„Hallo Freunde, Familie, Bekannte, Verwandte und Unbekannte,
In diesem Blogeintrag möchte ich euch erste Mitteilung über meinen Verbleib in China, Nanjing geben. Tatsächlich bin ich schon da. Gestern am 24. Februar um 10:50 Uhr landeten mein Flieger und ich gemeinsam auf dem, dem Flughafen von Nanjing zugehörigen, asphaltierten Rollfeld, das man auch im allgemeinen auch als Landebahn bezeichnet. Aber dort begann meine Geschichte nicht, oh nein, liebe Leser. Denn ein langweiliges großes und herzergreifendes Drama hatte sich schon vor meiner Abreise abgespielt, und damit meine ich nicht den Abschied. Aber lest selbst, ich rede mir ja den Mund fusselig.“
Denn am morgen meines Abfluges hielt ich es für eine gute Idee bei meiner Einsatzstelle anzurufen, weil ich von meiner Mentorin seit November nichts mehr gehört hatte. Dabei stellte sich heraus, dass sie seit November nicht mehr dort arbeitet sondern beim GI in München. Naja, kein Problem, nur schnell ansagen, dass ich morgen komme. Netter Weise erklärt sich Helene, meine neue Mentorin, bereit mich abzuholen. Was für ein Drama! Also packe ich meine Sachen und mache mich alsdann mit meiner Mutter, meinem Vater und meinem Bruder auf zum Hamburger Lufthafen.
ACHTUNG! DRAMATISCHES PRÄSENS! Der Abschied gestalltet sich kindisch. Mit Bruder und Vater herumalbern und Mutter verulken. Dann noch jeweils eine Umarmung von bereits genannten Herren und 1000 Umarmungen und Küsschen von bereits genannter Dame. An der Sicherheitskontrolle vergesse ich die Flüssigkeiten aus meiner Tasche zu nehmen und den Gürtel auszuziehen. Also nochmal abtasten lassen und Tasche entlehren. Hoch erregt ob des süßen Sicherheitsmannes eile ich roten Kopfes und schelmischen Grinsens zum Gate, um meinen Flug nach Frankfurt zu nehmen. Dummerweise setze ich mich unwissend in eine vorher unzusammenhängend wirkende Modejournalistinnen-Gruppe, die just in dem Augenblick in dem ich mein spannendes Buch aufschlage wie wild zu schnattern anfangen. Nach endlosem hin und her zwischen Beauty-Pressekoferenzen und Double-Model-Tratsch kommt endlich der erlösende Aufruf… ,dass das Besteigen der Maschine sich um zehn bis fünfzehn Minuten verspätet. Verdammt Wie erquicklich! Also nach endlosen Minuten sitze ich im Flieger nach Frankfurt. Ich schlage mein Buch auf und wir landen. Das ging schnell. Jetzt auf nach Nanjing! 
Bei der Passkontrolle in Frankfurt übersehe ich die gelbe Linie, die die Privatsphäre der Kontrollierten einschränkt und erfahre Gerechtigkeit vom zuständigen Polizisten. Ich solle mich doch bitte hinter der gelben Linie aufstellen. Dann bin ich an der Reihe. Etwas nervös und verunsichert trete ich an den Schalter, meinen Reisepass fest umklammert. Eine Schweisperle läuft meine Stirn hinunter und verfängt sich in meinen Wimpern. In ihr bricht sich das helle Licht der Deckenlampen und strahlt direkt in mein verletzliches Auge. Der unbeschreibliche Reiz lässt mich zusammenfahren. Ich kneife mein Auge zusammen, taumle beinahe besinnungslos gegen den Schalter und schiebe den Pass auf den Beamten zu. „So, Herr Clausberg. Wollen wir mal sehen was wir da haben.“ Zitternd erwarte ich sein Urteil. Jahre vergehen, während ich mir ausmale, was diese Verkörperung der Justitia mit mir anzustellen vermag. Doch dann endlich reicht er mir meinen Reisepass zurück und sagt: „Wie langweilig.“ Dabei schmunzelt er ganz absonderlich. „Bist du es, Luzifer?“, frage ich mich, doch just in diesem Moment wendet er den Blick von mir ab und ich suche mit meier Identität in Händen das Weite, auf der Suche nach meinem Anschlussflug. DRAMATISCHES PRÄSENS ENDE!
Der Flug war ganz nett. In den dreizehn Stunden las ich ein wenig, guckte mir dann drei Filme an, las wieder, schlief und las wieder. In der letzten Stunde redete ich mit meinem Sitznachbarn über Nanjing, der auf mich aufmerksam geworden war, als ich meinen Entschluss für die Bratnudeln zum Frühstück mit deren chinesischen Bedeutung „chao mian“ kundgab. Es war ein nettes Gespräch in holprigem Englisch. Als wir landeten sah ich aus dem Fenster: „Looks like Hamburg“, sage ich zu meinem Sitznachbarn und wir beide lachen, denn tatsächlich ist der Blick auf die verregnete Rollbahn und den Wald dahinter kein großer Unterschied zu dem, was ich zuvor in Hamburg sah.
ACHTUNG! DRAMATISCHES PRÄSENS! Nachdem ich mit dem ausgefüllten Einreiseformular durch die Kontrolle bin hole ich meinen Koffer. „Muss ich Schokolade eigentlich verzollen?“, frage ich mich und entscheide mich dann für den richtigen Ausgang. Als ich auf ihn zuschreite wird mir langsam das Stimmengewirr dahinter bewusst. Die Tür öffnet sich und ich stehe vor einer ganzen Horde kreischender, chinesischer Teenagerinnen, die sobald ich erscheine ganz außer sich geraten. „Alle für mich?“ manifestiert sich kurz die Hoffnung, dass das vielleicht meine Schülerinnen sind, in meinem Kopf. Doch dann besinne ich mich wieder und suche Helene, die mich abholen wollte. Alles was ich über sie weiß ist, dass sie eine Chinesin ist. Tolle Aussichten. Also gehe ich und suche sie inmitten des kreischenden Teenagermeeres. Die hübschen Mädchen kichern und quietschen als ich ihnen näher komme und ich meine auch einzelne Worte, wie „ta shi tai piao liang“(=er ist so hübsch) und ähnliches zu hören, also schenke ich ihnen ein verlegenes Lächeln und der Geräuschpegel steigt weiter in die Höhe. Ich befinde schnell, dass dieses Land ein Gutes sein wird und äußerst fruchtbaren Boden besitzt. So in fröhlichen Gedanken vertieft sehe ich in am Ende einer Gasse ein Schild mit meinem Namen. Ich gehe zu Helene. Es ist schön sie endlich kennenzulernen. Wir begrüßen uns und fahren zu einem Hotel ganz in der Nähe meiner Einsatzstelle, wo ich ein Zimmer für zwei Nächte nehme und dann mein Gepäck in mein Zimmer in dem 19. Stock bringe, wo ich jetzt gerade sitze und schreibe.
Als ich wieder heruntergehe, geht Helene mit mir in eine Restaurant-Bar. Dort essen wir einen Borito. Meine anfängliche Euphorie weicht der Ernüchterung, als ich mit Helene über meine Tätigkeiten spreche. Fakt ist, dass keiner so recht weiß, was mit mir anzustellen ist und alle Tätigkeiten, die für mich eingeplant waren auf freiwilliger Basis der Studenten passieren. Also hänge ich mental in den Seilen, während ich in meinem Borito herumstochere und lenke das Gespräch in eine angenehmere Richtung: Ich frage sie nach ihrem Studium und ihrer Arbeit und erzähle ihr von der Schule und meiner Arbeit. Nach einem längeren Gespräch gehen wir gemeinsam los, um mir eine Chinesische Sim-Karte zu kaufen. Leider erkennt mein Handy keine Hanzi (Chinesische Schriftzeichen), also muss ich noch ein neues kaufen, das billigste für 289 Yuan. Danach gehen wir gemeinsam über den Kampus zurück zum Hotel. Morgen, so sagt mir Helene, wird sie mir helfen eine Wohnung zu suchen. Ich danke ihr für ihre Unterstützung und gehe auf mein Zimmer. Nach der wohl wohltuensten warmen Dusche meines Lebens lege ich mich um sieben ins Bett und schlafe tief und fest bis zum nächsten Morgen. Um neun werde ich Helene Treffen. DRAMATISCHES PRÄSENS ENDE!
Fortsetzung folgt