Macehualtlahtolli – Wie es ist Náhuatl zu lernen und was ich in den nächsten 20 Tagen essen werde

Dieses Gefühl, wenn ich von der Náhuatl-Stunde nach Hause fahre ist mir neu. Ich fühl mich unglaublich ruhig, aufmerksam, zufrieden und gleichzeitig etwas traurig. Die Beiträge unseres Lehrers Fernando zur Náhuatl- Kultur sind immer so spannend und ergreifend und belehrend, dass ich das Gefühl habe danach anders zu denken bzw. anders denken und leben zu wollen. Vieles ist so einfach und vielleicht gerade deswegen so schön, berührend und regt zum Nachdenken über die eigene Lebensweise an. Allein die Tatsache von jemandem wie Fernando, der selbst unglaublich stolz auf seine Kultur ist und diese mit jeder seiner Zellen zu verkörpern scheint, all diese fremden und manchmal auch befremdlichen Bräuche und Auffassung zu erfahren, ist ziemlich beeindruckend und bereichernd.

Da wäre beispielsweise die Art und Weise sich zu begrüßen. Man schüttelt sich als Nahua nicht die Hand oder gibt sich einen Kuss auf die rechte Wange. Man berührt sich zur Begrüßung garnicht, und trotzdem kommt man irgendwie in Berührung. In Fernandos Kultur funktioniert die Begrüßung so, dass man Handfäche an Handfäche hält, um so die Energie des Gegenübers zu spüren. Dabei spricht man dann ein freundliches „Niltze“, was Respekt gegenüber dem anderen ausdrückt. „Quen timoyetztica“ – die Frage nach dem Befinden des anderen, ist nicht etwa einfach mit „Wie geht es dir?“ zu übersetzen, sondern bedeutet „Wie geht es deinem Blut?“ oder „Wie läufts mit deinem Blut?“. Allein um diese Frage verstehen zu können, bedarf es einer ca. 15-Minütigen Erklärung. Menschen, die nach der Macehuallcopa (Sprache und Kultur Náhuatl) leben, sind der Auffassung, dass die Sonne in Form eines Vogels innherlab eines Tages über den Himmel fliegt. Dabei verliert der Vogel an dem Punkt, an dem die Sonne im Zenit steht, eine Feder. Diese Feder sinkt herab und trifft den Menschen genau am obersten Punkt seines Kopfes, wo diese dann in Form von Energie in den Körper und den Blutkreislauf eintritt und sich im Körper ausbreitet. Deshalb die Nachfrage, wie die Energie, sich im Blut verteilt hat bzw. wie man diese aufgenommen hat. Die Antwort wäre ein begeistertes Niyolpaqui (Mit Lebensfreude, mit Lebenslust) oder ein Nipahpaqui (Sehr zufrieden, sehr fröhlich und animiert).

Die Sprache der Nahua ist gespickt von respekt- und liebevollen Ausdrücken und Umschreibungen. Das Wort „Danke“ existiert bspw. nicht, stattdessen entgegnet man mit dem Ausdruck Tlazohacamati – „Du weißt zu lieben“, die Verabschiedung wird als ein „Ausgleich zwichen Personen beschrieben“ und jedem Mitglied der Familie (der Tocenyeliz – „Unsere Lebenseinheit“), wird ein -tzin angehängt, was Ausdruck von Respekt und Liebe ist. Ich bin demnach Elenatzin, oder auch Ellitzin. Genauso lässt sich diese Endung an Objekte anhängen, wie zum Bsp. an das Haus bzw. Heim caltzin. Dieses Maß an Respekt kommt außerdem gegenüber der Natur und Tieren zum Ausdruck. Es gibt sowieso, wie das Begrüßungsbeispiel schon ansatzweise zum Ausdruck gebracht hat, eine starke Verbindung zur Natur und einen immer wiederkehrenden Kreislauf von Natur und Mensch, der in sich geschlossen und logisch ist. Alles scheint eine Bedeutung zu haben, soger die Zahlen, die von 1-5 der Frau und von 6-10 dem Man zugeordnet sind, haben jede für sich eine Verbindung zum menschlichen Körper und zur Natur. 1 steht für den Mais, 2 für die Knochen, 3 für das Blut, 4 für die Haut und 5 für die Kreativität. 6-10 sind dann jeweils das Komplement des Mannes dazu.

Diese Logik und dieser Kreislauf, der fehlt in unseren Leben. Wir haben auch unsere Familien, unseren Zukunftspläne allerdings jeder für sich und nicht ungedingt im Einklang mit der eigenen Umwelt.

Außerdem besitzt die Náhuatl-Kultur bestimmte Rituale, um den Körper gesund zu halten. Es gibt zum einen bestimmte Atemntechniken, die die Lunge vergrößern sollen, zum anderen einen bestimmten Schlaf- und Trinkythmus, sowie ein Waschritual. Um danach leben zu können muss man Zeit und viel Disziplin haben. Wendy (auch KW-Freiwillige und mittlerweile eine gute Freundin) und ich haben trotzdem beschlossen das Tlacuayotl (das Essensritual) in Angriff zu nehmen. Fernando bezeichnet dieses auch als Náhuatl-Diät oder Kur. Einmal im Jahr wird 20-40 Tage nach einem bestimmten Plan und zu bestimmten Uhrzeiten gegessen. Es gibt 5 Mahlzeiten am Tag, alle 4-5 Stunden. Es wird komplett auf Salz, Zucker und Öl verzichtet. Das Menü besteht aus Obst, Obsäften, gekochten Gemüse, rohem Gemüse, Gemüsesäften,Cerealien, Hülsenfrüchten, Wurzelgemüse, Obstwasser, Wasser, Tee, Milchprodukten und Eiweißhaltigen Produkten und Lebensmitteln wie Nüsse, Oliven u.ä, aus denen sich Öl herstellen lässt. Jede einzelne Mahlzeit hat dabei eine bestimmte Reihenfolge, man isst also jedes Lebensmittel pur, damit man den eigenen Geschmackssinn wieder etwas stärkt. Eine Portion setzt sich aus der Menge zusammen, die in die eigene Hand passt. Idealerweise sollte beim Essen außerdem nichts anderes getan werden, sprich keine Unterhaltungen und keine Ablenkungen durch andere „Nebenbei-Aktivitäten“, wie SMS-Schreiben oder Zeitung lesen. Wünschenswert ist es auch keine industriell produzierten Produkte zu kaufen.

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So sah heute morgen mein Frühstück aus. In der Reihenfolge: Mandarinensaft, Honigmelone, gekochter Nopal (eine Kaktusart), Haverflocken und Milch

Jetzt bin ich an Tag drei der „Diät“ angelangt. Warum mache ich das? Einerseits, als anerkennende Geste für unseren Náhuatl-Lehrer, andererseits, glaube ich dass es meinem Körper gut tun wird, hier umgegeben von zu viel zucker- und fetthaltigen Speisen, mal eine Pause einzulegen. Und dann interessiert es mich auch, ob die versprochenen Effekte wie mehr Energie, mehr Konzentrationsfähigkeit und Ausgeglichenheit, tatsächlich auch eintreffen werden. Nach zwei Tagen hat sich noch nicht viel verändert, außer einer sehr beruhigten Verdauung, aber das ist bei der Schärfe des mexikanischen Essens auch kein Wunder. Zudem spüre ich so langsam den Zuckerentzug und produzieren gefühlte 80% weniger Müll. Zeitaufwendig ist das ganze bis jetzt schon. Zunächst haben wir einen Rieseneinkauf auf dem Markt gemacht und dann wurde für 3 Tage Reis und Mais vorgekocht und Salat geschnippelt.Während der Arbeit bleibt natürlich keine Zeit die Gerichte vorzubereiten, leider gestaltet sich auch das ohne „Neben-Aktivitäten“ essen etwas schwierig. Die letzten Tage habe ich nämlich allein an der Rezeption gesessen und das Telefon kann ich ja schlecht ausschalten. Eine weitere Herausforderung wird das regelmäßige frühe Aufstehen, um den Rhythmus der 5 Mahlzeiten einzuhalten, sowie der Verzicht auf ein Bierchen am Wochenende bzw. das Erklären-Müssen wieso ich nur Wasser trinke.

Ein Experiment. Ich in gespannt wie es weiterläuft und wie es mir in einer Woche geht. Ich halte euch auf dem Laufenden!

Día de los muertos – Allerheiligen auf mexikanisch

Eigentlich ist diese Bezeichnung so nicht ganz richtig, denn eigentlich ist die Art und Weise Allerheiligen und Allerseelen in Mexiko zu feiern kein katholischer Brauch, sondern hat aztekische Ursprünge (und hat außerdem nichts mit Halloween zu tun). Eigentlich wird der „Tag der Toten“ nach aztekischer Tradition nämlich schon im September gefeiert. Mittlerweile haben sich die christliche und aztekische Kulturen in einigen Dingen vermischt. So, wie gesagt die Verschiebung des Feiertag in den November, oder auch die Verwendung von Kerzen nach katholischem Brauch auf den sogenannten Ofrendas (Altaren). Am Día de los muertos wird den Toten gedacht, indem den Verstorbenen kleine (oder auch große) Altare gewidmet werden. Diese Altare bestehen traditioneller Weise aus drei Etagen. Die unterste steht dabei für die Unterwelt, die mittlere für die Erde und die oberste für den Himmel. In der Mitte wird ein Foto des Toten plaziert und um ihn herum Getränke und Speisen, die er zu Lebzeiten mochte. Außderdem wird die ofrenda mit saisonalen Früchten bestückt, mit bunten Girlanden, häufig auch mit buntbemalten Ton-Totenköpfen, Blumen und Kerzen. Insgesamt eine ziemlich bunte Angelegenheit, die vor allem vom leuchtenden Orange der cempaxóchitl (Aufrechte Studentenblume) dominiert wird. In kleineren Ortschaften ist es üblich eine Spur aus cempaxóchitl-Blüten vom Grab des Verstorbenen bis zum Haus seiner Familie zu legen, damit sich dieser auf seinem Weg nicht verirrt. Denn laut Tradition, kehren die Toten an diesem Tag zurück zu ihren Familien. Brauch ist es außerdem mit den Verstorbenen auf dem Friedhof an diesem Tag zu abend zu essen.

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In Mexiko-Stadt ist der Día de los muertos vor allem ein großes, buntes, künsterlisches und kommerzielles Fest. Natürlich war es sehr sehr voll in der Stadt und vor allem die megaofrendas auf dem Zócalo (zentraler Hauptplatz der Stadt), sind eine Attraktion. Es fühlte sich an, als wäre die gesamte Stadt hierin gekommen. So wurden wir von einer ofrenda zur nächsten geschoben. Immer mal wieder begegnete man Kindern und Erwachsenen, die als Monster, Skelette, Vampire o.ä. (hauptsache angsteinflössend) verkleidet waren. Besonders beeindruckend waren die dem Künstler José Guadalupe Posada gewidmeten ofrendas, die über den gesamten Platz hinweg zu sehen waren. Aber auch die ofrendas der verschiedenen Ministerien, wie dem Gesundheitsministerium, oder dem Ministerium für öffentliche Sicherheit, die mit Pappmaché-Skeletten aufwarteten, die Todesursachen wie Fettleibigkeit, Diabetes oder Alkohol am Steuer hatten, waren sehr interessant, wenn auch etwas befremdlich. Einerseits empfinde ich es als gut auf diesem Wege darauf aufmerksam zu machen, dass betrunken Autofahren und ein ungesunder Lebensstil schneller zum Tod führen kann, als möglicherweise viele denken, andererseits fand ich die Darstellungen auch etwas makaber. Die Verbindung von bunten Farben, fröhlicher Musik, einer festlichen Stimmung und dem Tod passen meiner kulturellen Prägung nach nicht zusammen. Das vergangene Wochenende hat mich da allerdings in gewisser Weise eines besseren belehert.

Bilder können das wahrscheinlich besser beschreiben:

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