Entschuldigt bitte diesen verspäteten Bericht, aber trotz mittlerweile etwas stressfreieren Nachmittagen komme ich manchmal aufgrund Huế von Studieninformationen, außerschulischen Pflichten und absoluter Müdigkeit nicht zum Blogschreiben. Der folgende Artikel ist noch nicht vollständig und ich habe ihn noch nicht Korrektur gelesen; verzeiht mir also bitte Flüchtigkeitsfehlerchen und weist mich netterweise darauf hin.
Bilder und kurze Videos gibt es hier bereits untertitel zum Anschauen und genießen. Manchmal versteht man den Text nur in Zusammenhang mit den Bildern oder andersherum. Für den Blog waren es aber zu viele Bilder, deswegen habe ich sie extern hochgeladen. So, nun viel Spaß beim Lesen:
Vom 26. März bis zum 15. April bin ich wieder auf große Reise gegangen. Mein Ziel war keine bestimmte Stadt, sondern einfach eine Rundreise von Bangkok nach Südlaos, durch Ostkambodscha, den gesamten Weg von Süd- nach Nordvietnam, und zurück nach Bangkok durch Nordlaos. Hier könnt ihr die Reiseroute sehen. Der Höhepunkt meines Trips sollte eigentlich das Songkran-Fest in Chiang Mai darstellen, was ich aber aufgrund gewisser äußerer und teils selbst verschuldeter Umstände nicht einhalten konnte. Außerdem habe ich auf der Reise gelernt, wie man einen Motorroller fährt, dass man niemals etwas aus einem heiligen Ort stehlen sollte (es gibt dafür auch keine Wiedergutmachung), dass ich auch mitten im Nirgendwo mindestens zwei Tage überleben kann und dass in gewissen Situation Geld und Prinzip auch mal keine Rolle spielen sollten. Auf der Reise bin ich zweimal bestohlen worden, habe mir meinen großen Zeh arg verletzt und angeblich zwei Fortbewegungsmittel zunichte gemacht. Noch nie habe ich mich so sehr über einen Bus echauffiert wie in Hà Nội, kaum habe ich je zuvor eine so schöne Natur bestaunen dürfen wie im Bolavan-Plateau und noch nie zuvor konnte ich die Geschwindigkeit und die damit verbundene Freiheit vermischt mit Lebensmüdigkeit fühlen wie in Phnom Penh … alles in allem, eine extrem spannende, erlebnisreiche, unvergessliche, nicht gerade stressfreie, aber doch lohnenswerte Reise, von der ich eines weiß: Nie wieder Vietnam, ich bin in diesem Land wohl nicht willkommen!
Von Bangkok nach Pakse (26.03.2010) (Thailand-Laos)
Pakse (27. – 29.04.2010) (Laos)
Von Pakse nach Don Det (29.03.2010) (Laos)
Don Det (29. – 30.03.2010) (Laos)
Von Don Det nach Kratie (30.03.2010) (Laos-Kambodscha)
Kratie (30.03. – 31.03.2010) (Kambodscha)
Von Kratie nach Phnom Penh (31.03.2010) (Kambodscha)
Phnom Penh (31.03. – 02.04.2010) (Kambodscha)
Von Phnom Penh nach Hồ-Chí-Minh-Stadt/Sài Gòn (02.04.2010) (Kambodscha-Vietnam)
Hồ-Chí-Minh-Stadt/Sài Gòn (02. – 03.04.2010) (Vietnam)
Nha Trang (04. – 05.04.2010) (Vietnam)
Von Nha Trang nach Huế (05. – 06.04.2010) (Vietnam)
Huế (06. – 07.2010) (Vietnam)
Von Huế nach Hà Nội (07. – 08.04.2010) (Vietnam)
Hà Nội (08. – 12.04.2010) (Vietnam)
Von Hà Nội nach Vientiane (12. – 13.04.2010) (Vietnam-Laos)
Von Vientiane nach Udon Thani (13.04.2010) (Laos-Thailand)
Udon Thani (13. – 14.04.2010) (Thailand)
Zurück in Bangkok (15.04.2010) (Thailand)
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Von Bangkok nach Pakse (26.03.2010)
Nachdem ich am Freitag alle zu erledigenden Dinge in der Schule und privat abgeschlossen, meine Sachen für die große Reise gepackt und den beiden Schülern in Bangna Deutschunterricht gegeben hatte, konnte ich gelassen mit dem Taxi (obgleich mir die Maid der Familie in Bangna zu einem Bus, der nie ankam, geraten hatte) zum Hua Lamphong fahren und … ja, genau, noch zwei Stunden auf meinen Zug nach Ubon Ratchathani (ab jetzt nur noch Ubon) warten, weil ich für die gerade abfahrenden Bahn etwas zu spät angekommen war. So verbrachte ich die Zeit bis 23 Uhr wartend und Verpflegung kaufend auf dem Bahnhof, bis ich endlich in den für thailändische Verhältnisse extrem kalten Zug, der nie wärmer wurde, stieg. Ich musste mir eine Vierersitzgruppe mit einer Frau mit ihren zwei Kindern, die mich tatsächlich noch bis an die laotische Grenze begleiten sollten, und einer anderen älteren Dame teilen. Es war nicht leicht, guten Schlaf zu finden und so wachte ich etwas übermüdet gegen halb elf morgens nach zwölf Stunden Fahrt in Ubon auf.
Auf dem Bahnhof aß ich zum Frühstück meinen in Bangkok gekauften Donut und ließ mir von der Information den Weg zum Busbahnhof erklären. Zwar hatte ich bereits eine Motorradfahrt bis auf 10 Baht für die Strecke ausgehandelt, aber da ich es nicht passend hatte, gab ich dem guten Mann teure 20 Baht. Auf dem Busbahnhof selbst musste ich nur Chong Mek, den Namen der Grenzstadt sagen, und schon saß ich in einem Bus nach Phibun, weil es keine Direktverbindung gab. Nach einer Stunde fahrt und 35 Baht für die Strecke wurden alle auf ein Songthaew verladen, wobei es sich eher um ein Saamthaew handelte und bei einer Kapazität von höchstens 20 Menschen ohne Gepäck bei momentanen 30 Reisenden mit Taschen, Reissäcken und allerhand Gerätschaften etwas sehr voll und unangenehm schien. Die Fahrt dauerte gefühlt ewig über eine endlos lange, gerade Straße und konnte nur durch die schöne bewaldete Landschaft, Berge und Seen relativiert werden. Auf dem Weg bis zur Grenze wurden immer wieder Leute auf kleinen Dörfern abgeladen, sodass ich fast der Einzige war, der bis Chong Mek geblieben war.
Es war leicht, das enorme Grenzgebäude zu finden, also aus Thailand hinauszukommen, während sich danach die Suche nach einem so genannten „visa upon arrival“ als ziemlich kompliziert darstellte, weil sich hinter dem dafür vorgesehenen Fenster kein Offizieller blicken ließ. Die Grenze war gar nicht touristisch und hauptsächlich Thais passierten sie. Ich habe zu der Zeit keinen anderen Touristen gesehen. Irgendwann bekam ich dann das Visum für 30 US-Dollar (mit einem furchtbar schlechten Wechselkurs durfte ich stattdessen auch 1300 Baht hinlegen) und 50 Baht Stempelgebühr.
In Laos gab es nichts, was nach Pakse führen sollte, zumindest keinen öffentlichen Bus. Also schlugen mir ein paar Laoten einen erst recht dubios scheinenden Minibus vor, der mich für 100 Baht bis nach Pakse bringen sollte. Im Van unterhielt ich mich mit einem laotischen Jungen in meinem Alter auf Thai und Englisch, wobei ich sein Englisch nahezu gar nicht verstand und ihm es wohl mit meinem Thai genauso ergangen sein musste. Ich hatte nie das Gefühl, dass die Fahrt klappen würde …
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Pakse (27. – 29.04.2010)
Aber schließlich kam ich doch in Pakse an und musste mit einem Tuk-Tuk zum „Sabaidy 2 Guesthouse“ gefahren werden. In der Unterkunft erkundigte ich mich nach einem freien Zimmer zunächst bei einem Mann, der sich bald selbst als Tourist entpuppte und den Inhaber aus dem Tiefschlaf holen musste. Das Einchecken verlief etwas ungewöhnlich, weil ich noch keine laotischen Kip hatte und der Mann meinen großen 1000-Baht-Schein nicht wechseln wollte. Also machte ich mich auf die Suche nach einem ATM, konnte ja nicht so schwer sein in der größten Stadt Südlaos‘. War es aber, denn obgleich ich drei verschiedene Geldautomaten fand, wollte mir keiner mein gefordertes Geld geben. So steckte ich die Kreditkarte wieder ein und musste mit meiner Notfallkarte aus Deutschland mit hohen Gebühren und schlechtem Wechselkurs eine halbe Million Kip abheben. Leider war kein Dorm mehr frei, also musste ich wohl oder übel ein teures Einzelzimmer für 40.000 Kip nehmen.
Nachdem ich mich kurz eingerichtet hatte, ging ich auf Essenssuche und traf die beiden Kanadafranzosen in einem Restaurant wieder, von denen ich den älteren Herrn ja aus Versehen nach einem Zimmer im Guesthouse gefragt hatte. Wir sprachen nicht sehr viel miteinander. Die junge Frau und der Mann sprachen ein mir recht fremdes Französisch, weshalb ich mich nur auf Englisch mit ihnen unterhielt. Danach suchte ich mir ein Fahrrad, was es aber nicht gab. Man verlieh nur Motorroller. In diesem Moment gingen mir zwei Dinge durch den Kopf: 1.) Das hast du noch nie gemacht, lass es lieber! 2.) Das hast du noch nie gemacht, warum nicht jetzt? Glücklicherweise entschied ich mich für Letzteres und ließ mir etwa 10 Minuten vom Verleiher zeigen, wie so ein manueller Motorroller funktioniert. Für 60.000 Kip bekam ich es leer, das heißt, ich würde es auch gleich noch auftanken müssen. Also fuhr ich zur nächsten Tankstelle, völlig ungeübt und sehr wackelig, aber schließlich wurde es mir für 20.000 Kip komplett vollgetankt. Was für ein Preis! Damit würde ich mindestens 150 Kilometer kommen, kein Vergleich zu Europa …
Ich übte noch eine Weile in der Stadt, bevor ich mich zum Guesthouse begab, um die Reiseroute für den nächsten Tag zu planen. Eine alte Frau sprach mich bald auf Deutsch an und erzählte mir ihre Lebensgeschichte, von der ich eigentlich gar nichts wissen wollte. Sie beschwerte sich arg über den Kommunismus und Leute, die kein Englisch sprechen. Sie behauptete, selbst 18 Sprachen inklusive Thai einst gesprochen zu haben; ich konnte mich immerhin von Deutsch, Englisch und Französisch überzeugen. Es war einfach nur ein ewiges Zuhörgespräch, aus dem ich aus Höflichkeit nicht fliehen wollte, bis ich mich vor Müdigkeit langsam in mein Zimmer schlich.
Da ich bereits zeitig am nächsten Morgen aufstand, war ich schon halb neun auf dem Motorrad, mit dem ich im T-Shirt (was anfangs sehr kalt, dann aber doch unglaublich heiß war) immer Richtung Ortsausgang von Pakse steuerte. Die Straße war einfach nur ewig lang, aber es war Freiheit pur. Obgleich es nur eine Straße gab, vergewisserte ich mich auf meinen Karten mehrmals, ob die Richtung überhaupt stimmen würde, da die Meilensteine (welch tolle Erfindung!) anfangs keine mir bekannten Orte verrieten. Laut Karte war es auch sehr simpel, den ersten Wasserfall innerhalb des so genannten „Bolavan-Plateaus“ zu finden: Einfach immer geradeaus, bis zu einem kleinen Örtchen namens „Baan Ithu“, dann rechts abbiegen. Kann ja nicht schwer sein!
Tatsächlich hieß aber jeder Ort nur „Baan Lak“ versehen mit einer Nummer danach. Es gab allerdings im „Baan Lak 38“ ein Hinweisschild auf den Tad Fan, dem ich über einen Sandweg bis zu einem Parkplatz folgte. Dort musste ich mein Motorrad abstellen, um den Rest zu Fuß zurückzulegen. Es gab hier keinen Wasserfall, lediglich einen „View Point“. Von dort aus konnte ich zwar zwei wundervolle absolut hohe und steile, gleichzeitig aber extrem schmale Wasserfälle erblicken, deren Tosbecken nicht einmal sichtbar war.
Natürlich wollte ich als Entdecker den Fuß dieser Wasserfälle erreichen und so suchte ich mir einen Weg durch Gestrüpp, über Wurzeln und einen Berghang hinab. Leichter gesagt als getan: Es gab nur einen schmalen Trampelpfad durch laotischen Dschungel, der immer steiler wurde. Nachdem ich eine auf ihren Freund wartende Touristin auf dem Weg überholt hatte, stürzte ich gleich ein paar Meter den Abhang hinunter und kam erst dank herumliegender Wurzeln zum Halt. Es tat ein bisschen weh, ich war furchtbar dreckig und meine Flip-Flops rutschten noch ein paar Schritte weiter nach unten und hielten nur knapp vor einem noch steileren Abhang an, sodass ich sie glücklicherweise noch aus dem Dickicht fischen konnte, bevor ich mich weiter Richtung Wasserfall nach unten durchschlug. Irgendwann traf ich das besagten „Freund“, der mir in klar erkennbaren französischen Akzent auf Englisch zu verstehen gab, dass er auch keine Ahnung hätte, wie man weiter nach unten käme, als ich an einer Zwischenstufe eines Wasserfalles mit herrlicher Aussicht über den Dschungel angekommen war. Auf der anderen Seite ging es wieder nach oben, aber nirgends weiter nach unten, weshalb ich wohl oder übel wieder umkehren musste und den gesamten Abhang unter tropfendem Schweiß wieder hochkroch bzw. mich vorrangig an Bäumen und Wurzeln hochzog.
Gegen 10.30 Uhr stieg ich völlig nassgeschwitzt und bereits voller Sonnenbrand an den Armen wieder auf den Roller und begab mich zum nächsten Wasserfall namens Tad Lo. Ich war nur einmal kurz falsch abgebogen und ansonsten nur richtig gefahren. Dank der Meilensteine wusste ich auch immer in etwa, wo auf der Karte ich mich gerade befinde. Als ich an einem Hinweisschild zum Tad Lo ankam, stand ich nach ein paar Metern plötzlich vor einer Abzweigung, an der zwar etwas auf Laotisch geschrieben stand, jedoch meines Erachtens nichts mit dem Wasserfall zu tun hatten. Zwei andere Motorradfahrer kamen an dieselbe Stelle und wir wussten nicht weiter. Zunächst entschieden wir uns für den falschen Abzweig und kamen an einem schönen See mit badenden Leuten an. Ich fragte nach dem Weg, aber sie beschrieben ihn so kompliziert, dass wir drei uns entschlossen, einfach die andere Abzweigung zu nehmen. Gesagt, getan: Bald wurden wir mit einem malerischen kleinen Wasserfall belohnt. Die auch auf dem Motorrad angekommene Französin Fiona war ebenso hungrig wie ich gewesen und so planten wir beim gemeinsamen Mittagessen, wie man am besten zu dem Tad Lo, an dem wir ja noch nicht waren, kommen würde.
Bald liefen wir los, aber der Weg schien zu weit. Also stiegen wir auf das Motorrad und fuhren einen Weg neben dem kleinen Wasserfall entlang. Irgendwann landeten wir „auf“ dem Tad Lo, an dessen Fuße Touristen badeten. Aber irgendwie war er immer noch enttäuschend klein, also quälten wir die Motorräder noch weiter nach oben, Richtung Tad Suong. Nach zwei Kilometern ging es nicht mehr geradeaus, sondern nur noch rechts in ein Dorf. Wir fanden keinen Wasserfall und durchquerten das Dorf, bis uns entgegen kommende laotische Kinder nach unserer Destination fragten. Sie zeigten uns den Weg zum Wasserfall, der uns direkt in das Dorf führte. Wir folgten ihnen etwas skeptisch und mussten bald von den Motorrädern steigen. Während Fiona auf die Bikes aufpasste und mit den kleinen Kindern Fußball spielte, folgte ich einem etwa 15-jährigen Dorfbewohner in Richtung Wasserfall. Es ging wieder durch eine verwilderte Landschaft, über Stock und über Stein, und bald wurde es mir zu öde. Ich fragte ihn in einem Mix aus Thai und Laotisch, wie viele Meter es denn noch bis zum Wasserfall wären. Dann zeigte er, als wäre es das Selbstverständlichste der Welt, eine Zwei mit den Fingern. Ich erschrak und vergewisserte mich „soong phan met?“, was er ebenso gleichgültig bejahte. Solange wollte ich die arme Fiona nicht in dem Dorf lassen und wir kehrten um. Wir entschlossen uns, umzukehren und zum ersten Wasserfall zurück zu fahren, woraufhin uns die uns umringenden Kinder noch um Geld anbettelten. Ohne Gabe fuhren wir zurück, stellten unsere Räder ab und liefen zu dem Tad Lo, dem zweiten Wasserfall, auf dem wir ja bereits gestanden hatten.
Mittlerweile waren nur noch Laoten dort, die sich entsprechend kichernd über uns unterhielten, als wir dort in europäisch gewohnter Badebekleidung ins erfrischend kühle Nass sprangen. Ich schaffte es sogar als Einziger, bis direkt unter die Fallkante zu schwimmen und dort eine unvergesslich herrliche Dusche zu genießen. Leider gibt es davon kein Foto, weil ich meine Wertsachen nicht unbeaufsichtigt liegen lassen wollte und im Motorradschließfach gelassen hatte. Weil Fiona noch einen Tag dort bleiben wollte, fuhr ich am Abend allein nach Pakse zurück. Glücklicherweise fand ich bald eine Tankstelle in der Wildnis und so konnte ich die 90 Kilometer relativ gelassen zurücklegen; relativ deswegen, weil es bereits 16 Uhr war und ich das Motorrad bis 17 Uhr zurückgeben sollte. Deswegen heizte ich mit Höchstgeschwindigkeit über die Landstraßen und kam dabei durch zahlreiche Dörfer. Nach einer Abbiegung fehlten plötzlich für 20 Kilometer Meilensteine mit der Aufschrift Pakse, was mich sehr beunruhigte. Noch dazu stand ich auf einmal vor einer riesigen Baustelle, die von weiter Entfernung aus gesehen keinen Verkehr durchzulassen schien. Ich folgte jedoch guten Mutes diesem Weg und wurde schließlich mit einer sehr gut ausgebauten Autobahn nach Pakse belohnt. Noch einmal kurz Kraftstoff für 5.000 Kip geholt und dann konnte ich den Roller auch mal so richtig ausfahren. Ich holte mir beim Verleih meinen Reisepass wieder und lief nach Hause.
Auf dem Weg traf ich aber die junge Kanadafranzösin Melissa im Restaurant. Wir unterhielten uns eine Weile und verabredeten uns zum Abendessen, zu dem ich sie dann auf Gentleman-Art auch einlud. Schließlich setzten wir uns am späten Abend noch mit einem laotischen Angestellten unserer Unterkunft zusammen, weil der gleichzeitig Englisch und Französisch lernen wollte. Dieser hatte ein auf Laotisch gehaltenes Buch, das die einfache englische Grammatik erklärt, wobei er jedoch unsere Hilfe benötigte. Er war erstaunt, dass ich die meisten laotischen Wörter auf Anhieb dank Thai lesen konnte und mich auch in einfachen Sätzen ausdrücken konnte. Wer ein bisschen Thai kann und weiß, welche Unterschied es zwischen Thai und dem Laotischen gibt, der kann letztere Sprache recht schnell sprechen. So erklärte ich die Aussprache der englischen Wörter, Melissa übersetzte ein paar Überlebenssätze ins Französische und der Einheimische korrigierte meine laotischen Vorlesungen. Bald gesellte sich noch ein anderer Angestellter dazu, der erstaunlicherweise vier Sprachen recht fließend sprach: seine native Minderheitssprache, Laotisch, Thai und Englisch. Einfach nur beneidenswert!
Leider stand ich am nächsten Morgen viel zu spät, das heißt 7.30 Uhr, auf, sodass ich – Frühstück und Anfahrt einberechnet – erst ein sehr spätes Songthaew in die 4000-Inseln-Region nehmen könnte. Wie Lonely Planet es schön vorschlägt, sagte ich dem wartenden Tuk-Tuk-Fahrer netterweise „Kriangkai“-Bushaltestelle. Dort sollten angeblich billige Songthaew nach Baan Nakasang nahe Don Det, meinem nächsten Ziel, abfahren. Der Tuk-Tuk-Fahrer gehorchte, und da ich wusste, dass es ein weiter weg bis zu der Station wäre, war ich von Anfang an bereit, ihm einen etwas höheren Betrag für die Fahrt zu geben. Nach einer kurzen Fahrt hielt er aber auf einem großen Busbahnhof an und meinte zu mir nur, dass mein Bus bereits abgefahren sei! Natürlich protestierte ich, dass ich nicht auf diese Station wollte, sondern viel weiter außerhalb der Stadt. Er zeigte mir an einem Schild, dass diese Bushaltestelle den Namen „Kriangkai“ trägt (ja, Lonely Planet hat auch nicht immer recht!) und dass ich ihm „Southern Bus Station“ hätte sagen müssen. Völlig empört gab ich ihm die versprochenen 10.000 Kip und suchte mir einen viel netteren Saamloo-Fahrer, der mich für nur 8.000 Kip viel weiter brachte, und zwar genau zu Songthaew-Station. Es war mittlerweile kurz vor neun.
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Von Pakse nach Don Det (29.03.2010)
Dort brauchte ich nur „Don Det“ zu denken, schon wurde ich in ein Songthaew (was wieder ein Saamthaew war) gezerrt. Der Rucksack landete auf dem Dach, ich im Gefährt und einen Preis konnte ich gar nicht aushandeln. Schön leer war der Dreireiher, der sich jedoch innerhalb weniger Minuten stark füllte. Schließlich wurde noch der Kanadier Bob aufgeladen, mit dem ich mich aber kaum unterhielt. Wir fuhren los. So schien es zumindest. Nach ganzen einhundert Metern blieben wir stehen. Dieser Zustand sollte auch noch etwa eine halbe Stunde so anhalten. Während keiner die Warterei verstand, wurden alle herumlaufenden potenziellen Passanten angequatscht, ob sie denn mitfahren möchten, bis das Fahrzeug wirklich voller als voll war. Die Kinder saßen auf dem Schoß der Eltern, um die Beine herum waren Reissäcke gestellt und einige Mitfahrenden mussten auf der Hecktreppe stehen. Es wurde zu einer mehrstündigen Fahrt über eine einzige gerade Straße, auf der immer wieder Leute auf- und abgeladen wurden, bis in Baan Nakasang praktisch nur noch der Kanadier und ich übrig waren. Wir wurden bis an den Mekong gefahren, von wo aus wieder eine teure Fähre (weil wir nur zu zweit waren) nach Don Det nehmen mussten. Die Fähre war nichts als ein schwimmendes Brett mit 08/15-Holzbänken und einem nutzlosen Dach, aber es war ganz angenehm, die 4000 Inseln zu durchqueren, um schließlich auf einer der Hauptinseln anzukommen.
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Don Det (29. – 30.03.2010)
Aus reiner Höflichkeit zeigte mir der Kanadier noch eine billige Unterkunft weit entfernt des touristischen Getümmels, woraufhin ich ihn noch zu einem Bier einlud. Nach einer Stärkung und kurzer Eingewöhnung mietete ich mir ein klappriges Damenrad ohne Gangschaltung, mit dem ich die Insel und vor allem die umliegenden Wasserfälle erkunden wollte. Don Det ähnelte praktisch einem großen Zeltplatz in Europa. Es war keine Gegend, in der ich mich wohlfühlte, also radelte ich so schnell wie möglich los. Ich hatte keine genaue Karte, nur eine Lonely-Planet-Übersicht des gesamten Si-Phan-Don-Gebietes.
Zufälligerweise traf ich unterwegs den Kanadier wieder, der mir erklärte, dass ich etwa vier Kilometer bis zu einer Brücke fahren sollte und es dann nur noch ein leicht zu findender Zwei-Kilometer-Weg bis zum Wasserfall sei – er beschrieb mir jedoch den Weg zum Tad Somphamit und nicht zum größten Wasserfall Südostasiens namens Khon Phapheng, was ich erst später herausfinden sollte. Die Beschreibung klang ja leicht – und so kam ich auch problemlos an der besagten Brücke an, wo sich der so angenehme Sandweg plötzlich in einen Schotterpfad verwandelte. Denkbar ungünstig für ein Fahrrad fuhr ich immer weiter geradeaus und ignorierte wohl jegliches Hinweisschild, denn es kam kein Wasserfall. Ich hörte nicht einmal Wasser rauschen. Vor mir lag nur ein ewiger, endlos scheinender Waldweg, den ich mit niemals mehr als 5 km/h bezwingen konnte. Es war heiß, schwül, drückend, schweißtreibend, endlos und aussichtslos, es gab keinen Menschen weit und breit, ich hatte keine Orientierung, aber ständig Angst vor einem Platten. Würde ich je irgendwo ankommen? Aber ja, der Weg muss ja irgendwo hinführen … und wenn nicht zu einem Wasserfall, dann zu etwas anderem Interessanten. Ständig sagte ich mir: Noch bis zur nächsten Abbiegung und wenn dort nichts ist, dann drehe ich um. Aber entweder kam keine Abbiegung oder ich war einfach zu neugierig, was sich hinter der nächsten Kurve befinden könnte. Hin und wieder sah ich ein kleines Feuer mitten im staubtrockenen Wald lodern, bis ich schließlich nach gefühlten 10 Kilometern an einer Weggabelung ankam, auf die bald ein kleines Dorf folgte.
Hinter dem Dorf befand sich auch ein See … aber nein, es war der Mekong! Ich hatte also einmal die Insel Don Khon (die ich ja über eine Brücke von Don Det aus erreicht hatte) durchquert. Laut Lonely Planet musste ich am so genannten „Dolphin Spot“ gelandet sein. Dort saßen tatsächlich auch Touristen, mit denen ich aber kein Wort wechselte. Stattdessen ging ich direkt auf den Mekong zu, wartete, bis keiner der Dorfbewohner mehr hinsah, und sprang dann in den Riesenfluss. Ich schwamm ein paar Meter, bis mich recht große Fische umringten und mich aus dem Wasser vertrieben. Aber immerhin hatte ich meine Abkühlung, kaufte mir im Dorf noch ein Wasser und fuhr dann einen anderen, viel kürzeren und angenehmeren Weg zurück zur Brücke.
Ich fuhr noch einmal in eine andere Richtung, in der Hoffnung, den Wasserfall zu erreichen, aber ich merkte bald, dass es wieder die falsche Richtung war. So kehrte ich also um und erreichte den Wasserfall tatsächlich nach einigen Kilometern, allerdings im Mondschein und ohne eine Menschenseele! Nachdem ich ein bisschen über die Felslandschaft geklettert war, erspähte ich ein paar badende Einheimische, die ich lieber nicht stören wollte. So versuchte ich, trotz Warnschild mich immer weiter nach unten so weit wie möglich an den Wasserfall heran zu tasten, obgleich es ja keinen Weg dorthin gab. Aber ich schaffte es glimpflich, mit meinen Flip-Flops die Steinwände hinab- und erfolgreich wieder hinaufzusteigen. Die Gegend war bei Nacht und im Mondschein einfach nur idyllisch und ich hätte ewig dort bleiben können. Allerdings hatte ich bis nach Hause noch gute sechs Kilometer ohne Licht am Rad, immer am Wasser entlang (gefährlich!), vor mir. Diese bewältigte ich aber gekonnt und so hatte ich doch einiges an diesem eigentlich kurzen Tag geschafft.
In einem Reisebüro kaufte ich mir noch ein billiges Ticket nach Stung Treng (sprich: S-tüng Trscheng) in Kambodscha für den nächsten Tag und begab mich danach in meine Ecolodge. Bereits beim Betreten dieser sehr einfach gehaltenen Unterkunft auf einer Insel, die vor zwei Jahren noch nicht einmal Strom hatte, begrüßte mich eine riesige Kakerlake, die im Türrahmen sofort zu Bett ging, nachdem sie mich gesehen hatte. Die Nacht selbst war absolut unruhig, weil mir der Ventilator direkt ins Gesicht wehte, draußen der Wind das Dach fast abhob und schon gegen vier Uhr morgens die Hühner und Laoten um mein Haus herum zu arbeiten anfingen!
So war ich auch am nächsten Morgen der erste in jedem touristischen Restaurant, die meisten waren sogar noch geschlossen. Nach einem sehr günstigen Frühstück wartete ich mit ein paar anderen Touristen am Strand auf das Boot, dass uns zu dem Bus nach Kambodscha bringen sollte.
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Von Don Det nach Kratie (30.03.2010)
Auf der Bootsfahrt lernte ich den Kölner Chris kennen, mit dem ich mich dann die gesamte Busfahrt unterhielt. Bis zur kambodschanischen Grenze war es nicht weit. Alles raus aus dem Bus, zum Ausstempeln aus Laos anstellen (1 Dollar), dann zum Gesundscheck (noch mal 1 Dollar!), ein kambodschanisches Visum einsacken (23 Dollar) und zu guter Letzt noch mal zum Einstempeln nach Kambodscha (wieder 1 Dollar!?) anstellen, dann war ich in Kambodscha, dem wohl staubigsten Land in Südostasien. Alle waren durch die Grenze gekommen und … warteten, warteten, warteten. Worauf? Das wusste lange keiner. Etwa eine Stunde standen wir ratlos herum – bis irgendwann eine Kolonne von mindestens zehn schwarzen Lexus-SUVs die Grenzschranke passierte, vor unserem neuen Bus stehen blieb, eine Umschlagübergabe stattfand und die Kolonne sich schließlich weiter Richtung Kambodscha fortbewegte. Ich will gar nicht wissen, wie viele tausend Dollar sich in dem braunen Umschlag befanden! Jedenfalls ging es sofort nach dieser Aktion mit dem neuen Bus in alter Sitzordnung weiter nach Stung Treng, einem Ort, in dem es angeblich keine Touristen, keine Verleihstellen und nahezu keine Unterkünfte für Nicht-Kambodschaner gäbe, so zumindest der Ticket-einsammel-und-kontrollier-Mann in unserem Bus. Lange redete er auf mich ein, weil ich doch angeblich der Einzige, der dort aussteigen wollte, sei. Ich erfuhr, dass noch eine nach Kratie (sprich: Kratschje) wollte, ansonsten würden alle nach Siem Reap (sprich: Sjem Rijap) fahren oder in Stung Treng in einen anderen Bus nach Banlung verladen. Ich ließ mir nichts aufschwatzen und stieg in Kratie aus. Als ich meine Tasche herausholen wollte, sah ich einen anderen Touristen, der Gleiches tat. Er wollte auch in Stung Treng bleiben – und wieder redete der Ticketverkäufer auf uns ein. Das Ticket nach Kratie wäre von hier aus ja nur sieben Dollar; und um von dieser Stadt wegzukommen, gäbe es nur diesen einen Bus! Wir beide ließen uns überreden, aber handelten von sieben Dollar pro Person auf acht Dollar zusammen, also vier für jeden, herunter. Das war immer noch teurer als ein ursprüngliches Direktticket von Don Det nach Kratie, aber nun waren wir schon zu dritt, die in diese Einöde wollten.
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Kratie (30.03. – 31.03.2010)
In Kratie angekommen, stiegen also wirklich nur die Belgierin Katleen, der Chilene Alejandro und ich aus. Und wieder nervte uns der Ticketverkäufer! Da er ja in dieser Stadt zu Hause sei, kannte er sich bestens aus und empfahl uns gleich ein superbilliges Guesthouse für drei Dollar. Wir ließen es uns wenigstens zeigen und entschieden uns schließlich dafür. Der Chilene und ich teilten uns sogar noch diesen billigen Raum, sodass jeder nur unglaublich 1,50 US$ für eine Nacht bezahlte. Die Belgierin nahm einen eigenen Raum.
Nachdem wir uns kurz akklimatisiert und eingewöhnt hatten, gab es noch die Idee, von der uns der Ticketverkäufer erzählt hatte, zum so genannten „Dolphin Spot“ zu fahren, um dort die seltenen Irrawaddy-Delfine in freier Natur zu beobachten. Es schien von Anfang an recht teuer, sodass wir mit allen herumstehenden Motorrad- und Tuk-Tuk-Fahrern diskutierten, bevor wir uns schließlich entschieden, uns doch für drei Dollar pro Person darauf einzulassen. In dem besagten Guesthouse gab es noch eine Jugendgruppe bestehend aus Niederländern, Australiern und einer Kanadierin, die aber die Tour zu den Delfinen nicht mitmachen wollten.
Bevor uns der Fahrer bis zum Ziel brachte, hielten wir erst an einem ATM an, an dem uns der schon altbekannte Ticketverkäufer noch einen Bus nach Phnom Penh andrehen wollte. Das Angebot für sechs Dollar klang gut und so nahmen der Chilene und ich eines. Danach hielt er Tuk-Tuk-Fahrer an einer Tankstelle an und verlangte einen Vorschuss der Fahrtkosten, damit er den Preis für den Sprit begleichen konnte. Endlich fuhren wir drei ganze 17 Kilometer mit einem klapprigen Tuk-Tuk durch viele, viele Vororte von Kratie mit freundlichen, uns grüßenden Menschen, bis wir an der Stelle, an der man angeblich die Delfine zu Gesicht bekommen soll, ankamen. Lange diskutierten wir über den enormen Preis von sieben Dollar pro Person, aber mit dem Versprechen, das Geld bei erfolgloser Delfinsuche zurückzubekommen, willigten wir ein.
Dann begaben wir uns auf ein Boot und warteten … wie viele andere Touristen (wo die auf einmal alle herkamen?) auch. Ein paar Minuten vergingen, dann bewegte sich etwas im Wasser. Schnell die Kamera gezückt, schon war es vorbei. Dort wieder, und da, dort drüben, hast du das gesehen?, war das nicht ein Delfin?, oh, schau mal, so nah!, ach Mist, wieder nicht mit der Kamera erwischt … es war ein Geduldsspiel, die scheuen Tiere mit der Kamera einzufangen. Es war nahezu unmöglich. Dutzende Bilder eines leeren Sees wurden geschossen, bis zum Sonnenuntergang. Niemals sah man mehr als die Rückenflosse und den Rücken der Tiere, aber immerhin! Wir fuhren noch auf eine kleine Insel, von der aus wir bessere Bilder schießen wollten, aber vergebens. Da es so schwül an diesem Abend war, sprangen Alejandro und ich noch von der Bootsanlegestelle aus in den Mekong und hielten es keine zwei Minuten darin aus. Zitat Alejandro: „There’s a forest underwater!“ Nach dem Sonnenuntergang traten wir die Heimreise durch die bereits stockdunklen Dörfer an, suchten uns in der Stadt ein tolles Restaurant mit günstigem „amok trei“ und setzten uns mit den anderen, die wir ja schon vor der Delfintour kennen gelernt hatte, auf das Dach unserer Unterkunft.
Deren Bier war aber nach kurzer Zeit bereits leer, sodass wir uns entschieden, die Stadt unsicher zu machen. Im ersten Restaurant handelten wir 24 Dosen Bier für 20 Dollar aus, was uns einige Zeit kostete. Nachdem sich noch zwei Schweizerinnen und der Restaurantbesitzer zu uns gesellten, machten wir uns recht spät noch in die von Letzterem empfohlene Karaoke-Bar auf. Sie kostete fünf Dollar pro Stunde und befand sich in einer Privatwohnung auf einer Fläche von höchstens drei mal vier Metern inklusive Fernsehtisch, Ecksofa, Tisch und Toilette! Es war praktisch kein Platz für neun Leute in diesem Kämmerchen, aber dennoch hatten wir anderthalb Stunden großen Spaß beim englischen Karaoke mitten im eigentlich absolut nicht touristischen Osten Kambodschas. Zurück im Zimmer quatschte ich noch bis gegen drei Uhr nachts mit Alejandro, wobei ich zusehends müder wurde, bis ich schließlich fertig vom Tag einnickte und erst am nächsten Morgen gegen 7.30 Uhr wieder erwachte.
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Von Kratie nach Phnom Penh (31.03.2010)
Nach einer Dusche und einem sehr teuren, qualitativ aber billigen Frühstück mussten sich Alejandro und ich gar nicht bemühen, um den Bus nach Phnom Penh zu bekommen; es stand bereits ein uns abholender Motorradfahrer bereit, der zuerst den Chilenen, dann mich zum Bus brachte. Die Belgierin wollte ja noch mindestens einen Tag unter den Einwohnern Kraties weilen. Während ich warten musste, wurde ich von einer sehr jungen Kambodschanerin in recht gutem Englisch angesprochen bzw. angebettelt, ob ich ihr nicht ein Wörterbuch Khmer-Englisch kaufen könnte, weil sie so gerne Englisch sprechen möchte, aber kein Geld dazu hat. Den Ansatz fand ich ja sehr gut, aber die Masche war eindeutig: Geld vom Ausländer bekommen. Ich tue solche Sachen einfach nicht mehr; es lohnt sich einfach nicht. Wenn ich einem Menschen Geld gebe, kommen fünf weitere an und wollen ebendasselbe. Gebe ich auch diesen etwas, so potenziert sich die Anzahl der Bettler und man lernt gezwungenermaßen irgendwann, „nein“ zu sagen, auch wenn es vielleicht schmerzt. Zurück zur Reise: Der Motorradfahrer verlangte zunächst einen ganzen Dollar für den Service von einer Strecke, die wir in fünf Minuten hätten laufen können, obgleich der Pick-up ja im Ticket enthalten war. Ich steckte ihm empört 1000 Riel entgegen und damit war gut.
Wir waren uns nie sicher, dass wir im richtigen Bus saßen, weil er a) gen Norden fuhr, b) pink war und c) nur Kambodschaner darin saßen, von denen der Großteil Mönche waren. Auf dem Weg wurden immer ärmere Menschen aufgegabelt, die aussahen und rochen, als kämen sie gerade vom Feld. Die Zähne sahen aus wie noch nie geputzt (gelb und schwarz oder gar nicht mehr vorhanden) und der Geruch dieser Feldarbeiter ähnelte dem eines Fußes, der schon sechs Monate in Gips lag. Nach einem kurzen Stopp an einer Tankstelle, an der man wohl noch nie Ausländer gesehen hatte, waren wir uns recht sicher, dass wir auf dem richtigen Weg waren. Die Fahrt hatte uns ganze 7½ Stunden gekostet, also würden wir wohl an diesem Tag nicht mehr viel in Kambodscha machen können. So würde ich auch einfach noch eine Nacht länger als geplant bleiben – was ich sowieso musste, da mein vietnamesisches Visums aufgrund eines Fehlers bei der Beantragung erst ab 2. April galt.
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Phnom Penh (31.03. – 02.04.2010)
In Phnom Penh wurden wir sofort von Tuk-Tuk-Fahrern umringt, von denen sich einer anbot, uns für einen Dollar bis zum „Number 9 Guesthouse“ zu kutschen. Das tat er wahrscheinlich auch, hielt aber vor einem Typen, der uns unaufgefordert ins „Green Lake Guesthouse“ brachte. Zunächst versprach er uns ein Zimmer für drei Dollar, zeigte uns aber nur die für fünf Dollar. Auf unseren Wunsch offenbarte er dann eine schäbige Kammer für weniger Geld, das wir aber nicht zu zweit hätten bewohnen dürfen. Wir entschieden uns also für ein Doppelzimmer für fünf Dollar.
Der Rezeptionist dieses uns aufgezwungenen Hauses war nicht nur unfreundlich, sondern regelrecht beleidigend. Es fing schon damit an, dass wir die eine Nacht, die wir erst einmal nahmen, um uns die Möglichkeit offen zu halten, für die zweite Nacht eine andere Unterkunft zu suchen, im Voraus bezahlen sollten. Das an sich ist ja kein Problem, aber er wollte das Geld jetzt haben und uns die Quittung nach dem Auschecken am nächsten Tag geben. Den Sinn verstand ich nicht und so protestierte ich: Er bekommt das Geld, wenn wir die Quittung bekommen, oder wir bezahlen einfach am nächsten Tag, wenn er bereit wäre, uns den Beleg auszustellen. Das kapierte er wiederum nicht und schusterte widerwillig einen Zahlungsnachweis zusammen, wobei ihm aber der Kommentar „I’ve seen a German like you“ herausrutschte. Ich steckte das Geld zurück mit den Worten „One word like this, and I‘ll check out“. Mit einem frechen „Pff“ schob er mir die Quittung zu und forderte das Geld ein. Ich sah es zwar schlecht angelegt, aber willigte schließlich ein, wenigstens eine Nacht dort zu weilen.
Wir besprachen die Situation in unserem tollen Zimmer mit zwei Ventilatoren, bis Alejandro einen günstigeren Preis mit „guten“ Worten aushandeln wollte – ohne Erfolg. Wir bestellten uns in der sehr schön eingerichteten Lobby mit Seeblick etwas zu essen, wobei aber Alejandros Spaghetti niemals kamen und er auch feststellen musste, dass der Rezeptionistenfuzzy einfach nur unglaublich unfreundlich war.
Wir schauten uns in unserem Ghetto um, kamen an einer Art Moschee vorbei und liefen eine lange Avenue entlang, bis wir nach ewigem Fußmarsch endlich an dem Motorradverleih „Lucky, Lucky!“, der auch von Lonely Planet empfohlen wurde, ankamen. Da ich die ganzen Touristen-Attraktionen schon mal gesehen hatte und Alejandro sowieso noch ein Tag länger als ich bleiben würde, entschieden wir uns dafür, uns für vier Dollar am Tag je einen Motorroller zu nehmen und so die Stadt ohne Verkehrsregeln auf unseren Bikes unsicher zu machen. Ich hatte natürlich meinen Reisepass im Zimmer liegen lassen, sodass Alejandro den Kopf herhalten und für beide gemietete Motorräder haften musste. Zwar gefiel mir mein Helm überhaupt nicht, aber egal, es war Kambodscha! So schwangen wir unsere Hintern auf die Bikes und ab ging es über die unendliche Phnom Penher Autobahn in die Nacht hinein. Wir fuhren ziellos immer in eine Richtung und da es eine Art Außenring gab, kamen wir schnell wieder in die Stadt hinein. Wir kehrten kurz wieder in unseren Bezirk zurück, um pakistanisch zu essen und dann ging es wieder auf die Räder. Da die Straßen mittlerweile immer leerer geworden waren, konnten wir sie gut für ein Straßenrennen nutzen. An diesem Tag fuhren wir bereits das erste Mal den Tank leer.
Wir suchten uns besonders dunkle Gassen, schwierige Wege und wenig überschaubare Straßen aus, um eben gerade nicht die Touri-Gebiete zu sehen … bis wir kurz vorm Flughafen standen und Alejandro einen Platten beklagte. Was für ein Pech nachts um eins! Aber glücklicherweise fanden wir bald jemanden, der zwischen Einzelteilen ohne Dach auf der Straße saß und eine Honda reparieren konnte. So flickte er für einen Dollar kurzerhand den Hinterreifen, und wir konnten in unsere Unterkunft zurückkehren.
Mein Ziel für den folgenden Tag hieß Stung Meanchey, das ärmste Viertel von Phnom Penh, in dem sich Müllberge türmen und die Menschen vom Verkauf des angehäuften Unrats leben müssen. Ich wollte mir diese unglaubliche Müllstadt in der Großstadt einfach ansehen, denn sie ist auf keiner Touristenkarte verzeichnet und wird in keinem Reiseführer erwähnt – so, als würde sie nicht existieren! Grund genug dafür, unsere Motorräder dorthin zu quälen.
Vorher gab es aber noch in einem Restaurant, das nicht für Touristen gedacht war und die Speisen nur auf Khmer hatte, glücklicherweise mit Bildern. Mir schmeckte das ungewöhnliche Frühstück, während es dem Chilenen etwas gegen den Strich ging. Dann ging es los, zunächst zum Ticketverkauf für meinen Bus am nächsten Tag und dann immer Richtung Südwesten, kann ja nicht so schwer sein. Wir irrten aber etwa eine Stunde in der Stadt herum und fanden den „Ausgang“ nicht. Schließlich in Stung Meanchey angekommen, hätten wir wohl in eine der Seitengassen, die auf Hinterhöfe zu führen schienen, abbiegen müssen, um in den eigentlichen Müll zu kommen, taten es aber nicht, sondern folgten einer langen Straße immer weiter Richtung Süden. Es gab dort zwar Deponien und sehr arme Menschen, aber nicht das, was ich eigentlich hatte sehen wollen. Wir versuchten bald, über einen Umweg nach Phnom Penh zurückzukehren, machten kurz Halt an einem Shop mit zwar kühlen, aber seltsamen Getränkedosen und einer verwunderten Verkäuferin, die um einiges jünger als wir war, und gelangten in eine wunderschöne Stadt namens Ta Khmau am Bassac-Fluss. Ein paar kambodschanische Kinder hatten wahnsinnigen Spaß an uns, aber mehr als „Hello“ und „Su-e sdei“ war an Gesprächen nicht drin. Also kehrten wir den Leuten dort bald den Rücken und kamen endlich wieder in Phnom Penh an – doch warum sollten wir schon wieder zurück in unser Guesthouse? Der Spaß sollte erst noch anfangen!
Statt direkt weiter in die Stadt zu fahren, bogen wir über eine Brücke nach Osten in einen anderen Randbezirk ab, wonach wir auf eine mehrere Kilometer lange Nationalstraße, die sich vollkommen einer Restauration unterzog und so lediglich aus festgefahrenem Sand bestand, gelangten. Trotz Einspurigkeit in beiden Richtungen quetschten sich auch mal kleinere Autos und Tuk-Tuks an den großen Lastern vorbei, selbst wenn ein ebenso riesiges Gefährt entgegen kam. Wir auf unseren Motorrädern zogen in dieser Lebensmüdigkeit mit und waren wohl die Schnellsten auf der gesamten Strecke. Zwischen geschätzten 60 und 80 Stundenkilometern ging es im Slalom um die LKWs herum, um schlussendlich in Kien Svay zu landen. Dort verbrannte sich beim kurzem Trinkstopp Alejandro sein Bein an dem Auspuff meines Motorrads, woraufhin wir uns entschlossen, schnellstmöglich zurück zu unserer Unterkunft in Phnom Penh zu fahren. Es ging also wieder die gesamte Strecke lebensgefährlich mit Höchstgeschwindigkeit durch die Lasterkolonnen, „zu Hause“ tankten wir bei einem Shake wieder etwas Energie und schafften die Bikes dann wieder zurück zum Verleih. Wir aßen noch sehr günstig in einem Restaurant mit einer sehr hübschen vietnamesischen Bedienung, weshalb ich mich eigentlich auch auf Vietnam freute, beglichen alle offenen Rechnungen im „Green Lake Guesthouse“ und verabschiedeten uns schon einmal voneinander, weil ich am nächsten Morgen ziemlich zeitig aufstehen würde. Zum Abschluss schenkte mir als Hobby-Numismatiker Alejandro noch ein paar chilenische Münzen und erzählte mir von seinem Heimatkontinent.
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Von Phnom Penh nach Hồ-Chí-Minh-Stadt/Sài Gòn (02.04.2010)
So geschah es dann auch: Pünktlich 7.30 Uhr wartete ich am Eingang unseres Guesthouse samt Gepäck auf das Pick-up-Tuk-Tuk, das mich erwartungsgemäß zu meinem Bus nach Hồ-Chí-Minh-Stadt (im Folgenden nur noch Sài Gòn) bringen sollte. Stattdessen sprach mich aber ein blau uniformierter Mann an, wo ich denn hinwollte. Nachdem wir beide mitbekommen hatten, dass er mein „Abholer“ war, sollte ich ihm zu seinem Wagen folgen. Dieser sah als schwarzer Minivan alles andere als vertrauenswürdig aus, aber mir blieb ja keine Wahl außer einzusteigen. Noch dazu war ich der Einzige in dem geräumigen Auto. Wie konnte man am frühen Morgen nur in Phnom Penh ein vierrädriges Gefährt mit mindestens zehn Sitzen für einen Abholdienst von nur einer Person einsetzen!?
Der Fahrer hatte auch keine Ahnung, wo ich überhaupt hinsollte. Glücklicherweise hatte ich am Vortag aufgepasst, als mir die Ticketverkäuferin nebenbei mitteilte, der Bus fahre nicht wie üblich an einer Bushaltestelle, sondern nahe dem Olympiastadion ab. Das musste ich meinem klugen Abholer natürlich sagen, denn der fuhr völlig falsch. Schließlich kamen wir aber doch pünktlich an. Zwei Dinge an diesem vietnamesischen Bus merkte ich sofort, die meinen späteren Eindruck von Vietnam noch bestätigen sollten: Obwohl die Fahrt ewig nicht losging, wurde ich unfreundlich darauf hingewiesen, dass ich doch bitte endlich einsteigen solle. Am Vortag war mir ein Frühstück und Getränk für die Busfahrt versprochen worden, weshalb ich nichts vorher gegessen und mir nichts gekauft hatte. Fehler, denn wenn Vietnamesen etwas gut können, dann ist es, etwas Minderwertiges einem geschickt schmackhaft zu machen: Das Frühstück bestand aus einem zermatschten, lauwarmen, mit Käse überbackenem (dass ich Letzteres nicht mag, ist ja meine Schuld) Bagel, den ich selbstverständlich verschmähte, und das Getränk war ein warmes Wasser ohne Sprudel, auch nicht gerade lecker.
Vor der Abfahrt wurden die Reisepässe eingesammelt und auf ein vietnamesisches Visum überprüft. Pünktlich 8.15 Uhr ging es los. Eine kurze Auflockerung zwischendurch gab es nach gut anderthalb Stunden, als wir den Mekong bei Neak Luong überqueren mussten. Auf unserer Fähre befand sich neben Passanten und Motorradfahrern auch ein Personentransport, wie man ihn extrem oft in Kambodscha sieht. So werden meist weit mehr als zwanzig arme Menschen in einen kleinen Van gequetscht, der für nicht einmal die Hälfte dieser Anzahl vorgesehen ist. Bilder sind in solchen Situationen aussagekräftiger.
Kurz vor dem Mittag gab es noch einen Stopp in Bavet, der Grenzstadt auf kambodschanischer Seite, in der ich mich mit Reis, Brot und Fanta für die letzten Kilometer stärkte. Bavet schien eine wichtige Spielhallenstadt zu sein, denn neben besagten Casinos fanden sich auch teure Oberklassehotels in näherer Umgebung. Nach ein paar Minuten Fahrt erreichten wir die Grenze.
Alle sollten aussteigen und einige, einer davon ich, bekamen ihren Reisepass wieder, um ihn abstempeln zu lassen und danach wieder abzugeben. Danach ging es schon weiter, bis wir das Grenzgebäude von Vietnam in Moc Bai erreichten. Dort standen wir eine gute halbe Stunde sinnlos vor dem Schalter, weil unsere Reisepässe ja eingesammelt worden waren. Keiner wusste Rat – bis der Schaffner, der unserer Passports ja einkassiert hatte, anfing, laut die Namen der vietnamesischen Passagiere aufzurufen und ihnen ihre Reisepässe wieder aushändigte. Die Ausländer wurden gemäß ihrer Nationalitäten gerufen: Der Pass war tatsächlich vollständig abgestempelt worden und ich war in Vietnam.
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Hồ-Chí-Minh-Stadt/Sài Gòn (02. – 03.04.2010)
Gegen 14 Uhr erreichten wir Sài Gòn. Auf den letzten paar Kilometern unterhielt ich mich noch mit der Chinesin Li Wei, die zwar schon die ganze Zeit neben mir gesessen, aber mit der ich kein Wort vorher zu wechseln verstanden hatte. Sie gab mir aber einen essentiellen Tipp für meinen Aufenthalt in Vietnam: Die vollständige Adresse stehe immer in bestimmter Reihenfolge an nahezu jedem Haus, sodass man sofort wisse, in welcher Stadt, welchem Distrikt und welcher Straße man sich gerade befinde. Der Bus hielt glücklicherweise in der Phạm Ngũ Lão, dem Ausländerviertel von Sài Gòn überhaupt, aber ich lief in die falsche Richtung und nahm ein Motorradtaxi zur Đường Đề Thám, in der sich bekanntlich alle billigen Unterkünfte befinden sollten. Ein Zimmer für fünf US-Dollar zu finden, stellte sich als schwierig heraus, aber ich hatte Erfolg und mir wurde ein Dorm auf dem Dach eines Hauses namens „Yịnh Guesthouse“ angeboten. Den beschwerlichen Aufstieg bis ins sechste Stockwerk machte die wunderbare Aussicht über die Innenstadt von Sài Gòn wett, sodass ich mich für dieses „Zimmer“ entschied. Im Prinzip waren es lediglich Betten auf einem Dach, das mithilfe eines Zaunes als Wände und einer Pappdecke den Eindruck eines Zimmers erweckte. Beim Einchecken musste ich ungewöhnlicherweise meinen Reisepass abgeben, was ich aber ohne Murren tat.
Anschließend wollte ich mir ein Fahrrad holen, da ich auf diese Weise die Stadt schneller erkunden könnte, aber es gab nur ein nicht sehr viel Vertrauen erweckendes Rad, sodass ich doch lieber einen Motorroller für fünf Dollar nahm. Ein Schloss gab es dieses Mal nicht dazu. Wieder sollte ich meinen Reisepass abgeben, aber da ich das ja bereits im „Yịnh Guesthouse“ getan hatte, überredete ich den Verleiher, doch meinen deutschen Führerschein als Pfand zu akzeptieren. Was für eine Ironie: Ich gebe meinen Führerschein ab, um ein motorisiertes Fahrzeug zu steuern! Das versuche mal einer in Europa.
So ging es also über die chaotischen Straßen von Sài Gòn bis zur ersten Tankstelle. Für 50.000 Đồng war der Roller voll. Das eigentliche Chaos merkte ich erst im Kreisverkehr: Es gibt in Sài Gòn praktisch keine Verkehrsregeln, dafür aber Millionen Motorroller und umso weniger vierrädrige Fahrzeuge. Ampeln sind oft Deko, die Fahrtrichtung muss nicht immer eingehalten werden, Bürgersteige sind auch für Motorräder da und wer eine Straße überqueren will, tut das einfach. Man kann eine Straße zu Fuß, auf dem Fahrrad oder mit einem Motorroller überqueren, ohne dabei auf die einhundert einen umzingelnden Roller zu achten, weil die ja schon auf denjenigen achten, der lebensmüde über die Straße läuft. Nicht umsonst wird Sài Gòn die Stadt mit dem verrücktesten Verkehr weltweit geschimpft. Mit meinem neu erworbenen Gefährt fuhr ich zunächst ein paar Straßen Sài Gòns ab und orientierte mich an … hm, woran eigentlich? … an gar nichts – bis ich die Probe aufs Exempel machte und versuchte, wieder nach Hause zu finden. Das Ganze kostete mich eine gute Stunde und etwa zwanzigmal anhalten, weil ich bei dieser undurchsichtigen Straßenführung ständig auf die Karte schauen musste. Das sollte es für heute auf dem Ding gewesen sein.
Ich holte mir einen Hot Dog und wollte den nach einem Shake in einem Restaurant in meinem Bett auf dem Dach essen, doch dazu kam es nie: Die ersten zwei Vorhaben klappten zwar, aber als ich in dem Restaurant saß, kam ich dank einer Buchverkäuferin, wie man sie zuhauf in ganz Vietnam und Kambodscha findet, mit dem Reisenden Mike tschechisch-englischer Abstammung und dem älteren kanadischen Ehepaar Michelle und Tony ins Gespräch, in dem es hauptsächlich um Lonely-Planet-Plagiate und Reiseberichte ging. Mit Mike leerte ich noch ein paar Biere und dann suchten wir nach einer billigeren Unterkunft für die nächste Nacht, wobei ich aber vergaß, dass ich eigentlich nur diese eine Nacht in Sài Gòn bleiben wollte. Jedenfalls fanden wir die uns empfohlene Bleibe nicht und so gingen wir getrennte Wege.
Mittlerweile war der Schwede Kiet mit vietnamesischen Wurzeln in meinem Dorm aufgetaucht – so waren wir zu zweit auf dem Dach. Also unterhielten wir uns noch eine Weile, bis wir beide hundemüde ins Land der Träume verschwanden.
Für den nächsten Tag hatte ich mir einen Ausflug zu den Củ-Chi-Tunneln mit dem Motorrad vorgenommen. Ich checkte bereits gegen neun aus und ließ meine Tasche im Guesthouse stehen. Lonely Planet meinte, bis zu den Củ-Chi-Tunneln, einem unterirdischen 200 Kilometer langen Netzwerk aus Tunnelgängen, die von den Viet Cong als Basis und Versteck vor den Amerikanern im Vietnamkrieg genutzt wurden, wären es stadtauswärts nur 23 Kilometer. Kann ja nicht so schlimm sein. Also fuhr ich los und fand schon ewig keine Straße, die aus Sài Gòn herausführte. Noch dazu war es furchtbar heiß und ich hatte keine Sonnencreme dabei. Irgendwann kam ich schließlich auf eine Autobahn, die nach Củ Chi führen sollte. Autobahn in Vietnam heißt, dass sie problemlos auch mit Motorrollern befahren werden kann, da es dafür meist sogar abgetrennte Fahrbahnen gibt. Auf einer Doppelspur in jeder Richtung fahren gewöhnlich Autos und große Lastwagen, wahlweise aber auch Motorräder. Ich war wieder der schnellste, weil ich nicht verstehen konnte, wieso die Vietnamesen alle so über die Schnellstraße kriechen müssen.
Es war eine endlose Fahrt, heiß und staubig, weit mehr als 23 Kilometer. Und dann war ich in Củ Chi. Dort entschied ich mich, mal von der Autobahn abzufahren und nach Schildern zu den Tunneln zu suchen, aber Fehlanzeige: Selbst wenn es mal Schilder gab, dann waren sie auf Vietnamesisch. Wie man „Tunnel“ in dieser seltsamen Sprache sagte, wusste ich nicht. Ich fuhr, fuhr und fuhr einfach durch die Stadt … bis ich doch tatsächlich mal einen Hinweis auf Englisch mit einer Übersetzung ins Vietnamesische darunter sah. So fand ich den Weg und kannte auch das Wort für „Tunnel“ auf Vietnamesisch.
Noch ein Rückschlag: Es standen niemals die noch zurückzulegenden Kilometer bis zu den Tunneln an den Schildern. Ich fuhr also wieder lange, lange den Hinweisen hinterher und schließlich gab es einen Abzweig, der nach links 14 km und nach rechts wohl 1 km zu den Tunneln anzeigte. Beim schnellen Vorbeifahren registrierte ich nur die linke Seite des Schildes und so dauerte es weitere 20 Minuten und ein heftiges Schlagloch (was ins Auge hätte gehen können), bis ich endlich an dem ach so touristischen Ausflugsziel nahe Sài Gòn ankam: den Bến-Dược-Tunneln bei Củ-Chi.
Ich sollte mein Motorrad abstellen und 70.000 Đồng Eintritt hinblättern. Danach schlenderte ich durch den Bến-Dược-Tempel und suchte den eigentlichen Eingang zu den Tunneln. Mehrere herumlungernde Vietnamesen wiesen mir den Weg zu einer kleinen Hütte, wo mir gleich ein Führer aufgedrängt wurde. So hatte ich mir das zwar nicht vorgestellt, aber da die Führung kostenlos war, folgte ich dem Menschen halt zunächst zu einem langweiligen Schwarz-Weiß-Film und danach einem anderen zusammen mit Koreanern zu den Tunneln. Er zeigte uns ein paar Einstiegslöcher, einen Bombenkrater und Fallen, dann stiegen wir hinab in ein paar unterirdische Gänge mit einer Höhe von höchstens einem halben Meter und aßen schließlich eine mir unbekannte, aber dank übersprungenen Mittagessens sehr willkommene Frucht, die angeblich die Viet Cong an genau derselben Stelle vor 40 Jahren schon zu sich nahmen. Wir landeten nach ein paar weiteren Tunnelgängen und Erklärungen in geradeso akzeptablem Englisch an einem kleinen Imbiss, wo ich mich bei einer Flasche Wasser ein Weilchen mit den Koreanern unterhielt, die mich dann freundlicherweise in ihrem Auto bis zu meinem Motorrad fuhren. Das war’s schon. Nicht sehr weltbewegend und etwas enttäuschend für diese weiter Strecke.
Der Rückweg gestaltete sich schwierig, weil an vietnamesischen Autobahnschildern nur äußerst selten die größte Stadt oder Richtung geschrieben steht, sondern meist nur das nächste kleine Kuhkaff. Ich fuhr also ewig in die eine Richtung und kein Ort kam mir bekannt vor, also drehte ich um, bis ich nur noch Schilder sah, die den nach Moc Bai anzeigten: Das war die Grenzstadt zu Kambodscha, also auch falsch. Ich fragte kurz einen Dorfbewohner, der sinnlos an der Autobahn herumstand und drehte wieder um. So war ich wenigstens auf dem richtigen Weg, aber zwischen all diesen Motorrädern war das gar nicht so leicht. Alles war in Ordnung … bis ich plötzlich eine junge Fahrerin bei Rechtsverkehr auf der rechten Seite überholen wollte. Ja, okay, das macht man eigentlich nicht, aber in Vietnam war das bisher auch immer egal gewesen. Konnte ich wissen, dass sie gerade in diesem Augenblick ohne Blinkzeichen nach rechts von der Autobahn abfahren wollte? Nein, also überholte ich sie – und sie fuhr in meine Seite hinein, fiel hin und tat sich weh. Ich hätte weiterfahren können, aber aus Höflichkeit stieg ich ab und versuchte, wenigstens mitleidig zu tun. Da sie und alle umstehenden Menschen ohnehin kein Englisch konnten, bestand der einzige Wortwechsel aus meinem „xin lỗi“ und ihrem gequält gemimten „okay“. Ein anderer Mann schickte mich fort und so fuhr ich von dannen … direkt zum Verleih. Der Spiegel, der durch ein Schlagloch extrem locker und damit so unbrauchbar geworden war, dass er auch ruhig hätte ganz abfallen können, wurde nicht beanstandet und ich bekam meinen Führerschein wieder. Was für eine Tour! Ach ja, meine Arme waren selbstverständlich auch verbrannt, mehr als verbrannt!
Nun musste ich mir noch die Zeit bis 20 Uhr vertreiben. Ich suchte mir ein Restaurant mit günstiger Pizza im Angebot und bestellt wie immer meine leckere Funghi – aber bitte ohne Käse. Völlig irritiert wirft mir die Bedienung vor: „no have“. Ich wollte wissen, wieso sie keine Pizza ohne Käse hätten. Was wäre denn so schwer daran, einfach den Käse wegzulassen!? Nun ja, sie würden wohl nur einfach Fertigpizza in den Ofen schieben, schlussfolgerte ich. Prinzipiell falsch bestellte ich in diesem Restaurant einfach etwas anderes. Ich hätte das Lokal eigentlich wechseln sollen. Anschließend zog ich mich in meinem bereits abgemeldeten Zimmer des einstigen Guesthouse um und schrieb bei einem Apfel-Shake in einem anderen Restaurant die letzten Erlebnisse in mein Notizbüchlein. Ich setzte mich allein an einen Vierertisch in der Nähe des Eingangs, was der Bedienung nicht gefiel. Ein in Hongkong lebender Brasilianer bot mir einen Platz an und wir unterhielten uns eine Weile auf Deutsch. Dann musste ich zum Bus. Abfahrt pünktlich 20.30 Uhr. Zwar saß ein Vietnamese neben mir, was automatisch weniger Platz zum Schlafen bedeutete, aber der stieg mitten in der Nacht irgendwo aus, sodass ich mich bald quer den zwei Sitzen ausbreiten konnte.
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Nha Trang (04. – 05.04.2010)
Wir kamen gegen 5.30 Uhr in absolut morgendlicher Frühe in Nha Trang an und wurden sofort von Motorradfahrern (schlafen die eigentlich nie!?) von Hotelangeboten überschüttet. Von Anfang an machte ich ihnen klar, dass ich nichts über 5 US$ nehmen würde und mich eine Fahrt dahin nicht mehr als 10.000 Đồng kosten darf. Ein Fahrer erbarmte sich und fuhr mich zu einem Hotel, das eigentlich noch geschlossen hatte. Da man mir dort nichts für unter sechs Dollar anbieten konnte, verlangte ich eine Weiterfahrt zum nächsten. Das Triệu-Mẫn-Guesthouse dagegen hatte solch ein billiges Zimmer, sogar mit Fernseher, zwei Betten und nicht zu bedienender Klimaanlage, dafür aber mit einem Ventilator und abgetrenntem Bad. Manko war halt, dass die Vermieter des Englischen nahezu nicht mächtig waren.
So wirklich Lust hatte ich zu gar nichts, nicht einmal am Strand liegen wollte ich, weil es einfach noch so früh am Morgen war. Also schlief ich bis zum Mittag, ging kurz essen, suchte einen Waschservice, fand aber keinen, wusch also meine Sachen selbst, infolgedessen das Bad zwei Wochen unter Wasser stehen sollte, und legte mich wieder ins Bett. Damit ich überhaupt noch etwas Produktives an diesem Tag machte, lief ich gegen 16 Uhr zum Bahnhof und kaufte mir ein unglaublich teures Ticket für fast 300.000 Đồng nach Huế für den nächsten Tag. Obwohl es schon sehr dämmrig war, begab ich mich noch zum „Giant Buddha“, der auf einer Anhöhe thronte und von weither sichtbar war. Als ich den Aufstieg gefunden, die Treppen bewältigt und an der Statue angekommen war, wurde ich sofort wieder von absolut seltsamen Fliegen, die furchtbar lästig wie Mücken waren, nicht stechen konnten, an meinem Schweiß kleben blieben und wie kleine Hausfliegen aussahen, vertrieben.
Ich holte mir ein Sandwich, verspeiste eine Pizza (ja, ohne Käse!) und legte mich an den mondbeschienenen Strand von Nha Trang. Nach einer Weile wurde mir langweilig und ich marschierte immer gen Süden am Wasser entlang, bis ich an einen Hafen kam und über die Straße zurückkehrte. Könnt ihr euch vorstellen, dass ich bei dem Spaziergang über die belebte Straße von guten drei Kilometern die ganze Zeit der einzige Fußgänger war? Wenn ein Vietnamese eine gewisse Strecke zurücklegen muss, nimmt er seinen Roller (in Ausnahmefällen auch sein Auto) oder setzt sich auf einen von jemand anderem oder winkt einen Cyclo-Fahrer heran oder leistet sich ein teures Taxi. Die Alternative, auch einmal zu laufen, gibt es nicht.
Da ich am nächsten Tag nicht erst bei absoluter Mittagshitze am Strand verbrennen wollte, hatte ich eigentlich vorgehabt, so zeitig wie möglich aufzustehen. Gelang mir aber nicht. Mein Frühstück hieß Chips – um 10. Dann checkte ich aus und ließ meine Tasche bis zum Abend im Guesthouse. Eine ganze Stunde hielt ich es am Strand aus, dann wurde es mir wieder langweilig. Ich bin einfach kein Strandlieger. In weiter Entfernung hatte ich eine Schwebebahn gesehen, die eine Nha Trang vorgelagerte Insel mit dem Festland verband. Sie führte direkt zum Erlebnispark „Vinpearl“ auf der Insel Hòn Tre. Wieder lief ich die Strecke am Strand Richtung Süden ab, wie in der Nacht zuvor, musste aber ab Hafen auf die Straße wechseln, weil es keinen Strand mehr gab. Das war mir irgendwann zu heiß, also ließ ich mich mit einem Motorrad für 10.000 Đồng zur Basis der Schwebebahn bringen (man muss „capo“ sagen, so nennen die Einheimischen dieses Ding nämlich). Als ich mich nach den Preisen erkundigte, erschrak ich mich bei den horrenden Summen: 320.000 Đồng sind für vietnamesische Verhältnisse kein Pappenstiel, aber natürlich nichts im Vergleich zu unseren deutschen Eintrittspreisen. Dieser Betrag enthielt zwar Eintritt zum Erlebnispark sowie An- und Abreise mit Schwebebahn oder Boot, aber ich hatte das Geld einfach nicht dabei, da ich ja nicht beabsichtigte, in den Park zu gehen, sondern nur die Seilbahn zu nutzen.
Ich entschied mich, wieder für 25.000 Đồng nach Hause zu fahren, um dort in einem nahe gelegenen Meeresrestaurant extrem teuer schlecht Mittag zu essen, weil die scheinbar billig scheinenden Bananengarnelen mich niemals hätten satt machen können und ich mir noch unglaublich scharfen Chili-Reis dazu bestellen musste. Um die Zeit bis zum Abend, wenn mein Zug fahren würde, zu überbrücken, surfte ich eine Weile im Internet, legte mich dann an den Strand, schlief dort ein, surfte wieder im Internet und ließ mich dann für 20.000 Đồng mit einem Cyclo zum Bahnhof fahren. Die Abfahrt verschob sich bis 19.40 Uhr, sodass ich vor lauter Langeweile viel zu teure Kekse, von denen ich nur die Hälfte essen würde, kaufte.
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Von Nha Trang nach Huế (05. – 06.04.2010)
Als der Zug dann endlich einfuhr, wunderte ich mich schon, dass ich für mein teures Ticket lediglich im ersten, also qualitativ schlechtesten Wagen saß. Dabei würde ich nur nach Huế fahren und nicht, wie andere Passagiere, gleich nach Hà Nội. Der Sitz war wenigstens weich, es gab aber scheinbar keine Platznummern, sodass ich mich einfach irgendwo hinsetzte. Der Schaffner kam und hätte ja spätestens jetzt meckern können, dass ich auf dem falschen Platz säße, aber das tat er nicht und lochte mein Ticket problemlos. Der Fernseher war vietnamtypisch extrem laut und nervig und ohne Untertitel, sodass ich Mühe hatte einzuschlafen.
Die Nacht war ruhig, bis in frühester Morgenstunde überkorrekte Leute einstiegen, die auf ihrem Platz bestanden, und zwar auf dem, den ich schon viele Stunden lang vorgewärmt hatte. Da es noch dunkel war, konnte ich wieder keine Platznummern im Zug entdecken. Noch dazu konnten diese Leute inklusive Schaffner kein einziges Wort Englisch außer „nine“, meiner Platznummer, was ich sogar auch auf Vietnamesisch konnte! Manchmal erschrak ich regelrecht, dass ich nach ein paar Tagen in Vietnam schon mehr von ihrer Sprache beherrschte als sie Englisch nach vielen Jahren Unterricht! Oder was lernen die denn in der Schule!? Sie zeigten stets auf das andere Ende des Waggons, aber ich beharrte auf meinem Recht, einfach sitzen zu bleiben, solange mir mein richtiger Platz nicht gezeigt würde. Da sie das eben nicht tun konnten beziehungsweise nicht verstanden, blieb ich sitzen und eine stinkende Oma setzte sich auf den gerade neben mir frei gewordenen Platz.
Die Fahrt ging weiter. Die eben überkorrekten Leute stiegen aus und … wer hätte es gedacht, an dieselbe Stelle kamen nun neue Reisende, die sich ebenfalls beschwerten, dass ich auf einem mir nicht zugewiesenen Platz säße. Doch diesmal war es anders, nämlich hell. Ich konnte endlich sehen, wo die mickrigen, schlecht lesbaren Platznummern standen, und zwar grau auf schwarzem Untergrund am Vordersitz. Wie hätte ich die in der Dunkelheit finden können? Ich gab also nach und zog um. So musste sich ein Mann leider von „meinem“ Platz entfernen und auf seinen Sitz mit abgebrochener Lehne setzen … aber ich war nicht schuld. Da ich nun andersherum saß, war ich völlig irritiert und dachte ständig, wir würden in die falsche Richtung fahren, auch wenn die Sicht aus dem Zug herrlich war: Es ging an Steilküsten und Felswänden vorbei und man hatte kontinuierlich einen tollen Ausblick auf das Meer bis zum Horizont. Diese Strecke zählt auch zu den schönsten der Welt.
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Huế (06. – 07.2010)
Gegen acht Uhr morgens kamen wir in Huế an und ich handelte wieder geschickt auf 15.000 Đồng herunter, um mit einem Motorrad bis zur Phạm Ngũ Lão (ja, genau, wie in Sài Gòn) geschafft zu werden. Die erste Unterkunft namens „The Huế Backpackers‘ Hostel“ schien vielversprechend und noch bevor ich überhaupt eintreten konnte, starrte mich eine gar nicht so schlecht aussehende Rezeptionistin an und fragte, ob wir uns schon einmal gesehen hätten. Völlig unmöglich, erklärte ich ihr, aber ich fand sie trotzdem von Anfang an sympathisch – wie eigentlich jeden in dem Hostel. Es gab einen Australier, der dort viel auf Englisch managte und einige hübsche Rezeptionistinnen und Bedienungen. Das Zimmer war als Dorm für ganze 6 US-Dollar ziemlich teuer, aber dafür gab es kostenlos Frühstück und am Abend ein Freibier, wodurch der Preis wieder absolut gerechtfertigt war. Außerdem gab man mir ein großes Bett zum Preis für ein kleines.
Da noch keine Eincheck-Zeit war, musste ich noch mindestens eine Stunde warten und durfte schon einmal duschen und frühstücken. Nachdem ich endlich meine Sachen im Zimmer ablegen und verschließen konnte, begab ich mich in der bereits angebrochenen Mittagshitze zur so genannten Zitadelle. Schon nach den ersten paar Metern merkte ich, dass ich völlig kaputt dort ankommen würde, da die Sonne einfach ungeheuerlich brannte. Auf dem Weg dorthin sprach mich ein seltsamer Motorradfahrer an, der von vornherein behauptete, er sei kein „driver“, sondern lediglich ein Lehrer auf Besuch in Huế. Wir unterhielten uns kurz und er lud mich – mehr oder weniger – zu einem Bier am frühen Nachmittag ein. Ich lehnte ab und gab an, zu der Zeit lieber etwas zum Mittag zu essen. Was sollte da schon schief gehen? Also verabredeten wir uns für 13 Uhr.
Ich fand zwar schnell zur Zitadelle hin, aber nicht gleich den Haupteingang. Zudem schwitzte ich eimerweise, die Augen brannten von dem herunterlaufenden Schweiß und die Sonne brannte sich abermals in meine ohnehin schon rote Haut ein. Ein Cyclo-Fahrer nervte mich auch noch gute fünfzehn Minuten, ich gab aber nie nach und versuchte, den Eingang allein zu Fuß zu finden. Sagen wir, eine halbe Stunde später hatte ich das auch geschafft – die Füße waren bereits verbrannt und ich konnte nicht mehr laufen. Mit 55.000 Đồng war ich drin, aber was sich mir bot, war nichts Besonderes: Alte Ruinen, ein großer Tempel, Burgmauern und verfallene Gebäude. Den „Garten“, der praktisch nur Wildnis war, zähle ich mal nicht auf. Nachdem ich anderthalb Stunden durch die verfallene Stadt geirrt war, mir immer weiter die Füße verbrannt hatte (nur die Stellen, die von Flip-Flops bedeckt waren, schienen weiß hervor) und mit dem Motorrad zurück ins Hostel chauffiert worden war, legte ich mich kurz schlafen und erschien dann zum vereinbarten Treffpunkt mit dem Vietnamesen, der mir von seinen deutschen Cousins erzählte. Immerhin war er in deutscher Landeskunde nicht so schlecht und er fuhr mich zu einem lokalen Restaurant und er lud mich zum Essen für 35.000 Đồng ein … alles schön und gut, aber der Hammer kam noch: Als Entschädigung für das bezahlte Essen wollte er jedoch ein kleines „Geschenk“ von mir haben. Kein Problem, dachte ich mir, suchst du ihm eine Kleinigkeit aus. Er fuhr mich allerdings in ein Tee-Geschäft, wo ich ihm etwas kaufen sollte. Nun gut, Tee ist nicht gerade billig, aber dass er soooo teuer wäre, damit hätte ich nicht gerechnet: Er fragte, ob ich ihm ein Geschenk in der Unter-, Mittel- oder Oberklasse kaufen würde – wie unverschämt! Ich entschied mich fairerweise für einen Mittelklassetee, fragte aber vorsichtshalber nach dem Preis. Schlappe 400.000 Đồng wäre so eine Packung gewesen. Nun gut, etwas teuer, also versuchte ich es mit der Unterklasse: Immerhin nur noch 300.000 Đồng! Völlig entrüstet, aber noch freundlich gab ich ihm zu verstehen, dass ich lediglich so viel Geld wie für ein Mittagessen notwendig mithatte. Damit gab er sich zufrieden und er fuhr mich zurück. Jetzt fühlte ich mich aber schlecht und stand in seiner Schuld. Also bot ich ihm an, etwas Kleines zu schenken, wusste aber nicht, was. Er hingegen wusste es wieder genau: Mein thailändisches Geld interessierte ihn. Davon hatte ich aber nur 1000er-Scheine. Natürlich würde ich ihm so einen wertvollen Schein nicht geben. Schnell rechnete ich im Kopf um, machte aber einen Fehler dabei: 1000 Baht seien 20 Euro und 20 Euro seien 400.000 Đồng. Falsch! Zum einen waren 1000 Baht mittlerweile fast 25 Euro und für einen Euro erhielt man auch nicht 20.000, sondern gute 25.000 Đồng. Ich kalkulierte also schon um 200.000 Đồng falsch! Noch dazu hatte er nicht so viel Geld mit und kratzte mühsam 320.000 Đồng zusammen, mit denen ich blöderweise einverstanden war.
Nun ja, zwar hatte ich kostenlos essen dürfen, aber auch wiederum viel Geld eingebüßt … was soll’s! Ich ging zurück zum Hostel und schlief wieder ein. Nach etwa einer Stunde wurde ich von dem Finnen Nuutti geweckt, dem ich gestand, dass ich für mein Bett weniger zahlte als er für seines – ich bekam dabei heraus, dass man mir ein breites Bett für zwei Dollar weniger gegeben hatte … warum, weiß ich jedoch nicht. Ich kaufte mir noch ein Busticket nach Hà Nội direkt vom Hostel, da mir die Züge viel zu teuer erschienen und war froh, am nächsten Tag bereits das letzte geplante Ziel in Vietnam ansteuern zu können. Im Hostel unterhielt ich mich noch eine Weile mit einem neuseeländischen Pärchen, das vergeblich versuchte, ihr Motorrad wieder zu verkaufen und den Rest des Tages verbrachte ich mit Spaziergängen durch die Gassen Huếs, Erzählungen und einigen Bier zusammen mit dem Finnen, wobei wir versuchten, von einem Restaurant zum nächsten zu gelangen, um den Preis immer ein bisschen weiter zu drücken. Neben einem Freibier im Hostel gab es alles in der Preisspanne von 5.000 bis 20.000 Đồng. In einem Restaurant kamen wir mit zwei Engländern ins Gespräch, die sich mit dem Kellner über thailändische Floskeln unterhielten. Meine Chance zur Korrektur! Es fühlte sich gut an, ein bisschen mit Thai prahlen zu können. Da wir wieder einmal von einem Cyclo-Fahrer angesprochen worden waren, ob er uns zu „lady boom boom“ bringen solle, machte ich ihm den Vorschlag, dass ich ihn dorthin bringe, wofür er mir 10.000 Đồng geben würde. Er willigte ein und so setzte ich mich mal auf dieses tolle Gefährt und brachte ihn zu besagtem Puff. Dort stellte sich allerdings heraus, dass ich und nicht er hineingehen solle, was ich selbstverständlich ablehnte. Deshalb verlangte ich von ihm, dass er mich nun wieder zurückbringe. Das tat er zwar auch, aber er wollte Geld dafür! Ich hatte auf meinen Reisen nun schon gelernt, dass man manchmal einfach hartnäckig sein muss und so gab ich ihm natürlich nichts, ich hatte mich ja schließlich auch abgestrampelt und nichts bekommen! Leicht angetrunken fiel ich ins Bett und erwachte am nächsten Morgen (07.04.2010) noch gerade pünktlich für das Frühstück.
Da ich an diesem Tag nichts Besonderes mehr vorhatte, bis ich zum Bus nach Hà Nội gebracht würde, lieh ich mir ein Fahrrad gleich um die Ecke vom „Backpackers‘ Hostel“ aus, im „Hello!“-Verleih. Merkt euch diesen Namen, wenn ihr mal in Huế sein solltet: Dort bitte nichts ausleihen, die Geschichte dazu folgt gleich. Das erste Fahrrad, das ich bekam, war mir einfach zu eirig und sah so baufällig aus, dass ich ein anderes bevorzugte. Für ebenso 20.000 Đồng bekam ich also einen etwas besseren, aber immer noch nicht sehr vertrauenserweckenden Drahtesel, um mich damit in Richtung der heiligen Grabstätten fortzubewegen. Immer die Đường Điện Biên Phủ entlang und den Schildern ab Ortsausgang Huế folgen. Mehrere Kilometer fuhr ich über Dörfer und kam irgendwann durch Wälder, in denen sich seltsame Steinskulpturen und -gräber befanden. Ich hielt kurz an einigen dieser heiligen Orte an, konnte aber nichts Besonderes entdecken, sodass ich mich immer weiter zu gewissen „Tombs“ vorarbeitete. Plötzlich tauchte vor mir etwas Gigantisches aus, dass einer Ruine einer alten Arena ähnlich sah. Wieder stieg ich von meinem tollen Rad, dass den Weg bis hierher mühelos überstanden hatte, und kletterte an der besagte Ruine hinauf, nur um herauszufinden, dass das, was ich gerade eifrig fotografierte, einfach nur ein völlig normaler Friedhof war, jedoch in Form einer kleinen Nekropole. Solch eine Totenstadt hatte ich vorher noch nie gesehen, weshalb ich es spontan völlig beeindruckend fand. Teilweise trugen einige Grabsteine sogar Bilder der Verstorbenen und komplette Lebensgeschichten. Dann schwang ich mich wieder auf den Sattel, um endlich zu einer als Touristenattraktion ausgeschriebenen Stätte zu gelangen, der von Chín Hầm. Wer oder was das war, weiß ich nicht. Aber die Empore sah einfach nur beeindruckend aus: Vier große Säulen markierten den Aufstieg über eine endlos scheinende Treppe, um einer Statue mit drei Kämpfern herum, bis zu einem auf einem Berg thronenden Tempel, der jedoch verschlossen war. Von oben hatte man eine wunderbare Aussicht auf … na ja, auf die Treppe, die ich hochgelaufen war. Mehr gab es nicht zu sehen. Also wieder hinunter. Dann gab es dort noch kleinere Kammern, auf Vietnamesisch „Tunnel“ genannt, von denen die meisten ohnehin schon zerfallen und nie restauriert worden waren. Im Tunnel 8 („Hầm số 8“) hatte man eine Folterszene plastisch nachgestellt. Ein kleiner Spaziergang durch den Dschungel bildete den Abschluss dieser Grabstätte, bevor ich mich mit meinem Fahrrad noch ein Stückchen weiter zur nächsten Reliquie, die irgendwie Huyền im Namen hatte, begab.
Seltsamerweise sah ich dort einen Teil des Personals meines Hostels, sprach aber nicht mit ihnen. Für mein Fahrrad musste ich eine Standgebühr und für die Stätte Eintritt bezahlen … hm, schon ein bisschen touristischer, oder? Die Frau am Ticketverkauf verstand zwar nichts als „how much?“, aber ich kam hinein und wurde erst einmal von einem kleinen Tempel enttäuscht. Die wahre Schönheit verbarg sich dahinter: Zu einem weiteren Tempel auf einer Anhöhe führte ein Aufstieg, der von einem riesigen, steinernen Drachengeländer begleitet wurde. Oben angekommen, hatte ich zwar einen tollen Überblick über die gesamte Anlage, mir fehlte jedoch irgendetwas. So suchte ich mir Irrwege durch den umliegenden Dschungel, kam in eine Sackgasse (wobei mir hier der englische Begriff „dead end“ besser gefällt, weil der Weg tatsächlich mitten im Gestrüpp einfach aufhörte), vorbei an einem anderen, noch im Bau oder Restauration (?) befindlichen Tempel, von dem aus ich eine noch schönere Aussicht über den zentralvietnamesischen Urwald hatte, folgte einem Wegweiser zu einer Statue des Maitreya und kam schließlich an eine unglaublich Treppe, die zur so genannten Friedensglocke auf etwas mehr als 100 m ü. NN führte. Zunächst bewunderte ich die herrliche Aussicht über Huế, das Hupen der Autos in weiter Ferne und die Geräusche der Natur in der Umgebung. Alles bestens. Doch ein Problem gab es bei dieser Sache.
Kurze Einleitung: Ich sammle schon seit vielen Jahren zahlreiche Währungen aus verschiedenen Ländern, wie ein Hobbynumismatiker. Mir macht es einfach Spaß, die vielen diversen Abbildungen, Prägungen und Schriften auf den Münzen und Scheinen zu sehen. Aus Vietnam hatte ich bisher alle Scheine (Münzen hat das Land kaum) zusammengesucht, mir fehlte nur noch der kleinste, sich noch in Gebrauch befindliche Geldschein, nämlich 200 Đồng! Und gerade von diesem sonst so seltenen Schein steckte etwa ein Dutzend zwischen Duftkerzen in der heiligen Stätte, die wohl Buddha geweiht war. Zu gerne wollte ich diesen Schein haben, also was spräche dagegen, einen davon hinauszunehmen und einen etwas größeren Đồng-Schein als Tauschgeschäft hineinzustecken? Leichter gesagt als getan, wenn man kein kleines vietnamesisches Geld bei sich hat. In meinem Portemonnaie befanden sich nur 20.000er und höher notierte Werte, zudem noch ein paar Dollar. Das war mir zu viel zum Spenden – und so dachte ich mir, warum nicht einfach den klitzekleinen, nahezu wertlosen 200-Đồng-Schein zu nehmen, einzustecken und sich wieder zurück nach Huế zu begeben. Es war ja auch niemand in der Nähe. ABER: Es war ein heiliger Ort! Und einen heiligen Ort bestiehlt man nicht, das zeugt von extrem schlechtem Karma! Aber darüber dachte ich in dem Moment nicht nach und schwang mich nach einem langen Abstieg wieder auf mein Rad.
Erstens war es noch lange nicht Zeit für die Rückkehr und zweitens wollte ich noch mehr von den Grabstätten sehen. So fuhr ich wieder ein Stückchen zurück und bog auf eine kleine Anhöhe ab. Nachdem ich über den Gipfel schauen konnte, offenbarte sich mir eine wunderschöne Sicht auf … tja, auf was? Was war das? Wieder ein Friedhof? Jedenfalls standen links und rechts von mir hohe Grabsteine mit Bildern und Widmungen und Blumen. Aber die Straße führte direkt durch diesen Friedhof, durch diese Totenstadt. Selbst in einer Entfernung von geschätzten 200 Metern Luftlinie konnte ich noch massig Gräber auf einem Berg sehen. An einigen Stellen arbeiteten Leute, die mich selbstverständlich seltsam beäugten. Wo war ich hier gelandet? Zwischen tausenden von Toten? War das vielleicht ein schlechtes Omen? Jedenfalls war es der Beginn einer Pechsträhne: Ich kehrte zurück, weil ich mir hier einfach unwohl fühlte. Zurück in die Stadt. Wollte ich zumindest. Aber ich muss die kleine Anhöhe, die ich zum Friedhof gekommen war, wieder in entgegengesetzter Richtung erklimmen.
Also trat ich kräftig im Stehen in die Pedale und … das Fahrrad verbog ein wenig. Plötzlich ließ es sich nur noch sehr schwer lenken und war so unglaublich eirig, dass ich es schon aufgeben wollte, damit weiterzufahren. Aber ich gab nicht auf. So ging es bald wieder einen kleinen Hügel (für das Fahrrad wohl einen Berg) hinauf und wieder trat ich im Stehen in die Pedale. Ein Fahrrad sollte doch so etwas aushalten, oder? Nun ja, nicht jedes vietnamesische Rad scheint das zu schaffen: Krack! Da lag ich auf dem Boden. Der mittlere linke Zeh schmerze, meine Wasserflasche rollte davon und ich wusste nicht mehr, wo oben und unten ist! Da lag das Fahrrad nun, ich darauf. Bald realisierte ich, dass das Vorderrad von der Lenkstange abgebrochen war. Ja, tatsächlich! Es war ab. So verrostet, dass es unter meinem Leichtgewicht zusammenbrach. Der Wasserflasche ging es auch nicht so gut, denn sie hatte nun ein Loch und ich bald nichts mehr zu trinken. Dreckig war ich auch, aber viel schlimmer noch: Ich war planlos, was ich tun sollte! Wie sollte ich die 20 Kilometer zurück in die Stadt kommen? Was sollte ich dem Verleih sagen? Wie sollte ich das Fahrrad zurück in die Stadt bekommen?
Mein nicht mehr ganz so klarer Kopf sagte mir: Ruf erst mal beim Verleih an. Ich griff die Visitenkarte aus dem Portemonnaie und wählte die Nummer des Verleihs. Ein Mann nahm ab und verstand mich nicht. Das Telefon wurde an eine Frau weitergereicht. Sie verstand zwar in Teilen und konnte auch geradeso verständlich antworten, aber das Gespräch scheiterte daran, dass entweder ich die Straßennahmen oder Sehenswürdigkeiten in so unverständlichem Vietnamesisch aussprach oder sie sich einfach überhaupt nicht in der Gegend auskannten. Später sollte ich merken, dass es sich wohl um Letzteres handelte. Ich legte auf und versuchte, eigenständig in die Stadt zurückzukommen. Ein Minibus kam vorbeigefahren, aber der Fahrer verstand kein Englisch und meinte, er führe gar nicht nach Huế. Mehrere Motorradfahrer hielten eher schadenfroh als hilfsbereit an … was für ein Land! Irgendwann fand ich tatsächlich einen Dorfbewohner, der auf seiner alten Möhre vorbeigetuckert kam und mich meiner erbarmte. Das Fahrrad fotografierte ich noch schnell und schmiss es dann abseits der Straße ins Gestrüpp. Für 15.000 Đồng brachte mich der nette Mann also wieder nach Huế, von wo aus ich noch gute zwei Kilometer bis zum Fahrradverleih laufen musste.
Dort ging der Spaß dann los: Zunächst wunderten sie sich, wo denn mein Fahrrad sei, dann erinnerten sie sich an den Anruf, dann erklärte ich die Geschichte und sie glaubten es kaum. Ich zeigte ihnen das Foto, aber das glaubten sie mir auch nicht. Der Verleihfuzzy wollte das Fahrrad sehen! Ich machte ihm deutlich, dass es noch an der „Unfallstelle“ liege. Daraufhin fragte die Frau ganz besorgt, ob ich es denn wenigstens angeschlossen hätte! Ja, klar, wer würde schon so ein zerbrochenes und absolut nicht mehr fahrtüchtiges Rad klauen!? So musste ich also wohl oder übel auf das Motorrad des Verleihers steigen und ihm den Weg bis zum zurückgelassenen Fahrrad beschreiben. Er konnte kaum Englisch, aber was er konnte, war „oh, very far!“ – und diesen Satz sagte er nach jedem geschafften Kilometer, somit also gute 20 Mal. Als wir endlich ankamen, traute ich meinen Augen kaum: Wo war denn das Fahrrad hin? An der Stelle lag nichts mehr, auch nicht im umliegenden Geäst. Verzweifelt versuchte ich zu erklären, aber vergebens … Ich fragte Dorfbewohner, die gesehen haben mussten, wie ich den Minivan hatte anhalten wollen, aber sie kannten mich nicht. Dann lief ich mit dem Verleihtypen zu einer nahegelegenen Werkstatt, aber auch dort hatte man das Fahrrad nicht gesehen. Es war verschwunden, ein für alle Mal. Wie arm muss denn ein Land sein, dass solche Räder geklaut werden!? Glücklicherweise fand ich noch einen Metallring an der vermuteten Unfallstelle, aber das war es dann auch und das reichte ihm wohl auch schließlich als Beweis. Wir fuhren zurück. Mein Geld – weder für das Fahrrad noch für die Transportkosten nach Huế – bekam ich selbstverständlich nicht zurück, auch nicht nach einer halbstündigen Diskussion. Mit Vietnamesen kann man einfach nicht diskutieren!
So wartete ich noch eine Weile im Hostel, aß Fisch und Pommes und unterhielt mich wieder mit den Neuseeländern, bis mein Sammeltaxi gegen halb fünf nachmittags kam und mich zum Bus nach Hà Nội bringen sollte. Wir sammelten noch andere Vietnamesen ein und kamen an einem schon bereit stehenden Bus an. Toll, dachte ich, da wird es ja bald losgehen! Aber weit gefehlt: Meine Tasche war zwar schon im Kofferraum, aber als ich das Ticket zeigte, teilte man mir mit, ich sei im falschen Bus. Ich sollte noch ein paar Minuten warten … Der Bus kam dann auch bald, nach 20 Minuten, und dann wartete er noch bis etwa 18 Uhr.
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Von Huế nach Hà Nội (07. – 08.04.2010)
Glücklicherweise saß ich allein, so würde ich mich ja in der Nacht ausbreiten können. Gegenüber saß eine Touristin, die ich aber absolut unsympathisch fand. Irgendwann gegen 22 Uhr stiegen noch mehr Leute ein und so setzte sich ein Vietnamese, der vorher vor mir gesessen hatte, nun neben mich. Ich ärgerte mich zwar, aber schließlich hatte ich ja nur ein Ticket für einen Platz! Ich schlief ein. Zwischenzeitlich wurde ich mal mit Worten von der Touristin gegenüber, der einzigen im Bus (!), geweckt, um mich darauf hinzuweisen, dass mein toller Sitznachbar ständig an meine Tasche wolle. Ich nahm ihren Hinweis nicht so ganz ernst, aber stellte wenigstens meine Tasche so zwischen mich und das Fenster, dass man sie nicht hätte wegnehmen können, ohne mich dabei zu wecken. Handy und Portemonnaie ließ ich in den Hosentaschen mit Klettverschluss.
Gegen drei Uhr (08.04.2010) wachte ich auf. Ich sah mich um: Der Vietnamese neben mir war weg. Toll, endlich Platz zum Liegen! Der obligatorische Griff zum Handy zur Zeitabfrage führte ins Leere. Wo war denn das Handy? Hm, vielleicht aus der Hosentasche gefallen. Ich suchte den Boden ab, aber da war nichts; der Reisverschluss war ja auch noch verschlossen. Dann kombinierte ich: Handy weg, Vietnamese weg! Verdammt, geklaut! Da ich so etwas nicht auf mir sitzen lasse, weckte ich die Touristin gegenüber und fragte, ob sie denn gesehen hatte, wann der Typ ausgestiegen sei. Sie verneinte, konnte sich aber immerhin an sein Gesicht erinnern und meinte, er habe wohl unter Drogen gestanden. Sie hätte den Diebstahl angeblich schon vorausgesehen, aber das nützte mir jetzt auch nichts mehr. Ich gab nicht auf und lief mit meinem Vietnamesisch-Phrasebook zum Busfahrer und Schaffner (diesem Ticket-einsammel-und-dann-nicht-wiederfinden-Typen), konnte aber nahezu nichts sagen, da beide wirklich null Englisch sprachen und ich ewig brauchte, um den passenden Satz im Buch zu finden. Ich konnte ihm „klauen“ und „Telefon“ mitteilen und dabei auf meine Tasche zeigen. Dabei realisierte ich, dass sie aufgeschlitzt worden war! Wie skrupellos! Mein schönes neues Handy, in das ich erst Stunden investiert hatte, um alle Telefonnummern wieder zu speichern. Weg war es.
Ich suchte noch den Satz „Gibt es hier jemanden, der Englisch spricht?“ heraus und der Schaffner schüttelte nur den Kopf. Auf dem Ticket stünde angeblich auch nichts über die Herkunft des ominösen Fremden und wann und wo er ausgestiegen war, wusste auch keiner. Was für ein Verein! Ich blieb bis Hà Nội auf dem vordersten Sitz, um jeden zu beobachten, der ausstieg. Aber keiner machte den Anschein, etwas verbrochen zu haben, und so kam ich handylos in Hà Nội an – direkt vor dem Büro des Busunternehmens.
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Hà Nội (08. – 12.04.2010)
Ich schrieb mir das Nummernschild ab, ging ins Büro und beschwerte mich über den schäbigen Service auf der Fahrt. Ich war so unglaublich sauer! Nicht unbedingt auf den Typen, der mir das Handy geklaut hatte, sondern auf die Unlust, mir zu helfen. Nächstes Problem war, dass ich keine Ahnung hatte, wo in Hà Nội ich eigentlich gelandet war. Ich ließ mir im Büro einen Punkt in meine Karte malen, der aber sowas von falsch lag, dass ich schon wieder hätte überreagieren können. Ich irrte also eine Weile umher und lief zurück zum Büro. Dort bestand ich darauf, mir gefälligst die richtige Straße auf einer Karte zu zeigen. An einer Wandkarte fand die nette Frau endlich, wo sie eigentlich arbeitete, sodass ich es mit meiner Karte vergleichen konnte. Hatte ich es mir doch gedacht: Der Bus hatte uns irgendwo im Nirgendwo hinausgeschmissen!
Nun hatte ich eine Ahnung, wie weit ich noch bis ins geplante Touristenviertel laufen müsste. Oder ich fände eine günstige Mitfahrgelegenheit. Handeln hatte ich ja bereits gelernt, also schaffte ich es, für nur 20.000 Đồng mit einer Motorradfahrerin bis zur Mã Mây zu kommen. Das einzig Nervige daran war, dass die gute Frau mir ständig irgendwelche Fragen auf Vietnamesisch stellte und von mir verlangte, sie zu beantworten. Ich wusste noch nicht einmal, wie man „ich weiß nicht“ oder „ich verstehe nicht“ in ihrer Sprache sagte, und da sie auch mein Englisch nicht kapierte, war die Unterhaltung eher einseitig, aber schließlich kam ich ja an und steuerte gleich auf eine Unterkunft namens „Ðông Á Hotel“ für vier Dollar pro Nacht zu. Es war ein Dorm mit etwa zehn Betten, die an einem langen Korridor entlang als Doppelstockbetten aufgestellt waren. Ich richtete mich kurz ein, duschte endlich mal wieder mit konstant warmem Wasser und erkundigte mich dann sofort in den umliegenden Reisebüros nach einem Direktbus nach Vientiane. Das Angebot war überwältigend, nahezu jedes Reisebüro bot diesen Service an, und zwar von 13 bis 25 Dollar. Ich hatte vorher im Lonely-Planet-Reiseführer gelesen, dass es diesen Bus für 24 US$ gäbe, aber darunter seien auch eine ganze Menge „Scams“ (Betrugsversuche). Ich war froh, günstige Angebote bekommen zu haben, und da mir alle versicherten, dass es der Bus in etwa 18 Stunden schaffen würde, war ich mir meiner Heimreise schon sicher, kaufte aber noch kein Ticket.
Stattdessen lief ich in die Innenstadt, zu Ho Chi Minhs Mausoleum, das aber verschlossen war, am großen „West Lake“ vorbei und entlang dem Verteidigungsministerium, vor dem Soldaten mit tollen Gewehren standen. Immer wieder sah ich diplomatisches Geleit aus verschiedenen Ländern in noblen, schwarzen Autos vorbeifahren, aber ansonsten fand ich die Stadt nicht sehr aufregend. Sehenswürdigkeiten gab es auch nicht. Ich schneite im Kriegsmuseum hinein, für das ich keinen Eintritt mehr bezahlen musste, weil es nur noch eine Viertelstunde geöffnet hatte. Die Zeit reichte mir als absoluter Gegner jeglicher Kriegshandlungen völlig und so marschierte ich zurück in die Touristengegend. Dort suchte ich mir ein vietnamesisches Restaurant mit zwar sehr gutem Preis-Leistungs-Verhältnis, aber absolut schlechter Servicequalität (ich saß 20 Minuten vor meinem leeren Teller und wartete aufs Bezahlen!). Dann ging ich schlafen – es war ein anstrengender Tag gewesen.
Am nächsten Morgen (09.04.2010) weckte mich der Österreicher Anatol, weil er gerade erst angekommen war und sich noch nicht so auskannte. Zwar war ich mit Hà Nội auch noch nicht sehr vertraut, aber immerhin war ich schon einmal in der Innenstadt gewesen. Wir entschieden uns dafür, einfach jeweils ein Motorrad für 100.000 ₫ auszuleihen und damit zur 100 Kilometer entfernten „Halong Bay“, der Touristenattraktion in Vietnam überhaupt, zu fahren. Da wir die Bikes wie immer ohne Sprit bekommen hatten, suchten wir verzweifelt nach einer Tankstelle. Selbst mit Durchfragen dauerte es uns eine gute halbe Stunde, bis wir den Tank endlich voll bekamen. Am Tag zuvor hatte ich mich noch mit Steve, dem momentanen „kulturweit“-Freiwilligen in Hà Nội, per E-Mail bei sich auf Arbeit verabredet und so suchten wir, Anatol und ich, das Büro des DAAD auf dem Campus einer Technischen Universität. Wir mussten uns wieder auf Englisch und Französisch durchfragen, bis wir endlich das Deutschzentrum fanden. Unglaublich, dass in Vietnam tatsächlich Leute unsere Sprache lernen oder gar sprechen! Das Gespräch mit Steve dauerte vielleicht zehn Minuten, dann musste er zum Mittagessen, wir auf unsere Motorräder und wir wollten uns am nächsten Abend noch einmal treffen.
Den Weg aus Hà Nội hinaus zu finden, stellte keine großen Schwierigkeiten dar. Und da wir wieder einmal die schnellsten auf der Autobahn waren, kamen wir auch schnell in die ländlichere Gegend. Bald sollten es nur noch 80 Kilometer bis zur Halong-Bucht sein. Die Fahrt war aber zwischen all den LKWs, Bussen, anderen Motorrädern und dem aufgewirbelten Staub furchtbar unangenehm, also entschieden wir uns, den Weg über die Landstraße zu suchen. Wir fuhren also von der Autobahn ab und folgten einem halb gepflasterten Weg, der lange Zeit nur geradeaus führte. In einem Dorf hielten wir kurz an und fragten, wo wir denn seien. Da die Bewohner keine Karte lesen konnten, versuchte ich es mit meinem Sprachtalent. Wo sei denn die „Thành phố Hưng Yên“ (Stadt Hưng Yên), fragte ich, denn das wäre die nächstgrößere Stadt laut meiner Karte gewesen. Die Dorfbewohner deuteten in eine Richtung, die ich nicht vermutet hätte, aber wir glaubten ihnen und folgten einem noch schlechteren Weg. Die Fahrt machte Spaß, führte aber irgendwie zu nichts, schon gar nicht zur Halong-Bucht.
Anatol hatte sich immer beschwert, dass wir doch einfach mal die kleineren Sandstraßen und nicht immer die so schön ausgebauten Wege befahren sollten. Gesagt, getan: Ich schlug ihm einfach einen ins Nichts führenden Sandweg auf einem Dorf vor und schon bemühten wir unsere Motorroller über den unebenen Grund. Wir kamen mal wieder an einem Friedhof vorbei (schlechtes Omen!?) und steuerten dann geradewegs die matschigen Reisfelder an. Wir balancierten auf den Grenzwegen zwischen den unter Wasser stehenden Reisfeldern entlang, vorbei an verdutzten Bauern, bis es nahezu nicht mehr weiterging. Irgendwann mussten wir die Motorräder mit geschicktem Gangwechsel über Abgründe hieven, in denen das Vorderrad auch hätte stecken bleiben können. Das Ganze lief zwar recht gut, aber da ich ja ohnehin schon recht viel Pech in Vietnam gehabt hatte, störte es mich auch nicht mehr so sehr, dass ich am fünften Abgrund mit der Maschine umkippte und zur einen Hälfte ins Reisfeld, sprich in braunen Matsch, hineinfiel. Meine ganze linke Seite war braun und nass, aber eigentlich war es eher lustig als schlimm. Das Einzige, was ich bei dem Sturz verloren hatte, war die Lust, noch weiter in die Felder hervorzudringen, sodass wir erst einmal die Räder abstellten und zu Fuß erkundeten, wie sich der Weg entwickeln würde.
Anatol wollte unbedingt weiterfahren, ich aber nicht. Also starteten wir ein kleines Wettrennen: Anatol würde über eine weitere Runde versuchen, zum Ausgangspunkt zurückzukehren, während ich es in entgegen gesetzter Richtung auf der eben bezwungenen Route schaffen sollte. Ich gewann zwar, aber trotzdem war ich mit meinem Schlamm noch nicht ganz so glücklich. Wir trafen noch einen sehr lustigen Dorfbewohner, der sich wohl gerade an seine Arbeit auf dem Feld machen wollte. Er redete etwa zehn Minuten auf Vietnamesisch auf uns ein, bis Anatol sich einen Spaß daraus machte und ihm „unsere“ Geschichte auf Deutsch schilderte. So lief das Gespräch etwa zwanzig Minuten – keiner verstand die andere Partei, aber es war sehr lustig. Das einzige Wort, dass wir immer wieder aus seinen Erzählungen heraushörten, war so etwas wie „murat“ (schön auf Türkisch aussprechen). Dieses Wort würden wir von nun an nehmen, um alles, was mit Reisfeldern und „Dreck am linken Arm“ zu tun hat, zu beschreiben.
Wir fuhren weiter und kamen endlich in der großen Stadt Hưng Yên an. Die Autobahn machte uns abermals keinen Spaß, also entschieden wir, vom Weg abzufahren und durch die kleinen Gassen der Stadt zu düsen. Der Hunger quälte uns bereits und so hielten wir wohl oder übel an einem restaurantähnlichen Häuschen an, vor dem eine Frau saß und irgendwelche seltsamen Sachen frittierte. Dahinter saß eine ganz schar sich amüsierender Vietnamesen. Das sollte uns nicht stören und so setzten wir uns einfach vor die Pfanne, aus der uns die gute Frau ein paar flache, von der Konsistenz her Kroketten ähnelnde, frittierte Stückchen reichte. Etwas skeptisch probierte ich zuerst, und nachdem ich den guten Geschmack bestätigen konnte, kostete auch Anatol davon. Dann gab es ballförmigen, gekochten Teig, von dem wir nicht erfuhren, was eigentlich enthalten war, aber er schmeckte definitiv. Jedes Stück kostete uns schlappe 2.000 Đồng; was für ein Schnäppchen!
Bald wurde uns die Stadt zu langweilig und es ging wieder ins „Murat“. Unsere mittlerweile zu Dirtbikes gewordenen Motorräder machten schier alles mit und teilweise wussten wir selbst nicht, ob die Reiswege überhaupt irgendwie hinführen würden. Nach einigen Anläufen, einen sinnvollen Weg zu finden, landeten wir auf einem Dörfchen, in dem die Bewohner wohl noch nie Touristen gesehen hatten. Einer verwehrte mir sogar das Fotografieren eines seltsam anzuschauenden Baumes. Schulmädchen, die gerade Pause hatten, kreischten aus den Fenstern und vom Schulhof, weil sie uns beide schicke Westler vorbeifahren sahen, und waren sichtlich verwundert, wenn nicht gar geschockt, dass wir die Feldwege den gepflasterten Straßen vorzogen! In einem Dorf konnte man sich wirklich verirren, da die Wege zwischen den Häusern zwei Meter hoch eingemauert waren …
Als wir genug vom Dorf hatten, traten wir den Heimweg an. Wir kamen an einem großen bankähnlichen Gebäude vorbei, in dem ich mich endlich von meinem „Murat“ am linken Arm befreien konnte. Es schien wohl eine Börse gewesen zu sein. Jedenfalls verstand man „toilet“ und verwies mich in ein recht gepflegtes Bad. Um unseren anhaltenden Hunger zu stillen, kauften wir vor der Börse noch riesige, preisgünstige Baguettes und unterhielten uns wieder auf Deutsch und Vietnamesisch zunächst mit einem Baum-, dann mit einem Schlangenverkäufer. Wer auch immer solche Sachen kaufte, wir jedenfalls erschienen den beiden wie potenzielle Interessenten, auch wenn wir schließlich ohne Baum und ohne Schlange heimkehren sollten. Auf der Heimreise übte Anatol noch ein paar Burn-outs mit dem Motorrad in dickem Sand neben (!) der Autobahn und dann war es auch nicht mehr schwer, den Weg zurück nach Hanoi zu finden. Schwer war es aber, wieder zurück zu unserer Unterkunft zu kommen, weil die Straßenführung im „Old Quarter“ nicht geradlinig verläuft, sondern meist halbkreisförmig, weshalb man bei dreimal nach links abbiegen wieder am Ausgangspunkt ist, während man dafür gewöhnlich viermal in dieselbe Richtung abbiegen muss.
Bei einem gemütlichen Abendessen in einem gemütlichen Restaurant kamen wir mit drei deutschen Teenagern ins Gespräch, von denen einer ein Jahr zuvor ebenfalls ein Auslandsjahr beim SFD Kassel in Peking, wofür ich mich auch einst beworben hatte, vollendet hatte. Zu fünft klapperten wir alle möglichen Restaurants in der Umgebung ab, aber da es nirgends mehr „bia hơi“ (Bier vom Fass) gab, war der Abend bald zu Ende.
Während Anatol am nächsten Morgen (10.04.2010) sein Motorrad gleich zurückgeben wollte, hatte ich eigentlich vor, es bis 10 Uhr noch zu behalten, um damit zu Hồ-Chí-Minhs Mausoleum zu fahren, aber soweit sollte es gar nicht kommen. Viel Glück hatte ich ja schon die letzten Tage nicht gehabt, also sollte es mit dieser Pechsträhne weitergehen: Mein Hinterrad hatte einen Platten. Na klasse! Wir entschieden also, die Roller zurück zum Verleih zu bringen. Mit einem platten Reifen konnte ich ja ohnehin nichts mehr anfangen.
Lange ließ der Verleiher auf sich warten, da wir die Räder über eine Reiseagentur, also einen Zwischenhändler, gemietet hatten. Freundlich wies ich den Mann auf den Platten hin, damit er ihn flicken lassen könnte, falls ihn denn jemand zerstochen hatte. Der Typ verstand das aber nicht so, sondern notierte es sich gleich als Mängel und meinte, wir müssten sofort den Reifen wechseln lassen. Bei Anatol wurde unterdessen ein kaputtes Rücklicht festgestellt, das aber schon beim Ausleihen nicht funktionierte. So etwas hatten wir natürlich nicht beanstandet, denn mein Tacho ging auch nicht, jedes Mal sprang bei mir der Gang heraus, wenn das Motorrad stand, und der Österreicher beklagte sich über einen instabilen Lenker bei hohen Geschwindigkeiten. Was war da schon ein Rücklicht? Für uns nichts, für den Verleiher eine willkommene Gelegenheit, uns Geld aus der Tasche zu ziehen. Mein Motorrad wurde gleich zur Werkstatt geschoben, aber statt den Reifen zu flicken oder überhaupt erst einmal auf Schäden zu untersuchen, sollte er gleich ausgewechselt werden. Das wird natürlich wieder ein Grund, um mich tierisch aufzubäumen, aber im Endeffekt brachte es nichts: Ich musste 50.000 für den Reifen hinlegen und Anatol hatte die gleiche Summe zu blechen. Na klasse! Das war zusammen wieder eine volle Motorradmiete.
Jetzt fragt ihr euch, warum wir nicht einfach abgehauen sind und das Geld bezahlt haben? Tja, weil der Verleihfuzzy den Reisepass von Anatol als Pfand bekommen hatte. Auch wenn es der wichtigste Gegenstand auf Reisen ist, muss man ihn gewöhnlich bei Motorradausleihen abgeben und bekommt ihn erst bei Auflösung des Vertrages beziehungsweise ordnungsgemäßer Rückgabe zurück. Da kann man nichts machen, es sei denn, man besteht auf einer vollständigen Abschrift oder Kopie (bestenfalls einer beglaubigten von einer internationalen Behörde), einem Ersatzdokument (Führerschein, Personalausweis) oder Geldpfand (gewöhnlich zwischen 20 und 100 Dollar).
Völlig verärgert ging ich mir dann noch ein Ticket bei einer der weder teuren, noch billigen Agenturen nach Vientiane kaufen, hoffte damit also auf ein gutes Mittelmaß an Service. Sie hatten mir ja schon einmal die Reiseroute und den Ablauf an der Grenze erklärt; alles schien verlässlich. Aber als ich an diesem Tag ankam, gab es nur einen Schlafbus – ich mag diese Schlafbusse aber nicht, nicht nur, weil sie teurer sind, sondern weil ich ohnehin im Sitzen besser in einem Bus schlafen kann. Die Betten sind ja meist auch zu klein und viel zu hart. Da es also mein Ticket für den nächsten Tag nicht gab, begab ich mich zu einer billigeren Agentur, in der mehr die Chefin höchstpersönlich tatsächlich einen Sitzbus für 14 US-Dollar anbot. Mehrmals vergewisserte ich mich nach der Route und hoffte so herauszufinden, ob sie verlässlich seien. Die Chefin schien kompetent und so kaufte ich die Fahrkarte …
Anatol wollte demnächst nach Indien und brauchte ein Visum dafür. Wir nahmen ein extrem teures Taxi zur Botschaft, nur um feststellen zu müssen, dass sie verschlossen war. Der Wächter konnte wieder einmal kein einziges Wort auf Englisch und so zeigte er eine „2“ mit den Fingern. Wir deuteten es als „noch 2 Stunden geschlossen“, weshalb wir uns die Zeit in einem kleinen, extrem schwer zu findenden und von einer Australierin geführten Buchladen und danach in der wohl uninteressantesten Sehenswürdigkeit Hanois namens „Temple of Literature“ (der rein gar nichts mit Büchern zu tun hatte) vertrieben. Auf der Suche nach Essen und einem Zeitvertreib, lies: Kino, landeten wir einem von „Lonely Planet“ beschriebenen Hinterhof, der, nachdem er von außen ganz und gar nicht einladend aussah, sich als Luxusrestaurant mit integriertem Kino und Hotel herausstellte. Es war uns aber viel zu teuer, wenn auch „urgemütlich“, wie der Österreicher zu sagen pflegte. In einem kleinen Restaurant an der Straße bestellten wir uns dann billigeres „local food“, aber die Sprachbarriere war auch hier mehr als deutlich. Wenn selbst „Wasser“ und „Salz“ auf Englisch nicht in einem Restaurant verstanden werden, wo dann? Ich musste also die Wörter in meinem Phrasebook zeigen, um uns verständlich zu machen, denn meine Versuche, die beiden Wörter auf Vietnamesisch auszusprechen, scheiterten ebenso. Das Essen war billig, aber nicht lecker.
Zurück zur Botschaft: Immer noch verschlossen, es waren bereits drei Stunden verstrichen. Wir fragten den Wächter noch einmal und wieder zeigte er eine „2“ mit den Fingern. Dieses Mal deuteten wir es als „noch 2 Tage geschlossen“. Wir zogen von dannen.
Mit Steven, dem „kulturweit“-Freiwilligen in Hanoi, machte ich mir ein erneutes, hoffentlich längeres Treffen für um sechs per Internet aus, da weder ich noch Anatol ein Handy besaß. Dieses Treffen schlug aber fehl, weil Steven die Mail zu spät gelesen hatte, da er vorher noch auf einem Samstagsausflug für seine Arbeit war. Ich spazierte also mit Anatol ein bisschen um den großen See im „Old Quarter“ und wir führten philosophische Gespräche über dies und über das.
Das eigentlich Verwunderliche kommt jetzt aber: In einem Restaurant bestellten wir uns beide ein Pizza. Wie immer reichte es mir ja nicht, einfach nur den Namen der Pizza zu sagen, ich muss ja stets hinzufügen, dass ich „keinen Käse“ will. Zunächst erwartete ich einen erschrockenen Blick von der Bedienung (was auch eintraf) und dann natürlich einen ebenso überraschten Gesichtsausdruck von meinem Tischnachbarn. Aber der sagte ganz normal, dass er auch keinen Käse möchte. Wow, das hatte ich noch nie erlebt! Er erklärte mir auch, dass die originale neapolitanische Pizza in zwei Ausführungen kommt: einmal mit und einmal ohne Käse. Dort sei diese Eigenart Standard. Noch in Saigon hatte mir eine Bedienung doch tatsächlich weismachen wollen, dass sie „keine Pizza ohne Käse“ habe. Diese Reaktion konnte ich mir nur durch Tiefkühlpizza erklären …
Als Abschluss unseres langweiligen Tages in Hanoi machten wir noch ein „Spiel“, das sich nur in Hanois „Old Quarter“ so gut spielen lässt. Wie schon einmal erwähnt, sind die Straßen dort nicht rechtwinklig angeordnet, sodass man nicht genau weiß, wie oft man in dieselbe Richtung abbiegen muss, um wieder am Ausgangspunkt zu landen. Wir wollten uns einfach auf der anderen Seite unseres Hauses wiedertreffen, während ich nach links und Anatol nach rechts läuft. Das ging schief. Ich schaffte es problemlos, aber Anatol war verschwunden. Ich lief den Weg in beide Richtungen dreimal ab und auch in die Nebenstraßen. Er war weg. Ich ging duschen, dann schlafen. Der Österreicher war immer noch weg.
Am nächsten Morgen (11.04.2010) lag er wie ein Stein im Bett. Ich sollte später erfahren, dass er am Vorabend vom Weg abgekommen und in einer dunklen Gasse gelandet war, von wo aus er aus Angst einen Motorradfahrer bis nach Hause anheuerte. Ich ließ ihn schlafen und machte mich nach einem kurzen Frühstück (zum vierten Mal im selben Restaurant) endlich auf zum Mausoleum des berühmten Hồ Chí Minh. Ich wurde sofort von einer gut hundert Meter langen Menschenschlange empfangen, die sich langsam fortbewegend immer weiter in das große Gebäude mit dem Leichnam der Berühmtheit hineinschob und wahrscheinlich auf der anderen Seite wieder hinauskommen musste. Es war schwierig, sich zurechtzufinden, vor allem aber das Ende der Schlange zu finden. Eintritt kostete es nicht, lediglich die Kamera musste man abgeben. Bald war ich Teil der Schlange, dann ging es viele Stufen im Zickzack hinauf und schließlich einmal um den Sarg Hồ Chí Minhs herum, auf der anderen Seite wieder hinaus, wo ich überraschenderweise meine Kamera sofort wieder in der Hand halten durfte, als hätte sie jemand dorthin gebeamt.
Man landete im Hinterhof des Mausoleums, von wo aus man noch in einen Garten oder in ein Museum gehen konnte. Ich erbarmte mich Letzterem, aber bis auf die erstaunliche Innen- wie Außenarchitektur des Gebäudes fand ich das Museum nicht sehr museumshaft. Vielleicht hatte ich einfach keine Ahnung von der Geschichte, vielleicht auch einfach kein Interesse mehr an Vietnam, nach allem, was mir hier schon passiert war.
Bis 17 Uhr musste ich mir nun noch die Zeit vertreiben. Anatol auch, dann würde sein Bus nach Hué gehen – und meiner eben nach Vientiane. Ich freute mich darauf, endlich aus Vietnam hinauszukommen. Das Land gefielt mir nicht, die Mentalität der Leute sagte mir nicht zu und ich hatte viel Pech hier erlebt. Nun sollte es wieder in mein sicheres, gewohntes Thailand gehen.
Es war 17 Uhr. Wie ausgemacht sollte ich mich in der Agentur, bei der ich das Ticket gekauft hatte, einfinden, weil man mich von dort aus zum Bus per „Pick-up-Service“ bringen würde. Super. Konnte ja nichts mehr schiefgehen, außer … Schon von Weitem, ohne dass die Frau einen Ton hervorbringen konnte, hörte ich ein mitleidiges „ohhh, soooorry“. Als der Ton an meinen Ohren ankam, bestätigte sich dieser Verdacht. Ich wollte, ohne dass ich überhaupt wirklich wusste, warum, der Frau schon ins Gesicht schreien: „Ich hab’s doch gewusst“. Und wirklich hatte ich es geahnt: Mein Bus, für den ich ja das Ticket schwarz auf weiß in der Hand hielt, existierte nicht. „Your bus is not available“, versuchte mir die Praktikantin klarzumachen. Sie war nicht hübsch, sie war nicht superfreundlich und sie war schon gar nicht einsichtig, sie war einfach typisch vietnamesisch. Das bestätigte leider noch einmal den Eindruck, den ich aus diesem Land größtenteils mitnehmen konnte. Mir war es doch egal, ob es diesen Bus gäbe oder nicht, ich wollte einfach am nächsten Tag in Vientiane sein. Grund: In zwei Tagen würde Songkran in Chiang Mai gefeiert werden. DAS buddhistische Fest überhaupt, da würde ich natürlich dabei sein müssen und so etwas dürfte ich einfach nicht verpassen, schon gar nicht wegen eines nicht existierenden vietnamesischen Busses!
Nun stellte ich mich quer: Ich wollte meinen Bus, für den ich ja mein Ticket hatte. Schließlich gab die gute Frau nach und offerierte mir einen Angebot für einen Schlafbus, der noch genau einen Platz heute für mich hätte. Klar, den würde ich nehmen. Das Ticket hatte ich ja schon. Aber genau darin lag das nächste Problem. MEIN Ticket galt ja nur für einen Sitzbus, der ach so viel komfortablere Schlafbus wäre natürlich teurer gewesen, und zwar nur 15 Dollar. Daraus ergäbe sich ein Gesamtaufpreis von über 100%! Was für ein Geschäft … Abzocke pur. Aber ich bin ja jemand, der angeblich nie auf solche „Scams“ (Betrüger) hereinfallen würde, also willigte ich natürlich nicht ein. Warum sollte ich auch noch mehr bezahlen, wenn es meinen Bus, für den ich ja ein Ticket hatte, urplötzlich nicht mehr gab? Unverständlich, vietnamesisch.
Eine Stunde war bereits vergangen. Anatol hatte bisher hinter mir gesessen und mit einer anderen Angestellten geflirtet. Er verabschiedete sich nun auch. Ich hatte keinen Bus, war gefangen in Hanoi. Nach weiterem Bedrängen der ach so armen Studentin auf dem Drehstuhl bekam ich endlich mal die tolle Chefin ans Telefon, die zunächst einen bedauerlichen großen Fehler gemacht habe und dann ganz zufällig im Ausland und damit nicht zu erreichen sei. Ich hatte mich durchgesetzt und nun die Tante am Hörer. Ich ließ sie natürlich nicht ausreden und musste mich zusammenreißen. Ich bat um Alternativen: Schlafbus, Privatbus, Flugzeug, was auch immer, Hauptsache für denselben Preis bis zum nächsten Abend bis nach Vientiane. Aber es half nichts, die Frau war unbelehrbar, uneinsichtig, hartnäckig, teils unfreundlich, kurz: vietnamesisch.
Nach einer Weile ein winziger Erfolg: Einen ganzen Dollar wollte sie mir doch erlassen, sodass ich nur noch 14 Dollar draufzuzahlen hätte. Wie lächerlich! Es war so lächerlich, dass ich laut lachen musste, obgleich mir gar nicht mehr zum Lachen zumute war.
Ich schrieb mir den Namen der Praktikantin, der Chefin und der Reiseagentur auf. Ob es mir etwas helfen sollte? Ich schund zumindest Eindruck. Damit wer auch immer diesen Bericht liest, nicht in dieselbe Falle gerät, halte er sich lieber von „Namdo Tours“ in der Mâ Mãy 33, geleitet von Nguyễn Hoàng Anh, an diesem Tag mit Praktikantin Nguyển Thủy, fern. Ein eingangs billig scheinendes Angebot wird bald zum bösen und vor allem teuren Erwachen.
Irgendwann tauchte noch der Pick-up-Service auf. Ich bestand darauf, dass er mich wenigstens zu dem Schlafbus fahren sollte. Aber ohne meine „Nachzahlung“ würde er das nicht tun. Die Praktikantin meinte, ich schuldete dem Busfahrer 15 Dollar, wenn ich den Bus nehmen würde. Genau deswegen wollte ich ja zum Bus! Ich verlangte also mein vor zwei Tagen bezahltes Geld für das nichtige Ticket zurück, behielt aber geschickterweise das Ticket in der Hand. Nun hatte ich ja immerhin 14 Dollar wieder und ein immer noch eigentlich gültiges Ticket für einen nicht vorhandenen Bus. So lief ich schnell zum Pick-up-Service und reichte ihm das Geld, mit dem er mich gefälligst zum Bus fahren sollte. Blöderweise war die Praktikantin auch nicht ganz so dumm und erklärte dem Typen – natürlich auf Vietnamesisch –, dass das so einfach nicht gehe und dass ich entweder die gesamten 29 Dollar bezahle oder gar nicht mit dem Bus fahren würde. Man brachte mich also weder zu dem angeblichen Schlafbus, noch kam er zur Agentur. Irgendwann war er angeblich abgefahren.
Es war schon acht Uhr abends. Drei Stunden Diskussion. Kein Erfolg, außer dem einen Dollar Erlass. Ich nahm noch einmal Anlauf und fragte nach Alternativen. Gäbe es denn wenigstens einen Zug nach Vinh, einer Stadt 100 km vor der laotischen Grenze, von wo aus ich wieder auf einen Tourbus springen könnte? Da die Praktikantin als Reisekauffrau völlig unfähig schien, schob ich sie vom Stuhl, setzte mich vor ihren Computer und fand im Internet im Handumdrehen die Zugverbindungen, die sie vergeblich gesucht hatte … was für eine Agentur! Es stellte sich heraus, dass es sehr zeitig früh am Morgen einen Zug nach Vinh geben würde, von wo aus ich es einfach auf eigene Faust nach Vientiane versuchen würde. Das Angebot, den gleichen Bus einen Tag später von der Agentur zu nehmen, schlug ich aggressiv ab. Warum sollte ich auch? Bei dieser Agentur? Hier wollte ich kein Geld mehr lassen. Die 14 Dollar hatte ich ja bereits in Đồng zurückbekommen, das Ticket dafür abgegeben.
Da ich aber gerade in der richtigen Diskussionsstimmung war und keine Einbußen wegen dieser dämlichen Agentur machen wollte, fehlte noch eine Unterkunft für die Nacht. Ich verlangte mindestens vier Dollar, um in meinem vorherigen Dorm nächtigen zu können. Natürlich wollte sie das wieder nicht einsehen, also diskutierte ich immer weiter. Irgendwann schlug sie mir ein nahegelegenes Hotel vor, in dem ich kostenlos schlafen dürfte. Sie gab mir eine Adresse, ich sollte es suchen gehen. Selbst mit Durchfragen fand ich es nicht. Diese Adresse schien falsch zu sein. Auch den Namen des Hotels verstand keiner – er war ja auch englisch! Ich ging zurück und ließ nun die Praktikantin suchen … Ewigkeiten … Unterdessen fragte ich in einer anderen Unterkunft nach einem möglichst zeitnahen Bus nach Vinh oder Vientiane, den es aber nicht gab. Ich würde wohl den Zug nehmen müssen.
Irgendwann kam die Reisebüroangestellte völlig außer Atem zurück und teilte mir voller Freude, aber auch vorwerfend (siehe, was ich alles für dich tue!) mit, sie habe den Schuppen gefunden. Wir gingen hin. Auf den ersten Blick wirkte alles sehr nobel. Ich bekam das oberste Zimmer. Das sah ich mir an: Fernseher, großes Bett, eigenes Bad, Klimaanlage, sogar einen kleinen Kühlschrank gab es. Da sagte ich schnell zu und war froh, auch noch kostenloses Internet in der Lobby dazuzubekommen. Ich war zufrieden und bedankte mich für das Angebot.
Zurück in der Agentur kam gegen neun, nach vierstündiger Diskussion, eine Freundin der Praktikantin, um sie abzuholen. Diese schien sich in dem Metier auszukennen und half mir sofort, eine günstige Zugverbindung zu finden. Sie bedauerte, keine Tickets mehr im Voraus reservieren zu können, weil es dafür schon zu spät sei. Man könne sie nur direkt im Bahnhof holen. Damit ging die Diskussion auch zu Ende. Ich hatte zwar immer noch keine Fahrgelegenheit nach Laos, aber immerhin einen Plan und eine kostenlose Übernachtung …
… in einem Zimmer, das trügerischer nicht hätte sein können: Als erstes fielen mir die wahnsinnig vielen kleinen Fliegen an den Wänden auf, die ich vorher gar nicht gesehen hatte. Da es ziemlich stickig war, wollte ich die Klimaanlage schön anschalten, doch oh weh, die Fernbedienung war nicht aufzufinden. Ich suchte und suchte, fand sie aber nicht. Da es auch keinen Ventilator gab und man nicht ohne Ventilator oder Klimaanlage überleben könnte, stolperte ich alle Stufen wieder hinunter, fragte nach einem „fan“, bekam einen und trug ihn wieder bis in den fünften Stock. Oben angekommen, wollte ich ihn anstellen, doch er funktionierte nicht, egal was ich tat. Ich schaffte ihn wieder hinunter, besorgte mir einen neuen, kletterte wieder alle fünfzig Stufen nach oben und sah, dass er diesmal funktionierte, zwar nur auf der höchsten Stufe, aber na ja. Nun probierte ich weiter: Der Fernseher funktionierte auch nicht, ging einfach nicht an. Das Wasser war nicht wirklich warm und das Bad voller Fliegen. Alles in allem war das Zimmer trotz seiner Größe nicht einmal fünf Dollar wert. Aus diesem Grund und weil ich den Zug um 5.55 Uhr nicht verpassen wollte, verbrachte ich praktisch die halbe Nacht vor dem kostenlosen Internet in der Lobby. Da ich meist der Einzige im Eingangsfoyer war, musste ich öfter mal die Tür für einkehrende Gäste öffnen, die ohne mich wahrscheinlich nicht mehr in ihr tolles Hotel gekommen wären. Dann ging ich schlafen und wachte glücklicherweise gegen halb fünf morgens wieder auf, sodass ich mich nach einer angemessenen Dusche davonschleichen konnte. „Davonschleichen“ trifft es wohl am besten, denn als gewisse Rache klaute ich mir zwei Cola-Dosen aus dem funktionierenden Kühlschrank, legte den Zimmerschlüssel an die Rezeption und schob mich aus der Glastür, die sich nur von Innen mit einem Stock öffnen ließ, in die morgendliche Frühe – auf zum Bahnhof, ohne auch nur noch einen Đồng in Hanoi zu lassen! Ich lief also.
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Von Hà Nội nach Vientiane (12. – 13.04.2010)
Den Bahnhof erreichte ich recht pünktlich, das Ticket kostete auch nur einen Hunderttausender und ich musste nicht auf den Zug warten, denn er stand schon da. Da ich mit der dritten Klasse wirklich die unterste Kategorie jeglicher Fahrgelegenheit erstanden hatte, musste ich mich nach sechsstündiger Fahrt auf Holzbänken nicht über Rückenschmerzen wundern. Interessant waren vor allem die Möglichkeiten, die sich die Vietnamesen in dem engen, stickigen und billigen Zug ausdachten, um bequem schlafen zu können. Das reichte von angezogenen Beinen auf der Bank über hochgestreckte Beine am Fenster bis hin zum Schlafen unter den Bänken auf dem Boden. Faszinierend!
Gegen 12 Uhr kamen wir an – in Vinh, einer Stadt, in der es wohl extrem selten Touristen gibt und in der man selbstverständlich auch nichts mit Englisch anfangen konnte. Hier war mein bisher erlerntes Vietnamesisch essentiell. Eine Stadtkarte hatte ich natürlich auch nicht. Ein Motorradfahrer empfing mich und drängte natürlich auch gleich darauf, mich an meinen Zielort zu fahren. Doch der war gar nicht so leicht zu beschreiben: Ich wollte zu einem Busbahnhof, der Busse hat, die nach Laos fahren: „đi xe buýt đi Lào“ (sprich: die se büt die laau) sollte verstanden werden. Und tatsächlich schien der Motorradfahrer zu kapieren und fuhr los. An einem großen Busbahnhof kam ich an. Ich fragte alle möglichen Busfahrer nach „đi Lào“, aber was auch immer sie verstanden, den Sinn hatten sie wohl nicht kapiert. Also versuchte ich es anders, zeigte meine Landkarte und erklärte ihnen, ich möchte gerne Richtung Tây Sơn (sprich: dai sönn), denn das war das letzte größere Dorf vor der Grenze, von wo aus ich bis zur Grenze trampen könnte. Würde schon irgendwie gehen …
Bald zerrte mich ein Fahrer in seinen Bus und meinte, er würde nach Laos fahren. An dem Bus stand tatsächlich eine Grenzstadt namens Mường Xén, schien also gar nicht so falsch zu sein. Erst später sollte ich realisieren, dass man an diesem Grenzübergang kein Visum bekommt, sondern vorher eines benötigt. Ich fuhr also eine Weile mit diesem Bus, der bereits voll war, in dem auch ein Motorroller Platz fand und der noch weiter Leute von der Straße einsammelte. Meine Fahrt sollte 100.000 Đồng kosten, das schien in Ordnung. Eigentlich freute ich mich, dass das alles so gut klappte, bis mich jemand, der vor mir saß, auf Englisch fragte, wo ich hinwollte. Ich meinte: nach Laos. Sie beredete etwas mit dem Geldeinsammler (praktisch: Schaffner), der mich dann bald hinauswarf. Zwar noch in Vinh, aber weit weg vom Busbahnhof. Es war unglaublich heiß und ich stand mit meinem Gepäck wieder auf der Straße. Eine gute Stunde hatte mich der Quatsch gekostet, gekonnt hatte ich damit nichts.
Ich sprach ein paar herumlungernde Motorradfahrer an, ob sie mich bis Laos fahren könnten. Selbst einen Taxifahrer fragte ich. Aber obwohl ich von guten 600.000 auf schließlich 300.000 Đồng herunterhandeln konnte, war mir das alles viel zu viel. Also suchte ich nach einer weiteren Möglichkeit. In einem Luxushotel, in dem man kaum Englisch sprach, fragte ich nach einer Alternative, um nach Laos zu kommen, aber die kapierten es nicht oder wollten mir nicht helfen. Also lief ich wieder zum Busbahnhof und sah mich dort genauer um. Es gab tatsächlich einen Ticketverkauf, aber nichts an den Fahrplänen erinnerte mich an Laos, Cầu Treo (Grenzdorf) oder Tây Sơn (laut Lonely Planet letztes Dorf vor der Grenze). Trotz meiner Bemühungen, Cầu Treo (sprich: Gau Tscheeo) und Tây Sơn (Dai Sönn) richtig auszusprechen, verstanden sie Ersteres nahezu nie und Letzteres fast immer als englisch „station“ (sprich: s-teyschn). Keine Ahnung, wie schlecht das Englisch der Vietnamesen sein musste, um so falsch zu verstehen, aber na ja, irgendwann schrieb ich es auf und ließ am Schalter nicht locker, bis eine wenigstens annähernd hilfreiche Frau mir sagte, ich sollte mich zum „buýt xe chợ“ (sprich: büt se go) begeben, denn nur dort führen Busse nach Laos. Na, mal sehen …
Ich merkte mir den Wortlaut und setzte mich in eine herannahendes Taxi mit Taxameter, weil ich keine Ahnung hatte, wie weit es sein würde und ich so keinen Preis mit einem Motorradfahrer hätte aushandeln können. Der Taxifahrer brauchte eine Weile, bis er kapierte, und dann fuhr er immer geradeaus. Wir kamen an einem großen Markt, chợ eben, an, wo ich ausstieg, weil ich dachte, wir wären da, und weil der Fahrer auch unsicher schien, wo ich hinwollte. So lief ich also durch die „Mall“, wie man sie in Großstädten nennen würde, fand aber nichts Busähnliches. Ich fragte also wieder einen Motorradfahrer, ob er mich zu besagtem „buýt xe chợ“ fahren könnte, brauchte dieses auch eine Weile, bis jemand verstand, und ärgerte mich schließlich über abermals 15.000 Đồng, die ich für keine 400 Meter opfern musste, denn dieser Busbahnhof befand sich direkt hinter der Einkaufspassage.
So, nun war ich also endlich da, von wo aus Busse nach Laos fahren sollten. Endlich! Was für ein Stress – in dieser Hitze, einfach unerträglich! Ich suchte nach dem Ticketschalter und wurde schon von allen Seiten seltsam beäugt. Na klar, es war ein örtlicher Busbahnhof, der Touristen gewöhnlich, falls sie mal nach Vinh kommen sollten, vorenthalten wird. Mit meinem mittlerweile perfekten Vietnamesisch fragte ich souverän nach einem Bus nach Laos. Ich sollte bis 14.30 Uhr warten, ein Ticket brauchte ich nicht. Warten musste ich nur fünf Minuten, schon kam der erste Minibusfahrer und zerrte mich in seinen Bus, indem er meinte, er führe nach Laos. Mehrmals vergewisserte ich mich mittels meiner Landkarte, dass er auch wirklich die richtige Route fahren würde. Er schien die Karte nicht lesen zu können, aber immerhin Tây Sơn sagte ihm etwas. Er bot mir die Fahrt für 100.000 an und ich machte ihm klar, dass ich eigentlich Tây Sơn bis Cầu Treo, also direkt zur Grenze wollte. Diesen Ort kannte er nicht, aber ich würde ja dann schon diskutieren können und ihm sicher kein Geld geben, bevor ich nicht ankäme. So sicher war ich mir meiner Sache schon.
Die Zeit bis 14.30 Uhr verging einfach nicht. Ständig wurde geschleppt und gemacht um den Bus herum, Leute stiegen ein und stiegen aus, es war heiß und ein Vietnamese rauchte in der Tür, an der ich saß. Aber wir fuhren schließlich pünktlich ab. Ein paar Leute waren schon drin. Damit ist ein vietnamesischer Bus aber nicht voll und somit nicht abfahrbereit. Also wurden in ganz Vinh noch mehr Menschen eingesammelt, die in diese Richtung fahren wollten. Das ganze dauerte mindestens eine Stunde. Dann waren alle Plätze belegt. Aber damit ist ein vietnamesischer Bus immer noch nicht voll. Wir fuhren also noch eine halbe Stunde durch Vinh, die selbe Strecke wie zuvor, um den Bus richtig vollzustopfen. Es war furchtbar heiß und stickig und ich hatte keine Orientierung, wie spät es eigentlich war und wo wir hinfuhren, weil ich die Orte nicht kannte und die meisten davon gar nicht auf meiner Landkarte eingezeichnet waren. Als einzige Zeitorientierung hatte ich meine Kamera, mit der ich immer ein Foto machen konnte, um dann zu sehen, wann das letzte Foto eben geschossen wurde. Die Richtung schien zu stimmen, denn es ging immer zur untergehenden Sonne, also gen Westen, wo ja Laos lag. Unterwegs wurden immer mehr Menschen abgeladen und einige neue aufgenommen. Auf dem Dach hatten neben zig Holzkisten auch viele Gebrauchsgegenstände und ein Motorrad Platz gefunden, in dem Bus selbst wurde der restliche Platz, der noch nicht von Menschen belegt war, mit Reissäcken, Rucksäcken, Koffern und Metallstangen ausgefüllt. Bald war ich fast nur noch der Einzige in dem Fahrzeug und mir wurde mulmig. Wieso? Weil ich merkte, dass ich keine 100.000 Đồng so hatte, wie sie es haben wollten. Ich hatte 90.000 Đồng, 20 Dollar, 3000 Baht und ein paar übrig gebliebene Riel. Wie sollte ich die Fahrt also bezahlen? Die Dollar brauchte ich definitiv für das laotische Visum und mit Baht und Riel würden sie in Vietnam nichts anfangen können. Nun gut, warten wir mal ab, wo sie mich hinbringen …
An einem Straßenrand in einem Dorf – es war wohl Tây Sơn – sah ich ein paar Ausländer herumstehen. Ich lachte schon insgeheim, dass sie dort wohl von einem Busfahrer herausgeworfen worden waren. Vieles hatte ich bereits über den Trip von Hanoi nach Vientiane gelesen, vor allem viele Horrorstorys. Ich war mir meiner Sache aber sicher.
Dann hielt der Busfahrer und befahl mir auszusteigen. Nein, hier sei doch keine Grenze, meinte ich. Wir waren ja erst in Tây Sơn. Ich protestierte, dass ich nichts zahlen würde, wenn ich hier aussteigen müsste. Also gut, sie gaben nach, ich hatte Angst, aber die Fahrt ging noch ein paar Kilometerchen weiter. Dann hielt der eklige Fahrer wieder und zeigte auf ein Schild, auf dem in englischer, laotischer und vietnamesischer Sprache eindeutig „Grenzgebiet“ stand. Immer noch protestierte ich, dass ich nicht an der Grenze sei, dachte mir aber, dass ich vielleicht nur noch ein paar Meter laufen müsste. An einigen Meilensteinen zuvor hatte ich immer gelesen, dass Kaew Nuea, der laotische Grenzort, noch über 30 Kilometer entfernt sei, hatte aber gedacht, dass es sich dabei um einen Ort nach der Grenze in Laos handeln würde. Und da mit Vietnamesen, wenn sie sauer werden, nicht zu spaßen war, gab ich schließlich nach.
Ich hatte aber kein vernünftiges Geld und bot ihnen erst einmal die 90.000 an. Eifrig zählte der eine recht junge Fahrbegleiter und meinte, es fehlten zehntausend. Die hatte ich nun mal nicht. Ein-Dollar-Scheine hatte ich auch nicht, nur einen Zehner und zwei Fünfer. Also bot ich fünf Dollar an, die umgerechnet genau 95.000 Đồng wären, und gab noch einen 5.000er-Schein dazu. Es dauerte lange, sie zu überzeugen, dass es das gleiche Geld war, aber schließlich schaffte ich es. So stieg ich also aus.
Wo ich gelandet war, wusste ich nicht genau, es muss wohl am Ortsausgang von Tây Sơn gewesen sein. Dort stand ich nun vor dem Schild mit der Aufschrift „Frontier Area“. Und wo war nun das Kontrollhäuschen? Ich lief also mit meinem großen Rucksack los und folgte der Straße. Die Leute schauten aus ihren Häuschen und wunderten sich und kicherten und riefen mir „đi đâu“ (wohin gehst du?) zu. Ich antwortete sicher: „đi Cầu Treo“ oder „đi Lào“. Da lachten die meisten noch mehr. Ich lief und lief und lief. Es war nun kurz vor sechs Uhr abends, die Grenze würde bald schließen. Immer wieder hielten Motorrad- und Autofahrer an und witterten ihre Chance auf das große Geld. Für schlappe 15 Dollar oder 300.000 Đồng wollten sie mich gerne mitnehmen. Lonely Planet hatte geschrieben, man käme für 50.000 von Tây Sơn bis zur Grenze. Also versuchte ich es immer wieder, auf 30.000 herunterzuhandeln. Diese Zahl, „ba mười nghìn đồng“, wurde bald zu meinem Wanderspruch. Jeder, der mich mitnehmen wollte, bekam diese Zahl zu hören. Keiner aber ließ sich darauf ein. Einer, dessen Mund so aussah, als hätte er gerade ein Tier lebendig gefressen, fing bereits an, seine Krücke von Auto auszurümpeln, um mir Platz auf einem nur noch halb vorhandenen Beifahrersitz zu schaffen, bis ich den Preis erfuhr und weiterlief. Immer wieder musste ich „ba mười nghìn đồng“ sagen, aber es half nichts.
Bald gesellte sich eine Schüler- und Schülerinnengruppe mit Fahrrädern um mich und amüsierte sich über meine „ba mười nghìn đồng“. Sie wiederholten es auch dauernd. Sie wollten wissen, wo ich denn hinwollte. Nun ja, nach Laos, wohin denn sonst? Ich freute mich, eine Unterhaltung gefunden zu haben, obgleich es schon etwas dämmerte und ich keine Ahnung hatte, wann und ob ich überhaupt ankommen würde. Irgendwann bot mir ein Junge an, dass ich mich auf seinen Gepäckträger setzen könnte. Wie nett! Aber das ging nicht, er schaffte es nicht. Ich bot ihm also an zu tauschen, sodass ich mich abstrampelte und er auf dem Gepäckträger Platz fand. So ging das eine ganze Weile ziemlich gut, bis er irgendwann nach Hause musste und ich das Fahrrad wechselte. Die Kinder übten ihr Englisch und hatten ihre Freude an mir. Das mit dem Fahrradwechsel ging noch ein Weilchen so weiter und schnell waren gute vier Kilometer überbrückt. Von Grenze natürlich keine Spur.
Irgendwann kamen die letzten zu Hause an, an einem großen Haus. Ich sagte der Großfamilie, die im „Vorgarten“ saß, nett „xin chào“ und verabschiedete mich dann von den Mädchen. Von nun an würde ich mich alleine durch den Dschungel bis zur Grenze durchschlagen müssen. Was soll’s!
Aber plötzlich riefen mich die Mädchen, mit denen ich gerade gekommen war, zurück und boten mir an, ob ich nicht bei ihnen zu Abend essen wollte. Das ließ ich mir natürlich nicht zweimal sagen, nachdem ich schon Frühstück und Mittag ausgelassen hatte. Sie boten mir sogar einen Schlafplatz an, was ich auch nicht verneinte. Zuerst durfte ich duschen gehen. Wow! Total nett! Das Wasser war warm, die Familie schien wohlhabend und nett, ich bekam Abendessen und ein Bett für eine Nacht. Die Kinder waren überdies auch noch total hilfsbereit, freundlich, interessiert und niedlich. Besser hätte es ja kaum laufen können.
Ich lernte noch die Namen der vier interessiertesten Mädchen (es gab eine ganze Menge Kinder in der Familie): Dung (sprich: Jung), Ngan, Lanh (sprich: Lang) und Lê, und war danach stolz, dass ich mir die Namen weitestgehend behalten konnte. Meine Erklärung, dass ich aus Deutschland käme und dass es in Europa liege, lief ins Leere. Das Abendessen war fertig. Es gab … Reis und anderen Reis und wahrscheinlich Schwein oder Huhn oder so und noch vieles anderes, was ich niemals sonst essen würde. Aber ich quälte mir das meiste, was mir angeboten wurde, herein. Erstens hatte ich Hunger, zweitens wusste ich nicht, wann ich das nächste Mal essen können würde und drittens wollte ich nicht unhöflich sein. Aber es schmeckte grauenhaft. Über meine Stäbchenkünste amüsierten sie sich auch sehr. Die Männer saßen alle im Schneidersitz und die Frauen mit nach hinten angewinkelten Beinen auf dem Boden um ein großes Tuch mit viel Essen, während diejenigen, die bereits fertig waren, aufstanden, sodass noch andere Platz nehmen konnte. Von vielen Töchtern und Söhnen gab es über Eltern, Großeltern, Tanten und Onkel alles. Es war ja auch ein riesiges Haus im Vergleich zu den anderen Bruchbuden im umliegenden Dorf. Ich fühlte mich sehr gut aufgehoben.
Dann sollte ich den Mädchen bei ihren Englischhausaufgaben helfen. Für mich ja kein Problem, ich helfe ja gerne. Also gingen wir in ihr Zimmer. Irgendwann kam ein anderes Kind und wollte etwas von mir. Alle diskutierten eine Weile, wussten aber nicht, was sie mir sagen sollten. Ich ging davon aus, dass sie meine ID haben wollten, wer ich denn eigentlich sei. Als ich den Personalausweis hervorholte, lehnten sie ihn ab und beredeten weiter. In meinem Phrasebook suchten sie nach der passenden Übersetzung und fanden es schließlich: Den Reisepass wollten sie sehen. Etwas skeptisch und misstrauisch holte ich ihn hervor und zeigte ihn ihnen. Sie wollten ihn haben! Das ging natürlich unter keinen Umständen. Für nichts in der Welt sollte ein Reisender dieses wichtige Dokument in fremde Hände geben! Ich diskutierte, bis der Vater kam. Er wollte unbedingt meinen Reisepass haben, aber ich hielt ihn fest. In einfachstem Englisch versuchte ich zu erklären, dass ich für immer in Vietnam bleiben müsste, wenn ich diesen Pass nicht mehr hätte. Sie verstanden nicht, hatten ja keine Ahnung von der Welt. Der Vater wurde sauer und wurde aggressiv. Er drohte, mich hinauszuwerfen, wenn ich ihm den Reisepass nicht gäbe. Also ging ich …
Meine Bücher, Stifte und Zettel hatten die Mädchen unterdessen in meinen Rucksack gepackt und brachten ihn mir nun. Ich suchte meine Flip-Flops und ging … in die Dunkelheit. Hm, keine gute Idee. Ich versuchte es noch einmal mit Vernunft gegenüber dem Vater: Hier, ich gebe dir das Ding, dann darf ich hier schlafen und du gibst es mir morgen früh zurück, okay? Er war ein sturer Bock und schmiss mich von seinem Grundstück.
So stand ich nun irgendwo im Nirgendwo in der Dunkelheit in einem Grenzgebiet zwischen Laos und Vietnam auf einem Dorf, in dem man praktisch ohne Vietnamesisch kaum überleben konnte, und hatte keinen Plan, wie ich nun weiterverfahren sollte. Ich rechnete mir aus, dass ich wohl noch gute 25 Kilometer zu laufen hatte und dass ich am nächsten Morgen ja an der Grenze ankäme, wenn ich nun losliefe. Immer wieder bereute ich diverse Entscheidungen: Hätte ich doch die 200 Đồng nicht gestohlen, hätte ich doch den Schlafbus aus Hanoi mit Aufpreis genommen, wäre ich doch auf die teure Bedingung eingegangen, mit einem Motorradtaxi für 300.000 bis zur Grenze zu fahren, hätte, wäre, könnte … so war es nicht und nun musste ich damit leben.
Vor mir lag also ein stockdunkler Weg, der leicht aufwärts ging. Noch war Dorf, ein paar nahezu unbeleuchtete Häuschen links und rechts, doch was würde danach kommen? Würde ich die Nacht bis zur Grenze überleben? Sollte ich mich einfach in den Straßengraben legen und schlafen? Was sollte da schon passieren? Erfrieren, ausgeschlossen. Verschlafen, ausgeschlossen. Ausgeraubt werden, möglich. Von Hunden attackiert werden, wahrscheinlich. Sollte ich es wagen, mich meinem Schicksal hingeben, aufgeben, einfach aufgeben? Nein, ich würde kämpfen, bis zum Ende!
Ich marschierte weiter. Es war dunkel, stockdunkel. Es war warm, aber dunkel. Ich sah nichts. Es kam ein Motorrad von vorne, dann eines von hinten. Wieder war es dunkel. In der Ferne bellten Hunde. Ich hatte Angst, tierische Angst. Das Bellen wurde lauter und schien sich auf mich zuzubewegen. Ich hatte höllische Angst und rannte zu einem nahegelegenen Haus, dessen Umrisse ich nur dank des Kerzenscheins aus dem Hausinneren erahnen konnte. Davon schienen Leute zu sitzen. „Egal, die fragst du jetzt“, sagte ich mir und lief auf sie zu. Ich erkundigte mich nach einer Schlafgelegenheit, was ich auf Englisch beziehungsweise in internationaler Gebärdensprache zu verstanden gab, und sie erlaubten mir wohl, bei ihnen zu nächtigen.
Ich legte meinen Rucksack ab, war froh, den Hunden entkommen zu sein und holte mein Wörterbuch heraus. Ich schlug „hier“ und „schlafen“ nach und war froh, dass sie meine beiden einzigen vietnamesischen Wörter tatsächlich bejahten! Ich hatte mir also einen Schlafplatz irgendwo zwischen Vietnam und Laos, in dem kleinen Dörfchen Sơn Kim 1, gesichert. Hier konnte ich bleiben. Das Haus hatte dreieinhalb Wände, immerhin ein Dach, einen Tisch und eine Kerze. Die Bewohner schienen sehr irritiert ob meiner dreisten, aber in Vietnam normalen Art, mich hier niederzulassen. Nachdem ich ihnen kurz zu verstehen gab, dass ich auf dem Weg nach Laos sei, luden sie mich zum Abendessen ein. Wieder gab es Reis. Und ich erfuhr, dass auch noch Hühnchen und Fisch im Angebot waren, denn einer der älteren Bewohner sprach ein bisschen Laotisch, was ich dank meines bisher erlernten Fähigkeiten der thailändischen Sprache sogar einigermaßen verstand. Ich probierte alles, obwohl mir nichts außer dem rohen Reis wirklich zusagte. Zum Trinken gab es klares Wasser, wahrscheinlich aus einem nahe gelegenen Bach. Immerhin gab es etwas, denn nachdem ich ja sowohl Frühstück als auch Mittagessen ausgelassen hatte, hungerte ich nicht nur, sondern sehnte mich unglaublich nach Flüssigkeit! Mein Proviant war bereits aufgebraucht.
Aber ich war froh, dass ich mir für diese Nacht eine Unterkunft gesichert hatte. Irgendwo zwischen Laos und Vietnam, etwa 25 Kilometer vor der lang ersehnten Grenze. Es war der 70. Geburtstag meines Opas und ich war erfreut, dass ich nach allem Pech, das ich immer noch auf den verhexten 200-Đồng-Schein schob, endlich wieder einen Hauch von Glück spüren konnte.
Bevor ich mich nach diesem konfusen, anstrengenden, unvergesslichen und entmutigenden Tag geruhsam schlafen legen konnte, tauchten plötzlich ein paar fremde Gestalten auf, während ich mich bei Taschenlampen- und Kerzenlicht mit den mir mittlerweile etwas bekannteren Gastgebern um ein sinnvolles Gespräch bemühte. Doch so fremd waren diese Gestalten gar nicht, denn da kamen doch tatsächlich die Mädchen Lanh und Lê mit ihren Englischheften und einem kleinen Zettelchen. Ich las es stillschweigend und lächelnd durch:
I am Le and Lanh. I’m sorry
we are satting and we cryed.
We will miss you, forever.
We are looking forward to seeing soon.
We want to stay of you but it can’t
See you again!
Girl …
Le Lanh
Dann schoben sie mir vorsichtig und kichernd ihr Englischheft zu und baten mich, ihre Hausaufgaben zu machen. Das fiel mir zwar nicht besonders schwer, aber ich wollte ihnen natürlich auch erklären, wieso an einer bestimmten Stelle gerade dieses und nicht jenes Wort passte. Dabei musste ich jedoch vorher erst einmal klarstellen, was Verben, Substantive und Adjektive sind, denn im Vietnamesischen wird wie auch in den meisten anderen ostasiatischen Sprachen nicht unterschieden. Das Interessante daran war aber eigentlich, dass ich es ihnen irgendwie in einer Sprache zu erklären hatte, die sie auch verstanden. Ihr Englisch war besser als das der übrigen Bewohner des Dorfes, ließ aber trotzdem sehr zu wünschen übrig. Also versuchte ich es mit wenigen Wörtern Vietnamesisch und meinem tollen Sprachführer, aber ob sie es kapierten, weiß ich bis heute nicht. Jedoch gefiel es mir, dass die beiden Mädels meine Hilfe brauchten und so waren auch die Bewohner des einsamen Hauses umso freundlicher und interessierter an mir. Die Fragen, die sie an mich stellten, mussten die beiden jungen Frauen aus der Nachbarschaft genauso übersetzen wie sie es mit meinen Antworten taten. So kam dann doch eine recht lustige Gesprächsrunde zustande. Ich kämpfte derweil mit herumfliegenden Insekten, die sich ebenso sehr wie die Gastgeber an meiner ausziehbaren und blinkenden Taschenlampe erfreuten. Dann verließen die Kinder meine tolle Wohnung und verabschiedeten sich noch mit einer großen Entschuldigung für ihren Vater – ich sollte sie danach niemals wiedersehen, auch wenn sie die bisher wohl nettesten Vietnamesinnen gewesen waren, die ich je getroffen hatte.
Mein Schlafplatz bestand aus einer geschirrtuchdünnen Decke, die auf einem Holzboden im Haus, das lediglich aus einem Zimmer bestand, ausgelegt worden war. Ich packte alle mir wichtigen Sachen aus dem großen Wanderrucksack in die kleine alltagstaugliche Tasche, die ich als Kopfkissen nutzte. Ich hatte kein wirkliches Zeitgefühl, da mir das Handy bereits entwendet worden war; doch auch dabei wusste ich mir zu helfen: Mit meiner Kamera, mit der ich schon durch Dick und Dünn gegangen war, schoss ich einfach ein beliebiges Foto und ermittelte dann anhand der Detailansicht des zuletzt aufgenommenen Fotos die momentane Zeit. Das war zwar immer etwas umständlich, aber sehr hilfreich! Die Kerze war bereits gelöscht, aber die anderen Bewohner legten sich noch nicht schlafen. Ich tat auch nur so, denn ich wollte ja mitbekommen, was mir noch so im Laufe dieser verwirrenden Nacht geschehen würde. Schlafen konnte ich ohnehin nicht richtig, denn zum einen nutzten zahlreiche Fliegen und Käfer mich als Flughafen und zum anderen nervte mich so ein sinnloses Spielzeug, das wohl zu jeder halben Stunde eine Art Geckogeräusch von sich gab. Ich hatte in diesem Moment die Schnauze voll vom Reisen, hätte am liebsten aufgegeben, wenn es ein Spiel gewesen wäre, doch es war die Realität. Da lag ich nun, mitten in der Nacht, in einem wildfremden Zimmer mit dreieinhalb Wänden, mitten in Vietnam, über 100 Kilometer von einer Großstadt entfernt, ganz allein, ohne Handy und mit extrem wenig Geld in der Tasche, von dem ich noch die Visagebühren für Laos, falls ich je dorthin kommen sollte, sowie einen Bus bis nach Vientiane bezahlen musste. Dieser besagte Bus musste ja auch erst einmal gefunden werden, doch laut Lonely Planet, meiner Reisebibel, sollte das an der Grenze kein großes Problem mehr sein.
Endlich schlief ich ein. Doch nicht sehr lange, wieder weckte mich dieses Geckogeräuschspielzeug. Und wieder bekrabbelten mich kleine Tierchen. Es war einfach nur schrecklich. Neben mir schliefen zwei, drei Bewohner, die anderen hatten sich wohl ins Esszimmer zurückgezogen. Ich hatte vor, so zeitig wie möglich zu verschwinden und möglichst unbemerkt, da ich fürchtete, dass sie mich noch eine Weile da behalten wollten, wie die Asiaten ja so sind …
Gegen 7 Uhr morgens erwachte ich aus einem unruhigen Schlaf und war plötzlich wieder voll Ehrgeiz, dass ich es heute über die Grenze nach Laos schaffen würde. Meine Gastgeber waren auch schon auf den Beinen, die Sonne schien bereits und ich packte schnell meine Sachen zusammen, putzte mir die Zähne und wusch mein Gesicht in einer Wassertonne vor dem Haus. Ich lief los. Nichts im Magen, zwei Rucksäcke von insgesamt rund 10 Kilogramm auf dem Rücken und noch gute 23 Kilometer Fußmarsch bergauf vor mir. Diese Zahl verriet mir ein Meilenstein, die man überall auf ländlichen Straßen in Vietnam und Laos vorfindet. Ich rechnete mir anhand der gelaufenen Zeit von einem Kilometer aus, wie lange ich denn wohl zur Grenze brauchen würde, doch hoffte ich immer wieder auf ein Wunder, denn ich wollte schon vor dem Mittag in meinem geliebten Laos sein.
Der Weg schien endlos, aber die Landschaft war herrlich. Immer wieder kam ein vermeintlich netter Vietnamese vorbei und wollte mich für einen sagenhaft günstigen Preis von 25 US-Dollar oder 500.000 Đồng (jeweils etwa 20 Euro) bis zur Grenze bringen. Doch dieses Angebot wäre für gerade mal 20 Kilometer selbst für Deutschland reiner Wucher, deshalb beugte ich mich meinem Schicksal und watschelte die Straße weiter hinauf. Ich hoffte eigentlich auf einen netten Laoten, der mal mit seinem Auto vorbeikam, aber immer wenn ich ein laotisches Nummernschild erspähte, war das Gefährt schon viel zu weit entfernt. Es nützte nichts, ich lief weiter. Die Kilometer wurden zwar weniger, aber der Rucksack schwerer und die mentale Last fast untragbar. Zu alledem kamen auch noch die wilden Hunde, bei denen ich immer schon aus weiter Ferne die Aggressivität heraushören konnte. Ich hatte nichts zum Schutze, kein Messer, keinen harten Gegenstand, keine Ahnung; lediglich mein Wissen aus anderen asiatischen Städten, wie man mit solchen Kötern umzugehen hat. Ich lief also schnurstracks auf die Biester zu und so sehr sie mich auch ankläfften, ich veränderte mein Schritttempo nicht und versuchte, die Rudel zu durchbrechen. Das klappte nicht immer sehr gut, aber auch dabei wusste ich mir zu helfen: Mit ausgestreckter Handfläche nach vorn, ähnlich dem Warnzeichen für „Zutritt verboten“, ging auf die entsprechenden Hunde zu und schrie sie mit sicherer Stimme lautstark an, womit ich sie mir hierarchisch unterwarf.
So schaffte ich es, mehrere Kilometer weiter in Richtung Laos vorzudringen, bis ein Motorradfahrer langsam neben mir herfuhr. Ich ging davon aus, dass er wie alle seine Vorgänger auch über mich lachte und wieder Geld von mir verlangen würde, doch nach dem üblichen kurzen Smalltalk auf Vietnamesisch von „Đi đâu đấy?“ – „Đi Lào“ („Wohin gehst du?“ – „Ich gehe nach Laos“) bot er mir an, dass ich mich auf seinem Motorrad niederlassen dürfe. Dieses Angebot schien zu gut um wahr zu sein, also vermutete ich versteckte Kosten, die am Ende der Tour auf mich zukommen würden. Aber nachdem er auf meine Geldfrage keine Antwort gab, stieg ich dann doch auf. Er fuhr und fuhr und fuhr. Gute acht Kilometer kam ich so binnen einer Vietelstunde voran, bis wir an einem kleinen Waldweg Halt machten. Ich dachte, er müsse nur kurz austreten, doch er forderte mich auf, ihm zu folgen. Er hatte seltsame Blumen und andere Utensilien bei sich. Ich folgte ihm, was blieb mir auch anderes übrig? Wir kamen an einem kleinen privaten Schrein an, den der Herr zunächst von Spinn-weben und Blättern befreite und schließlich wieder mit Opfergaben auf Vordermann brachte. Es schien sein eigener zu sein und so fing er an zu beten.
Er forderte mich auf, es ihm gleichzutun. Ich habe noch nie in meinem Beten aus freien Stücken ernsthaft gebetet, weder bei früheren Kirchenbesuchen noch bei irgendwelchen Ängsten, die ich je zuvor in meinen Leben verspürt hatte, aber dieses Mal war es so weit. Ich war am Ende und mir ging es richtig schlecht. Ich betete zu Gott, zu Buddha und zu allen anderen Göttern oder Allmächtigen, dass ich gesund und munter wieder nach Laos und dann zurück nach Bangkok kommen würde und dass ich es bestenfalls so schnell wie möglich schaffe. Eine unmögliche Bitte war das, aber dafür spendete ich auch ungeheure 11.000 Đồng (ca. 50 Cent). Ich solle doch bitte erhört werden!
Der Mann, der mich an diesen Ort gebracht hatte, setzte sich dann genüsslich vor seinen Schrein und lud mich zu einem Gläschen Whiskey ein. Na klasse, das hatte ich ja jetzt gebraucht! Ich nahm also zwei davon und dann erklärte ich ihm, dass ich nun endlich nach Laos wollte. Er bot mir an, mich für unschlagbare 200.000 Đồng (7 Euro) bis zur Grenze zu fahren, aber obgleich der Herr sehr nett schien, wollte ich ihm erstens das Geld nicht geben und zweitens hatte ich es auch nicht. In meinem Portemonnaie befanden sich nur noch kleine Dollarscheine und die brauchte ich ja für die Weiterreise. In dieser gottverlassenen Gegend gab es natürlich keinen Geldautomaten – und dass es einen an der Grenze geben sollte, bezweifelte ich auch.
Ich lehnte sein Angebot also ab und lief weiter; etwas enttäuscht, dass mich der gute Mann nicht weiter mitnehmen konnte, da er sich wieder auf dem Heimweg begab, und aber auch sehr erleichtert, dass ich nun nur noch gute 13 Kilometer vor mir hatte. Ich lief eine Anhöhe hinauf, ein alter Van überholte mich und stoppte kurz vor mir. Ich war völlig verwundert ob dieser hilfsbereiten Art vietnamesischer Leute und näherte mich nur langsam dem Fahrzeug. Sie fragte, wo ich denn hinwolle und ob sie mich ein Stück mitnehmen sollten. Natürlich wollte ich das, aber bitte ohne zu bezahlen, da ich ab jetzt bis zur Grenze nichts mehr ausgeben durfte, um die Visumskosten noch begleichen zu können. Ich hatte zwar noch mehrere tausend Baht (1000 Baht sind heute etwa 25 Euro), aber die nahm hier in Vietnam ohnehin kein Mensch an.
Ich ging zum Beifahrerfenster des Vans und entschuldigte mich einem kläglichen „không có tiền“ (sprich: khomng go tjenn), was so viel wie „ich habe leider kein Geld dabei“ heißen sollte. Das störte sie nicht und sie meinten, ich könne hinten einsteigen. War mein Gebet doch erhört worden? Ich saß nun irgendwo zwischen Dutzenden von gestapelten Kisten in einem uralten Van, dessen Türen nur mit viel Kraft zu öffnen waren, und wurde doch tatsächlich den gesamten Weg bis zur Grenze mitgenommen. Dabei muss ich zugeben, dass der Weg immer steiler wurde und selbst das Auto kämpfen musste, um nicht wieder rückwärts hinunterzurollen. Ich versuchte, mich mit dem Fahrer und seiner Beifahrerin zu unterhalten, musste aber größtenteils alles aufschreiben, weil sie mein wahnsinnig gutes Vietnamesisch nicht verstanden.
Und um ziemlich genau 9 Uhr morgens kamen wir an: Die Grenze lag vor mir, ich hatte es doch tat-sächlich bis Cầu Treo/Nam Phao geschafft. Ich bedankte mich unendlich bei den beiden Leuten, die mich mitgenommen hatten, und eilte ins Grenzhäuschen. So verlassen, wie ich es mir hier auf dem Berg vorgestellt hatte, war es dann doch nicht. Im Gegenteil: Von beiden Seiten kämpften die Leute darum, endlich ihre riesigen Scheine in Dollars, Đồng, Kip oder Baht tauschen zu können. Es gab dort nämlich eine Art Wechselstube mit zwei Angestellten, die immer wieder Stapel von Geldscheinen in die Hand gedrückt bekamen und auf den Gegenwert in der gewünschten Währung warteten. So stellte ich mich auch eine Viertelstunde an, hatte aber keine Chance gegen die anderen Leute und blieb so auf meinen Baht sitzen. Ich ging also zum Grenzposten, gab dem Beamten meinen Reisepass und einen Dollar Stempelgebühr, die ich ohnehin immer lächerlich finde, womit er sich aber wahrscheinlich sein Mittagessen finanziert. Dann war ich raus aus Vietnam, endlich weg aus diesem mir Unglück bringenden Land! In diesem Moment war ich nirgendwo auf der Welt, zwischen zwei Ländern gefangen, denn ich hatte keine 25 US-Dollar mehr für das laotische Visum! Was tun?
So marschierte ich also zum nächsten Grenzhäuschen, in dem nun alles laotisch war. Ich fühlte mich auf dem Weg bis dorthin ganz allein, aber dann tauchte eine jugendliche Reisegruppe vor mir auf. Sie füllten gerade den Visumsantrag aus und diskutierten mit den Grenzbeamten. Ich schöpfte Hoffnung, dass ich notfalls in ihrem Bus mitfahren könnte, wenn es keine öffentlichen Verkehrsmittel an der Grenze geben sollte. So beeilte ich mich mit meinem Visumsantrag und durfte sogar mit unverschämt hohem Wechselkurs in Thai-Baht bezahlen (1400 Baht, also 47 Dollar!), denn für den normalen Dollarpreis hatte ja mein Geld nicht mehr gereicht. Aber ich bekam das Visum und ich war wieder glücklich. Eine riesige Last fiel von meinen Schulten, doch das nächste Problem stand kurz bevor: Wie sollte ich nun nach Thailand kommen?
Es gab zwei mögliche Routen: Einen direkten Touristenbus nach Vientiane suchen und von dort aus ganz leicht über die thailändische Grenze nach Nong Khai zu marschieren oder mich bis in die nächs-te Stadt durch trampen, laufen und bezahlen vorzukämpfen, um einen örtlichen Bus in Richtung Thailand zu ergattern. Die erste Möglichkeit schien komfortabler, aber das Glück, einen solchen Bus zu finden, musste man auch erst einmal haben.
Ich erinnerte mich an die Backpacker, die ich zuvor im Grenzhäuschen gesehen hatte, und suchte den dazugehörigen Bus, denn irgendwie mussten sie ja zur Grenze gekommen sein. Und tatsächlich erspähte ich plötzlich vor mir einige große Fahrzeuge, neben riesigen Lastern auch einen Bus, dessen Rückscheibe die Aufschrift „Hanoi Vientiane Travel“ zierte. Den nimmst du jetzt!, sagte ich mir und steuerte auf ein paar Leute zu, die gerade mühevoll Koffer und Taschen in und auf dem Bus verstauten. Man hält es immer kaum für möglich, wie viel Gepäck in solch einem Bus befördert werden kann! Ich erwischte den Busfahrer und fragte höflich in den drei Sprachen Laotisch, Vietnamesisch und Englisch, ob er denn nach Vientiane mitfahren würde und ob ich noch einsteigen könne. Wie die Vietnamesen so sind, erlaubte er mir die Fahrt für 25 Dollar. Doch leider hatte ich nur noch 20 dabei und so handelte ich herunter. Mit den Worten „but just standing“ (aber nur stehen) nahm er mein Geld und ich betrat den Bus.
Natürlich konnte man in diesem Bus nur noch stehen, wenn überhaupt! Er war bis zum Rand gefüllt: Alle Sitzplätze waren belegt, meist saßen sogar mehrere Menschen auf einem Sitz oder standen zwischen den Sitzen. Der Gang war nicht zu betreten, denn überall hockten, saßen und lagen Menschen. Dort, wo kein Mensch mehr hingepasst hatte, lagen Taschen, Reissäcke oder anderes Geröll. Kaum zu glauben, dass dieser Bus tatsächlich schon 400 Kilometer seit Hanoi unterwegs gewesen sein musste! Aber wieso sollte ich nicht auch noch in dem Bus Platz nehmen dürfen? Ich legte meinen großen Rucksack quer auf in Gang und setzte mich darauf. Das sparte Platz, aber besonders bequem war es auf nicht einmal 70 mal 70 Quadratzentimetern keineswegs. Aber ich war gerettet und für 20 Dollar sollte es nun etwas unangenehm bis nach Vientiane gehen. Es lagen nur noch gut 400 bis 500 Kilometer vor mir, was dieser Bus eigentlich in sieben bis acht Stunden schaffen sollte. Während ich es mich so in dem Bus einrichtete, wurde ich von den Vietnamesen im Bus angemacht und von anderen Backpackern gewarnt, wieso ich denn hier einsteige und dass ich für den Preis, der mir angeboten wurde, niemals hier hätte einsteigen sollen. Aber sie kannten ja meine Geschichte nicht …
Kurz nachdem der Bus losgefahren war, konnte ich mir einen Überblick über die Sitzordnung ver-schaffen: Es war ein Multi-Kulti-Bus aus Vietnamese, Laoten und internationalen Backpackern. Die Insassen waren alle zwischen 80 Tagen und 80 Jahren alt. Manche hatten einen Sitzplatz bekommen, andere saßen auf denjenigen, die einen Sitzplatz hatten, wieder andere saßen zusammengekauert in den Gängen, auf Rucksacken oder Gerätschaften, wieder andere saßen auf kleinen, selbstgebastelten Stühlen, einige standen vorne am Fenster auf der Treppe und eine hockte doch tatsächlich auf der Lehne des Busfahrers. In diesem Bus befanden sich wohl mehr als 80 Leute, obwohl kaum Platz für die Hälfte gewesen wäre. Demzufolge war das Gepäck auch auf dem Dach festgeschnallt, in die Kofferräume gewürgt und unter den Sitzen verstaut worden. So ging es dann gemütlich weiter bergauf bis zur ersten Rast an einem kleinen laotischen Restaurant.
Nun mussten alle der Reihe nach aus diesem überfüllten Gefährt aussteigen und konnten sich endlich etwas zu essen gönnen. Das ließ ich mir natürlich nicht zweimal sagen und bestellte eine Suppe, von der ich wenigstens wusste, was sie enthielt. Die anderen Backpacker setzten sich zu mir und fragten mich natürlich sofort aus, wie ich denn ihren Bus gefunden hatte und warum ich unbedingt dort einsteigen musste. Ich erklärte ihnen meinen Höllentrip von Hanoi bis hierher und erfuhr, dass sogar drei Deutsche unter ihnen waren. Sie erklärten mir, dass sie zwar in Hanoi eingestiegen waren, aber dass der Bus schon von Anfang an voller Vietnamesen gewesen sei, sodass die internationalen Reisenden, die natürlich viel mehr für die Platzkarten bezahlt hatten, um ihre Sitze kämpfen mussten. Der Bus war in Hanoi noch eine Weile im Kreis gefahren, um ihn weiter aufzufüllen, und unterwegs wurden einfach ein paar Sitze hinausgeschmissen, um noch mehr Platz auf dem Boden zu schaffen. Nebenbei erfuhr, dass der Schlafbus, den ich wahrscheinlich in Hanoi zugesprochen bekommen hätte, unterwegs auf der Grenze zusammengebrochen sein musste und erst am nächsten, also diesen Morgen wieder weiterfahren konnte, weil über Nacht ja die Grenze geschlossen wird. Somit wäre ich auch nicht schneller gewesen als auf die Weise, wie ich getan hatte.
Nachdem sich alle in dem Restaurant gestärkt hatten, musste der Bus wieder der entsprechenden Reihenfolge nach befüllt werden. Dabei trampelten selbstverständlich alle über meinen Rucksack, der ja mitten im Gang lag. Fast als Letzter stieg ich dann ein und nahm wieder auf meinem „Backpack“, so nennt man nämlich diesen großen Reiserucksack, Platz. So ging es dann weiter bis zur nächsten Rast mit gleicher Einstieg-Ausstieg-Prozedur … bis wir nach 7,5 Stunden um halb acht abends in der laotischen Hauptstadt Vientiane ankamen!
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Von Vientiane nach Udon Thani (13.04.2010)
Wir Backpacker verließen eilig den Bus und suchten gemeinsam nach einem billigen Tuk-Tuk in die Innenstadt. Wir wussten nicht, wo in Vientiane uns der Bus hinausgeschmissen hatte, und so ver-suchten wir, es anhand von herumstehenden Tuk-Tuk-Fahrern zu erfragen. Ich übernahm, da ich ja schon ein bisschen Thai sprach, was vom Laotischen ungefähr so weit entfernt ist wie Bairisch vom Hochdeutschen. Wenn man die Regeln kennt, durch die sich die Sprachen unterscheiden, so kann man beide verstehen.
Wir einigten uns auf eine Fahrt von einem Dollar pro Insasse bis in die Stadt, wo wir uns dann wieder auskennen sollten. Auf dem etwa zehn Kilometer weiten Weg dorthin spürte ich zum ersten Mal das, worauf ich mich schon wochenlang gefreut und dank des furchtbaren Hanoi-Vientiane-Busses fast verpasst hätte: Songkran, das buddhistische Neujahrsfest! In Laos nannte man es Songkan, aber gefeiert wurde es genauso: Alle Menschen gehen mit Wasserkübeln und Schläuchen auf die Straße und bespritzen Vorbeifahrende und Passierende, egal ob im Auto, auf dem Motorrad oder im Tuk-Tuk! Da bereitet es den Kindern natürlich besonderen Spaß, die Ausländer einzuseifen und ihnen auf Kommando eine eiskalte Dusche zu verpassen, was angesichts der in Südostasien herrschenden Temperaturen zur heißesten Zeit des Jahres die perfekte Abwechslung schlechthin darstellt.
Als wir in der Stadt ankamen, waren wir zwar pitschnass, aber ich hatte wieder Kraft und Hoffnung getankt, tatsächlich heute noch über die Grenze und direkt nach Thailand zu kommen, mit viel Glück sogar bis nach Chiang Mai über Nacht, weil dort das größte Songkran-Fest überhaupt gefeiert wird! Ich hatte ja von Anfang an den Weg verfolgt, die Schlaufe von Bangkok über Südlaos durch Kambodscha, schließlich hinauf entlang der vietnamesischen Küste und zurück durch Nordlaos direkt nach Chiang Mai ins Songkran-Fest hinein zu nehmen. Und so sollte es auch weitergehen: Ich trennte mich von den anderen Reisenden, die ihre Zeit noch in Vientiane genießen wollten, wir tauschten kurz die E-Mail-Adressen aus, wie man das bei flüchtigen Bekanntschaften auf Backpacker-Reisen eben so macht, und wünschten einander ein schönes Leben. Sodann machte ich mich auf, einen Bus nach Nong Khai zu finden. Wo ich suchen musste, war mir sofort klar, aber am offiziellen Busbahnhof fuhr zu dieser Zeit nichts mehr nach Thailand.
Dann hieß es umplanen und Tuk-Tuk suchen: Das war angesichts meines ausländischen Aussehens und der ungeheuren Anzahl der herumstehenden Tuk-Tuks auch keine große Hürde, doch der Preis hatte es wieder einmal in sich. Ich wollte den Fahrern ja auch nicht zu viel geben, aber ich erinnerte mich daran, dass ich es schon einmal für 50 Baht (1 Euro) auf dieser Distanz in entgegen gesetzter Richtung geschafft hatte. Diesen Preis wollte ich auch wieder haben, aber das schaffte ich nicht. Ich startete wieder meine Handeltechnik und entfernte mich von den Angeboten, als könnte ich die Strecke selbst laufen. Wieder einmal bekam ich dann ein Angebot von 200 Baht (4 Euro) und ich nahm es an.
Der Fahrer versprach mir, mich bis zur Grenze, also zur Freundschaftsbrücke zwischen Laos und Thailand, zu fahren. Das konnte ich mittlerweile schon gut auf Thai erklären. Doch statt mich direkt dorthin zu bringen, lud er mich auf einer dunklen Straße ab und meinte, ich solle in ein anderes Tuk-Tuk umsteigen. Da stand ich nun, kein Stück weiter als vorher – und Zeit hatte ich auch noch verschwendet. Es war schon weit nach 20 Uhr und ich wusste nicht genau, wann die Grenze schließt. Doch nun hieß es erst mal wieder Verhandeln: Ich sollte dem ersten Fahrer die versprochenen 200 Baht geben und mich dann in das andere Tuk-Tuk setzen; aber wenn ich eins auf Reisen gelernt hatte, dann dass man niemals Geld geben sollte, bevor man die gewünschte Ware, in diesem Falle den Transport, erhalten hat. Also machte ich den herumstehenden Laoten klar, dass ich das Geld erst an der Grenze aushändigen würde, egal, wer mich bis dorthin fahren würde. Schließlich kam noch ein anderer Passagier, mit dem ich mir dann ein Tuk-Tuk teilte und der die Sache dann ebenso aufzuklären versuchte wie ich. Wir einigten uns daran, dass ich die 200 Baht tatsächlich erst an der Grenze übergebe, dafür der zweite dem ersten Fahrer aber die Hälfte schon bezahlt.
Was für ein Chaos! Aber schließlich ging es fröhlich weiter bis zur Grenze – und als Bonus durfte ich mich die ganze Zeit mit meinem Mitfahrer unterhalten. Er war Thai und so redete er Englisch und ich Thai, um uns gegenseitig die Sprache ein bisschen beizubringen. Wir stellten fest, dass wir den gleichen Weg hatten und so nahmen wir auch an der laotisch-thailändischen Grenze, wo wir zum einen den Betrag von 60 Baht für den Stempel und zum anderen noch 15 Baht für die so späte Grenzüberquerung hinblättern mussten, denselben Grenzbus nach Nong Khai und dort dasselbe Tuk-Tuk zum Busbahnhof, welches er mir spendierte. Ich erkundigte mich überall auf dem Busbahnhof, ob es in dieser Nacht noch einen Bus nach Chiang Mai gäbe, aber das schien wohl nicht der Fall zu sein. Man versicherte mir, dass es absolut keinen Direktbus von Nong Khai nach Chiang Mai gebe. Ich gab mich nach allen Strapazen und mit dem Wissen, dass ich an jenem Morgen ja sogar noch auf dem vietnamesischen Dorf Sơn Kim 1 aufgewacht war, damit zufrieden, dass ich es in dieser Nacht maximal bis Udon Thani schaffen würde und erst am darauffolgenden Tag nach Chiang Mai aufbrechen könnte. Da mein bisheriger thailändischer Begleiter namens Book auch diesen Weg einschlug, teilten wir uns wiederum einen Bus und so ging es für 60 Baht in einem luxuriösen Bus etwa anderthalb Stunden durch den thailändischen Nordosten (Isaan) und gegen 23 Uhr standen wir beide verloren mitten in Udon Thani, in einer Stadt, die wir beide nicht kannten und in der wir noch keine Übernachtungsmöglichkeit hatten.
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Udon Thani (13. – 14.04.2010)
Also fragten wir uns durch und erkundigten uns nach einem günstigen Hotel. Die nette Empfangsdame im Sritakarn-Hotel bot mir ein schlichtes Zimmer ohne Klimaanlage zum Preis von 200 Baht an – und obwohl mir das zu teuer für die entsprechende Einrichtung erschien, nahm ich es dann doch, während Book sich für ein klimatisiertes und damit viel teureres Zimmer entschied. Obgleich wir in getrennten Zimmern übernachteten, trafen wir uns an diesem Abend noch einmal bei einem gemeinsamen Bierchen beim Abendessen auf einem Festival. Ich bestellte mir gleich zwei Portionen und wie das bei Thais so ist, gaben wir uns gegenseitig das Essen aus, ohne dass sich der jeweils andere benachteiligt fühlen musste.
So unterhielten wir uns recht entspannt, ich erzählte ihm von meinem Vietnam-Trip, er mir von seiner Arbeit und ich beobachtete die hübschen Kellnerinnen bei ihrer Arbeit. Man könnte denken, dass das einzige Auswahlkriterium, um an einer Bar, in einem Restaurant oder auf einem Festival als Bedienung eingestellt zu werden, das verlockende Aussehen ist, denn meistens ist der Service so schlecht, dass er in Deutschland verboten gehören würde.
Wir gingen, als das Fest mit Live-Band auch langsam zu Ende ging und es kein Essen mehr gab. Ich war froh, dass ich ein Zimmer für diese Nacht hatte und es morgen direkt nach Chiang Mai gehen sollte. Die Telefonnummer von Book, meinem ersten richtigen Thai-Freund, hatte ich auch bekom-men! So konnte ich mich beruhigt schlafen legen, nachdenken und noch einmal reflektieren, was ich an diesem Tag alles erlebt hatte: Aufgestanden in dem vietnamesischen Dorf Sơn Kim 1, war ich etwa 25 Kilometer betend, hoffend, ausgepowert und ohne Nahrung gelaufen, getrampt und mitgenommen worden, überquert zu Fuß die laotische Grenze, überlebte im Gang eines mehr als übervollen Busses die gesamte Strecke zwischen Zentralvietnam und Nordthailand und boxte mich schließlich bis nach Udon Thani durch!
Ich musste erst einmal ausschlafen. Es war der 14. April 2009 und das Songkran-Fest war bereits in vollem Gange in ganz Thailand. Aber mich hielt eigentlich nichts in Udon Thani und so checkte ich aus dem Hotel aus. Die nette Rezeptionistin erklärte mir nach einem guten Frühstück in ihrem Hotel noch, mit welchem Songthaew ich zum Busbahnhof, wo die Busse nach Chiang Mai abfahren sollten, kommen könne, sodass ich mich schnellstens dorthin begab. Book, den ich am Tag zuvor kennen gelernt hatte, war schon sehr zeitig nach Bangkok aufgebrochen, weshalb ich nun wieder auf mich allein gestellt war.
Dass es in ganz Udon Thani keine Stadtbusse gab, hatte mich schon etwas verwundert, aber ich kam auch mit den Songthaew klar. Für jeweils 10 Baht sollte ich bis zum Nordwest-Busbahnhof und zurück kommen, was in der Tat auch klappte. Auf dem Weg dorthin bekam ich natürlich immer wieder eine ordentliche Dusche verpasst und hatte echt Spaß an dem Wasserfest. Die Linie des Songthaew führte mich auch durch einige kleinere Gassen und so durfte ich Udon Thani ganz unfreiwillig auch ein bisschen kennen lernen. Am Busbahnhof war es nicht ganz so leicht, Tickets zu kaufen. Ich fragte mich durch und versuchte, das Wort ตัว (tua, deutsch: Ticket) irgendwo zu entziffern, aber ich scheiterte. Irgendwann fand ich schließlich einen sehr, sehr alten Mann in einem Schuppen sitzen, der wohl die Tickets auszustellen schien. Ich erklärte ihm auf Thai, dass ich heute noch nach Chiang Mai wollte, woraufhin er mir einen Bus um 14 Uhr anbot. Zum einen sah ich aber darin enormen Zeitdruck, da schon Mittag war, und zum anderen würde dieser Bus mitten in der Nacht in Chiang Mai eintreffen, was für eine Unterkunftssuche immer äußerst ungeeignet ist. So bekam ich einen Bus für den späten Nachmittag, in dem auch nur noch insgesamt zwei Sitze frei gewesen waren.
Voller Stolz, alles auf Thai geregelt zu haben, nahm ich mein Ticket in Empfang, bezahlte die 526 Baht und berichtete der Dame im Hotel, dass ich es geschafft hatte. Da ich mich nach allem bei irgendwas um die 40 Grad Celsius unbedingt abkühlen und meinen Hunger stillen musste, empfahl sie mir den nahe gelegenen CentralPlaza in der Stadtmitte, den ich mir somit als Notlösung, falls ich sonst nichts anderes zum Mittag auf der Straße finden sollte, im Hinterkopf speicherte. Doch vorher wollte ich die Stadt und das immer heftiger werdende Songkran-Fest genießen.
So schlenderte ich gemütlich durch die Gassen, über die Straße und immer wieder „ganz zufällig“ an Leuten vorbei, die mit ihren Wassereimern, Schläuchen und Kübeln am Straßenrand standen und besonderen Spaß daran hatten, die vorbeifahrenden Songthaew-Passagiere durch die seitlichen Öffnungen plötzlich zu durchtränken. Teilweise wurden sogar Feuerwehren aufgefahren und es schien mir, als könnte jeder, der mit einem Wassergerät bewaffnet war, auf so einen Pick-up aufsteigen oder auch von der Straße aus mitmischen. Ich hielt mich lieber zurück und ließ mich begießen.
Als ich genug von der Stadt gesehen hatte und sich mein Magen immer heftiger meldete, begab ich mich zwischen Wasserstrahl und Schaum in den großen CentralPlaza, wo ich mir im KFC mein Mit-tagessen besorgte und mich nach einem kurzen Rundgang in der Shopping Mall auf die Toilette begab. Jeder mag sich an dieser Stelle wundern, wieso ich hier so ins Detail gehe, aber es ist notwendig, denn wenn einem Reisenden so etwas auf der Toilette passiert wie mir, dann ist es in jedem Falle erwähnenswert. Vor allem würde mich die folgende Geschichte selbst in Deutschland noch verfolgen: Da ich es nicht mag, in einem recht frequentierten stillen Örtchen die Herrentoiletten zu benutzen, suchte ich mir eine Kabine für mich, in der ich mir natürlich alle Zeit der Welt lassen konnte; und so beschäftigte ich mich nach getaner Arbeit mit meinem Portemonnaie, zählte das noch vorhandene Geld in Dollar, Riel, Kip, Đồng und Baht und legte es dann auf der Toilettenpapierhalterung ab, damit ich beide Hände frei hatte, um die Hose hochzuziehen. Fatal! Denn in dem Moment, als ich die Spülung drückte, musste ich wohl völlig vergessen haben, wo ich gerade das so kostbare Portemonnaie mit allen erdenklichen Wertgegenständen und Papieren hingelegt hatte. Und tatsächlich verließ ich die Kabine, wusch mir anständig die Hände, trocknete sie ab und tat genau einen Schritt aus der Tür zum Herrenklo. In diesem Augenblick bemerkte ich den Fehler. Der gewohnte Griff an die Hosentasche ging ins Leere; wo war mein Portemonnaie? Du hast es doch nicht wirklich auf der Toilette liegen lassen, oder!? Ich konnte es nicht glauben und düste sofort zurück zu der Kabine, die ich gerade eben noch mein eigen genannt hatte. Die Kabinentür stand offen, aber das Portemonnaie war verschwunden. Es lag nicht mehr auf der Halterung, nicht auf der Spülung, war nicht hinuntergefallen und ich hatte es auch nicht! Hatte es tatsächlich jemand entdeckt, eingesteckt, sein Geschäft vergessen und war dann verschwunden? Konnte es solche grausamen Menschen geben? Wahrscheinlich schon – und sofort brauch eine Welt zusammen. Ich informierte eine herumstehende Reinigungskraft, fragte andere Toilettengänger und bettelte, dass jemand mein in diesem Moment völlig versagendes Thai auch nur annähernd verstehen konnte, doch es half nichts. Niemand verstand. Keine konnte Englisch und mir fehlten die entscheidenden Wörter wie „Portemonnaie“, „stehlen“ oder „verlo-ren“ auf Thai. Ich war aufgeschmissen, aber aufgeben wollte ich nicht. Wieder suchte ich alle Kabinen ab, aber die Geldbörse ließ sich einfach nicht finden.
In meiner Verzweiflung raste ich im Eiltempo eine Etage tiefer zur Information und textete die beiden völlig verschreckten jungen Frauen halb auf Englisch, halb auf Thai zu, in der Hoffnung, sie würden meine Notlage erkennen. Wie erwünscht, verstanden sie auch, aber schienen in dieser Situation ebenso überfordert wie ich. Dann setzten sie, wie Thais nun mal so sind, ohne Zögern alle Hebel in Bewegung, um mir zu helfen. Durch Lautsprecher wurde angesagt, dass ein Portemonnaie auf der Herrentoilette abhanden gekommen war, verschiedene Mitarbeiter sollten die Toilette noch einmal durchsuchen und die beiden Mädels versuchten, mich zu beschwichtigen. Ich konnte nichts machen, außer immer nur zu fragen „Tham arai?“ (Was soll ich tun?). Ich hasste mich dafür, dass ich das Portemonnaie überhaupt aus der Hosentasche genommen hatte, aber vor allem war ich sauer auf die Person, die mir damit mein gesamtes Hab und Gut entwendet hatte. Abgesehen davon, dass es ein recht teures Portemonnaie und voller Geld war, fehlten zudem auch meine Kreditkarte, beide EC-Karten, mein Führerschein, mein Hausschlüssel, sämtliche Telefonnummern und Adressen (auch die von Book) sowie mein gerade erst erstandenes Busticket nach Chiang Mai. Ich hatte nun also weder Bargeld noch eine Möglichkeit, an Geld zu kommen.
In dieser Situation gab es nur einen Gedanken: Kreditkarten sperren! Aber wie sollte ich denn das bitte machen? Mein Handy war mir ja schon auf der Fahrt von Huế nach Hanoi gestohlen worden, und damit natürlich auch die Notfallnummern für die Bank. Ich konnte mir in diesem Moment also nichts mehr kaufen, niemanden anrufen und mich nicht mehr aus Udon Thani entfernen. Ich hatte ja gar nichts mehr, bis auf meine Kamera und meinen Reisepass. Immerhin! Um die Karten sperren zu können, brauchte ich also die Sperrnummer meiner beiden Banken. Dazu wiederum brauchte ich Internet und das bekam ich natürlich ohne Geld, was ich ja nicht mehr hatte. Es war ein Teufelskreis, also erflehte ich jedwede Hilfe von den beiden Informationsdamen. Eine nahm sich dann meiner an und empfahl mir ein Internetcafé ein Stockwerk weiter oben, wofür sie mir ein bisschen Geld lieh. Niemals hätte ich so eine Freundlichkeit erwartet, aber für großes Bedanken blieb mir keine Zeit, also schoss ich über die Rolltreppen zum Internetcafé und ergatterte mir einen freien Computer. Obwohl ich nur fünf Minuten daran saß, verlangten die etwas irritierten Angestellten den vollen Stundenpreis. Es war nicht teuer und so musste ich mich nicht aufregen. Die Notfallnummern fand ich so auch heraus, mir fehlte nur noch ein Handy. Ich dachte an Internettelefonie, aber mit Kopfhörer und Mikrofon konnte man nicht dienen. Also hastete ich zurück zu meiner Retterin am Informationsschalter und bat um ihr Handy. Sie erklärte mir, was ich für Auslandsgespräche wählen müsste und so ließ ich immerhin die Kreditkarte und eine EC-Karte sperren. Zum Telefonieren musste ich immer in das Treppenhaus gehen, weil natürlich draußen auf der Straße eine riesige Wasserschlacht mit Krach und Musik veranstaltet wurde – während ich drinnen verzweifelte.
Die zweite Bank konnte ich nicht aus dem Ausland erreichen und so setzte ich mich mit meiner Familie in Verbindung, wie ich denn nun weiter verfahren könnte. Nach knapp drei Minuten Gesprächszeit war die Telefonkarte auch schon leer. Ich teilte der Dame den Status ihres Handyguthabens mit und sie erbarmte sich meiner ein weiteres Mal und gab mir Geld, um es wieder aufladen zu gehen. Nach einiger Zeit fand ich auch einen geeigneten Shop dafür und so konnte ich weiter fleißig nach Deutschland telefonieren. Es hielt wieder etwa drei Minuten, doch dieses Mal hatte ich es geschafft, dass zum einen die andere Bank meine Karte gesperrt hatte und dass ich demnächst einen Rückruf von meiner Entsendeorganisation „kulturweit“ erhalten sollte. Wieder war das Guthaben alle, wieder erschlich ich mir ein bisschen Geld und wieder musste ich die Karte aufladen gehen. Das Spielchen wiederholte sich noch einmal, bis ich ihr erklärte, dass man mit TrueMove viel günstiger ins Ausland telefonieren könnte. Sie gab zu, dass sie tatsächlich eine TrueMove-Karte im Handy hatte und fortan konnte ich diese auch verwenden. Dennoch war ich nicht viel weiter: Ich wollte ja eigentlich nach Chiang Mai, was ich mir mittlerweile aus dem Kopf geschlagen hatte, weil ich sowieso keinen Spaß mehr an Songkran gehabt hätte. Also ging es nun darum, irgendwie zurück nach Bangkok zu kommen und an mein Geld auf dem Konto zu gelangen, da sich ja jegliche Bankkarten nun irgendwo in Udon Thani, nur nicht bei mir befanden!
Um an Bargeld zu kommen, bekam ich von „kulturweit“ per Telefon geraten, es doch einmal per Western Union zu versuchen. Davon hatte ich noch nie etwas gehört, aber ich wusste ja bereits, an wen ich mich bei solchen Fragen wenden konnte. So fand ich sogar einen Western-Union-Standort innerhalb der CentralPlaza-Shopping-Mall und erkundigte mich, wie ich an Geld kommen könnte. Ich benötigte meinen Reisepass und die andere Seite der Welt müsse sich online oder in einer Filiale registrieren, um mir Geld in beliebiger Höhe schicken zu können. Es würde dann direkt vor mir in der Landeswährung ausgezahlt. Tolles Prinzip, dachte ich mir, und so hielt ich Rücksprache mit meinen Eltern, ob sie das machen könnten. Da sie sich erst noch lange beraten musste, nicht wussten, wo und wie sie das machen könnten, und ich ohnehin noch meinen Reisepass auf meinem Rucksack zu holen hatte, brach ich die Aktion erst einmal an und versprach der mich beratenden Dame, dass ich später wieder kommen würde. Also lief ich zurück zum Sritakarn-Hotel, in dem ich meine Tasche mit dem Reisepass hatte stehen lassen, und verletzte mir auf dem Weg dorthin auch noch arg meinen großen Zeh an einer aus dem Boden ragenden Eisenstange, weil ich ja nur mit Flip-Flops unterwegs war. Was für ein Pech ich aber auch hatte! Einfach unglaublich …
Im Hotel fasste ich kurz meine bisherige Story auf Thai zusammen, da ich die Wörter für „Portemonnaie“ und „klauen“ bereits von der netten Informationsdame namens Ying gelernt hatte, und so empfand auch die Rezeptionistin tiefes Mitgefühl für mich und bat mir ihre Hilfe an. Sie wollte mir auch Geld leihen, aber diesmal wies ich ab. Ich hatte ja bereits eine unglaublich gütige Spenderin gefunden.
Mit meinem Reisepass bewaffnet kehrte ich zurück zu Western Union und versuchte mein Glück noch einmal. Meine Eltern hatten es zwar mittlerweile geschafft, sich Online zu registrieren, aber irgendwie klappte es mit der Transaktionsnummer nicht. Ich brach die Aktion wieder ab und lief zu meiner Helferin Ying.
Sie verstand, dass die Problematik mit Western Union einige Zeit in Anspruch nehmen würde, also zeigte sie wieder einmal ihre Güte und suchte mir indes mögliche Verbindungen nach Bangkok mit Zug und Bus heraus. So erfuhr ich, dass es an diesem Tage tatsächlich einen vom Staat gesponserten Zug von Udon Thani nach Bangkok gäbe, der aber wahrscheinlich so vollgepfropft sein würde, dass ich darin keine zehn Stunden aushalten könnte. Nach einigen Anrufen stellten Ying und ihre Mitarbeiterin fest, dass es keine freien Plätze mehr in staatlichen Bussen und Zügen gäbe. Ich gab diesen Gedanken also auch wieder auf und mir fiel etwas anderes Wichtiges ein: In Deutschland würde ich sicherlich einen Polizeibericht benötigen, falls ich dieses Missgeschick über die Versicherung abwickeln könnte.
Also bat ich abermals um ein bisschen Geld, um zur Polizei zu gehen. So überließ Ying also mir, einem dahergelaufenen Ausländer, der vorgab, nichts mehr zu haben, und kaum Thai sprach, nicht nur 1000 Baht, sondern auch ihr Handy mit dem Vertrauen, dass ich ihr irgendwann alles heil wieder zurückbringen würde. Von dieser Herzlichkeit war ich wirklich äußerst angetan; so etwas hatte ich noch nie erlebt. Mein Kopf war aber leider bei einer ernsteren Sache: Ich musste zur Polizei, noch bevor sie schloss! Ich suchte ich mir einen Tuk-Tuk-Fahrer, der mich nach einigen Verhandlungen für 60 Baht zur Polizeistation und zurück fahren sollte. Das stellte sich als sehr schwierig heraus, aber schließlich schaffte ich es. Er fuhr los und brachte mich tatsächlich zur Polizei. Sein Geld sollte er bekommen, nachdem er mich zurückgebracht hatte. Ich ging hinein und irrte in dem Revier umher. Da ich keine Ahnung hatte, wohin ich mich begeben sollte, lief ich in ein Zimmer, in dem ein paar Leute und ein Beamter saßen. Da sich keiner meiner annahm, steuerte ich auf den Polizisten zu und meinte nur kurz „Mii bpanhaa“ (Ich habe ein Problem). Er fragte, wie er helfen könne, also stammelte ich irgendetwas von Portemonnaie, klauen und kein Geld. Als nächstes stellte ich ihm die Frage, ob er denn Englisch spräche, was er mit der Gegenfrage, ob ich denn Thai spräche, beantwortete. Ich schien es tatsächlich besser zu sprechen als er Englisch, aber das half nun nichts und so bemühte ich mich, ihm mein Problem zu schildern. Aber dass ich ein offizielles Protokoll oder unterzeichnetes Dokument von der Polizei für die Versicherung haben möchte, konnte ich ihm beim besten Willen nicht in seiner Sprache erklären. Dann wandte er sich an den armen Tuk-Tuk-Fahrer, der mich doch lieber zur Touristenpolizei hätte bringen sollen!
Etwas verärgert ob meiner schlechten Sprachkenntnisse und der Unfreundlichkeit des Beamten begab ich mich also zur Touristenpolizei; dieses Mal jedoch kostenlos, da es ein offensichtlicher Fehler meines Fahrers gewesen war, mich hierher zu bringen. Ich fand es schon erstaunlich, dass es in diesem Örtchen, das nun nicht gerade als Touristenhochburg bekannt ist, eine Polizei eigens für Touristen gab. Ich betrat das kleine Zimmer, in dem sich drei Beamte befanden, von denen einer wie ein Praktikant auf mich wirkte. Den Ersten sprach ich wieder mit den gleichen Sätzen wie vorher an, aber dieses Mal bejahte er die Frage nach seinen Englischkenntnissen. Also schilderte ich ihm alles im Detail auf Englisch und sollte es anschließend auch zu Protokoll geben. Das gefiel mir schon besser, aber nicht unbedingt, dass er sich meinen Text vornahm, ihn in die thailändische Sprache übersetzte, seinen Stempel darunter knallte und mir den Wisch zurückschob. Ich fragte ihn, was ich denn in Deutschland mit dieser Handschrift auf Thai anfangen sollte. Darauf erwiderte er nur gleichgültig, dass ich doch mit diesem offiziellen Dokument, wie es gewünscht hatte, zur Botschaft gehen und es übersetzen lassen könne. Na, vielen Dank auch!
Mehr oder weniger erfolglos, aber mit einem netten Souvenir in der Hand ließ ich mich zurückchauffieren und händigte meinem Fahrer die 60 Baht aus. Das wäre als geklärt, nun brauchte ich dringend noch Geld und ein Rückfahrticket nach Bangkok, wo ich Leute kannte, die mir notfalls über die Runden helfen könnten. Ich hatte ja das Handy von Ying die ganze Zeit mitgehabt und so erfuhr ich auch, dass meine Eltern mittlerweile die korrekte Transaktionsnummer für Western Union erhalten hatten und wir die Überweisung starten könnten. Es klappte tatsächlich und ich erhielt Bargeld, das für die nächsten paar Wochen reichen sollte.
Nun war ich erleichtert, dass ich wieder Geld hatte, meine Kreditkarten gesperrt waren ich ein offizielles Schreiben der Polizei, wenn auch komplett auf Thai, in der Hand halten konnte, froh war ich aber dennoch nicht. Mein Bus nach Chiang Mai, für den ich ja das Ticket auch verloren hatte, war bereits abgefahren und nun blieb nur noch die Option, zurück nach Bangkok zu fahren. Ying und ihre Kollegin telefonierten wieder und recherchierte, während ich, dieses Mal ohne ihr Handy, zum Bahnhof lief und mir selbst ein Bild von den angeblich so vollen Zügen in ganz Thailand an den Festtagen machen wollte. Auf dem Weg dorthin kam ich neben einem riesigen Stau auch an einem roten Laster mit Rothemden vorbei, aus deren Megafonen klar und deutlich „Abhisit, ook bpai“ (Abhisit raus!) zu hören war. Damit spielten sie auf den schon seit einiger Zeit laufenden Konflikt zwischen Rot und Gelb in der thailändischen Regierung, der sich alsbald auf die gemeine Bevölkerung ausgeweitet hatte, an. Am Fahrtkartenschalter des Bahnhofs fragte ich nach einem beliebigen Zug nach Bangkok: Ausgebucht. Wie sähe es denn am morgigen Tag aus? Ausgebucht. Ich hätte gerne irgendwann einen x-beliebigen Zug innerhalb der nächsten drei Tage nach Bangkok: Ausgebucht. Verdammt, ich saß in Udon Thani fest! Auf dem Rückweg holte ich mir von meinem gerade erhaltenen Geld eine schlecht schmeckende Wurst und gleich ein neues Portemonnaie zu einem Hammerpreis. Doch ich hatte immer noch keine Lösung, wie ich zurück nach Bangkok kommen sollte.
Aber Ying wäre nicht Ying, wenn sie nicht auch für dieses Problem eine Lösung für mich gehabt hätte. Sie hatte ja den ganzen Tag mit mir mitgefiebert und keinen Ort hatte ich so oft in Udon Thani besucht wie ihren Informationsschalter! Es ergab sich nach langer Suche also die Möglichkeit, einen Privatbus, der innerhalb weniger Minuten abfahren würde, von Udon Thani nach Bangkok zu einem echt günstigen Preis von 418 Baht zu ergattern. Ich verabschiedete mich von ihr, bedankte mich tausendmal und versicherte ihr hoch und heilig, dass ich ihr die entstandenen Kosten in jedem Falle auf ihr Konto erstatten würde – ihre Kontonummer hatte ich dafür bekommen, aber natürlich hatte sie keine Garantie dafür, sie hatte lediglich Vertrauen in mich.
Ich holte meinen Rucksack aus dem Hotel, verabschiedete mich bei der Empfangsdame, die mir für den Notfall noch ihre Kontaktdaten mitgab, und beeilte mich dann zum Busbahnhof, um noch ein Ticket für den Bus nach Bangkok zu erstehen. Tatsächlich erhielt ich eines und da ich das so fein auf Thai klären konnte, fragte mich der Ticketverkäufer eher im Scherz als ernsthaft, ob ich denn Thai spräche. Ich bejahte und er war erstaunt. Dann wollte er einen draufsetzen und fragte auf Laotisch, ob ich denn diese Sprache spräche. Dieses Mal verneinte ich, aber auf Laotisch. Das verwunderte nun nicht nur ihn, sondern auch alle in diesem Raum wartenden Leute, die natürlich nicht damit gerechnet hatte, dass ich die Frage verstehen und dann sogar noch darauf antworten könnte. Wieder einmal hatte ich einen Pluspunkt dank meines Interesses an Sprachen gesammelt! Ich fragte noch freundlich, wo denn der Bus abfahren würde, aber außer, dass er gelb sei, drei große Neunen daran stünden und dass ich vor der Tür warten sollte, erfuhr ich nichts. So wartete ich …
… und wartete. Es war bereits nach geplanter Abfahrzeit und so wurde ich unruhig. Ich lief also dorthin, wo alle staatlichen Busse auch abfuhren und siehe da: Ich erblickte den gelben 999-Bus, der bereits voller Passagiere war! Ich klopfte an der Tür, zeigte ihnen mein Ticket und wurde doch noch auf einen Sitz verfrachtet. Ja, ich hatte es geschafft. Ich war auf dem Weg nach Bangkok, auf dem Weg nach Hause! Was sollte jetzt noch schief gehen?
Alle Insassen bekamen Getränke, Snacks, aber wahrscheinlich auch eine Erkältung, weil die Klimaanlage wieder auf Hochtouren lief und die Fahrt damit etwas unangenehmer machte, als sie eigentlich sein müsste. Würde man diese Klimaanlage über Nacht ausschalten, hätte man eine optimale Temperatur im Bus, alle wären glücklich und es würde nebenbei sogar noch Strom sparen! Aber leider verstehen viele Asiaten diese Logik nicht, da sie meinen, wenn man schon so modern ist und eine Klimaanlage besitzt, dann müsse man sie auch auf Teufel komm raus präsentieren. Deshalb nutzte ich jede Pause, um mich außerhalb des Busses kurz aufzuwärmen.
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Zurück in Bangkok (15.04.2010)
Gegen 5.30 Uhr kamen wir auf dem Suvarnabhumi, dem internationalen Flughafen Bangkoks, an, aber während einige in die Terminals hasteten und andere eilig zu ihren Autos liefen, bequemte ich mich gemächlich aus dem Bus, betrat behutsam den gewohnten Boden Bangkoks und suchte mir eine Bank, auf der ich noch eine Weile schlafen konnte. Warum ich das tat? Nun ja, in dem Porte-monnaie, das mir auf so unglückliche Weise in Udon Thani abhanden gekommen war, befand sich dummerweise auch mein Hausschlüssel, den ich jetzt auch nicht mehr mein Eigen nennen durfte. Ich musste also zwangsweise auf den Hausmeister vertrauen, dass er meine Tür dann mit seinem Universalschlüssel aufsperren könnte. Da dieser aber wohl noch nicht um sechs Uhr morgens auf den Beinen sein würde, entschied ich, die Zeit auf dem Flughafen totzuschlagen und mir anzuschauen, welche Busse tatsächlich in meinen Bezirk Minburi fahren.
Es gab zwar einen, an dem Minburi auf Thai stand, aber jedes Mal, wenn ich den Busfahrer fragen wollte, stieg er entweder gerade aus und verschwand sofort oder kam gerade wieder und fuhr sogleich auch ab. Also suchte ich mir irgendwann ein Taxi, zahlte aus Unwissen auch noch die zusätzlichen 50 Baht Flughafengebühr und kam gegen acht Uhr morgens zu Hause in meinem Apartment an.
Ich begab mich direkt zu meinem Zimmer, legte die schwere Last von meinem Rücken ab und suchte das Foyer nach dem Hausmeister ab. Welch Glück, dass ich ihn sofort erwischte! Ich trat wieder mit meinem Lieblingssatz an ihn heran: „Mii bpanhaa“ (Ich habe ein Problem), woraufhin er sich sofort zu mir setzte und sich meine Geschichte anhörte. Das Aufschließen der Tür ging ruck, zuck und so konnte ich endlich wieder sagen: „Ich habe es geschafft, ich bin zu Hause!“
Ich wartete eine Weile, stellte meine Wäsche an und klopfte dann sofort an der Tür des Matheleh-rers, der mir gegenüber wohnte. Ich erzählte ihm alles von A bis Z, von den tollen Wasserfällen in Laos, von Delphinen in Kambodscha, vom Motorradabenteuer in Saigon, vom verhängnisvollen 200- Đồng-Schein, vom nichtexistenten Bus ab Hanoi, von meiner Spontanunterkunft auf dem vietnamesischen Dorf, vom überfülltesten Bus aller Zeit, vom verlorenen Portemonnaie, von Ying und vom fehlenden Hausschlüssel! Als ich ihn über seine Songkran-Zeit in Bangkok ausfragte, meinte er nur, ich sollte mir diesen Spaß nicht entgehen lassen und trotz allem Unglück auf jeden Fall an diesem Abend auf die Khao San, die Partymeile Bangkoks schlechthin, fahren, um auch noch Teilhaber dieses unvergesslichen Spektakels sein zu dürfen.
So geschah es dann auch: Nach einem geruhsamen Schlaf den ganzen Tag über entschied ich mich am Abend dazu, auf die Khao San zu fahren und mich einfach mal gehen zu lassen. Ich kam an und sah auf den ersten Blick, dass das ein echter Spaß werden würde. Man muss sich Songkran in Bang-kok so vorstellen: Tausende von partywilligen Thais und Hunderte von ebenso losgelösten Touristen liefern sich auf zwei kleinen Parallelstraßen eine Wasserschlacht mit einer Mixtur aus eisgekühltem und fast zu heißem Wasser, das im Laufe des Abend dank der dazu kommenden Reinigungssalbe immer trüber wird. Man muss einfach nur mit seiner schlechtesten Kleidung mit oder entgegen dem Strom laufen und bekommt alle drei Meter eine feuchte Hand voller Kraft spendender Seife mit den Worten „Sawatdii bpii mai“ oder „Happy New Year“ (jeweils: „Frohes Neues Jahr“) ins Gesicht geklatscht, denn dies ist das buddhistische Neujahrsfest. Die Kleidung kann man danach wegschmeißen, soviel steht fest, aber die Erinnerung an diese Szenen bleibt ewig. Und das Schöne daran ist: Es wird jedes Jahr gefeiert und immer mindestens drei Tage lang. Das ist damit die längste gesetzliche Urlaubszeit in Thailand! Die meisten Familien verreisen an diesen feierlichen Tagen oder treffen sich mit ihren entfernt wohnenden Verwandten; Kinder und Jugendliche genießen dieses Fest besonders! Ich finde, gegen dieses Brauchtum ist unser westliches Silvester ein Kindergeburtstag. Leider lässt man dieses Fest in der westlichen Welt zum Jahreswechsel kaum realisieren, da jeder Wasserstrahl sofort zu Eis gefröre und alle am nächsten Tag krank im Bett lägen. Schade eigentlich!
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