az utazás / die Reise

Mit dem Nachtzug nach Budapest

Meine Reise nach Ungarn begann am Samstag, den 17. September, um 17:31 Uhr am Bahnhof in Gifhorn. Über die Fahrt von dort aus nach Hannover und weiter nach München werde ich gar nicht weit ausholen, denn der spannende Teil meiner Reise beginnt zweifelsohne erst mit der Nachtzugfahrt nach Budapest.

Ich bin schon ein paar Mal über Nacht im Zug unterwegs gewesen. Es war immer anders. Als ich die kleinen Schlafabteile in dem EuroCity sah, der mich von München nach Budapest bringen sollte, war ich zunächst ein bisschen bestürzt. Es gab in der Mitte einen vielleicht 50cm schmalen Gang, zu beiden Seiten ausklappbare „Betten“ (auch nicht breiter als 50cm), jeweils drei, übereinander. Ich hatte Glück eines der beiden oberen Betten erwischt zu haben, dort konnte man nämlich immerhin sitzen. Auf dem mittleren und unteren Bett war nur „Sitzliegen“ möglich. Unser Abteil war vollständig ausgebucht: Auf den unteren Betten eine ältere Deutsche und ein Knacker aus Österreich. Zwei koreanische Mädchen richteten sich in den mittleren Betten ein, auf dem einen oberen Bett war, wie gesagt,  ich und auf der anderen Seite noch ein anderer Deutscher. Die meisten von uns hatten mehr als ein Gepäckstück dabei und es wurde dementsprechend eng, zumal die Koffer zu dick waren, als dass sie unter die Betten gepasst hätten. Irgendwie wurde dann aber alles untergebracht, knapp unter dem Dach gab es noch ein weiteres Gepäckfach, das wir entdeckten, als wir das Licht anmachten. Jedenfalls war die Gepäckfrage nach einiger Zeit dann doch gelöst und es entstand die ein oder andere Unterhaltung.

Die beiden Koreanerinnen verteilten gleich zu Anfang koreanische Souvenirs, ein kleines Püppchen in traditioneller Tracht, verpackt in einem Umschlag, beschriftet mit E-Mail-Adresse und facebook-Kontaktdaten. Wirklich nette Geste, die der Österreicher erwiderte mit: „I’m sorry, I don’t have gifts for you, but I have plums from Strasbourg!“ und eine Brotdose mit Zwetschgen herumreichte. Er erzählte außerdem, dass er hin und wieder in China Berge besteige und erprobte seine Chinesisch-Kenntnisse an den Koreanerinnen, scheiterte.

Jedenfalls war es eine ulkige Runde. Da unsere Zugfahrt aber erst um 23:40 Uhr begonnen hatte, wurde dann doch bald geschlafen. Ein paar Stunden nur, denn um halb sechs hielten wir in Wien, dort stiegen vier aus meinem Abteil aus, übrig blieben ich und die andere deutsche Frau, die übrigens fließend Ungarisch sprechen konnte. Ich versuchte noch eine Weile weiter zu schlafen, aber gegen sieben Uhr stand ich dann auf und räumte meinen Kram zusammen. Nur noch zu zweit hatten wir viel Platz in dem Abteil. Die Betten wurden hochgeklappt und es entstanden zwei einander gegenüberliegende Sitzreihen.

Ich unterhielt mich mit der deutschen Frau und erfuhr, dass sie 60 Jahre alt ist und schon seit über 30 Jahr in Ungarn lebt, in einer Kleinstadt östlich von Budapest. Sie fahre seit ein paar Jahren aber regelmäßig für ein paar Monate nach Deutschland, um dort als Altenpflegerin zu arbeiten. Ja, bereits hier wurde ich damit konfrontiert, dass die Gehälter in Ungarn sehr tief sind und Geld im Ausland viel mehr und leichter verdient werden kann. Sie kommentierte aber auch die Landschaft und Stationen. Übrigens waren die Fahrkarten (und Reservierungen) am Vorabend eingesammelt wurden, was mich zunächst beunruhigte, aber kurz vor der jeweiligen Ankunft wurden sie wieder ausgeteilt. Ich musste in Budapest Kelenföld umsteigen, einem Vorort von Budapest. Das war mir bis kurz vor dem Aussteigen gar nicht so klar, aber zum Glück erfuhr ich es noch rechtzeitig (die Stationen wurden nicht angesagt!) von meiner Mitreisenden und sie half mir meine drei Gepäckstücke zur Tür zu bringen. Und dann betrat ich zum ersten Mal in meinem Leben ungarischen Boden.

Anderthalb Stunden Aufenthalt hatte ich dort in Kelenföld, deswegen setzte ich mich erstmal auf eine Treppe in der Nähe des Busbahnhofes und ließ all das Neue auf mich einwirken. Nach einiger Zeit wechselte ich auf eine Bank gegenüber des heruntergekommenen Bahnhofgebäudes, um Blick auf die Anzeigetafel für die abfahrenden Züge zu erhalten, ich wusste nämlich noch nicht von welchem Gleis aus mein nächster Zug nach Pécs fahren würde.

 Eine Begegnung:

Die Frau kam direkt auf mich zu, setzte sich neben mich auf die Bank. Sie hatte kurze Haare, wirkte ein bisschen verwahrlost, nicht schmuddelig, war möglicherweise um die vierzig Jahre alt, vielleicht älter. Ich saß da, mit meinem knallgrünen Koffer, meiner grünen Laptoptasche, meinem Wanderrucksack, den Mp3-Player in der Hand, Musik hörend, innerlich woanders. Sie wollte die Uhrzeit wissen, erst auf Ungarisch, dann gestisch auf ihr Handgelenk tippend, ich zeigte meine Handgelenke: keine Uhr. Ich meine mich zu erinnern, dass sie sogar das Wort „Uhrzeit“ erwähnte (vielleicht habe ich es mir aber auch nur eingebildet). Für einen Moment glaubte ich, sie wolle mich bestehlen, denn sie wurde immer ein- und aufdringlicher und bedeckte mit ihrer Jacke meine Tasche, während sie sich zu mir rüberbeugte. Instinktiv zog ich die Tasche weg. Erneut gestisch machte sie mir verständlich, dass sie nur etwas zum Aufschreiben haben wolle. Ich riss von meinem Schreibblock ein Blatt ab und reichte es ihr zusammen mit einem Kugelschreiber. „GYÓRBEÉN“. Keine Ahnung, was das Wort bedeutet (GoogleTranslate konnte mir eben auch nicht helfen). Jedenfalls wollte sie offenbar immer noch die Uhrzeit wissen. Letztlich zeigte ich ihr die kleine digitale Uhrzeitanzeige auf meinem Handydisplay. Sie bedankte sich mit einem Händedruck und einem Lächeln. Und blieb.

Erneut verlangte sie nach dem Papier: „LACI“. Mit Schulterzucken und verständnislosen Blicken versuchte ich ihr klar zu machen, dass Kommunikation mit mir nicht mehr möglich sei. Sie ließ nicht locker. In meiner Laptoptasche, gleich oben auf lag ein abgepacktes Schokocroissant, ich hatte es diesen Morgen zusammen mit einem Päckchen Orangensaft, welches ich bereits ausgetrunken hatte, vom Zugbegleiter als Frühstück erhalten. Ehrlich gesagt hatte ich auch gar nicht vor das Croissant zu essen, zu viel Chemie dadrin… Als die Frau nun mit begierigen Gesten nach dem Croissant verlangte, viel es mir nicht schwer dasselbe an sie zu verschenken. Sie küsste mir die Hand und wollte teilen. Ich lehnte ab. Einen Moment saßen wir noch nebeneinander, dann stand sie auf, verabschiedete sich und ich fühlte mich erlöst.

Kurze Zeit später wurde mein Zug auf der Anzeigetafel angezeigt und ich begab mich auf den entsprechenden Bahnsteig. Eigentlich hatte ich eine Platzreservierung, aber weil der Zug so gut wie leer war und ich meinen Waggon nicht auf Anhieb fand, setze ich mich einfach in ein leeres Abteil. Die folgenden zweieinhalb Stunden Zugfahrt waren recht ereignislos. Ich genoss die Ruhe, die Landschaft, die Freiheit.

Angekommen am Bahnhof in Pécs (Viertel vor Eins) musste ich nicht lange warten. Meine Mentorin Agnes erkannte mich und nahm mich in Empfang. Es war ein erleichterndes Gefühl wieder verstehen zu können und verstanden zu werden. Sie brachte mich gleich zu meinem neuen Zuhause, einer geräumigen Altbauwohnung, mitten in der Innenstadt. Ich lud mein Gepäck ab, Agnes hatte auch schon ein paar Lebensmittel für mich besorgt, die im Kühlschrank untergebracht wurden.

Dann stiegen wir wieder ins Auto und Agnes fuhr mich zu dem Haus, in dem sie seit etwas mehr als einem Monat zusammen mit ihrem Sohn wohnt. Pécs ist übrigens wunderschön an einem Berg gelegen und zu dem Haus ging es etwas den Hang hinauf. Mir gefällt die Stadt übrigens ausgesprochen gut! Bald werde ich auch Fotos veröffentlichen, es ist hier wirklich sehr hübsch (und sauber)! Bei Agnes benutzte ich kurz das Internet, um eine E-Mail an meine Eltern zu schicken und meinen facebook-Status zu aktualisieren. 😉 Dann gab es Mittagessen. Zur Vorspeise eine Suppe mit Bohnen, Tomaten und Zwiebeln (alles aus eigenem Anbau!). Ich hatte Agnes nicht informiert, dass ich Vegetarierin bin, sie hatte irgendwas mit Hühnchen vorbereitet, aber machte dann spontan noch zwei Spiegeleier für mich und röstete Kartoffelspalten in einer Pfanne. Es war köstlich! Zum Nachtisch gab es noch etwas Kuchen, den ich der Höflichkeit halber auch probierte. Anschließend zogen wir eine Stadtkarte von Pécs zu Rate und Agnes zeigte mir darauf ein paar Dinge. Der Weg von meiner Wohnung aus zur Schule ist sehr einfach und kurz (zu Fuß etwa 10-15 Minuten).

Gegen halb vier machten wir uns aber schon wieder auf in die Innenstadt. Auf dem Domplatz wurde an jenem Sonntag der „Deutsche Tag“ festlich begangen. Gruppen von Kindern und Jugendlichen (aus deutschsprachigen Kindergärten und Schulen in Pécs) traten dort in Trachtenkleidung auf, spielten Musik (Akkordeon und Bläser), sangen deutsche Volkslieder und führten traditionelle ungarndeutsche Tänze auf. Insgesamt ein für mich erstmal etwas befremdliches Geschehen. Trotzdem durchaus interessant. Ich lernte am gleichen Nachmittag auch bereits ein paar weitere Deutschlehrer des Leőwey Klára Gimnáziums kennen.

Nach dem Spektakel, um etwa sechs Uhr, war ich ziemlich erledigt, verabschiedete mich von Agnes und machte mich auf den Weg zu meiner Wohnung. Dort duschte ich (lauwarm bis kalt, das Wasserheizding habe ich nicht in Gang bekommen, jetzt funktioniert es aber!) und aß etwas von dem Brot und den Paprikas, die Agnes mir mitgebracht hatte. Zu meinem Missfallen hatte ich gestern nicht mehr die Möglichkeit ins Internet zu gehen. Aber ich war auch sowieso ziemlich kaputt, sodass ich ohne Probleme noch vor neun eingeschlafen bin und bis zum Weckerklingeln am nächsten Morgen durchgeschlafen habe.

Weitere Berichte folgen…

 

PS: Ich hatte den Artikel eigentlich schon fertig, musste aber beim Lesen feststellen, dass ich etwas völlig unerwähnt gelassen habe, was ich aber unbedingt erwähnt haben wollte: Das »kulturweit«-Vorbereitungsseminar am Werbellinsee. Das waren unbeschreiblich gute, ereignisreiche und unvergessliche zehn Tage! Ich bin sehr dankbar für all die Begegnungen und Erfahrungen, die ich in der Zeit machen konnte. Es war schon eine Welt für sich: Fast 200 einander fremde junge Menschen, auf einem Seminargelände irgendwo in Brandenburg, so unterschiedlich, aber mit ähnlichen Ängsten, Hoffnungen, Wünschen. Besonders vermisse ich natürlich die anderen Hasen aus meiner Hasenhöhle – ich hoffe, dass ich einige von euch noch in den nächsten paar Monaten mal wieder sehen werde (die MSOE-Hasen), ansonsten trifft der Großteil von uns ja auf dem Nachbereitungsseminar im September 2012 erneut auf einander! 🙂

Kurz auch noch zu den letzten paar Tagen zu Hause: Die sind viel zu schnell vergangen! Ich war froh endlich losziehen zu können, hätte aber noch (mindestens) einen Tag länger gebrauchen können, um mir mehr Gedanken beim Packen machen und mich ausführlicher verabschieden zu können. Es kam alles doch recht plötzlich und ich habe es noch nicht vollständig realisiert, dass mein Zuhause für das nächste Jahr nun wirklich in Pécs, Ungarn, sein wird.

Eure Carmina

Ein Gedanke zu “az utazás / die Reise

  1. Hey Carmina,
    das hört sich ja schon richtig erlebnisreich an!
    Das mit der Frau wäre mir wohl auch nicht ganz geheuer gewesen.
    Aber es freut mich zuhören, dass du schon nette Leute kennengelernt hast.
    Liebe Grüße,
    Annemarie

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