Erlebnisse einer Zugfahrt

Schon oft habe ich erwähnt, dass Zugfahren hier besonders schön ist. Nur – warum eigentlich?

Man spürt einen Flair, den man wahrscheinlich nur begreifen kann, wenn man ihn erlebt hat. Deshalb möchte ich euch mitnehmen und versuchen dieses Gefühl zu beschreiben. Lasst euch entführen in ein Land, das in den Köpfen der meisten Menschen noch keinen Platz gefunden hat.

Die Fahrt geht nach Brest. Ich fahre mit dem Nachtzug, denn Vicky und ich wollen am nächsten Morgen weiterfahren in die Ukraine, nach Lwiw (auch als Lwow oder Lemberg bekannt). Ich bin schon oft Zug gefahren. Ich kann es kaum noch zählen und trotzdem bin ich jedes Mal ein bisschen aufgeregt, wenn ich einsteige. Wer wird mir gegenüber sitzen? Werden wir 10 Stunden schweigen? Werde ich die Person verstehen?

Dieses Mal setzt sich eine junge Frau zu mir in den Vierer. Sie sieht nett aus und fängt gleich an zu reden und sich über den Schnee zu beschweren, der dem Frühlingstag ein rasches Ende bereitet hat. Ich bin erleichtert, es scheint eine gute Fahrt zu werden. Nachdem die Schaffnerin die Fahrkarten eingesammelt und Bettwäsche ausgeteilt hat, bestellen wir beide Tee. Sie packt Schokoriegel aus und bietet mir einen an. Bei Tee und Schokolade aus Gomel finden wir raus, dass ich an der Schule arbeite, die sie besucht hat. Sie kennt sogar einige meiner Kolleginnen.  Ein paar deutsche Wörter kennt sie auch noch und wie viele Kinder in Gomel, war sie schon einmal in Deutschland. Das liegt daran, dass es deutsche Initiativen für Kinder aus dem Tschernobylgebiet gibt, mit denen viele Kinder im Sommer zu deutschen Gastfamilien fahren.

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Ihr fällt nur der Name der Stadt nicht mehr ein, in der sie war. Gemeinsam finden wir raus, dass sie Melle meint. Das nur, weil ich weiß, dass dort viele Kinder meiner Schule hinfahren.

Nach dem Tee packt Vika (wir haben uns mittlerweile vorgestellt) eine riesige Tüte Erdnüsse aus. Leider kann ich das Wort dafür nicht aussprechen (орехи – orjechi), was wir beide ziemlich witzig finden. Wir essen also Erdnüsse und machen uns über die Männer lustig, die uns umgeben: Einer zieht sich mitten im Wagen um, einer ist betrunken und möchte bei der Schaffnerin Zucker kaufen und einer läuft dreimal nach Vorne und holt sich heißes Wasser, bevor ihm einfällt, dass er noch Tee braucht.

Irgendwann macht die Schaffnerin das Licht aus, als wollte sie sagen: geht schlafen! Und nach einer Weile folgen wir dem. Die Nacht ist schon so kurz genug.

 

Ein kleiner Auszug aus meinen sonstigen Begegnungen im Zug:

Einmal hat mir jemand 20 Minuten vom Angeln gehen erzählt (ich hab leider das russische Wort dafür erst nach 10 Minuten verstanden, weil ich nicht kapiert habe, dass es wichtig ist). Einmal, wollte ein kleines Mädchen mir seine Kekse füttern. Einmal hat ein kleiner Junge mit mir „weralsersteswegschaut“ gespielt. Einmal hat ein Typ in Uniform mir einen Kaffee spendiert und als ich am nächsten Morgen aufgewacht bin, hatte er mir seine Nummer da gelassen. Einmal hat eine Frau mir von ihren Kindern erzählt, die jetzt in Deutschland leben. Einmal, als ich noch nichts verstanden habe, hat eine ältere Frau ununterbrochen geredet und ihre Kekse mit mir geteilt.

 

Die meisten Begegnungen, die macht man im Zug. Und hier erst habe ich den Spruch „der Weg ist das Ziel“ erst richtig verstanden. Mit so vielen tollen Menschen ist das allemal wahr.

 

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