Archiv für den Monat: September 2016

Die ersten Tage: Gedächtnis der Schmerzen Mariens, EU- Gipfel, erster Schultag

Draußen stürmt es schon seit Stunden. Die Tanne vor meinem Fenster wölbt sich bedrohlich nach links und rechts. Das Wetter ist umgeschlagen, ohne Vorankündigung über Nacht. Vorgestern lag ich noch bei über 30 Grad im Bikini am See und brutzelte in der Sonne. Der See ist von einem hohen Zaun und mehreren Grünflächen umgegeben, auch eine Joggingstrecke führt um ihn herum. Er liegt direkt an der Hauptverkehrsstraße die Stadt auswärts führt und ist von dort von Jedermann gut einsehbar, weshalb mir es erst einmal komisch erschien mich dort im Bikini zu sonnen. Als ich aber die meisten slowakischen Sonnenhungrigen ebenfalls in Bademode erspähte schien mir diese Sorge unbegründet. Von unserem „Nachbarn“ auf der Wiese wurden Marvin und ich auch so gleich neugierig beäugt und zu Salzstangen eingeladen. Dass ich höflich nur Eine nahm, empfand er wiederum als unhöflich.

Auf meinen ersten Arbeitstag hier musste ich länger warten als erwartet. Wie erwähnt war letzten Donnerstag Gedächtnis der Schmerzen Mariens , früher Maria Siebenschmerzen genannt und von Wikipedia wie folgt erklärt: „Der Gedenktag der Schmerzen Mariens folgt unmittelbar auf das Fest der Kreuzerhöhung am 14. September und steht zu ihm in innerer Beziehung. Wird an Kreuzerhöhung verehrend auf das Kreuz Jesu Christi als Siegeszeichen und Baum des Lebens geblickt, so wird am Tag darauf das Mitleiden Marias als Mutter und Verkörperung der Kirche und Vorbild für alle Glaubenden gepriesen“. Viele katholische Kirchen boten Gedenkgottesdienste an.

Zufällig traf ich meine Ansprechpartnerin Frau Warganova, welche die stellvertretende Schulleiterin der Základná skola materskou skolou Za kasárnou ist, in der Straßenbahn. Das ist meine Einsatzstelle und bedeutet Grundschule Za kasárnou. Za kasárnou ist auch der Straßenname und auf dem „s“ und auf dem „n“ müsst ihr euch noch bitte umgedrehte Zirkumflexe denken, die es aber leider auf meiner Tastatur nicht gibt 😛 Sie begrüßte mich herzlich und sagte mir, dass ich auch Freitag nicht arbeiten kommen müsste, weil alle Schulen geschlossen seien. Dieses wusste ich auch schon von Wolfgang und Marvin. Nach dem Brexit sollte der erste EU-Gipfel nach über 43 Jahren ohne Großbritanien stattfinden. Für ein kleineres Land wie die Slowakei mit nur 5,4 Millionen Einwohnern und für den slowakischen Ministerpräsidenten Robert Fico war dies ein großes, geschichtsträchtiges Ereignis. Die komplette Innenstadt wurde abgeriegelt. Alle Geschäfte, die in Bratislava eigentlich 7 Tage die Woche von früh Morgens bis spät Abends aufhaben, wurden geschlossen und der komplette Nahverkehr still gelegt. Frau Warganova riet mir zu Hause zu bleiben, die Regierung hätte dazu im Fernsehen und im Radio aufgerufen. Auch mein Vermieter Juraij rief mich extra an um mir zusagen, dass ich lieber zu Hause bleiben solle. Es hieß man hätte Angst vor einem Anschlag. Die Straßen hier bei mir in der Neustadt und auch in der Innenstadt waren tatsächlich fast Menschen leer. Viele Slowaken waren dem Aufruf der Regierung gefolgt und über das Wochenende weggefahren.

Nach dem ich ein entspanntes Wochenende verbracht habe, durfte ich am Montag dann endlich in die Schule. Idealerweise begann dieser erste Tag für mich auch erst um 11:30 Uhr. Das Schulgrundstück ist von einem relativ hohen Zaun umgeben. Es gibt ein großes Schulgebäude, welches für die ca. 800 Schüler jedoch zu klein ist, eine Turnhalle und eine Mensa, sowie einen großzügigen Pausenhof. Geht man durch die Eingangstür, kommt man in einen Vorraum, wo es mehrere Couchen gibt. Dort können z.B. Nachmittags die Eltern warten, wenn sie ihre Sprösslinge abholen. Weiter in die Schule hinein kommt man nur mit einem elektronischen Schlüssel. Genauso wie in den Korridor, wo sich die Büros der Schulleitung befinden. Es gibt auch auf dem gesamten Gelände und auf den Fluren, jedoch nicht in den Klassenzimmern, Kameras. Dies dient zur Sicherheit, erklärte mir Frau Warganova, schließlich sei die Schule in einer gut bewohnten Gegend mit viel Publikumsverkehr.

Als ich in dem Wohnhaus meines Vermieters war fiel mir gleich auf, dass jedes Stockwerk noch einmal extra mit Metallenen Gittertüren gesichert ist. In Marvins Wohnhaus gibt es einen Concierge und auch Kameras.

Wer sich jetzt denkt, die Slowakei sei unsicher, irrt. Sie ist grundsätzlich ein sicheres Reiseland. Das Auswärtige Amt weist jedoch auf die erhöhte Diebstahlgefahr bei PKW Reisen und Kleinkriminalität in Form von Taschendiebstählen, Wagen oder Hotelzimmer Einbrüchen hin.

In der Schule angekommen wurde ich erst einmal durch das Gebäude geführt und dem Schulleiter und den „Freunden der deutschen Sprache“, dieses steht über dem Kabinett der Lehrerinnen und Lehrer die Deutsch unterrichten, vorgestellt. Man freute sich sehr, dass ich da war und ich freute mich auch.  Danach habe ich ein noch nicht veröffentlichtes deutsch Lehrbuch im Hinblick auf Rechtschreibung und Grammatik korrigiert. Dazu bekam ich einen Kaffee und eine Packung Toffifee mit der Bitte „mich ganz wie zu Hause zu fühlen und sie doch bitte alle aufzuessen“. Letzteres schaffte ich leider nicht 😛 Mein erster Schultag endete dann mit einem Mittagessen in der Mensa. In der Slowakei muss der Arbeitgeber vom Gesetz her das Mittagessen seiner Mitarbeiter subventionieren. Ich esse hier, auf Grund meiner Freiwilligkeit, wahrscheinlich kostenlos. Wofür die Schulgelder ausgegeben werden entscheiden die Eltern, erklärte mir Frau Warganova. Aber diese „seien auf meiner Seite“ und man würde bestimmt den Eigenanteil am Schulessen, welcher für Schüler bei 1 Euro und für Lehrer bei 50 Cent liegt, übernehmen. Frau Warganova sagte mir, dass In der Schulkantine mehrere Langzeitarbeitslose arbeiten und dass es in der Slowakei kein Hartz 4 oder Arbeitslosengeld geben würde. Lediglich einen Zuschuss zum Lebensunterhalt, welcher so gering sei, dass man eigentlich nicht von ihm Leben könne. Diesen Zuschuss bekommen Langzeitarbeitslose auch nur, wenn sie dafür eine bestimmte Stundenanzahl im Monat, zum Beispiel in unserer Schulkantine, ableisten. Das Kantinenessen schmeckt wirklich gut. Es gibt strenge Angaben vom Staat für das Schulessen betreffend den Nährwertgehalt. Man legt großen Wert auf gesundes, salzarmes Essen für die Kinder. So gab es diese Woche: Reisfleisch, Kartoffeln mit paniertem slowakischen Käse, Szegediner Gulasch oder Fisch mit Schinken-Käse Kruste. Traditionell gibt es in der Slowakei IMMER eine Suppe vorweg und es gibt auch immer Obst oder Rohkost als „Nachtisch“.

Am 2. Schultag lernte ich dann die Kinder kennen, zumindest Einige von Ihnen. Ich und Frau Warganova, die ich in der ersten Woche begleitet habe, hatten in einer 2., einer 3. und einer 5. Klasse Unterricht. Die Grundschule geht hier bis zur 9. Klasse und in einer Klasse sind zwischen 20 und 26 Schüler. Zuerst half ich beim Hausaufgaben kontrollieren, dann musste mir Jeder Schüler ein deutsches Lied, welches sie vorher geübt hatten, einzeln vorsingen und ich sollte entscheiden, ob Er oder Sie es gut gemacht hat. Da es natürlich alle gut gemacht haben, bekam jedes Kind einen Stempel in sein Hausaufgaben Heft. Es gibt 4 verschiedene Stempel mit z.B. einem Tier oder einem Smiley und darunter steht: Super, Ausgezeichnet… Für 5 Stempel gibt es eine 1 und wenn man die Hausaufgaben nicht gemacht hat, wird ein Stempel wieder durchgestrichen. Das Notensystem entspricht dem Deutschen, außer das es hier keine 6 gibt. Ich war sehr überrascht wie motiviert viele Schüler hier im Deutsch Unterricht sind und wie gut Einige schon Deutsch sprechen können. Nach dem wir ein par Übungen im Deutschbuch gemacht haben, endete die Stunde mit einem Lieblingsspiel der Kinder: Der, Das, Die. Auf eine der 3 Tafelseiten wird jeweils „Der“, „Das“ oder „Die“ geschrieben und 3 Kinder werden ausgewählt und stellen sich vor die Tafel. Ich habe dann gelernte Wörter aus dem Unterricht gesagt, wie: Mäppchen, Radiergummi oder Buntstift und die Kinder mussten sich dann vor die Tafel stellen, wo sie den richtigen Artikel vermuteten. Lag ein Kind falsch, musste es sich setzten und ein Anderes kam dran. Wer zuletzt übrig bleibt hat gewonnen. Artikel zu benutzen fällt den Slowaken besonders schwer, denn in der slowakischen Sprache gibt es Keine. Den restlichen Tag wurde ich dann noch verschiedenen Schülern unterschiedlicher Klassen vorgestellt, welche begabt in der deutschen Sprache sind und sich im normalen Deutsch Unterricht langweilen. Mit Ihnen sitze ich dann in der Deutschstunde auf dem Flur und lese ein Buch oder spreche über Ihre Hobbies. So werden sie weiter gefördert und stören nicht den Unterricht.

Ankommen

Es ist Mittwoch letzter Woche, 6:30 Uhr. Ich bin am Bahnhof angekommen mit 2 Koffern, Laptoptasche, Beauty Case, einem großen Rucksack und schaue auf die Anzeigetafel um mein Gleis zu finden. Da ich mich mal wieder schwer entscheiden konnte und fast alles für wichtig erachtet habe, kann ich mein Gepäck kaum tragen und komme nur sehr langsam vorwärts. Auf dem Bahnsteig stelle ich fest, dass mein Zug nach Prag jetzt schon 20 Minuten Verspätung hat… ich aber in Prag auch nur 20 Minuten zum umsteigen habe. Also wende ich mich an eine Dame von der Deutschen Bahn, welche mir verspricht, dass ich den Anschlusszug bekommen würde. Aufgrund eines fehlenden Wagons wie es jetzt heißt, hat mein Zug aber fast 1 1/2 Stunden Verspätung, wie ich eine halbe Stunde später per Lautsprecher erfahre. Wieder am Schalter bucht man mich dann auf einen anderen Zug, da ich in Prag keinen Anschluss bekommen würde. Ich kann jetzt direkt nach Bratislava fahren, muss aber bis 9:10 Uhr am Bahnhof auf ihn warten. Naja, wenigstens ist es nicht kalt.

Dieser Zug kam dann auch mit nur 20 minütiger Verspätung. Da meine Sitzplatzreservierung für 4 Euro vom ersten Zug nicht mit umgebucht wurde, dauerte es etwas bis ich einen Sitzplatz fand. Auf dem Gang im Zug lief ein Mann in Arbeitskleidung hektisch auf und ab, und werkelte an verschiedenen Sachen herum. Im Laufe der Fahrt sprach er eine Zugbegleiterin an, warum diese ihn nicht kontrollieren würde, es könne ja Jeder in Bauarbeitermontur schwarz fahren. Beim ersten Halt in Dresden wurde über die Lautsprecher ein Bundespolizei Einsatz durchgesagt, ca. 20 Minuten später führten 8 Polizisten den „Bauarbeiter“, der misslaunig und aggressiv seinen Unmut über die Situation zum Ausdruck brachte, in Handschellen nach draußen.

Wir konnten weiter fahren. Nach knapp 9 Stunden Fahrt bin ich dann in Bratislava angekommen.

Wolfgang, ein deutscher Lehrer, welcher seit einem Monat in Bratislava wohnt und an der gleichen Schule wie ich unterrichtet, holte mich netterweise ab. Wir fuhren mit der Straßenbahn, diese ist das Hauptverkehrsmittel hier, in meine neue Heimat für 6 Monate gute 20 Minuten durch die Stadt Richtung Stadtrand. In Bratislava zahlt man die Straßenbahn Minutenweise: 30 Minuten kosten 90 Cent, 15 Minuten nur 70 Cent…                                  Wolfgang bestand darauf den Großteil meines Gepäcks zu schleppen und war beeindruckt, dass ich es geschafft habe so viele Sachen alleine nach Bratislava zu hieven. Der erste Eindruck war also erstmal positiv 😛 Ich wohne in der Neustadt, einem in den letzten 50 Jahren erbauten Stadtteil; Eine bunte Mischung aus Shopping Centren, modernen Loftwohnungen, Plattenbauten und Einfamilienhäusern. Nach guten 20 Minuten Fußweg über Schotter und älteren Asphalt fanden Wolfgang und ich das Haus, in dem sich die Wohnung befindet, in der ich ein Zimmer gebucht habe. Auf mein Klingeln reagierte Niemand. Ich rief J. an, den Slowaken der mir das Zimmer vermieten wollte. Er kann sehr gut deutsch und sagte mir, ich solle hinauf in seine Wohnung gehen er selber sei nicht da, aber es wäre Jemand da der mir alles erklären würde, da ich doch woanders unterkommen müsste. Obwohl er ein sehr netter Mann zu sein schien, ich kannte ihn ja nur vom telefonieren, war mir etwas mulmig und ich war froh Wolfgang bei mir zu haben, der sich bereit erklärte mit hinein zukommen. Oben wurden wir dann von zwei Bewohnern der Wohnung in Empfang genommen, einem Slowaken und einem deutschen Urlauber. Der slowakisch sprechende Mieter bot uns gleich ein Radler an, der deutsche Urlauber wollte lieber, dass wir von ihm ein Getränk nehmen und holte eine angefangene Wasserflasche aus dem Kühlschrank. Wir bedankten uns vielmals und nahmen das Bier. Die Beiden versuchten mir jetzt zu verklickern, dass mein Zimmer aus versehen doppelt  vermietet wurde und dass ich nicht in der Wohnung bleiben könne. Der deutsche Urlauber war sehr bemüht die Situation schnell zu regeln, touchierte des Öfteren meinen Arm oder meine Schulter und sagte, dass J. Ersatz gefunden hätte für mich, ein Zimmer in einer anderen Wohnung ganz in der Nähe und dass ich gleich dorthin abgeholt werden würde. Ich fühlte mich ein wenig bedrängt. Wolfgang bot mir darauf hin an, ich könne sehr gerne bei ihm eine Nacht schlafen, falls mir das nicht „koscher“ sei. Diese Möglichkeit nahm ich gerne an, welches dem deutschen Urlauber nicht gefiel. Er sagte scheinbar ein wenig beleidigt, ich müsse da jetzt mitmachen, ich dürfte die ganze Organisation jetzt nicht über den Haufen werfen… und verabschiedete sich dann mit den Worten, er wünsche mir viel Glück, aber das Ganze sei ihm zu viel.

Ich habe mich entschieden erst einmal abzuwarten. Eine halbe Stunde später kam eine nette, freundliche Frau, welche sich mir als Vermieterin meines neuen Zimmers vorstellte. Wir liefen dann zu meiner jetzigen Wohnung, auch dahin kam Wolfgang mit. Vielen lieben Dank dafür! Die Wohnung liegt ihm Dachgeschoss und hat alles was man braucht, gemütlich eingerichtet ist sie auch noch und ich fühlte mich direkt wohl.

Am nächsten Tag kam dann J., der wirklich ein sehr netter und fürsorglicher Mann ist und erklärte mir alle Bedingungen und Zahlungsmodalitäten, da er fließend deutsch spricht. Ich bedankte mich herzlich und war sehr erleichtert und froh, dass alles gut gegangen ist.

Am folgenden Tag war Staatsfeiertag in der Slowakei: Maria Siebenschmerzen. Marvin, ein anderer Freiwilliger und ich machten mit Wolfgang eine kleine Stadtführung, der sich schon erstaunlich gut auskennt für die kürze der Zeit. Den Rest des Tages verbrachten Marvin und ich am Kochajder See, einem Naherholungsgebiet ein par Straßen von unseren Wohnungen entfernt.