Mein Freiwilligendienst feiert Halbgeburtstag

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Aus dem Feiern komme ich gar nicht mehr raus. Heute im Angebot: Bergfest. Und weil man in Georgien in der Gegenwart lebt, schwinge ich jetzt keine großen Reden über die vergangene Zeit oder das, was mich noch erwartet. Da muss ich euch leider enttäuschen, liebe Leser. Aber trotzdem beantworte ich euch zu diesem besonderen Anlass, inspiriert von Melles Abreise, ein paar Fragen.

Worauf ich nicht verzichten kann? Auf meine WG-Fäm, die Landschaft, das Popcornaroma in der Luft, meine Lieblingskolleginnen und -schüler, die Spontanität, die Kühe auf den Landstraßen, die Gastfreundschaft, das Essen, neue Freunde aus aller Welt, mein gemütliches Zimmer und seine Aussicht, den Geruch von frischem Puri, in manchen Situationen nicht verstanden zu werden (die deutsche Geheimsprache macht’s möglich), den Puls der Stadt, Reisen ohne sich dabei groß über das Geld Gedanken machen zu müssen und nicht zuletzt die Lockerheit:

Am Straßenhorizont erblicke ich einen gelben Punkt. Der Bus kommt. Ich quetsche mich hinein. Der Busfahrer steigt aus. Er kommt erst nach einer Weile wieder zurück. Klar: Er musste sich erst noch Zigaretten am Kiosk kaufen. Während er sich ununterbrochen Kekse in den Mund schiebt, fährt er mit dem Handy am Ohr los und der Bus schwappt, bis zum Rand gefüllt mit Leuten, über die verstopften Straßen. Ich muss grinsen.

Ihr merkt schon: Das Glück ist auf meiner Seite, ich bin verliebt in das Land und froh hier gelandet zu sein. Aber es gibt ja immer ein paar Dinge, die einem nicht so in den Kram passen. Was mich nervt? Die Umweltverschmutzung, die Straßenführung und der Verkehr, die bettelnden Kinder, das Zuspätkommen, die Straßenhunde – und katzen, die viele Polizei, das Laufen im Schneckentempo und die „Ohne-Facebook-läuft-nichts-Attitude“.

Letztens war ich mit Melle in einem der Weinshops. Ein Typ, der dort arbeitet, wollte unsere facebook-Namen wissen. Georgien ist die facebook-Nation Nummer Eins. Man wird hier nicht nach seiner Nummer gefragt. Das ist hier eben so. Als ich ihm sage, dass ich kein facebook habe, schaut er mich an und sagt: „I know people like you. You don’t have facebook, you hate cities, you feel free in the nature and you hate money.“ Ob das alles so stimmt, sei mal dahin gestellt. Ich beginne trotzdem zu schmunzeln. Denn irgendwie sehe ich das als Kompliment. (;

Was ich vermisse? Ganz klar: Die Spessartluft, geregelten Verkehr, Stille, das Verbot in Restaurants und Cafés zu rauchen, Hotel Mama & Papa – insbesondere die Küche (obwohl  ich die Freiheit genieße auch ohne Holzlöffel aus beschichteten Pfannen und Töpfen zu essen :D), Mülltrennung, Tatortabende vorm Kamin, eine Spülmaschine, meine Lieblingsmenschen, Planung, Krotzebojer Leitungswasser, gutes Vollkornbrot – ja, das Klischee macht auch vor mir nicht Halt – und den Verkehr.

Apropos . Ein georgischer Freund meinte mal zu mir: „Weißt du was der größte Unterschied ist zwischen Deutschland und Georgien? In Deutschland hält man sein Auto, wenn man nüchtern ist, gerade in einer Spur und wenn man getrunken hat, fährt man in Schlangenlinien quer über die Straße. In Georgien ist das genau andersherum. Nur Besoffene fahren geradeaus.“

Vom Leben gelernt habe ich, dass…. aufgewärmter Kaffee nicht schmeckt, Tatortschauen nur mit Mama Spaß macht, es sich manchmal lohnt den unbequemen Weg zu gehen, die Welt ungerecht ist, Ungeduld nichts bringt, Kranksein schöner zu zweit ist, die Guten gar nicht mal so gut und die Bösen gar nicht mal so böse sind, man die komischsten Dinge vermissen kann und das irgendwie etwas Schönes hat.

Die Post ist da!

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Eigentlich wollte ich mich schon viel früher bei euch bedanken. Für die lieben Glückwünsche. Und, naja, eben für die Post. Ich dachte mir nur, ich warte bis sie halt auch wirklich da ist.

Das Ding mit der Post hier ist echt ein bisschen merkwürdig. Es gibt nicht mal Briefkästen  – die Rechnungen werden einfach an den Türrahmen geklemmt.  Dies sind meine bisherigen, zeitraubenden Erfahrungen:

Zustellungsversuch, der Erste: Die Jagd auf mein erstes heiß ersehntes Paket beginnt mit einem auf Georgisch bekritzelten Zettel, den ich in unserer Wohnung vorfinde und von einer Kollegin übersetzen lasse. Bei der zugewiesenen Poststelle bin ich leider eine halbe Stunde zu spät. Supermärkte, Restaurants und Co. – fast alles hier hat, selbst sonntags, 24 Stunden am Tag offen, aber die Post schließt natürlich schon um 17 Uhr… Ein paar Tage später komme ich nach einer langen Fahrt bis ans andere Ende der Stadt dann doch noch an mein Paket.

Zustellungsversuch, der Zweite: Beim zweiten Mal bekomme ich nicht mal mehr einen Zettel. Als ich die Hoffung schon längst aufgegeben habe, klingelt mein Handy: Eine SMS von der Post. Wo habt ihr denn bitte meine Nummer her?! Später erfahre ich, dass beim Kauf einer SIM-Karte eine Registrierung erfolgt. Deshalb musste ich damals nochmal zurück und meinen Reisepass holen….

Zustellungsversuch, der Dritte: Diesmal per Einschreiben. Gespannt verfolge ich den Weg des Pakets im Internet. Vier Tage vor meinem Geburtstag kommt es in Tbilissi an. Wer hätte das gedacht…Doch: Zu früh gefreut. Weitere zwei Wochen gammelt das Paket in einer der Poststellen herum. Immerhin! Irgendwann werde ich unruhig und kontaktiere – wie sonst auch immer – die Post per Mail. Diesmal bekam ich nämlich weder eine SMS noch einen Zettel. Mir wird geantwortet, ich könne das Paket abholen. Gut zu wissen. Zuversichtlich betrete ich mit der Paketverfolgungsnummer in der Hand die genannte Poststelle. Die Frau hinter dem Tresen tippt die Nummer in ihren Computer ein. Dann meint sie doch allen Ernstes zu mir, dass mein Paket nicht bei ihnen sei. Trotzdem die Post mir schon fünf Mal zu erklären versucht hat, dass sie ohne Verfolgungsnummer den Standort meiner Pakete nicht nachprüfen könne, nenne ich der Frau meine Adresse. Und schaue da. Es klappt. Die Post ist wohl doch in ihrer Filiale. Ich bekomme endlich mein Geburtstagspäckchen ausgehändigt!

Zustellungsversuch, der Vierte: Hoffnungslos frage ich die Frau hinter dem Tresen auch, ob zufälligerweise ein anderes Paket ohne Verfolgungsnummer für mich hinterlegt sei. Nein, aber sie könne das ja anhand der Adresse prüfen. Ich bin erstaunt: Zwei Pakete für mich liegen in zwei unterschiedlichen Poststellen Tbilissis. Sie verspricht mir, dass die Pakete zu mir nach Hause geliefert werden. Da bin ich ja mal gespannt….

Nun gut, so viel dazu. Ich habe, soweit ich mich erinnern kann, seit Ewigkeiten keinen Geburtstag mehr in einem anderen Land verbracht. Und ohne die Gummibärchen-Lichterkette. Und lange nicht so peinlich. Spaß hatte ich trotzdem, und zwar mehr als genug.

Melle hat mich mit ihren Pfannekuchen und einem Banane-Walnuss-Nutella-Kuchen verwöhnt, meine Mitbewohner haben mir eine wunderbare Nachttischlampe geschenkt und von meinen Kolleginnen habe ich Blumen bekommen und… ja, jetzt kommen wir zum peinlichen, aber mindestens genau so rührenden Teil der Geschichte.

Anlässlich meines Geburtstages sind sie nämlich mit mir in ein richtiges georgisches Restaurant mit Live-Musik gegangen. Aufgetischt wurde alles was das Herz begehrt, getanzt wurde reichlich und getrunken auch. Nino hat nämlich das Ergebnis der herbstlichen Weinernte aus Kachetien mitgebracht.

Einige Stunden später wurde das Licht im Restaurant ausgeschaltet. Die Band hat mir ein Geburtstagsständchen gesungen und ein Kellner hat eine spektakuläre Geburtstagstorte zu unserem Tisch getragen. Eine dermaßen süße Torte gab es zuletzt an meinem vierten Geburtstag in der Dominikanischen Republik. Das hatte Déjà-vu-Potenzial.

Und dann haben die gesamten Restaurantbesucher auf mich getrunken. Nicht, dass ich an diesem Abend schon genug mit warmen Worten überschüttet wurde… Ihr wisst ja, der Tamada beginnt mit einem Trinkspruch und im Anschluss erhebt jeder Anwesende in der Runde nacheinander sein Glas, um Worte zu diesem Thema zu finden.

Später hat der Sänger der Band mir noch ein Lied gewidmet. Gezwungenermaßen musste ich also auf die Tanzfläche. Ehe ich mich versehen konnte, stand auch schon einer der netten Kerle vor mir, der zu georgischer Volksmusik tanzen wollte. In den nächsten zwei Minuten, die sich anfühlten wie eine Ewigkeit, konnte ich die Lieblingsworte meiner Mitbewohnerin widerlegen: „Shit happens. But not to us.“

Meine Kolleginnen haben sich wenigstens gut amüsiert, während ich die peinlichsten Minuten meines zwanzigsten Lebensjahrs schon über die Bühne bringen durfte. Hoffentlich.

An diesem Abend blieben keine Wünsche offen. Außer vielleicht… ein größerer Magen. Meine WG-Mannschaft hat sich jedenfalls riesig über das übrig gebliebene Essen gefreut, das meine Kolleginnen extra haben für mich einpacken lassen. Reste mitnehmen ist hier leider weniger üblich und so kam es, dass dieser Abend für so ziemlich jeden ein bisschen peinlich war.  (;

Was gibt es sonst so Neues? Die Stadtruinen in Tbilissi werden für eine Straßenerweiterung zugeschüttet, ich war für 5 Lari (ungefähr 2 Euro) beim Frisör, es gibt neue Geldscheine, Melles und mein geplanter Paraglideflug ist am georgischen Organisationstalent gescheitert, mir ist meine erste Hühnersuppe geglückt und wir haben wieder nach Münzen gesucht.

Schnut, schnut, schnut, was geht’s uns wieder gut.

Vier von sechsundzwanzig

Die Taxifahrer machen sich schon Sorgen um ihr Einkommen, weil kaum Schüler in die Schule kommen. Schuld daran sind die Schweinegrippeviren, die wohl momentan im Umlauf sind. In Georgien wurden deshalb schon 267 Schulen geschlossen, allein in Tbilissi 108.

Die Krankenrate muss über 20 % betragen, damit eine Schule geschlossen wird. Bei uns sind es dafür zwei Prozent zu wenig. 18 % Abwesenheit auf Grund von Krankheiten und gefühlte 81 % Abwesenheit wegen… Jap, keine Ahnung. Weil die Eltern ihre Kinder aus Angst nicht in die Schule lassen, weil die Schüler sich absprechen und endlich einen Grund haben nicht in die Schule zu gehen, weil freie Zeit mit Freunden mehr Spaß macht, weil es sinnlos ist zu kommen.

Die Situation erinnert mich an die nach den Winterferien. Fast nur Lehrkräfte hängen in der Schule ab.

„Glaubst du die Schule wird auch geschlossen?“, frage ich voller Hoffnung auf ein Ende meines sinnlosen Daseins. Meine Kollegin schaut von den Ikonen auf dem Pult zu mir auf: „Nein, denke ich nicht. Ist aber besser so, denn sonst müssen wir am Wochenende in die Schule kommen.“ Ich bin verwundert: „Hä? Warum das denn?“ „Naja, dann werden die gestrichenen Schultage auf Samstage verteilt und nachgeholt.“ „Na, am Wochenende kommen die Schüler doch erst recht nicht.“, bemerke ich. Sie fügt nur hinzu: „Die Tage sind so oder so verlorene Tage.“

Wenn es hochkommt, sind vier von sechsundzwanzig Schülern anwesend oder auch mal einer von dreißig, meistens aber keiner. Sehen wir es mal positiv – so hat man wenigstens Zeit sich bei Kaffee und Tee ausgiebig mit den Kollegen zu unterhalten. Nicht nur schon darüber, was wir an meinem Gebi im Restaurant bestellen wollen :D, sondern auch über weniger Belangloses, wie das georgische Schulsystem:

Highschool is not destiny. Und das  ist ja nichts Neues. Doch hier schon mal gar nicht. Alle Schüler schließen die Schule nach der zwölften Klasse ab. Es gibt in Georgien weder vergleichbare „Real-“ noch „Hauptschulen“. In der zwölften Klasse müssen acht (wohl sehr leichte) Tests absolviert werden.

Was passiert dann? Entweder man fängt direkt an zu arbeiten, was sich nicht als wirklich leicht gestaltet bei dem Mangel an Arbeitsplätzen, bringt sich selbst etwas bei oder studiert eben, wie die meisten es hier versuchen. Nur so hat man annähernd eine minimale Chance einen Arbeitsplatz zu finden.

Mit ihrem Abschluss können sie aber lange noch nichts anfangen, denn wer studieren will, muss verschiedene Einstellungstests an der Uni bestehen, egal wie gut er oder sie in der Schule war. Eigentlich ja ganz nett, wenn keine Vorselektion getroffen wird und für jeden die selben Bedingungen gelten. Das jedoch auch nur in der Theorie.

„Wenn man Verwandte an der Uni hat, können die Prüfungen sehr leicht abgelegt werden. Leider passiert das immer noch in Georgien. Als ich studiert habe, habe ich den Neffen meines Professors in meinem Studiengang ganze zwei Mal gesehen. Er hat ein Diplom bekommen und arbeitet jetzt in irgendeinem Ministerium. Deshalb ist das Land so weit gekommen. Aber: Kommt Zeit, kommt Rat. Langsam, langsam schaffen wir das. Es gab viele Veränderungen in den letzten Jahren, seit dem Regierungswechsel.“

Der Schulabschluss bringt den Schülern also kaum etwas. Ich verstehe das nicht. „Und warum sind den Eltern die Noten dann so wichtig und weshalb sind die Schüler traurig, wenn sie mit einer acht (2+) benotet werden?“, frage ich. Und als Antwort bekomme ich: „Für die zukünftige Schwiegermutter, Mara, für die zukünftige Schwiegermutter.“ Na dann, Prost.

Sonst läuft alles super in der Schule. Der Deutschclub findet nun zwei Mal in der Woche mit zwei verschiedenen Gruppen statt. Meine Mentorin wird sogar schon gefragt, ob Schüler, die keinen Deutschunterricht in der Schule haben, daran teilnehmen dürfen.

Und Spaß habe ich auch: Hier das alternativste Zebra ever. (; Und diese Schildkröte ist auch nicht schlecht. :D