Hey,
jetzt, da ich einiges über meinen ersten Tag erzählt habe, will ich die ersten paar Wochen zusammenfassen.
Den ersten Monat habe ich bei Ludmilla verbracht. Eine warmherzige Frau, mit einem ebenso warmen Herd. Sie wollte, dass ich immer satt bin und hat für mich so viel gekocht. Manchmal hatte ich ein schlechtes Gewissen, weil ich nicht alles essen konnte was auf dem Tisch stand. Aber es war immer lecker. Ich habe sogar angefangen Paprikas zu essen. Wie vielleicht der ein oder andere weiß, habe ich diese immer abgelehnt und jetzt frage ich mich, wie ich 19 Jahre meines Lebens, ohne Paprikas ausgekommen bin. Ludmilla hatte bei sich daheim kein Internet, deswegen habe ich in den ersten Wochen auch nicht so viel schreiben können. Aber ich hole es nun nach.
Also… Die ersten zwei Wochen standen unter dem Motto: „Schüleraustausch mit dem Burggymnasium Altena“. Altena ist eine Partnerstadt von Pinsk und unter den Schüler ziemlich angesagt.
„Woher kommst du? Etwa aus Altena?“ oder „Meine Lieblingsstadt in Deutschland ist Altena.“
Solche oder ähnliche Sätze höre ich öfters. Doch dann muss ich offenbaren, dass ich aus einem kleinen Dorf nahe der tschechischen Grenze komme und die nächst größere Stadt, die sie vielleicht kennen, Dresden ist. (Mega cool, eine Schülerin hat mir erzählt, dass ihre Tante ihr 3 Städtereisen geschenkt hat: Berlin, Paris und Dresden)
Aber zurück zum Schüleraustausch. Das Thema war: „Zusammenwachsen gegen die Verachtung des Menschen.“ Sehr cool und sehr aktuell, wie ich finde. Doch blieben wir in der Vergangenheit. Die Schüler mussten viel über den zweiten Weltkrieg, oder wie er in Belarus heißt, den „Großen Vaterländischen Krieg“ recherchieren. Unter anderem waren wir dazu auch in Minsk und haben die Gedenkstätte „Maly Trostenez“ und das Museum des „Großen Vaterländischen Krieges“ besucht. Und wir hatten ein Zeitzeugengespräch mit Maja Krapina, die das Minsker Ghetto überlebt hat. Mein Herz für Geschichte ist übergelaufen in den Tagen. Das Beste war vor allem die Sichtweise. Im Geschichtsunterricht hat man ja auch immer über das dritte Reich und den zweiten Weltkrieg geredet und die Stimmung im Raum war negativ (bedrückt, verständnislos, gelangweilt, usw.). Ist ja auch verständlich, denn es gibt nichts zu feiern, wenn man den Krieg anzettelt, ihn dann auch noch verliert und im Unterricht immer wieder darauf eingegangen wird. Hier hat man das Ganze mal aus der Gewinner-Opfer-Perspektive sehen dürfen (Kommentar meines Vaters: „Endlich weißt du, wie der Geschichteunterricht bei uns ablief.“). Wir haben unzählige Blumenkränze vor Soldatendenkmälern niedergelegt und ich habe das erste Mal etwas von den Partisanen gehört. Das waren Leute, die im Untergrund die faschistischen Pläne manipulieren wollten, der Roten Armee wichtige Hinweise geliefert haben und auch gegen die Nazis gekämpft haben. Ich habe noch nie einen Soldaten, der im zweiten Weltkrieg gekämpft hat, meine Ehrerbietung entgegengebracht oder besser gesagt, entgegenbringen müssen. Es fühlte sich für mich sehr komisch an. Die einzige Person, der ich Ehrerbietung aus ganzem Herzen entgegenbringen konnte, war Maja Krapina. Das liegt wahrscheinlich daran, dass ich ihre Geschichte oder ihr Einzelschicksal kenne. Sie ist eine wahnsinnig starke Frau. Sie hat mit ansehen müssen, wie ihre Mutter und ihre Schwester am Galgen hingen. Eine ihrer Schwestern erstickte und ihr Großvater wurde erschossen. Und sie war noch ein Kind. Es ist einfach brutal und ich kann es nicht verstehen, wie man solche Grausamkeiten verantworten kann. Maja Krapina konnte jedoch mit ihrem Bruder fliehen und wurde von Partisanen aufgenommen. Sie hat überlebt, doch würde ich es nicht als Happy-End bezeichnen.
So viel dazu. Zusätzlich durfte ich in Minsk auch in den Geschmack des Lehrerdaseins auf Klassenfahrt kommen. Auch das wollte ich eigentlich nie erleben. Aber ich habe mich mit den deutschen Lehrerinnen angefreundet, was ziemlich toll war.
Am Mittwoch in dieser Woche waren wir dann auch noch in Brest und haben die Festung besucht. Ich habe leider bei der Führung weniger aufgepasst, weil ich einfach so mit der Landschaft beschäftigt war. Was mir jedoch in Erinnerung geblieben ist, war ein riesiger Stein, unter dem man hindurch laufen konnte. In dem Durchgang waren Lautsprecher installiert, durch die erst eine Ansage kam, dass der Krieg nun in Belarus angekommen sei und danach wurde ein Lied angestimmt. Ich habe es nicht verstanden. Aber die Melodie war so aufgebaut, dass sie „Vaterlandsgefühle“ und Heldenmut hervorrufen konnte. Feierlich und bedrückend zugleich.
Galina, meine Ansprechpartnerin meinte zu mir, dass so eine Woche mit vielen Ausflügen ein großes Geschenk für mich ist. Und das war es auch. Ich habe Minsk und Brest gesehen und ich habe einfach unglaublich viel gelernt. Aber es hat bei mir auch wieder die üblichen Fragen aufgeworfen: Wenn Menschen wissen, wie grausam der Krieg sein kann, warum führen sie ihn trotzdem? Ein Menschenleben lässt sich nicht mit dem Machtzuwachs eines anderen ersetzen. Das ist kein fairer Tausch. Und wie kann man Menschen, die offensichtlich genauso sind wie alle anderen auch, ausrotten wollen? An dieser Stelle muss ich wohl oder über meine Geschichtslehrerin aus der Oberstufe zitieren: „Mariana, du musst es nicht verstehen. Man kann es auch nicht verstehen. Versuch es lieber auch gar nicht.“





Ich hab gelacht, als ich gelesen habe, dass du jetzt doch tatsächlich ‚Heu‘ isst. Ohne Mist, ich habe Tränen gelacht!
Ansonsten ziemlich nachdenklich stimmender und guter Beitrag.