Fahrradfahren in Shanghai…

Du möchtest einen actionreichen Abenteuerurlaub mit viel Spannung und Nervenkitzel erleben???

Kein Problem!!! Langes Suchen im Internet, in Reisebroschüren oder im Reisebüro kannst du dir alles sparen! Buche einfach einen Flug nach Shanghai, kaufe dir ein Fahrrad und radel damit zu den Stoßzeiten durch die Stadt: Nervenkitzel allerhöchster Stufe ist garantiert – ein sicheres Ankommen allerdings nicht.

Schon der Kauf des Fahrrades war ein Erlebnis für sich: Xiuxiu, eine Deutschlehrerin, hatte für mich im Internet ein gebrauchtes Rad gefunden, dessen Besitzer nun an einem Dienstagabend mit dem Rad zu uns kommen wollte. Um halb neun lief ich also über den dunklen Bürgersteig ein paar 100 Meter und traf dann auf Xiuxiu. Die erklärte mir mit dem Handy am Ohr: „Er ist schon da.“ Ah, gut, wo? „Da, auf der anderen Straßenseite:“ Und tatsächlich, durch die vorbeirasenden Autos, Zweiräder und Menschen, die sich alle auf der Kreuzung drängten, konnte ich einen Mann mit Fahrrad ausmachen. Ganz darauf vorbereitet, dass mir dieser Typ etwas verkaufen wollte, war ich allerdings nicht. Wir standen nun, heile über die Straße gekommen, vor dem Mann auf dem Bürgersteig an der Ecke der riesigen Kreuzung und Xiuxiu ermunterte mich, dass Rad doch mal auszuprobieren. Jaa… wo genau, bitte? Ich fuhr zwei Meter auf dem Bürgersteig, stieg schnell wieder ab und meinte: „Ja, das geht, glaube ich.“ – „Gut, dann kannst du jetzt bezahlen.“ Und schon zählte ich dem Mann einen Meter von den vorbeirauschenden Autos das Geld in die Hand (der übrigens nicht mehr 10 Worte insgesamt gesagt hatte) und fünf Minuten später fuhr ich mit meinem neuem Fahrrad nach Hause. – Der Fahrradkauf der etwas anderen Art!!!

Dann, am nächsten Morgen lernte ich zum ersten Mal den chinesischen Verkehr richtig kennen. (Die Verkehrsteilnahme als Fußgänger zählt dagegen nicht.) Es gibt einen Extrafahrstreifen für Zweiräder. Den teilte ich mit unglaublichen Massen von Motorrädern, Mopeds, motorisierten Fahrrädern, Rennrädern, Klapprädern, Dreirädern – kurz, mit allem, was rollt und weniger als vier Räder hat. Das ist auch das einzige Detail, was diesen Fahrstreifen von einer Autobahn unterscheidet. Da wird links überholt, rechts überholt, zwischen zwei Gefährten überholt, gehupt und geklingelt, was das Zeug hält! Ohne Klingel kam ich mir sehr benachteiligt vor… Der Streifen ist teilweise weniger als 2m breit, aber das hält keinen Chinesen davon ab, in der dritten „Spur“ zu überholen. Oft genug meinen fette Motorräder, sich gerade dann an mir vorbeiquetschen zu müssen, wenn ich selbst am überholen bin. Da kommen dann die Kunstfahrer aus ihnen heraus, die links schon am Beton entlangkratzen, dich dafür aber um 5cm verfehlen. Also halte ich einfach krampfhaft den Lenker fest und versuche, so gerade und platzsparend wie möglich zu fahren. Platzsparend! Dieses ansonsten magische Wort in China haben auf der Straße anscheinend noch nicht alle mitbekommen – manche Radfahrer schleichen mit ihren verrosteten Drahteseln so exakt in der Mitte der Straße entlang, dass man nur den Kopf schütteln kann. Bis das nächste Motorrad sich laut hupend Platz verschafft (oder auch nicht) und vorbeisaust!

Kurz: als ich nach ca. 30 Minuten in der Schule ankam, war ich dermaßen fertig – aber nicht nur körperlich sondern geistig! So sehr musste ich mich noch nie beim Fahrradfahren konzentrieren! Ich bin mir ja ehrlich gesagt ziemlich sicher, dass hier in Shanghai jeden morgen ein Radrennen stattfindet, von dem ich bisher noch nichts weiß. Wahrscheinlich stellen die Chinesen ihre Zeiten dann irgendwo online und vergleichen, wer am schnellsten war, wer die meisten Leute überholt hat, wer am längsten ununterbrochen hupen kann, wie viele Räder nebeneinander auf einen 2m breiten Fahrstreifen passen und und und!

Wer also ebenfalls vorhat, sich hier in China in den Verkehr zu wagen, sollte nicht vergessen, seinen Schutzengel mitzunehmen! Und am besten nicht nur einen, sondern mindestens drei!!!