Es gibt viele Gründe die Wahlen sehr kritisch zu betrachten. Der umstrittenste Punkt ist sicherlich das“Kaufen” von Stimmen. Die letzte Regierung hat im Jahr vor der Neuwahl viele “Sozialpläne” auf den Weg gebracht und durchgesetzt, die die Armut bekämpfen sollen, und Häuser und Arbeit für alle versprechen. Das Problem ist, dass die Armen soviel Geld vom Staat bekommen, dass sie mehr dadurch mehr “verdienen”, als wenn sie regulär ihrer Qualifikation entsprechend arbeiten würden. Eigentlich wäre gegen Armutsbekämpfung nicht viel zusagen, wenn Argentinien ein gesunder Sozialstaat wäre (25% Inflation und in 2011 20 Milliarden US$ Kapitalabfluss), und damit den Argentiniern geholfen werden würde, allerdings sind ca. 50,3% der Villa-(Slum)bewohner Ausländer, hauptsächlich aus Paraguay, Bolivien und Peru, die alle vom Argentinischen Staat mitversorgt werden. Leider ist Argentinien kein Sozialstaat und schon gar nicht “gesund”. Argentinien rutscht von einer in die nächste Krise, hat mal wieder extrem mit der Inflation zu kämpfen und kann keine stabile Wirtschaft aufweisen. Ein kurzes Beispiel: 10% (Deutschland: 2,1%) der Argentinischen Wirtschaft (vom BIP) besteht aus Landwirtschaft, hauptsächlich wird Soja angebaut (44 Millionen Tonnen, drittgrößter Produzent Weltweit), und die Bauern werden kräftig subventioniert (5% des BIP fließt in Subventionen). Im letzten Jahr war ein sehr ertragreiches Jahr, die Preise wurden aber vorher hochgepokert und vom Staat festgesetzt, dann stellte sich raus, es sehr viel Soja gibt, auch in anderen Länder wie Brasilien und den USA und die haben aufgrund der guten Ernte günstiger verkauft. Also blieb Argentinien auf großen Mengen Soja sitzen oder musste es unter Preis verkaufen. Und da Argentinien sich so auf Soja festgelegt hat, kann ein solcher Fauxpas gleich das ganze Land auf die Probe stellen. Deshalb kann es sich Argentinien nicht leisten, sich in solchem Umfang der Armutsbekämpfung zu widmen, denn all das Geld für die Armen muss die relativ große Mittelschicht und kleine Oberschicht in Form von jährlich stark steigenden Steuern zahlen. Das wiederum fördert, dass mehr Kapital im Ausland gelagert wird und sogar in der Mittelschicht die Schwarzarbeit rutscht. Einen gesunden Mittelstand kann das Land so nicht aufbauen. Und noch heute, wie vor 100 Jahren sind die meisten Firmen und Investoren aus dem Ausland. Eine weitere höchst fragwürdige Maßnahme ist das neue Konzept der Regierung zur Müllentsorgung und Säuberung der Stadt: Es sollen 30.000 neue Müllcontainer in einem Jahr in der ganzen Stadt aufgestellt werden und man möchte die Cartoñeros (die Cartoñeros sind sehr arme Bewohner aus den Villas, die durch die Stadt ziehen und Pappe und Papier einsammeln) in das Entsorgungssystem einbinden. Wieder einmal ein sehr guter Ansatz, aber nicht zu ende geplant und gedacht. Die Cartoñeros arbeiten schwarz ohne Genehmigungen und ohne das sie ins Sozialsystem eingebunden sind. Nach den jetzigen Plänen der Regierung würde so die Schwarzarbeit von Seiten des Staates gefördert werden und die sowieso schon sehr hohe Rate der illegalen Arbeit würde weiter steigen.
Ein weiteres Problem vor dem Wahlkampf sind die Preisbegrenzungen für Lebensmittel. So sah man in Supermärkten vor der Wahl Tafeln mit maximal Preisen für Zucker, Mehl und andere Produkte. Fragwürdig ist, wie effektiv eine solche Reglung ist, denn natürlich würde kein Händler auf diese Einkünfte verzichten wollen, oder gar Verlust machen, deshalb werden im selben Moment einfach andere Produkte teurer. In Verbindung hierzu steht auch die sogenannte Industriesubstitution, die besagt, dass das Importvolumen genauso hoch sein muss wie das Exportvolumen, d.h. BMW muss zum Beispiel genau den gleichen Warenwert aus Argentinien exportieren, wie sie importieren. BMW hat Verträge zum Gas und Ölexport geschlossen. Alfa Romeo exportiert aber beispielsweise Olivenöl nach Italien, wo man sich schon fragen kann, wo der Verstand geblieben ist, Olivenöl über den Atlantik um die halbe Welt zuschippern. Als ob es in Italien kein Olivenöl geben würde. Durch solche Maßnahmen überlegt man sich natürlich gerade als kleinere Firma zweimal, ob der relativ kleine argentinische Markt wirklich so wichtig ist. Lancia ist zum Beispiel in Argentinien nicht vertreten. Und obwohl Alfa Romeo und Lancia zum Fiat Konzern gehören ist es so kompliziert am hiesigen Markt vertreten zu sein. Ein anderes Problem hat Apple. Es gibt keine iPhones und iPads in Argentinien, aber alle anderen Appleprodukte. Das liegt daran, dass es ein Gesetz gibt, das besagt, dass Produkte für die Teile oder die komplett in Argentinien produziert werden am Markt bevorzugt werden, oder im Falle des iPhones andere Produkte möglicherweise nicht vertrieben werden dürfen. Weiß der Geier, warum man iPods und MacBooks kaufen kann.
Überspitzt formuliert kann man von einer heranwachsenden Anarchie oder einer Ohnmacht der staatlichen Exekutive sprechen. Wobei die Judikative Regierungsfreundlich, wenn nicht Regierungstreu Recht spricht. Am deutlichsten sieht man es an der riesige Zahl von privaten Sicherheitsdiensten. Jeder der es sich leisten kann engagiert einen privaten Sicherheitsdienst oder zieht in eine Region, wo anstelle der Polizei ein Sicherheitsdienst patrouilliert. Man ruft auch im Falle eines Einbruchs den Sicherheitsdienst und nicht als erstes die Polizei, und oft habe ich den Satz gehört: “Man kann sich fragen, wer die größeren Verbrecher sind: Die Polizei oder die Kriminellen.” Nicht nur das sämtliche Polizeiinstitutionen (mit Ausnahme der militärisch organisierten Gendarmeria) und die Regierung (das Ehepaar Kirchner hat seit dem Amtsantritt von Nestor 2003 ihr Vermögen um 928% gesteigert) korrupt sind, sondern auch das oft überhaupt nicht gearbeitet wird, sondern Mate getrunken wird, lässt das Vertrauen der Bürger in die Polizei nicht unbedingt wachsen.
So sehr die Argentinier ihr Land lieben und patriotisch sind, genauso wenig ist das Vertrauen in die Politik und den Staat da. Und so sehr die Argentinier “tranquilo” (gelassen, entspannt, stressfrei) sind, so sehr sind viele aber auch angespannt, nervös und gestresst. Ich mache in der Bahn gerne eine Art “Sozialstudie”, da mir aufgefallen ist, wie viele Argentinier Nägelkauen. Das mag keine wissenschaftliche Studie sein, zu der ich auch keine Zahlen liefern könnte, aber mir fällt immer auf, dass extrem viele keine Nagelschere benutzen. Und das ist ein Indikator für Stress und Angespanntheit.
Da dies nicht meine Doktorarbeit werden soll, kann es sein, dass ich Quellen vergessen, oder falsch zugeordnet habe. Auch auf Zitate verbürge ich mich nicht. Außerdem ist es allein meine Erfahrung und persönliches Empfinden und spiegelt keine andere Meinung, schon gar nicht die von kulturweit, der Deutschen UNESCO-Kommission oder des Auswärtigen Amts wieder.
Quellen:
http://www.welt.de/politik/ausland/article13677893/Der-ueberragende-Sieg-einer-trauernden-Witwe.html
http://www.welt.de/politik/ausland/article13676227/Die-Argentinier-lieben-ihre-schwarze-Witwe.html
http://de.wikipedia.org/wiki/Sojabohne
http://de.wikipedia.org/wiki/Argentinien
http://de.wikipedia.org/wiki/Villa_Miseria
http://de.wikipedia.org/wiki/Villa_31
http://de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_informellen_Siedlungen_in_Buenos_Aires