Die Bären schlafen

Warum genau quälen wir uns nochmal samstags  um sieben Uhr morgens aus dem Bett? Damit wir fast zwei Stunden gelangweilt in der Marschrukta sitzen können bis sie um halb elf losfährt. Aber hey, das habe ich hier schon gelernt: Geduld, Geduld, Geduld.

Natürlich waren Melle und ich dann viel zu spät im Borjomi-Nationalpark und für unsere zweitägige Schneeschuh-Tour lag sowieso zu wenig Schnee. Trotzdem sind wir, zugegebenermaßen leicht frustriert,  losgestiefelt. Dann halt nicht die große Wanderroute.

Unsere Fußabdrücken waren neben ein paar Tierspuren nahezu die einzigen in der weißen Kristalldecke. Gerne hätte ich mal wieder ein paar Mucklas in die Gegend gestreut. Wir zwei ganz alleine im tiefen Wald; in unseren Lungen die frische, kühle Waldluft. Wie wunderbar. Man fühlt sich so herrlich klein zwischen den hohen Tannen. Nicht, dass ich das sowieso schon tue. :D

Als wir die Hälfte der Alternativstrecke hinter uns gebracht hatten, hieß es Schneemann bauen, Zelt aufschlagen, hoffen einem wilden Tier zu begegnen, Holz suchen, Nudeln kochen, eiskalte Füße ignorieren und versuchen zu schlafen. Letzteres ist mir leider nicht ganz so geglückt. Im Dunkeln war ich dann doch ganz froh, dass die Bären ihren Winterschlaf abhalten.

Am nächsten Morgen haben wir nach einem Haferschleimfrühstück verfroren unsere Sachen gepackt. Melle fühlte sich schlecht, wir sind umgekehrt und ich habe mich erstmal dick fett aufs Eis gelegt. Tja, so ist das halt manchmal. Pläne gehen hier selten so auf wie man sich das ausmalt.

Auf dem Rückweg nach Tbilissi wurde unsere Mitfahrgelegenheit noch von der Polizei angehalten. 1500 Lari, also circa 600 Euro mussten sie blechen. Warum? Der Fahrer hatte keinen Führerschein. Gut zu wissen. Sein Beifahrer übrigens auch nicht. Aber das hat die Polizei nicht gecheckt, weshalb es dann weitergehen konnte.

Das war unser, in Melles Worten: „Hand-vor-die-Stirn-schlag-Wochenende“. Take it easy.

Wir machen blau

Freitagmorgen. Es ist Schulbeginn. Ihr seid nicht die Einzigen, die denken, dass das nicht zusammenpasst. Wie erwartet, waren keine Schüler in der Schule. Einfach gehen kann man aber leider auch nicht. Es könnten ja doch noch Schüler kommen… Sicherlich. :D

Tee trinken und Kekse essen – das war unsere Beschäftigung für die ersten Schulstunden im neuen Semester. Und die bis jetzt sinnlosesten Stunden im neuen Jahr. Für Montag nehme ich mir definitiv ein Buch mit. Am Dienstag ist nämlich Feiertag und sein wir mal ganz ehrlich: Wer glaubt daran, dass wir Besuch von den Schülern bekommen? Ich jedenfalls nicht.

Wenigstens hatte ich so genug Zeit mich der Vorfreude zu widmen. Denn abends habe ich mit meinen Mitbewohnern mein Lieblingscafé besucht. Wir sind jetzt eine richtige WG-Family, die zusammen am Wohnzimmertisch sitzt, Wein trinkt, Klopapier und Waschpulver teilt (!), Pfannekuchen kocht und feiern geht. Elsa aus dem Iran, meine Lieblingsmitbewohnerin und Verbündete in Operation Kater, wohnt zum Glück immer noch hier. Hinzu gekommen sind Malies, eine belgische Jurastudentin, die in Tbilissi ein Praktikum über die UN macht und Lomi, ein  facebookverweigernder Dreadlock-Hippie aus Deutschland, der schon länger in Georgien wohnt.

Meistens lasse ich meine Tür absichtlich geöffnet, um ihm beim Gitarrespielen zuhören zu können. Ihr habt richtig gelesen: Mein Raum besitzt nun eine Tür! Jetzt, wo der Kater ausgezogen ist, habe ich das gar nicht mehr so nötig. :D Seit ich in mein neues Zimmer gezogen bin, fühle ich mich trotzdem noch wohler als ich es sowieso schon tat. Gemütlicher geht’s nicht. Und das Panorama ist unbezahlbar! Ich kann nicht nur der bunten Wäsche beim Flattern im Hof zusehen, sondern sehe von meinem Bett aus sogar die Mutter Georgiens!

Zimmer1
Zimmer2

Das farbenfrohe Feuerwerk zum Neujahrstag des alten orthodoxen Kalenders (im Volksmund „altes neues Jahr“) konnte ich ganz entspannt von meinem Fenster aus beobachten.

AltesNeujahr

Apropos bunt: Von Käthi, einer Schülerin aus der achten Klasse die für die nationale Tanzakademie tanzt, wurden Lisa, Zeiko und ich zu einer traditionellen georgischen Aufführung eingeladen. Bühnenbild, Kostüme, die verschiedensten Tänze aus allen Regionen Georgiens – das Ganze war sehr beeindruckend. Und vor allem eins: Laut. Aber das bin ich hier ja auch nicht anders gewohnt.

Tanzcollage

Ach, fängt das Jahr toll an! (:

Take a coffee for the road

Fotos gibt es hier zu sehen. Der Speicherplatz ist voll… :D

Alles begann mit unserem Trip nach Jerewan. Dicht verpackt in Winterjacken sind wir mit der Marschrutka in die Hauptstadt Armeniens über die halbvereisten Straßen geruckelt. Mit Milchkaffe, Melle, guter Musik an meiner Seite und Blick auf die tief eingeschneite Landschaft vergingen die fünf, sechs Stunden wie im Flug.

Lisa und Tobi, zwei andere Kulturweitfreiwillige, haben uns in ihrer netten Wohnung aufgenommen. Neben Schneespaziergängen durch die Stadt, gemeinsamen Kochabenden und dem armenischem Nachtleben haben sie mir wieder gezeigt, wie ich es im Urlaub liebe, wenn ich vergesse, welchen Wochentag und welches Datum wir haben.

Später sind wir dann zu Jakob in seine mega coole Vollraucher-WG umgesiedelt, weil die anderen beiden Besuch von Heide und Laura aus Serbien bekommen haben (alle drei Kulturweitfreiwillige). Hier habe ich erfahren, dass armenische Autofahrer mit dem  Erwerb eines teuren Autokennzeichens, in denen eine Zahl doppelt vorkommt, z.B. 14 UC 114, ihre Strafzettel im Prinzip schon vorbezahlen. Davon weiß natürlich keiner was, ist klar. Jedenfalls werden sie bei Verstößen gegen Verkehrsregeln nicht verfolgt. Aber zurück zum Text. Mann, bin ich froh, dass in meiner WG nicht geraucht wird – was hier echt nicht selbstverständlich ist! Dieser Weihnachtsbaum aus Jakobs WG steht symolisch für meine hier erlangte passive Raucherlunge:

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Daheim rochen meine Haare nach zwei intensiven Waschgängen immer noch eingeräuchert. Und auch meine Klamotten wurden erstmal in die Waschmaschine gefetzt. Ja, wie sind wir eigentlich zurück gekommen?

Melle hat mich mit dem Trampen angesteckt. Man kann nicht nur Geld sparen, sondern erlebt auch ein paar Abenteuer und lernt viele neue Leute kennen. In Armenien war das aber ehrlich gesagt gar nicht so leicht. Sprachschwierigkeiten sind nicht nur hinderlich, sondern auch irgendwo ziemlich unangenehm. Über der Grenze konnte man sich mit seinem gebrochenen Georgisch dann doch erstaunlich gut unterhalten. Alles eine Frage der Perspektive.

Nach 12 Autos, zahlreichen Telefonaten mit Menschen, von denen die Fahrer dachten, sie könnten Englisch, Angst vor Straßensperrungen, mehr als genug Leuten, die uns irgendwohin fuhren, obwohl sie dort gar nicht hinwollten, einem vermeintlichen Polizeisheriff, der uns stolz seinen zerfledderten Ausweis unter die Nase hielt, einem verlassenen Grenzübergang, schlechten Straßen und einem witzigen Essen mit den armenischen Grenzbeamten in ihrer heruntergekommenen Hütte, sind wir endlich in unserem geliebten Tbilissi angekommen.

Wir hatten unglaublich viel Spaß –  ob beim Teetrinken am Kloster Chor Virap mit Blick auf den Ararat an der türkischen Grenze oder beim gefrorene-Snickers-Essen am Sewansee, dem größten Süßwassersee des Kaukasus und einem der größten Hochgebirgsseen der Welt. Und wer kann schon von sich behaupten, dass er auf der Kaskade, einem gewaltigen Treppenkomplex, der sich weit den Berghang emporstreckt, Schlitten gefahren ist? (:

Warum ich jetzt schon weiß, wie das neue Jahr wird

Kaum war ich zurück in Georgien hat mich Zeiko, meine Mentorin, für den ersten Januar zu sich nach Hause eingeladen. Insgeheim hatten Melle und ich sowieso auf eine Einladung von Einheimischen gewartet, um das georgische Fest der Feste mitzuerleben. Neujahr ist hier wie unser Weihnachten: Für viele die schönste Familienfeier des Jahres. Deshalb war ich von der Einladung echt gerührt. Nach einer wunderbaren Silvesternacht über den Dächern Tbilissis, einem kurzen Besuch auf dem Freiheitsplatz, wo Konzerte stattfinden, einer Hausparty, Barbesuchen und neuen Bekanntschaften hat Melle also bei mir übernachtet. Am Morgen sind wir gemeinsam zum Neujahrsmal aufgebrochen.

Abgesehen von der überladenen Tafel mit den feinsten Leckereien, der wunderbaren Gastfreundschaft und Alkohol, auf den man am diesen Tag hätte herzlich verzichten können, haben wir einige typische Traditionen kennengelernt. So zum Beispiel, dass fester Bestandteil des Neujahrsfestes „Gosinaki“ (eine Süßigkeit aus Honig und Walnüssen) und „Tschutschchela“ sind und die Kinder Geschenke vom Schneemann bekommen.

Am ersten Januar besucht der sogenannte „Meklvle“ die Familie, um alles Gute und ein erfolgreiches  Jahr zu wünschen. Er kann Familienmitgleid, Freund oder Freundin der Familie sein und bringt Süßigkeiten und  Bonbons als Symbol für Fruchtbarkeit und Glück. Meistens hat er auch „Chichilaki“, den georgischen Weihnachtsbaum, der dan Bart des heiligen Antonius darstellt und Sinnbild für ein gutes neues Jahr ist, dabei.

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Die für uns bedeutendste Neuigkeit war, dass der zweite Januar symbolisch für das neue Jahr steht. Dieser prägende Tag heißt in der georgischen Tradition „Bedoba“, das bedeutet „Schicksalstag“.

Mit diesem Wissen reißt mich mein Wecker am zweiten Januar aus dem Schlaf. Am liebsten wäre ich liegen geblieben, doch Melle und ich wollen eine frühe Maschrutka nach Jerewan erwischen. Urlaub steht an. Melle hat verschlafen, na toll, die nächsten 363 Tage stehen gelassen werden – darauf kann ich echt verzichten. :D

Im Café um die Ecke versuche ich mit einem leckeren Frühstück diesen Rückschlag wieder wett zu machen. So zumindest mein Plan. Statt meinem Lieblings-Banane-Walnuss-Joguhrt gibts dann laute Partymusik, gut gelauntes Personal und ungewöhnlicherweise keinen anderen Gast weit und breit. Wie soll ich das jetzt deuten? Ich bekomme nicht das, was ich will, dafür aber gute Musik, oder was?! (;

Melle hat mich dann irgendwann abgeholt und wir sind zu der von der Touristeninfo-Frau auf dem Stadtplan markierten Stelle gelaufen. Dummerweise fällt uns jetzt erst auf, dass sie nur den Stadtbezirk, in dem sich der Busbahnhof befinden soll, eingekreist hat. Na vielen Dank auch. In diesem Moment verabschiede ich mich vom Aberglauben. Ist glaub‘ ich besser so.

Wir irren ein bisschen umher, bis wir einen Mann nach dem Weg fragen. Er nimmt uns netterweise direkt dort hin mit. Die Maschrutka fährt, wie eigentlich schon von uns erwartet, eine Stunde später ab als angekündigt. Das ist mir jedoch egal, so lange ich dieses Jahr viel reise. :D

Sonst gibt es vom Weg nicht so viel zu berichten außer, dass die Grenzbeamten mit uns scherzen und wir vom rauchenden Hintermann fast erstickt werden. Im verschneiten, kalten Jerewan angekommen, hebe ich erstmal 20000 Dram ab. Ich werde dieses Jahr reich, Leute! Übersehen wir einfach mal die Tatsache, dass sich das mehr anhört als 40 Euro.

Wenig später kommen wir bei Tobi und Lisa (zwei kulturweit-Freiwillige, die in Jerewan zusammen wohnen) an, duschen heiß, kochen gemütlich, starten in die Nacht und entdecken unseren neuen Lieblings-DJ.

Jetzt könnt ihr selbst entscheiden, ob ihr daran glaubt oder nicht. :D Ich weiß jedenfalls: Egal, was dieses Jahr passiert, es wird vor allem eins – schlaflos. Und voll mit coolen Leuten. (: