Offizielle Ankunftszeit: Zwanziguhrachtundvierzig. Aber der Zug hatte eine Viertelstunde Verspätung, nicht der Rede wert. In jedem Fall war die Sonne längst untergegangen, als ich, mit einem Schritt vom Treppchen auf den Bahnsteig, mit meinen Füßen die noch unbekannte Stadt, den unbekannten Boden begrüßte. Die ersten Schritte waren zielstrebig, freudig über das Ende der langen Reise. Aber aus dem Bahnhof hinaus, stellten sich schon die ersten Herausforderungen: Nein, zu Fuß zum Hostel gehen würde ich nicht, obwohl ich mir eine Wegbeschreibung aufgeschrieben hatte, zu unbekannt die Stadt, dann noch im Dunkeln, hilflose, orientierungslose Touristin, alleine. Nein, ich würde mit der Straßenbahn fahren, hatte ich mir ja ebenfalls notiert, als Alternative. Also mit der Nr. 2, vier Stationen. In welche Richtung denn? Das hatte ich mir nicht aufgeschrieben. Erst auf den einen Plan, dann auf den anderen geschaut, zum Glück in lateinischen Buchstaben geschrieben, sogar auf Englisch. Dann wieder zurück, hier geht’s in die richtige Richtung, glaub ich. Fühlte mich beobachtet, so bepackt mit Rucksack, suchender Blick, bloß nicht Blicke treffen lassen, will nicht angesprochen werden. Wartend. Nach einer kleinen Weile kommt die Nr. 2, ich steige hinten ein, setze mich. Wir fahren. Ich zähle. Die Stationen. Verzähle mich, wie ich später herausfinde und fahre eine Station zu weit. Ein Stück in diese Richtung gelaufen, hin und her. Ich muss wohl tatsächlich zu weit gefahren sein. Gut, dann eben wieder in die Straßenbahn, eine Station zurück. Und plötzlich ist alles ganz einfach zu finden. Im Hostel werde ich herzlich aufgenommen und kann endlich meinen Rucksack absetzen und mich ausruhen.
Meine Reise begann am Donnerstag, 5.4.2012, in Pécs. Ich nahm den Zug um 9:14 nach Budapest, eigentlich die falsche Himmelsrichtung, aber in Ungarn führen sehr viele Wege über Budapest. In der Hauptstadt stieg ich dann um, in den Zug nach Belgrad. Ja, die serbische Hauptstadt war mein Ziel für die „Osterferien“. Die Ankunft am Abend habe ich ja bereits eingehend beschrieben (siehe oben), also möchte ich dazu keine weiteren Worte verlieren und nun von den folgenden Tagen erzählen.
Ich hatte mir nichts Konkretes vorgenommen und bin am Freitagvormittag einfach drauf los gelaufen. Leider war der Himmel bewölkt und hin und wieder ließen die Wolken der Bewölkung Nieselregen nieder regnen. (Ich hoffe das phonetische Kunstwerk ist euch nicht entgangen!) Fast den ganzen Tag war ich unterwegs, habe viel gesehen und auch viel fotografiert. Wobei ich mich zunächst erst nicht so richtig getraut habe die Kamera zu zücken. Irgendwie ist mir das unangenehm als Touristin erkannt zu werden, jedenfalls oder besonders, wenn ich alleine unterwegs bin. Erst am späten Nachmittag kehrte ich zurück ins Hostel und lernte dort gleich ein paar der anderen Gäste und meiner Zimmerkollegen kennen. Ich habe mich dort sehr wohl gefühlt! Deswegen mache ich mal ein bisschen Werbung: Hedonist Hostel Belgrad, direkt in der Innenstadt! 🙂 Als es schon dämmerte begab ich mich nocheinmal nach draußen, für einen kleinen Spaziergang und außerdem wollte ich ein paar Lebensmittel besorgen. Ich habe ein bisschen mit meiner Kamera herumprobiert, die Nachtfotografiereinstellung und war sehr erfreut über die Ergebnisse. Der Nieselregen kam dann gerade recht und verlieh den Fotos das gewisse Etwas.
Auch am Samstag bewegte ich mich wieder zu Fuß durch Belgrad, dieses Mal aber zielsicherer. Am Nachmittag besuchte ich die Festung, die an der Donau gelegen ist. Ein wahrlich riesige Anlage, ich habe bestimmt nicht alles gesehen. Wirklich schön, vor allem, weil gerade alles am Grünen und teilweise schon am Blühen war.
Am Sonntagvormittag ging es dann schon wieder zurück zum Bahnhof und in den Zug nach Budapest. Um Neunzehnuhrsechsundfünfzig fuhr mein Anschlusszug weiter nach Pécs. Und da gibt es noch eine Geschichte… Aber hier zunächst mal die ganzen Fotos aus Belgrad:
Ich hatte einen Fensterplatz innerhalb so eines Vierersitzkonstrukts mit Tisch in der Mitte. Ein untersetzter älterer Mann setzte sich auf den Gangplatz, schräg gegenüber von mir. Die Gesamtsituation war irgendwie unglaublich skurril und glaubt es oder nicht, ich notierte. Auf einem Zettel und als SMS-Entwurf, wie der Mann aussah, was er tat, was er sagte. Völlig wertfrei, einfach, weil ich das Gefühl hatte, dass es eine interessante Geschichte ist. Ich hatte sonst auch nichts zu tun. Also:
Halbglatze. Etwas dunklere Hautfarbe. Schwarze, leicht abgetragene Lederschuhe, rund, Lochmuster. Metallene Armbanduhr, aber kein protziges Modell. Nickelbrille. Schwarzes Cappy. Dunkelbraunes Jacket, bereits oft getragen. Darunter ein kurzärmeliges weißes Hemd, spannt über dem Bauch. Weißblaukarierte Kravatte. Hosenträger. Ein kleiner schwarzer Koffer, wie ihn Geschäftsreisende mit sich führen (Spekulation).
Inhalt der folgenden Telefonate hatte ich nur stichpunktartig notiert, sie werden also nicht im Wortlaut wieder gegeben.
Erstes Telefonat: „… ja ich wollte mich entschuldigen wegen gestern Abend … eine bodenlose Frechheit war das ….“
Zweites Telefonat: „… ich bin jetzt im Zug nach Pécs, kannst du mich auf meine ungarische Nummer zurückrufen? …“
Nummer zwei ruft zurück: “ … ja, ich fahre heute Abend noch nach Pécs. … Zahnarzt … eigentlich wollte ich erst morgen … aber meinte, warum nicht noch heute … Flug mit Swissair … was ich dich noch fragen wollte … nein, ich will dich nicht ärgern, obwohl du mich ärgerst … […] … Tschau.“
Ich halte fest: Dieser Mann, der Deutsch spricht, aber, wie ich herauszuhören meine, kein Muttersprachler ist, fährt nach Pécs, um dort einen Zahnarzt aufzusuchen. Bei der Fahrkartenkontrolle stellte sich heraus, dass er zum Einen kein Ungar ist (aber ein wenig mehr Ungarisch spricht als ich) und zum Anderen, dass er einen deutschen Pass hat. Irgendwas war in der letzten Abend passiert, wofür er sich bei irgendjemandem (ich nehme an bei einer Frau) entschuldigt hat. Er plant irgendwelche Reisen (Geschäftsreisen?). Mit der Person vom zweiten Telefonat, die, die dann zurüclgerufen hat, scheint er ein recht persönliches Verhältnis zu haben (Verwandter?), Sticheleien.
Er liest die „BILD am Sonntag“. Er streicht sich gelegentlich über Haar, Stirn, Schläfe und Bart. Er löst das Kreuzworträtsel. Dann spielt er auf dem Handy rum. Probiert er die Klingeltöne durch? Jedenfalls klingt es so.
Drittes Telefonat: „Szia Gábor … indulok most Szentlörinc …“
Am Bahnhof in Pécs beobachte ich nur noch, wie er von einem etwas jüngeren Mann (vermutlich Gábor) empfangen wird.
Ich gehe. Nach Hause. Durch die sonntagabendlich ausgestorbene Innenstadt.
Liebe Carmina,
wie spannend du schreibst ich mag gar nicht aufhören zu lesen und finde es immer schade wenn deine Artikel zu ende sind.Hmmmm……..
Und dann gefällt mir deine Art Fotos zu machen sehr!!!
Schön das du dich dann doch noch getraust (auch wenn du alleine unterwegs bist) zu fotografieren.
Deine Mutter
Danke, dass du uns mitnimmst!
Ich bin neidisch über jedes grüne Blatt, was ich auf den Fotos ausmachen konnte…
Ich wünsche dir einen schönen Frühling aus dem recht winterlichen St. Petersburg!