Später Nachtrag zum Winter…

Chengde: eine verlassene Geisterstadt, ein riesiges Freilichtmuseum für Sehenswürdigkeiten aus ganz China oder einfach nur die Abstellkammer eines verrückten Sammlers? Nach zwei Tagen konnten Johanna und ich uns immer noch nicht entscheiden, was mit dieser Stadt los ist. Berühmt ist sie für die Sommerresidenz der Mandschu-Kaiser und die Acht Äußeren Klöster. Ihretwegen sind auch wir gekommen.

Schon eine halbe Stunde, ehe wir planmäßig ankommen sollten, verschwanden die kleinen Dörfer mit ihren abgeernteten Maisfeldern und an ihre Stelle traten Hochhäuser. Aber nicht nur ein paar, sondern hunderte von ihnen. Unsere anfängliche Verwirrung – Chengde hat „nur“ 457 000 Einwohner – wich bald einem ungläubigen Staunen. All diese Hochhäuser, die hier aus dem Boden gestanzt wurden, standen entweder leer oder waren gerade in Bau. Wer zum Teufel soll hier alles wohnen???

Dieselbe Frage stellten wir eine Stunde später unserem Hostelvater und erfuhren, dass im Sommer mehr Leute hier wohnen würden. Gut, angesichts der Kälte hier – am Bahnhof empfingen uns mollige gefühlte -30°C (laut Thermometer wohl nur -15°) – erschien das logisch, aber so viele…?

Egal, der Hostelvater, der extra für uns geöffnet hatte, plante sofort unseren gesamten Aufenthalt von zwei Tagen, versorgte uns mit allen nötigen Busverbindungen und erklärte uns die Lage der Haltestellen („Also, ihr geht rechts um die Ecke und hinter der Bank seht ihr dann ein paar Leute am Straßenrand stehen, da ist die Haltestelle…“). Danach schlüpften wir mit dicken Wollpullovern und –Socken schnell unter unsere zwei Decken und rückten den Heizstrahler so nah wie möglich ans Bett.

In den nächsten zwei Tagen besichtigten wir zunächst die „Bishu Shanzhuang“, die Sommerresidenz. Das ist eine Palastanlage mit riesigen, parkähnlichen Gärten, die Elemente aus ganz China enthalten. So gibt es eine Seenlandschaft (zu unserem Besuch ganz und gar zugefroren), die dem südchinesischen Hangzhou nachempfunden ist, aber auch mongolische Steppen, in denen die kaiserlichen Bewohner jagen gehen konnten.

Von den Klöstern besuchten wir das Kloster Puning mit einer gigantischen, 22m hohen Guanyinstatue (buddhistische Göttin des Mitgefühlts) und das Tempelkloster Putuo-Zhongchen, eine Nachbildung des Potalapalastes in Lhasa. Den baute irgendein Kaiser, damit sich die Abgesandten aus Tibet wohler fühlten.

Zum Abschluss kletterten wir noch zum Kröten- und Knüppelfelsen hinauf. Nach einem kleinen, erfolglosen Disput mit dem Ticketverkäufer – nicht das jemand auf die Idee kommt, sich einzubilden, man käme irgendwo umsonst hin! – machten wir uns mit Picknick im Rucksack auf den Weg den Berg hinauf. Die zwei Stunden, die uns vorhergesagt wurden, kamen uns zuerst übertrieben vor. Nach einer Weile mussten wir aber feststellen, dass das gar nicht so weit hergeholt war. Der Grund: Nach jeder Biegung blieben wir beide gleichzeitig stehen, um zweimal dasselbe Foto zu schießen – dieser Fels musste einfach aus jedem Blickwinkel fotographiert werden! Nur kam er irgendwie nicht näher… Schließlich angekommen war ich schlichtweg beeindruckt. Ein schmaler Felssteg führt auf den abstrus geformten Felsen zu, links und rechts ragt der Abgrund, nur durch eine kniehohe Kette und eine rote Linie vom Wanderer begrenzt. Wir hatten ein wundervolles Picknick ganz allein mit diesem seltsamen Stein und einer wunderbaren Aussicht auf die Berge mit weiteren bizarren Felsformationen – und natürlich die Hochhauswälder, größtenteils noch im Bau. Einfach herrlich!

Chengde hat mir wirklich gut gefallen! Kaum Touristen, eine Stadt mit einer Fülle von Sehenswürdigkeiten, die erobert werden wollen. Einziger Makel an unserem Aufenthalt hier: ein kleines Restaurant, in dem wir am ersten Tag gegessen hatten und aus dem wir beide mit sehr flauen Magen herausgingen. Ich weiß bis heute nicht, was uns geritten hat, in diese mit Sicherheit versiffteste Abstiege von ganz Chengde auch nur reinzugehen…

Es folgte noch eine durchwachte Nacht auf Bahnhof (wo wir gegen 24 Uhr rausgeschmissen wurden), bei McDonalds und auf unseren Höckerchen im Zug. Abfahrt 4 Uhr morgens, Ankunft 11 Uhr, Stehplatz!  Wenn wir keine Helden im Ticket erstehen sind…