommen. Ähm nein, das heißt doch auch auf Bulgarisch Danke?!?! Vielleicht ist meine Aussprache zu Französisch…Mit Plastiküberziehern für die Schuhe ausgestattet ging es durch das sehr moderne Museum. Am meisten hat uns die interaktive Kinderecke begeistert in der wir innerhalb einer halben Stunde zu wahren archäologischen Profis geworden sind. Wenn jemand gerade an ner Ausgrabung dran ist, meldet euch!

Nach dem Museum gab es wieder was leckeres zu essen. In „Art i Schok“ haben wir leckere Falafal mit Auberginenmus und getrockneten Pflaumen gegessen und Simon hat mir erzählt, dass man sich mit ungekochten Kichererbsen vergiften kann. War ne interessante Story. Ich habe viel gelacht. Also immer gut kochen, oder Dosen kaufen!

Kapana (Kneipenviertel)

Auch an diesem Abend ging es wieder ab auf den Hügel. Dieses mal dann auf die andere Seite. Wäre ja sonst langweilig. Mit unserem Dosenbier ausgerüstet haben wir von oben die Stadt beobachtet und sind wieder spät ins Bett gegangen. Ich habe so viel Schlaf nachzuholen… Zurück im Hostel haben die Leute bei mir im Zimmer schon geschlafen. Ja, es ist tatsächlich wieder erlaubt hier, dass man mit Fremden in einem Zimmer schläft. Im Dunkeln habe ich mich bettfertig gemacht und hatte kurz Angst, dass ich mich in ein schon besetztes Bett lege. Aber alles gut gegangen.

Am nächsten Tag war Sankt Georgstag. Tag des bulgarischen Militärs und Namenstag für ca. 200.000 bulgarische Georgis. Dieses Jahr nur mit kleiner Parade. Überall hingen Zweige an den Autos und in den Briefkästen. Natürlich, wie jede Tradition hier, ist auch das für die Gesundheit. Наздраве! Nach dem der Hostelbesitzer uns noch von dem Nachbardorf von Simons Dorf vorgeschwärmt hat, haben wir uns auf den Weg zum Busbahnhof gemacht. Dabei sind wir an weniger touristischen Stadtteilen vorbeigekommen. Hat auch echt Charme. Genauso wie der sozialistische Busbahnhof. Sehen hier ja alle immer ziemlich gleich aus. Aber es war für mich kurz wie eine Ruheoase, abgewandt von der Straße, fast idyllisch. Im Sprinterbus ging es dann ab in das Zentralbalkangebirge. Über den Trojanpass bis nach Trojan. Völlig übermüdet sind wir zuerst zu Lidl gelaufen und dann mit unserem Gepäck und den Einkäufen zur Kreuzung vor der Stadt. Und dann hieß es: Daumen raus. Nach Cherni Osam, dem Dorf mit dem meistbesuchtesten Naturkundemuseum des Landes, fährt nämlich nur dreimal am Tag ein Bus. Und der letzte war schon lange weg. Ganz schön unmobil, wenn man nachhause trampen muss. Aber so an sich auch ganz cool. Und es hat auch schnell ein Paar angehalten, dass uns ins Dorf gefahren hat, obwohl es die falsche Richtung für sie war. Wir haben sogar halbgeschmolzene Pralinen bekommen. Dann noch ein wenig durchs Dorf laufen. Auf jeder Bank vor jedem Haus saß mindestens eine alte Frau, die wir artig gegrüßt haben.

Endlich angekommen. Wir haben in der Außenküche gekocht, und ich habe eine Tour durch das Haus voller Gerümpel bekommen. So viel zu entdecken. In jedem Schrank mindestens eine Brille, eine ziemlich gruselige Puppe, ein Salzstreuer in Form eines Fußes, Rakia im Gefrierschrank, Gefrierschränke im Bad, eine komplizierte aber warme Dusche, zahlreiche Schuppen und Scheunen, ein Garten, Aussicht auf die Berge, immer das Flussrauschen im Hintergrund, ein unglaublicher Sternenhimmel und ein Wohnzimmer, wie aus dem kommunistischen Museum.

Wer möchte nicht sein Essen mit einem Fuß würzen?

Sandra und Simon, in jungen Jahren vorübergehend Hausbesitzer in einem bulgarischen Dorf. Ein letztes Mal laufen an diesem Tag um Trinkwasser von der Quelle zu holen. Unglaublich lecker. Wasser schmeckt eben doch unterschiedlich.

Am nächsten Morgen ging es ins Museum. Ich war die erste Besucherin des Tages und wurde begleitet von hervorragenden Soundeffekten und von Simon. Was soll ich sagen, es ist ein Museum mit ausgestopften Tieren. That’s it. Alle schon ein bisschen in die Jahre gekommen und nicht mein Fall. Bis auf die Schmetterlinge. So viele Arten. Sogar welche, die Licht reflektieren. Mein Wow-Effekt des Tages. Nach dem Rundgang haben wir uns im Büro das neue Konzept für die Zukunft des Museums durchgelesen. Ich bin begeistert. Das ganze Vorhaben klingt so cool. Ich bin gespannt,ob es wirklich so toll wird. Dann kann ich auf jeden Fall verstehen, dass es das meistbesuchte Museum Bulgariens ist. Da es nicht sonderlich viel zu tun gab hat Simon freibekommen und wir sind losgezogen um das nahegelegene Trojan-Kloster zu besichtigen. War sehr schön.

Die Souvenirhalle daneben weniger. So viele hässliche Plastikschwäne als Gartendekoration, Holzbretter, Plastikspielzeug und Messer sind die Verkaufsschlager. Also lieber weg von dem Trubel in den Wald zu einer kleinen Kapelle. Was geht immer? Klar, Lutenitsa und ein ganzer Laib Brot. Da zweimal den gleichen Weg laufen langweilig ist, haben wir uns für einen anderen „Weg“ entschieden und sind auch irgendwann tatsächlich im Garten eines verlassenen Hauses rausgekommen. Alles zugewachsen. Seit Jahren hatte ich keinen Kontakt mehr mit Brennnesseln. Bin irgendwie auch ein bisschen zufrieden, obwohl es echt brennt. Schnell zum Fluss. Super kaltes Wasser, super wacklige Hängebrücke. Zurück beim Haus war Sandra gerade dabei einen Platz fürs Lagerfeuer herzurichten und dann kamen auch schon die Museumskolleginnen und wir haben Lagerfeuergespräche geführt über Undergroundclubs in Estland, das langsame Internet in Deutschland und Elon Musks Satteliten sind über uns hinweggeflogen. Irgendwann sind dann auch Josi und Pius eingetroffen. Es gab eine nächtliche Hausführung, Pius war total neugierig auf die ganzen Dinge, die es zu entdecken gab. Thermoskannen, Schimmel, der Alkoholvorrat. Josi war weniger begeistert: „Das ist doch von den Toten.“ Schon seltsam. Wohnen zwei deutsche Freiwillige in dem Haus eines verstorbenen bulgarischen Ehepaars.

Da wir alle dringend viel Schlaf benötigten gab es am nächsten Mittag um 14 Uhr Frühstück. Um 15 Uhr waren wir auf dem Wanderparkplatz und es ging ganz schön steil hoch. Dafür war die Aussicht echt traumhaft.

Nach der ersten Pause haben die Jungs die Rucksäcke genommen und sind voraus und wir in unserem eigenen Tempo, in unser Gespräch vertieft, hinterher. Irgendwann dachten wir uns: die könnten ruhig mal warten. Und dann waren wir plötzlich auf 1600 m bei einer Hütte. Ohne Rucksack, ohne Handy, um 18:30 Uhr, haben auf eine Karte geschaut und gemerkt, dass wir vor gut eineinhalb Stunden hätten abbiegen müssen. Tja. Nach kurzer beratung mit ein paar Bulgaren sind wir dann losgerannt um es noch vor der Dämmerung vom Berg zu schaffen. Hätte nie gedacht, dass ich mal trailrunning mache. Aber war ja auch nicht freiwillig. Tatsächlich haben wir es vor der Dämmerung geschafft. Aber dann der nächste Schock: die Jugs waren nicht am Parkplatz. Also haben wir verschiedene Möglichkeiten in Betracht gezogen und ich bin losgelaufen um im nächsten Dorf ein Handy aufzutreiben. Zum Glück waren nur wenige 100 Meter entfernt Leute am Grillen, sodass ich schnell mit Pius in Kontakt kam und wir nach kurzer Zeit wieder vereint waren. Die Jungs hatten einen riesigen Pfeil auf den Weg gelegt, aber wir waren so in unser Gespräch und die Aussicht vertieft, dass wir den total übersehen haben.

Kann man schon übersehen oder?

Die Beiden haben sich also auch aufgeteilt um uns zu suchen und als wir am Ende alle wieder im Auto saßen konnten wir über die Situation lachen. Nocheinmal mit nem schreck davongekommen. Aber war trotzdem eine wunderschöne Wanderung.

Da Josi und ich vor Hunger schon anfingen zu halluzinieren, ging es in die nächste Gaststätte. Dort war gerade eine Feier im Gange mit Livemusik. Das erste was ich sah, als ich durch die Tür kam war ein riesiger Fisch im Aquarium. Die ganze Situation war nach dem Tag in den Bergen die totale Reizüberflutung. Deshalb war ich ganz froh, dass Pius die Bestellung übernahm. 4 Mal Shopska-Salat, 1 Liter Ayran, Brot, Pommes, Suppe und alles kam superschnell. Zum Glück. Sonst wäre ich noch am Tisch eingeschlafen. Dann gab es noch eine Runde Duschen und ab ins Bett.

Letzter gemeinsamer Morgen, nochmal ins Museum. Und danach ganz entspannt ohne trampen, sondern mit Chauffeur zum Bahnhof. Mein Zug, nur ein Waggon, dafür ein Design, dass ich noch nie hatte.

In Shumen war es dann plötzlich um einige Grade kühler und jetzt muss ich mich erstmal wieder an den Alltag gewöhnen. Man könnte meinen, wenn man unterwegs ist hat man keinen richtigen Essensrhythmus, aber ich habe auch im Alltag irgendwie keinen. Frühstück, immer unterschiedlich lange in der Schule und dann nachmittags kochen. Sehr seltsam. Während ich so um 16 Uhr am kochen war, gab es plötzlich ein Feuerwerk. Bei Tag. Was für eine Verschwendung. Everyday is fireworkday.

Gestern war dann noch der Tag von Shumen. 11.Mai. Das wurde gefeiert mit Marktständen und abends gab es noch ein Konzert. Mädchen, die Gymnastiktanz gemacht haben, sehr zurückhaltend. Und eine Gruppe Jungs, die sehr planlos Salti machten und dafür total gefeiert wurden. Diese Rollenverteilung zu beobachten war schon sehr krass. Aber an sich coole Auftritte. Höhepunkt des Abends: ein bekannter bulgarischer Sänger, Miro. Da stand er auf der Bühne, in Lederhose, Weste, und Glitzertop, als ob er aus der Bravo des letzten Jahrzehnts entsprungen wäre und die Menge ist ausgerastet. Kleine Kinder, die ziemlich professionell mit Smartphones das ganze gefilmt haben, Miro, der wie der Messias durch die Menge lief, nicht gerade schlau während Covid, aber ab da gab es kein halten mehr. Bulgarische Tänze wurden praktiziert und die Menge hat lautstark mitgesungen. Dann gab es noch ein wirklich schönes Feuerwerk und die Veranstaltung war vorbei. Ein krasser Abend.

Heute habe ich mit der 11.Klasse das Thema Konsum angefangen. Mein Lieblingsthema. Ich freue mich schon auf die Diskussionen. Mit ihren Mappen für die Prüfung kommen sie auch voran. Im Mai sind ziemlich viele Feste. Bald ist Schulfest, Abiprüfungen, Tag der kyrillischen Schrift. Alles Dinge, auf die ich sehr gespannt bin.

War glaube ich der längste Blogbeitrag bisher. Ich versuche es nächstes Mal wieder kürzer zu halten.

лека нощ! Gute Nacht!