Mit Einbruch der Dunkelheit wurde es merklich kühler. Um diese Uhrzeit, so war jedenfalls der Plan gewesen, wären wir schon längst zurück in Pécs gewesen. Aber es war nicht nach Plan gelaufen. Deswegen habe ich jetzt auch eine Geschichte zu erzählen. Die Geschichte davon, wie zwei deutsche Freiwillige aus Pécs eine Nacht in Kaposvár verbrachten.
Um uns warm zu halten, holten wir die Handtücher aus den Rucksäcken und hüllten uns mit ihnen ein. Auch das Herumlaufen in der fremden Stadt hielt uns warm. Aber es war mitten in der Nacht und wir waren erschöpft vom Tag. So ließen wir uns auf einer Bank in der Innenstadt nieder. Die ganze Fußgängerzone war noch beleuchtet, hin und wieder wankten betrunkene Jugendliche vorbei, herumalbernd. Ein paar Obdachlose waren ebenfalls noch auf den Beinen. So saßen wir da und warteten auf einen neuen Morgen. Und auf den nächsten Bus.
Dabei hatte der Tag ganz anders angefangen: Ein Samstag mitten im Juni in Ungarn. Sonnenschein, wolkenloser Himmel, Hitze. Perfektes Wetter für einen Ausflug an den großen See. Wir nahmen den Bus von Pécs nach Balatonboglár, ein kleines Wein- und Touristenörtchen am Südostufer des Balatons. Wir, das waren Kerstin, eine Europäische Freiwillige, und ich.
Angekommen in Balatonboglár erkundeten wir zunächst das Örtchen, erstiegen einen Hügel, von dem aus es eine wunderbare, leider etwas durch Bäume eingeschränkte, Aussicht über den See gab. Danach machten wir uns auf den Weg zum Ufer und auf einer großen Wiese ließen wir uns im Schatten einer Linde nieder. Essen, schlafen, reden, lesen, schwimmen. Wobei von „schwimmen“ eher weniger die Rede sein kann, denn das Wasser war dafür einfach zu flach. Auch nach hundert Metern reichte es nur bis zum Oberschenkel. Dafür war es sehr sauber und klar und der Sand am Boden unglaublich weich.
Am Spätnachmittag suchten wir eine Pizzeria auf, um gut gesättigt die Rückreise anzutreten. An der Bushaltestelle am Bahnhof war wenig los. Wir ließen uns auf einer Bank nieder, auf der falschen Straßenseite, planten aber, noch früh genug hinüber zu gehen. Ich vertiefte mich in ein Buch.
Um zehn nach sechs rauschte plötzliche ein Bus auf der anderen Straßenseite vorbei. Unser Bus. „Scheiß Busfahrer!“ Er war drei Minuten zu früh! Und das war der letzte Bus an diesem Tag nach Pécs gewesen.
Da wir ja sowieso am Bahnhof standen, begaben wir uns als erstes an den dortigen Fahrkartenschalter. Wir erhielten die Auskunft, dass es an diesem Tag auch keine Zugverbindung mehr nach Pécs gäbe. Nach Kaposvár, eine knapp 68.000-Einwohner-Stadt auf halbem Weg, könnten wir noch erreichen. Also kauften wir Tickets dorthin, besser als in Balatonboglár zu versauern. Es war ja noch früher Abend, sagten wir uns, irgendwas würde sich schon noch ergeben.
Wir waren eigentlich ziemlich gut gelaunt auf der Zugfahrt. Es duftete alles ein bisschen nach Abenteuer. Am Bahnhof in Balatonboglár hatte man uns nicht darüber informiert, dass wir umsteigen müssten. Deswegen fuhren wir erst einige Stationen zu weit. Aber der Schaffner klärte uns dann auf, dass wir zurück nach Fonyód fahren müssten, um von dort aus den Zug nach Kaposvár zu nehmen. So waren wir wohl länger unterwegs als nötig und kamen im besagten K. erst um Viertel vor zehn (abends) an. Wenig zuversichtlich begaben wir uns dort gleich zum Busbahnhof, erfuhren aber, wie erwartet, dass der nächste Bus nach Pécs erst am nächsten Morgen fahren würde, um Viertel vor sechs. Noch acht Stunden…
Eine Weile versuchten wir es mit Trampen. Aber keine von uns hatte wirklich Erfahrungen damit und dementsprechend war auch der Erfolg. 😉 Als es uns draußen zu kühl wurde begaben wir uns bis Ladenschluss (vierundzwanzig Uhr) in eine Filiale einer bekannten Fastfoodkette. Nach Ladenschluss zogen wir weiter in einen nahegelegenen großen riesigen Supermarkt, ohne Ladenschluss. Dort verbrachten wir gut eine Stunde, kauften noch ein paar Kleinigkeiten und begaben uns dann aber in die Innenstadt.
Da saßen wir nun, wie gesagt. Gehüllt in Handtücher. Wir liefen auch nochmal zurück zum Busbahnhof und setzten uns dort auf eine Bank. Wir blieben allerdings nicht unbemerkt. Ein Obdachoser setzte sich neben uns. Textetet uns zu und rückte immer näher. Wir standen auf, gingen um eine Ecke. Wenig später hörten wir Schritte. Der Typ war uns gefolgt, aber hielt sich im Schatten. Das war uns doch etwas unheimlich und so rannten wir zurück in die Innenstadt.
Die Zeit verging. Stunde um Stunde. Mir kommt es im Nachhinein alles etwas unwirklich vor, obwohl ich mich noch ziemlich gut erinnern kann. Gegen halb vier begaben wir uns zu einer Tankstelle. Dort tranken wir Kakao, wärmten uns auf. Als es heller wurde gingen wir wieder hinaus, mit der Sonne kam auch wieder die Wärme. Am Busbahnhof erreichten wir pünktlich unseren Bus und fuhren erleichtert zurück nach Pécs. Den halben Sonntag habe ich dann erstmal verschlafen, zufrieden in meinem Bett.