Česká republika | Der exotische Nachbar?

Momentaufnahme | Abschied & Reise

Ich schaue aus dem Fenster, sehe Mama und Papa. Sie winken, lachen und haben Tränen in den Augen. Perfekt spiegeln sie so meine Emotionen wider, über richtige Gedanken kann ich kaum sprechen, dafür ist es in meinem Kopf zu chaotisch. Aber dieses mal ist alles anders. Vom Vorbereitungsseminar, hinein in die Familie, hinaus in die Welt. Es ist ein Abschied, nicht so herzzerreißend wie der von meiner Freundin, aber es ist ein letzter Abschied. Eine letzte bekannte Stimme und ein letztes bekanntes Gesicht. Ab jetzt weiß ich nicht mehr, was mich erwartet.

Ich schaue aus dem Fenster, das meine Emotionen spiegelt. Ich freue mich auf die kommende Zeit, und weine gleichzeitig der alten hinterher. Ich freue mich auf das Unbekannte, auf neue Herausforderungen und will in diesem Moment meine Wohlfühlzone, meine Heimat, meine Familie nicht verlassen.

Der Zug rollt an, ich schaue aus dem Fenster, winke und lächele. Irgendwie fällt mir dieses mal alles leichter. Ich habe ja schon Erfahrung im Abschied nehmen und wusste was mich erwartet. Meine Eltern kann ich jetzt nicht mehr sehen, vor dem Fenster ist für einige Zeit alles schwarz, dann erscheint Berlin. Ich wende meinen Blick ab und nehme das erste mal meine neue Umgebung wahr, die mich für die kommenden acht Stunden begleitet. Mein Abteil ist fast leer, lediglich zwei Geschäftsmänner am anderen Ende des Wagons und ein junges Paar im 4er direkt neben mir haben sich für den 9:00 Uhr Zug entschieden. Die Wände werden verhüllt von teils offenen, teils geschlossenen, mit Spitzen bestickten Gardinen. Sie sind von der Sonne verblichen und von, mit ihrem Kopf am Fenster lehnenden, Fahrgästen fettig. Der Mülleimer quillt über, trotz des schönen Wetters leuchten und flackern alte Neonröhren über meinem Kopf. Ich sitze auf einem braun-orange-gelb bestickten Sitz, durchgesessen von den unzähligen Fahrgästen der letzten Jahrzehnte.

Das alles nehme ich ganz genau war. Akribisch tasten meine Augen alles Neue ab, dann richte ich meinen Blick wieder aus dem Fenster. Inzwischen haben wir Berlin verlassen und eine Landstraße und einige Bäume rasen an mir vorbei. Langsam kommt das Bewusstsein dieser Reise, das ich auf dem Vorbereitungsseminar erarbeitet habe, wieder zum Vorschein. Die Ängste und Befürchtungen, aber vor allem anderen die Vorfreude.

Während mein Blick den vor dem Fenster vorbeitanzenden Bäumen folgt, nehme ich meine Kopfhörer aus dem Rucksack, öffne meinen Musikplayer und suche nach passender Musik. Ich entscheide mich für alt-J’s „This is all yours“. Mit seinen ruhigen, schnellen und melodischen Liedern fängt mich dieses Album auf. Es gibt mir das Gefühl, mich zu verstehen und schenkt mir ein Happy End. Besser hätte es nicht laufen können, besser kann es nicht werden. Also packe ich die Kopfhörer wieder ein und stecke mein Handy in die Hosentasche. Jetzt genieße ich die Stille und das Gefühl zu reisen.

Břeclav, 11.03.2016

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