Nicht Neuanfang

Ich habe viele Klassen gesehen in den ersten zwei Wochen – habe viele Namen gehört, Gesichter gesehen, Namen vergessen, Grüße erwidert, Worte gelernt und gelehrt.

Und ich habe Fragen beantwortet. Fragen, die sich wiederholt haben und mit denen ich gerechnet habe. So wie: „Hast du Geschwister?“ oder: „Was war dein Lieblingsfach?“. Fragen, die ich in den ersten Jahren Englischunterricht auch gestellt hätte.

Zwischen dieser ganzen grauen Masse an ähnlicher, sich wiederholender und doch berechtiger Neugier gab es ein paar glitzernde Momente, an die ich jetzt noch zurückdenke. Fragen, bei denen ich gestockt habe. Die nur einmal kamen. Bei denen ich überrascht war.

So etwas wie: „Warum möchtest du für ein Jahr von zu Hause weg?“

Eigentlich eine banale Frage. Und doch anders als alle anderen. Das erste Mal wurde ich nicht gefragt: „Warum möchtest du in ein anderes Land/ nach Belarus /nach Gomel.“ Auch diese Frage ist nicht leicht zu beantworten, aber das ist wenigstens etwas, über das ich schon nachgedacht habe.

Aber warum möchte ich von zu Hause weg? Möchte ich das überhaupt? Momentan frage ich mich eher manchmal, was der Sinn hinter der ganzen Aktion ist. Also warum ich Menschen verlasse, Energie aufwende um neue kennenzulernen um diese dann in einem Jahr wieder zu verlassen und mich dann noch einmal an eine neue Umgebung gewöhnen zu müssen. Warum tue ich mir den Schmerz des Verlassens gleich mehrmals an?

Über den Aspekt „Ich lasse etwas zurück, wenn ich etwas Neues anfange“ habe ich kaum nachgedacht, bevor ich hier hergekommen bin. Ich war gefesselt von den Neuanfangssorgen und der Euphorie des Ungewissen. Erst hier ist mir bewusst geworden, dass der Neuanfang gar nicht die eigentlich Herausforderung für mich ist. Der Alltag stellt sich irgendwie ein, Menschen lernt man irgendwie kennen und auch Freunde wird man finden.

Die Herausforderung ist das Zurücklassen in der Gewissheit sich ein Jahr nicht zu sehen. Das Schwierige ist die Einsamkeit am Anfang, die gar nicht unbedingt von fehlenden sozialen Kontakten kommt, sondern vor allem von dem Gedanken an ein bekanntes und schönes Leben weit weg.

Trotzdem kann ich sagen: Ja, ich möchte von zu Hause weg. Denn das Gefühl etwas Neues anzufangen ist schön. Die Euphorie und das Fiebern sind schön. Es ist schön, wenn das Neue alltäglich wird. Es ist schön ein paar mehr der Milliarden Menschen kennenzulernen, von denen man sowieso viel zu viele verpasst.

Und es ist schön zu wissen, dass man die Zurückgelassenen wieder sehen wird.

Ich weiß nicht mehr, was ich dem Kind auf diese Frage geantwortet habe. Es war mit Sicherheit keine gute Antwort.

Wie versprochen gibt es dieses Mal auch ein paar Bilder. Teils im Dunkeln, teils unscharf, mehr gibt es irgendwann.

Morgen geht es zum Botschaftsempfang anlässlich des Tag der deutschen Einheit nach Minsk. Ich freue mich darauf!