7 Uhr. Ich wache auf. Die Sonne scheint in mein Zimmer. Die Wände vibrieren von aufheulenden Motoren vor meinem Balkon. Ich bemerke, dass es viel zu früh ist und kuschle mich in meinen Schlafsack + Decke. Schön warm. 8:33 Uhr. Wecker klingelt. Liegen bleiben bis 8:40 Uhr, realisieren, dass ich mich beeilen muss. Aufstehen, Balkontür öffnen, frische Luft, Wasserkocher anmachen, aufs Klo gehen, Laptop anschalten, Tee trinken auf dem Balkon. Die Sonne genießen. Wieder reingehen. Link suchen für den Online-Unterricht, Word-Dokument oder Powerpoint öffnen. Warten, bis ich von der Lehrerin eingelassen werde. Schüler begrüßen, ein bisschen reden, etwas erklären, Deutschlandquiz, Kahoots, Grammatik, Aufgabe zum Schreiben geben, Stillarbeit, während die Schüler schreiben lese ich mein Buch und beantworte Verständnisfragen, gemeinsam die Sätze der Schüler richtig aufschreiben, loben, wieder ein wenig reden, Präsentationen der Schüler anhören, Fragen beantworten, Hausaufgabe geben, verabschieden.
Bequeme Hose ausziehen, Jeans anziehen, frühstücken, merken, dass ich seit Wochen nur Porridge esse, beschließen endlich mal wieder Brot zu kaufen um mein heißgeliebtes Hagebuttenmarmeladebrot aus Kindheitstagen essen zu können. Mit Soner verabreden zum Einkaufen. Zähne putzen, Einkaufszettel schreiben, Maske nicht vergessen, beeilen, weil Soner immer pünktlicher wird und ich immer unpünktlicher.
Aus dem Einkaufen wird doch eine längere Beschäftigung. Zuerst zur Bank gehen, dann zu Lidl. Einkaufswagen besorgen, weil der jetzt obligatorisch geworden ist (Covid-19 Maßnahme). Vor Lidl warten, weil wir die 10:30 Uhr Regel total vergessen haben. Zuschauen, wie die Ü 65 Rentner an uns vorbei und in den Lidl reingehen dürfen, als ob es ein Exklusivclub ist. Sogar mit Security vor dem Eingang. Langsam bildet sich hinter uns eine immer längere Schlange. Uuuuuuund go! Alle drängen auf den Eingang zu. So muss sich black friday anfühlen. Endlich drinnen. Ärger mit Soner bekommen, weil mein Einkaufszettel nicht auf Bulgarisch ist, alles in den Wagen legen, mickriger Einkauf, durch die Wühltischabteilung gehen, es gibt so viele Sachen, die man vielleicht doch gebrauchen könnte. Und da ist auch schon was! Eine Wärmeflasche, etwas, dass ich Jasmin eigentlich zu ihrem Geburtstag schenken wollte, aber zum jetzigen Wetter passt es viel besser, rein in den Wagen.
Vor dem Lidl warten Debora und Andreya. Debora kommt mit uns mit zu JYSK. Wir suchen neue Möbel aus mit und für Soner. Auf dem Weg bekommen die beiden einen Lachflash, wegen etwas, was ein Mann hinter uns gesagt hat. Ich habe natürlich nix verstanden und will unbedingt wissen, was so lustig ist. Anscheinend der Name, den er gerufen hat. Bei JYSK all die schönen Dinge anschauen. Sofas testen. Debora will sitzen bleiben, aber dann entdecken wir den Massagesessel. Abwechselnd testen wir die verschiedenen Funktionen durch und haben den Spaß unseres Lebens bis Soner kommt und sagt, dass wir zu laut lachen und peinlich sind. Wir schauen uns noch ein bisschen um und machen uns dann auf die Jagd nach dem nächsten heißbegehrten Einkaufswagen um bei Billa reingelassen zu werden. Debora fastet seit gestern (Ostern ist in der Orthodoxen Kirche erst Anfang Mai). Ein Tag ohne Fleisch ist schon sehr hart gewesen für sie. Aber wir unterstützen sie natürlich mental und beim Einkaufen für ihre 40 Tage Vegan-Ostern-Challenge.
Nächster Stopp: Schreibwarenladen Nummer 1. Soners Obsession für Druckerpapier. Er achtet sehr auf die Qualität des Papiers und nun beginne ich tatsächlich auch Unterschiede zu bemerken. Mir zu liebe möchte er Recyclingpapier ausprobieren. Gibt es nicht, also: Schreibwarenladen Nummer 2. Reingehen, sprechen Deutsch, die Verkäuferin gleich: ah Karla. Ich verwirrt. Soner spricht mit ihr. Ihr Sohn geht in die 8.Klasse, die ich unterrichte. Klar, kleine Stadt, überall trifft man immer jemanden, der irgendwen auf irgendeine Weise kennt. Wieder kein Recyclingpapier, und auch kein qualitativ hochwertiges Papier. Also: zurück zum Schreibwarenladen Nummer 1. Papier kaufen.
Letzter Stopp: Bäcker. Endlich! Mein Brot! Duftet gut. So viel leckeres Gebäck. Soner erklärt mir, wie ich korrekt bestelle. Ich bin stolz auf mich, aber werde es bestimmt wieder vergessen. Einkaufsaktion vorbei.
Heimgehen. Einkäufe verstauen, kochen, während das Essen kocht Ideen für den Unterricht am nächsten Tag überlegen, essen, Unterricht vorbereiten, Online-Stunde halten. Wir diskutieren über ein Thema, ich stelle Fragen. Manchmal kommt erstaunlich viel zurück, manchmal schweigen. Lerne neue Ansichten der Schüler. Inspirierend. Sie stellen mir Fragen. Diskussionen machen mehr Spaß, als Grammatik erklären.
Raus gehen, durch die Stadt laufen, Fotos machen von Dingen, die skurril oder schön sind. In den Park gehen, sitzen, lesen, Leute beobachten.
Mit Jasmin verabreden, etwas zu spät losgehen, weil sie zwar auch pünktlicher wird, aber doch nicht so sehr wie Soner. Laufen zusammen zum Beautystudio. Zeit fürs Augenbrauen zupfen. Unsere Augenbrauen wachsen ja jetzt im gleichen Takt. Überreiche ihr die Wärmeflasche. Jasmin Geschenke geben macht Spaß, weil sie sich immer so sehr freut. Schaue zu, wie ihre Augenbrauen gemacht werden, sitze in der Ecke in dem bequemen Sessel. Total behutsam werden Jasmin Schmerzen zugefügt. Hat etwas sehr geborgenes und ist total meditativ und entspannend, hätte ich nie gedacht. Kurze Zeit später bin ich an der Reihe. 10 min., ein tränendes Auge und zwei neue Augenbrauen später, bin auch ich fertig. Zahlen, verabschieden, gehen.
Zuhause putzen, Abendessen vorbereiten, frustriert sein, weil es nicht so klappt, wie ich wollte, weitere Unterrichtsideen überlegen, mit Lehrern schreiben, Tagebuch schreiben, ganz viel Tee trinken, sehr oft aufs Klo müssen, Yoga machen, telefonieren oder lesen. Musik hören. Zähne putzen, Jalousien zumachen, Wärmflasche zubereiten (meine Spezialität), bei Kerzenlicht lesen, Wecker stellen, schlafen.
Mein typischer Tagesablauf. Die voll automatisierte Routine. So sieht mein Alltag aus und obwohl es nichts besonderes ist, manchmal anstrengend, ist es doch erstaunlich zufriedenstellend. Total simpel und trotzdem macht es mich so glücklich. Ich freue mich über meinen Tee jeden morgen, neue Musik, die ich entdecke, neue Läden, gute Ideen für den Unterricht.
Am Anfang war es schwer für mich, mich mit dem Online unterrichten abzufinden. Aber nachdem nun zum zweiten Mal wieder alles online ist, habe ich gelernt, die Situation so zu akzeptieren. Obwohl ich immer noch im analogen besser bin, muss ich eben meine Komfortzone verlassen und viel am PC arbeiten. Auch der neu gegründete DeutschClub findet digital statt. Gerade deshalb bin ich so froh, dass die Schüler trotzdem Interesse haben, daran teilzunehmen. Neues Projekt mit neuen demokratischen Ideen. Bin sehr gespannt, wie sich das entwickelt.
Letzten Freitag haben wir morgens bei Debora Tee getrunken und unser erstes organisatorisches Meeting gehabt. Da lag noch Schnee. Am Samstag dann zweistellige Temperaturen. Schon ein bisschen erschreckend. Ich habe mit Nilyay die herausragende Kunst im Studentski Park angeschaut und wir haben über unsere Zukunft, umziehen, Studium geredet.
Dann hat sie mir die prunkvollsten Häuser der Stadt gezeigt.
Wir saßen auf einer der absolut coolen Schaukeln und ich habe ihr deutsche Wörter beigebracht.
Nach meinem sonntäglichen Frühstück auf dem sonnigen Balkon, habe ich kurzerhand beschlossen ein Picknick zu machen. Also alles eingepackt und los gings! Allerdings habe ich den Weg etwas unterschätzt. Dazu noch 8 Motorradfahrer, die den Weg zu einem Acker umgepflügt haben und dazu meine Strumpfhose mit einem hübschen Dreck-Matsch-Muster besprenkelt hatten. Idylle perfekt. Den Matsch-Schneeberg hochrutschen, im Wald verlaufen, und dann endlich den einzigen Orientierungspunkt finden, den ich habe: der Baum, auf dem sich Rumy manchmal entspannt und liest. Ab da ein Kinderspiel. Endlich angekommen an meinem Picknickort. Die Aussicht genossen. Musik aus Schumen gehört, Hundegebell, Vogelgezwitscher, Autos. Schumen = laut. Kein Witz, Schumen heißt wirklich wortwörtlich „laut“. Habe die Sonne vielleicht ein wenig zu sehr genossen. Leichter Sonnenstich.
Bergabstieg, vor einer etwas beklemmenden Höhle angehalten. Davor war es so kühl. Absurder Moment. Fast schon sommerlich mediterrane trockene Hitze, mit dem Duft von Kiefern in der Luft und dazu diese Kühle der Höhle und ein paar Häufchen Schnee auf dem Boden.
Vor meinem Block habe ich mich dann auf die freie Bank gesetzt und gelesen. Eigentlich ist die oft besetzt von den älteren Bewohnern. Aber ich hatte Glück.
Realisiert, dass die Hälfte meines Freiwilligendienstes jetzt offiziell vorbei ist. Connor und Tom sind zurück in Deutschland, die neuen Freiwilligen sind angekommen und wir sind alle ein wenig sentimental geworden. So viele Erlebnisse und Erinnerungen in diesen ersten 5 Monaten. Ich freue mich so sehr auf die nun folgenden 5 Monate. Online oder nicht. All die Dinge und Orte, die mir die Schüler noch zeigen wollen. Alles was ich noch lernen werde. Ich habe noch so viele Ideen und das Gefühl, viel zu wenig Zeit zu haben.
Aber ich versuche, mich nicht stressen zu lassen und alles bewusst zu genießen. Die Zeit geht leider so schnell rum. Woche für Woche bin ich überrascht, dass schon wieder eine Woche vorbei ist. Ich bin viel entspannter geworden und habe bemerkt, dass gerade im Moment, nicht alles so läuft, wie man das gerne hätte. Die Dinge brauchen mehr Zeit, oder es gibt eine totale Planänderung. Von heute auf morgen, neue Maßnahmen, Dinge gehen wieder oder nicht mehr. Alles ist unsicher, deshalb ist es so schön, diese Alltagsroutine zu haben. Genügsam und gelassener werden. Macht das Leben echt einfacher. Früher hätte ich total gehetzt, um schnell meinen Einkauf hinter mich zu bringen. Und jetzt lasse ich mir Zeit, entdecke neue Dinge, stresse mich weniger und zusammen Einkaufen wird zum neuen zusammen einen Ausflug machen oder einen Film schauen. So viel Zeit zu haben, nachzudenken, Dinge zu beobachten und wertzuschätzen. So zufrieden war ich noch nie mit meinem Tagesablauf. Es ist schön so gemütlich zu leben. Jeden Abend die Lichtverhältnisse und Sonnenuntergänge von meinem Balkon aus zu betrachten und mich mehr und mehr in Bulgarien zu verlieben.
Auch von meiner Seite: Gutes Sprachgefühl (und meine innere Deutschlehrerin möchte ergänzen: saubere Grammatik und Rechtschreibung). Ich lese deine kurzen Geschichten/Eindrücke immer wieder gerne. Hör bitte nicht auf damit 😉
Hallo Karla,
Wiedermal ein neues Format: ein Tag in Stichworten. Ich bekam in Kürze einen guten Eindruck.
Und der Rest: viel Achtsamkeit. Gute Anstöße.
Auf in den Frühling!