Mara war die glücklichste Piratin unter der Sonne. Denn sie besaß einen Schatz, den ihr niemand nehmen konnte. Es war ein Album, das niemals verstaubte. Nicht in hundert Jahren und nicht in dreiunddreißig Abenteuer-Ewigkeiten. Sie bewahrte es dort auf, wo nicht einmal einäugiger Goldzahn, der meist gefürchtetste Seeräuber weit und breit, es finden würde. Nämlich in ihrem Herzen.
Wann immer sie wollte, konnte sie das schwere, dicke Buch aufschlagen, auf wunderbare Zeiten zurückblicken und sich an ihre Crew erinnern, von der sie das beste immer bei sich trug. Kompass, Sextant und Landkarte hatte sie schon längst über Bord geworfen. Zu dem Ort, an dem sich all diese Erinnerungen in ihr Gedächtnis gebrannt hatten, konnte sie ohne Längen- und Breitengrade zurückfinden.
Das war auch gut so, denn bald schon musste sie ihre Piratenfreunde hinter sich lassen. Und das tat ganz schön weh. Dass Mara Geschenke bekam, machte den Abschied auch nicht leichter. Sie liebte Überraschungen und hatte ja selbst ein Jahresrückblicksvideo dabei. Nur ihre auf hoher See gebackenen Tonkabohnenkekse konnten die anderen wenigen Freibeuter, die sich in der letzten Woche noch im Trainingslager herumtrieben, ein wenig aufheitern. Und weil im zeugnislosen Land offizielle Dokumente rar waren, freuten sich die Deutschclubkumpanen besonders über die Teilnehmerschriftrolle, die sie von der Piratin Mara ausgehändigt bekamen.
Zu ihrer Enttäuschung kamen kaum Seeräuberkinder zu Lauras-Stern-Kinoversammlung, für die doch anfangs alle so Feuer und Flamme waren. „Wir wollten doch einen Stern erbeuten. Das war doch unser Plan!“ dachte sie. Doch insgeheim, tief im Inneren, wusste die Piratin, dass es am Meer doch viel schöner war als hier.
Und dann musste sie daran denken, dass die Crew an Bord eine Schatztruhe voller Goldtaler finden musste, um in ihrer Sommerpause die Deutschraum-Streichaktion durchführen zu können. Sie erinnerte sich daran, dass sie sich echt beherrschen musste kein „Ihgitt! Rosa!“ in den Raum zu schreien. Denn diese Farbe war wohl die aller-, aller-, allerletzte, die ihr in ihre Kajüte kam. Niemand kannte den Kodex der freien See so gut wie sie. Und sie musste an den kostbarsten Schatz denken, den sie in ihrer Piratenlaufbahn je erobert hatte und begann wieder zu schmunzeln.
Ein letztes Mal traf sich die Crew zu einer Schlacht. Und sie speisten und tranken so, wie es sich für wahrhaftige Seeräuber gehörte. Am Ende der Tafel saß Mara. Sie saß dort gedankenverloren und wusste gar nicht so richtig, wie sie sich fühlen sollte. So wie zu Beginn dieses großen Abenteuers musste sie an Winnie the Pooh denken: „How lucky I am to have something that makes saying goodbye so hard.“ Irgendwie hatte sie hier ihre zweite Familie und ihr zweites zu Hause gefunden. Wirklich lauschen konnte sie den ganzen ihr gewidmeten Trinksprüchen und warmen Worten deshalb auch nicht. Doch eins war sicher: Sie verdienten den dicksten Abschiedkuss. Und am Ende verlor selbst die tapferste Piratin ein paar Salzwassertränen.
„So gerne würde ich hier bleiben!“ dachte sie bei sich. Doch gleichzeitig freute sie sich schon riesig auf ihre alte Crew. Aber die Piratin hatte gar keine Lust sich darüber den Kopf zu zerbrechen. So schnappte sie sich ihr Seegelboot, um einen Ausflug zu machen.
Mara hisste sie die Segel und schipperte los. Der Wind blies kraftig und brachte sie schnell voran. „Ach wie ist das Leben schön!“ freute sich das Krokodil. „Wir könnten mit dem Äffchen in den Iran zu seiner Familie fahren und uns dort den Bauch vollschlagen oder in den tuschetischen Wachtürmen ein Nickerchen machen“ überlegte das Krokodil. „Oder wir fahren nach Baku, wenn der aserbaidschanische Häuptling uns die Einreise gestattet“. Dieses Ziel gefiel ihm sogar noch besser, denn im Iran ist es doch schon ziemlich heiß für so ein Krokodil. Außerdem fügte der Papagei hinzu, dass das Äffchen am Ende doch sowieso nicht fahren würde und alleine würde es sich das nicht trauen.
„Schiff ahoi! Volle Kraft voraus!“ rief Kapitän Mara so überzeugend wie möglich und dachte dabei, dass es wohl eine sehr chaotische und spontane Reise werden würde.
Die drei machten zwar kaum Beute und streiteten sich ständig über Back- und Steuerbord, aber das Krokodil mochte es, wenn der Papagei „Fertig machen zum Entern!“ kreischte. Es mochte es auch, wenn sie sich eine gute Nacht wünschten. „Schlaf schön. Gute Nacht!“ gähnte das Krokodil. „Nacht jetzt! Schlaft schon!“ erwiderte die Piratin. Und der Papagei krächzte: „Aye, aye, Sir!“
Nur eine konnte diese Nacht nicht schlafen. Und das war die Piratin selbst. „Als ich klein war und nicht schlafen konnte… was haben da die großen Piraten getan?“ grübelte sie. Sie haben, sie haben… ja, das haben sie. Sie haben von ihrer Heimat geträumt. Und es fiel ihr so viel ein, dass sie ihr Logbuch aufschlug. Unter dem Sternenhimmel auf offener See notierte sie ein paar Dinge, die sie zu Hause unbedingt machen müsste.
Ihr letzter Eintrag war schon lange her, aber brachte sie sofort zum Lachen. Da stand ein Zitat eines befreundeten Piraten:
„Du bist ein Vertreter deines Landes und darfst nicht sagen, dass du nach ein paar kleinen Tschatschas schon betrunken bist. Die ersten drei Gläser sind schwer, aber danach geht es einfacher.“
Jetzt konnte sie beruhigt einschlafen.
Liebe Mara,
eine wunderschöne Geschichte, eine berührende Geschichte, eine wahrhaftige Geschichte!
Lieben Gruß, auch an Papagei, Krokodil und Äffchen!
Martina
Ein wunderschöner Eintrag liebe Mara :-)