Fotos gibt es hier zu sehen. Der Speicherplatz ist voll… :D
Einer der schönsten Festtage in Georgien ist die traditionelle Traubenernte im Herbst. Wein und Georgien, das sind ja sowieso zwei unzertrennliche Worte. Das Land gilt als die Wiege des Weins und selbst die Mutter Georgiens, im Volksmund „Kartvlis Deda“, die stolz über Tiflis trohnt, hält in der rechten Hand ein Schwert gegen Feinde und in der linken eine Schale voll Wein zur Begrüßung von Freunden.
Ein Sprichwort besagt, dass guten Wein nur Menschen herstellen können, die in ihn verliebt sind oder einen guten Charakter haben. Das hat sich auf meiner Reise ins Sonnenland Kachetien, dem Zentrum des Weinbaus – dort, wo die größten Weingärten Georgiens liegen und jeder Bauer ein Winzer ist – allemal bestätigt.
Meine Kollegin Nino hat Lisa*, ihren Besuch* und mich zur Weinernte aufs Dorf ihrer Eltern eingeladen. Nachbarn, entfernte Verwandte, Kollegen, Ninos Eltern, ihr Bruder Girogi, seine Frau Kathrin aus Deutschland und ihre gemeinsamen sechs Kinder* versammelten sich bei blauem Himmel zwischen den Reben zur Traubenernte. Mit der Maschine würde der Wein ja an Lebendigkeit verlieren und er ist nicht nur Teil der georgischen Seele, sondern praktisch die Visitenkarte einer Familie, so wird mir erklärt.
Fix und fertig von der Arbeit, sind wir zum Hof gefahren. Dort haben wir die Trauben mit einer Walzmühle ausgepresst. Der Saft wird zusammen mit der Maische in Amphoren aus Ton geleitet, den so genannten „Kvevri“. Ich durfte die georgische Methode der Weinherstellung*, die seit 2013 übrigens zum UNESCO Weltkulturerbe zählt, hautnah miterleben und sogar selbst mal das Holzrad betätigen. Nebenbei wurde noch eine Ziege geschächtet; das war gar nicht so ohne… Bilder für Mutige gibt es hier zu sehen: Schächtung einer Ziege in Kachetien.
Über der Feuerstelle wurde aus dem Fleisch eine Suppe mit Koriander und Chili gekocht. „Davon was essen? Ähm, vielleicht mal probieren…“ – Eigentlich hätte ich ja nicht mal das gemacht, wäre da nicht diese wunderbar gastfreundliche Familie gewesen. Nicht, weil ich die Ziege noch lebendig gesehen habe – das war natürlich kein Ding fürn King. (; Nee, mal ehrlich der Moment des Tötens war schon heftig, aber es ging ziemlich schnell, dass ich in der eben noch so süßen Ziege ein Stück Fleisch gesehen habe, das nur noch tot dahängt. Einfach weil ich mir den Geschmack sehr streng vorgestellt habe. Aber Gefallentun lohnt sich halt manchmal. Die Suppe war eins der besten Gerichte, die ich bis jetzt hier gegessen habe ; und das soll in Georgien schonmal was heißen! Definitiv auch was für mein Schwesterherz – gar nicht zäh, intensive Brühe und das Wichtigste: ganz viel Fett. (:
Die Tafel war natürlich noch mit viel mehr gedeckt – am bedeutendsten natürlich der Wein und georgischer „Federweißer“ – nur nicht weiß, sonder rot. Und schon ging es los mit der Trinkspruchtradition:
Der sogenannte „Tamada“ übernimmt mit meisterhaftem Wortaufgebot die Aufgabe der Tischführung. Sich verloren oder fehl am Platz füheln? Nope, jeder wird integriert. Stehend und mit erhobenem Glas spricht er im Laufe des Abends – oder besser gesagt: am laufenden Band – verschiedene Segenswünsche auf Gastgeber, Verstorbene, Eltern, Kinder, Gäste, Freunde, den Frieden und, und, und. Im Anschluss daran erhebt meistens jeder Anwesende nacheinander sein Glas, um eigenen Worte zu diesem Thema zu finden – das ist gar nicht so einfach. Noch schwieriger: immer wieder sein Glas leeren, ohne dabei betrunken zu werden. Vor jedem georgischen Prost werden die Gläser nämlich aufs neue gefüllt. Will man nicht trinken, lässt man sich trotzdem einschenken und nippt eben nur symbolisch ein Schlückchen. Frauen haben es da allemal leichter!
Die Georgier verstehen Wein übrigens nicht als Alkohol: Der georgische Tisch ist eine Art Fortsetzung der kirchlichen Liturgie – was nicht in den Segenskanon der Kirche gehört, wird hier ausgesprochen. Das traditionelle Kreuz der georgisch-orthodoxen Kirche stellt, by the way, verbundene Weinreben dar. Auch die Schöpfungssage ist zum Schmunzeln: Es heißt, dass die Georgier zu spät kamen, als Gott das Land unter den Völkern verteilte. Erfreut darüber war er nicht gerade, doch als das kleine Völkchen erklärte, es habe bis zum Morgengrauen mit gutem Wein gefeiert, um dabei Gott zu preisen, wurde ihnen verziehen. Und mehr als das: Gott fand Gefallen an ihrem Charme und an ihrer Fröhlichkeit und schenkte ihnen den Flecken Erde, den er eigentlich für sich selbst reserviert hatte, sprich das schönste Land.
Unterm Strich: Ein ritueller Sonntag mit bodenständiger, traditioneller Küche, ganz nah am Volk und in einer wunderbaren Familie, frei nach dem Motto „Der Gast ist ein Geschenk Gottes“.
Definitiv mein neuer Lieblingstag!
*Lehrerin aus Deutschland, die an der 1. Experimentalschule über das ZfA eingesetzt ist
*Drei Lehrer, die Lisa aus ihrer Studienzeit kennt und in Köln und Umgebung unterrichten
*Sprechen alle fließend Deutsch und Georgisch, da sie vor zwei Jahren von Stuttgart nach Tiflis gezogen sind – naja, sofern sie schon sprechen können; beim Anblick der Zwillinge musste ich oft an Leonie und Maximilian denken (:
*Daneben gibt es noch das jüdische und europäische Verfahren