Fünf Gespräche zwischen Mara und der Patriotin

Gespräch 1, spätabends während einer Supra im Restaurant

 Mara: Ich habe genug für heute, Leute. Ich bin raus.

Unlustige Person: Machst du jetzt eine auf Nonne oder was?

Mara, gekonnt ignoriert zur Patriotin: Ich will endlich eure Gastfreundschaft verstehen. Erzähl doch mal.

Die Patriotin: Wir passen auf unsere Gäste auf. Es passiert nie was.

Mara: Und ihr ladet sie immer und immer wieder ein, selbst wenn ihr sie gar nicht kennt. Das wird…

Die Patriotin unterbricht: Wir haben doch dieses Sprichwort: Man kennt sich dann, wenn man zusammen getrunken hat.

Mara: Ich weiß. Aber was ich eigentlich sagen wollte: Das wird auf die Dauer doch ein bisschen anstrengend und irgendwie auch zwanghaft, oder nicht?

Die Patriotin: Nein, das ist uns eine Ehre. Der Gast ist ein Geschenk Gottes. Die Tore sind immer offen auf den Dörfern. Da passiert nichts, da ist Vertrauen da. Die Familien, die die Tore zu machen, die sind fertig. Die Familien, die keine Gäste bekommen, sind nichts.

Mara: Das ist hart.

Ein paar Augenblicke vergehen ehe die Patriotin wieder von ihrem Weinglas aufblickt.

Die Patriotin: In den 90er Jahren habe ich eine schwere Zeit erlebt. Wir hatten kein Essen. Aber das ganze Dorf wusste, dass Gäste zu uns kommen. Und sie haben uns Essen gebracht. Die Gäste bekommen alles. Das bedeutet nicht, dass die Familie so viel hat.

Mara: Aber warum ist das so?

Die Patriotin: Ich kann nicht erklären warum das so ist. Das ist so.

Mara, es ist so spät, sie darf ehrlich sein: Irgendwie auch gefährlich.

Gespräch 2, Mara hat eine Rose geschenkt bekommen und sitzt mit der Patriotin in der Metro

Nachdem ein vierjähriges Mädchen Maras Rose haben will, nicht locker lässt und nicht mal das Geld der Patriotin annehmen will, gibt Mara dem Kind ihre Rose. Alle Menschen im Abteil sehen verständnislos zu. Ein Mann kommt zur Patriotin und sagt etwas zu ihr, woraufhin sie schmunzeln muss.

Mara neugierig: Was hat der Mann gesagt?

Die Patriotin: Er hat sich entschuldigt. Und gesagt, dass er sich schämt und dass Georgier so etwas nie machen würden. Weil er weiß, dass du nicht von hier bist, wollte er, dass ich dir die Situation erkläre. In letzter Zeit gibt es immer mehr Zigeuner hier. Sie sind sehr frech geworden, reißen Essen aus deinen Händen, schlafen auf der Straße, schicken ihre Kinder in Cafés, um Leute anzubetteln. Einmal war Betteln in diesem Land verboten. Wie auch immer, er meinte, dass es ihm leid tut. Weißt du, auch wenn diese Männer manchmal ganz anstrengend sind, sie sind immer da. Man braucht keine Angst haben, wenn man durch die Stadt läuft.

Gespräch 3, Mara und die Patriotin fahren an den Flüchtlingslagern vor Südossetien vorbei

Die Patriotin: Weißt du eigentlich, warum die Russen versuchen hier immer weiter vorzudringen?

Mara: Erzähl.

Die Patriotin: Durch Georgien, Aserbaidschan und die Türkei verläuft eine Öl-Pipeline, vom kaspischen Meer bis an die Ostküste. Die Russen wollen da dran und Europa abhängig machen.

Mara: Dazu stand auch was in meinem Buch. Warte mal, ich habe es dabei. Hier: „Wie in vielen Jahrhunderten zuvor befindet sich Georgien im Schnittpunkt der strategischen Interessen rivalisierender Großmächte und ihrer Verbündeten. Was einst die Seidenstraße und die lukrative Kontrolle der Handelsströme waren, sind heute die Pipelines durch welche Gas und Öl aus Aserbaidschan und Mittelasien über Georgien in die Türkei gepumpt werden. Georgien ist nicht mehr und nicht weniger als eine politische Trumpfkarte in diesem Konflikt, in dem sich Präsident Saakashvili eindeutig auf die Seite der USA stellte.“ Apropos Saakashvili. Es sind doch bald Parlamentswahlen, im Oktober 2016. Ich habe gelesen, dass Saakashwili zurückkommen will. Was denkst du über ihn?

Die Patriotin: Er war verrückt, ja. Seine Präsidentschaft war trotz bedeutender Erfolge von Anfang an umstritten. Doch er hat viel gemacht gegen Russland. Der Krieg war schrecklich, aber er musste sein. Damit Deutschland und die USA mal sehen, was Russland anrichten kann. Und er brachte den Amtsmissbrauch im Justizwesen und Strafvollzug zu Fall. Die Gehälter der Sicherheitskräfte wurden wesentlich angehoben und gegen die meisten korrupten Politiker und Geschäftsleute Verfahren eingeleitet. Und heute frage ich mich: Was macht unsere Regierung eigentlich? Haben wir überhaupt eine? Seit 2012 ist der „Georgische Traum“ die stärkste Fraktion im Parlament. Das ist ein Bündnis aus sechs Parteien. Sie haben nicht mal ein Programm. Initiator war Iwanischwili. Du kennst ihn doch, der Milliardär, dem die hässliche Villa am botanischen Garten gehört. Manche Leute sagen, dass er von den Russen geschickt wurde.

Mara: Kannst du eigentlich Russisch?

Die Patriotin: Ja, aber ich will es nicht sprechen.

Gespräch 4, oder eher ein Monolog, bei der Patriotin zu Hause auf dem Sofa

Mara: Sag mal, gibt es eigentlich viele Alkoholiker in Georgien?

Die Patriotin, schweift wie so oft, ein bisschen vom Thema ab: Ach, ich weiß nicht, Mara. Aber ich habe noch nie gesehen, dass man einfach so, wie bei euch, ein Glas Wein trinkt. Nur wenn Gäste kommen, wird getrunken. Die Leute, die einfach nur trinken, verdienen keinen guten Wein. Mein Papa hat zum Beispiel vier Sorten Wei zu Hause: Eine für Menschen, die einfach nur trinken, eine für gute Menschen, eine für Gäste und eine für besondere Gäste. Und wenn Gäste kommen, dann machen wir eine schöne Party, ganz gemütlich, und sind glücklich. Du weißt ja, wir feiern gern. Denn ich weiß doch nicht was morgen ist. Ich lebe heute.

Gespräch 5, Mara und die Patriotin sitzen mit der Pessimistin im Auto

Die drei stehen an der Ampel. Von hinten kommt ein Auto, fährt auf die Gegenspur und will sich einreihen. Die Pessimistin lässt das Fenster herunter und sagt etwas zu dem Fahrer.

Mara: Was hast du gesagt?

Die Pessimistin: Ich habe ihn nochmal daran erinnert, dass es sich hier um eine zweispurige Straße handelt.

Die Ampel sptingt auf grün und sie fahren weiter.

Die Pessimistin: Ich glaube in einem früheren Leben habe ich in Deutschland gelebt. Ich fühle mich dort so wohl. Keine Umweltverschmutzung, die Leute sind nicht faul oder egoistisch, man hält sich an Regeln. Es ist alles so schön ruhig und geordnet dort. Wenn ich jung wäre, würde ich sofort hier weg. Die Jugend hat hier keine Perspektive. Du weißt doch, wie wenig wir verdienen. Fast alle Lehrer haben mindestens noch einen anderen Job. In den Ferien und am Wochenende müssen wir auch arbeiten. Manchmal fragt mich mein Sohn, warum er denn zur Uni gehen müsse, wenn es keine Jobs gibt und alles über Beziehungen läuft. Ich will ihn nach Deutschland schicken. Dort kann er sehen wie man leben kann, wie man leben muss. Nicht umsonst geht es den Deutschen so gut, sie sind fleißig, sie können ihr Freizeit gestalten. Hier hängen alle nur herum. Die Jugendlichen sind so unselbstständig. Und die Erwachsenen sind auch nicht besser. Alle definieren sich über Kleidung und Autos. Selbst wenn das Kind nur zwei Minuten von der Schule entfernt wohnt, kommt es mit dem Taxi, weil es sonst heißt, die Familie könne es sich nicht leisten. Du kennst doch die Eltern der Schüler. Solche Leute sitzen in Ministerien und verstehen die einfachsten Dinge nicht.

Danach sprach die Pessimisten von den Dingen, die sie machen würde, wenn es ihr und Georgien besser gehen würde. „Georgien“ klang aus ihrem Mund, wie ein ungepflegter, verlorener Sohn, der irgendwo bei Kutaissi aufs Internat ging und ein paar Probleme in der Schule hatte.

Die Patriotin: Natürlich geht es unserem Land nicht super gut. Aber der Tourismus hat viel gebracht. Ja, wir haben wirtschaftliche Probleme.. Und viele, viele Menschen flüchten in die Stadt. Doch da gibt es doch noch mehr. Das Lebensgefühl, die Natur, die Gastfreundschaft, die Herzlichkeit. Die Menschen interessieren sich füreinander, sie kümmern sich. Georgien ist ein verdammt charmanter Kerl, der hoffentlich ganz bald der EU beitritt und damit ein ganz großes Ding am Start hätte. Langsam, langsam schaffen wir das.