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Über Identität und das Deutschsein

Bevor ich mit fröhlichen Reiseberichten weitermache, wollte ich euch einen Artikel aus der Zeit empfehlen von der Autorin Tinga Horny, die in den 60er Jahren als Kind chinesischer Eltern von einer deutschen Familie adoptiert wurde. Sie hat gerade ein Buch über ihre Geschichte veröffentlicht: Die verschenkte Tochter, 2015, Bastei Lübbe Verlag, 189 Seiten, 8,99 Euro.

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Ihr Artikel spiegelt meine 21 Jahre in Deutschland als PoC so erstaunlich gut wieder, dass ich mir wahrscheinlich demnächst das Buch besorgen werde. So treffend hat noch niemand diesen Spagat-Zustand und dieses Gefühl der „Wurzellosigkeit“ ausformuliert wie Frau Horny. Auch ich bin in Deutschland aufgewachsen als Mensch mit Migrationshintergrund, der man auch diesen Migrationshintergrund ansehen konnte. Auch mein Deutschsein wurde stets hinterfragt. Zurück in Vietnam wurde ich als Ausländerin entlarvt. Das Erwachsenwerden war stets mit viel Leid, Selbstzweifeln und traumatischen Erlebnissen verbunden.

„Den Widerspruch zwischen Deutsch-Sein und Chinesisch-Aussehen konnte ich als Kind nicht begreifen. Niemand hielt mich für das, was ich war, und daran verzweifelte ich. Ich wollte doch nur dazugehören. Ich wurde ein zorniger Mensch.“

Witzigerweise habe ich als Reaktion auf diese Verwirrung genau wie die Autorin Sinologie studiert und ging daraufhin für ein Studium nach China.

„In Deutschland war ich für die meisten eine Ausländerin, aber wenn ich den Mund aufmachte, bestand kein Zweifel mehr daran, woher ich kam. In China wiederum nahmen sie selbstverständlich an, ich sei eine von ihnen, aber wenn ich Chinesisch sprach, dann war ich sofort als Ausländerin entlarvt. Ich gehörte also nirgends dazu, nur in China hat es mir nicht wehgetan, weil ich nicht erwartet habe, dazuzugehören. Ich war ja nur ein Gast.“

Ich habe mich stets gewundert, warum mich mein „Ausländerdasein“ in China nie gestört hatte. Und das ist die Antwort darauf. In diesem Land bin ich nur ein Gast, ich lebe hier nicht, ich verbinde meine Wurzeln nicht mit Land und Leute. Gleichzeitig werde ich aber nicht sofort als „Alien“ entlarvt, da ich in der Masse nicht auffalle. Es ist ein angenehmer ambivalenter Zustand, der vor allem nicht auf Dauer ist.

Ich sehe so viele Parallelen und bin froh, nicht alleine damit zu sein.

Ich bin einfach nur ich. Deutschsein ist für mich in erster Linie eine Geisteshaltung, eine Gemütsverfassung. Das Dritte Reich, die Auseinandersetzung mit dem Holocaust, aber auch die Vielfalt der europäischen Kunst und nicht zuletzt das Bayerische sind Facetten meiner Identität. Darauf bin ich weder stolz noch geniere ich mich dafür. Es ist nur so wie eben bei jedem Deutschen – ganz normal.

Auch wenn es ein steiniger Weg war (und immer noch ist), bin ich genauso wie die Autorin heute einfach nur ich –  und irgendwo auch stolz darauf.