Endlich, endlich (!) neigt sich die Woche ihrem Ende.
Ah ja – willkommen im Jahr der Wasserschlange 2013 meine lieben Freunde. Ohne zu überteiben, es war einfach die schlimmste Woche, die ich bisher in Shanghai verbrachte. Wie war das dabei nochmal mit dem Neujahrsfest: Harmonie, Glück und Besinnlichkeit … ?
Liebe 23 Millionen Einwohner – Dunkelziffern miteingeschlossen , wo wart ihr?!
Tiiiiief durchatmen – Irgendwie verstehe ich meinen derzeitigen Zynismus ja selbst nicht recht.
Wenn man bedenkt, wie ich die nie endenen Menschenmassen an herkömmlichen Tagen verfluche, die sich in die Metrowaggons drängen, auch wenn du unter Luftknappheit quietschend und mit deinen Armen vertikal in der Luft rumruderst. Wortlos krallst du dich an die nächstbeste Person, bevor der schrille Warnton einsetzt. So gesehen sinnlos, denn es bleibt eh kein Freiraum zum umfallen und selbst wenn, wirst du zu dieser Jahreszeit von der Daunenjacke deines Stehnachbars sanft abgefedert. Wenn man jedoch über die Köpfe hinweg erspäht, wie stets jemand trotz der Hektik, des Stresses und dem Trubel seinen Platz einer schwangeren Frau oder einem älteren Menschen anbietet, wird man daran erinnert, einfach still zu sein – da niemand etwas an seiner Existenz und somit dem Menschenauflauf ändern kann.
Der Kampf ist nach dem Aussteigen – wenn du denn rauskommst – noch lange nicht vorbei. Die Metro kommt langsam zum Stillstand, man spürt die Spannung innerhalb des Waggons, von Angesicht zu Angesicht blicken sich die beiden Fronten durch die Glasscheibe an. Sobald die Tür sich automatisch öffnet, stürmen beide Seiten aufeinander zu, anstatt zu warten, bis die Leute aus dem Waggon vollständig ausgestiegen sind. Ist der Schritt nach draußen geschafft, geht es im Schneckentempo weiter zu den Rolltreppen. Hier gibt es zwei Optionen, entweder du nimmst die Treppen – die dich gähnend leer angrinsen oder du lässt dich von dem Schwarm mitziehen, weil du nicht die Kraft hast, gegen den Schwarm zu schwimmen. Im Metrotunnel suchst du hektisch die Ausgangsschranken und atmest erleichtert auf, wenn du aus dem Ausgang trittst und wieder frische (?) Luft schnappst.
Ja, und plötzlich steigst du vorletzten Freitag in eine leere Metro. Man muss sich das Wort mal auf der Zunge zergehen lassen:
Leer. Leer. L-e-e-r… Komisches Wort.
China ist im Ausnahmezustand, alle Preise wurden vor den Feiertagen nochmal kräftig angehoben. Von der Milchtüte bis hin zu den Taxigebühren. Ich hatte nämlich das Karma um 3 Uhr morgens (ein Tag vor Neujahr) ein Taxi aufzusuchen und wie das Schicksal es wollte, war für eine Viertel Stunde keines in Sicht. Als dann welche hielten, verlangte jeder Taxifahrer unverschämte 100 RMB (12,50 Euro) egal wie lang die Strecke auch sein mochte, mit der Begründung: ,,It’s Chinese New Year.“, doch im Grunde wussten sie über die Taxenknappheit Bescheid und nutzten das Dilemma aus. Zumindest fuhr mich ,,Shifu“ (chin. für Taxifahrer) zum nächstebesten ATM, weil ich kein Bargeld mehr hatte. Nett, nicht? …
Eine Aufbruchstimmung erahnte man bereits zwei Tage bevor Neujahr. Ganze Familien waren mit der U-Bahn unterwegs. Die Eltern stellten die bunten Gepäcktaschen neben sich ab, Jugendliche trugen Ruchsäcke und zogen ihre Trolleys hinter sich her, Kinder knabberten an ihren Süßigkeiten, während sie auf dem Schoß der Eltern hockten und hier und da in die Platiktüte an Mamas Handgelenk griffen und neugierig ihren Fang begutachten, bevor sie ihn sich in den Mund schoben.
Die Supermärkte waren in ihrer heißen Phase. Unter roten festlichen Dekorationen – nach der chinesischen Mythologie wurde nämlich ein Dorf durch rote Farbe, Lärm und Lampen von einem Jahresdämon befreit – werden unmengen an Lebensmitteln auf das Fließband geschüttelt. Zu meinem Glück kaufte ich (wahrscheinlich intuitiv) zwei Tage zuvor mehr als gewöhnlich Mikrowellen-Essen im „Family Mart“ und Obst im gegenüberliegenden Supermarkt ein. Denn zur Zeit des Neujahrsfestes, welches insgesamt 15 Tage – dieses Jahr vom 10.02. beginnend – überbrückt, hat man nicht die Möglichkeit essenstechnisch wählerisch zu sein.
Aufgrund des wirtschaftlichen Wachstums, wurden Millionen Chinesen aus vor allem naheliegenden Provinzen in den letzten Jahrzehnten nach Shanghai polarisiert. Viele machten sich hier selbstständig, eröffneten z.B. lokale Restaurants. Das Frühlings- ist neben dem Mondfest eines der wenigen Tage, wo die gesamte Familie zusammenkommt, sodass es für in China familienlose Personen wie mich in dieser Woche hieß: 再见 (Tschüss) Restaurantessen, da alle Geschäfte geschlossen blieben.
Am Vorabend des Neujahrstages lud mich Helen, die Sprachbereichsleiterin meiner Einsatzschule, zum traditionellen Festessen ein, was ich jedoch ablehnte, um das Neujahr gemeinsam mit familienlosen Freunden zu feiern, die nicht wie die meisten, entweder Nachhause oder in den Urlaub gefahren sind. Bereuen tue ich meine Entscheidung nicht, weil ich zum einen das Neujahrsessen bereits kenne, da meine Verwandten dies jedes Jahr in Deutschland mit den gleichen Bräuchen feierten und ich somit zum anderen höchstwahrscheinlich nur Heimweh bekäme, hätte ich es dieses Jahr mit Helens Familie verbracht.
Nichtsdestotrotz hatte ich mir über all die Jahre einige traditionelle Bräuche in Deutschland vor dem Neujahrsfest angewöhnt, die ich mir nicht nahm gerade in China ebenso zu praktizieren: im Grunde mit dem alten Jahr abzuschließen, alles zu erneuern um frisch ins neue Jahr zu starten, dazu gehören Tätigkeiten wie:
- Haare schneiden
- Haus putzen, um Raum für neues Glück zu schaffen
- neue Hausschuhe zu kaufen, die am ersten Tag des neuen Jahres getragen werden, damit alte Gerüchte abgestreift werden
- ein ausgiebiges Bad in Grapefruitschalen bringt Gesundheit für das kommende Jahr
Ebenso soll man:
- Fenster und Türen öffnen, sodass das Glück seinen Weg ins Haus findet
- Licht brennen lassen, somit werden alte Geister abgeschreckt und dem Glück sein Weg gewiesen
- süßes Essen zubereiten, was das neue Jahr „versüßt“ (unter Freunden schenkt man sich auch gerne Schokolade und Kekse, um damit seine Wünsche für das kommende Jahr auszudrücken)
Was dieses Jahr aufgrund der fehlenden Familienmitglieder ausfiel, war das verschenken von sogenannten „hongbao“. Dies sind rote Geldumschläge, die man gewöhnlicherweise von älteren Verwandten geschenkt bekommt. Dabei spielt der Geldbetrag eine wichtige Rolle und beginnt in China bei zwei Yuan (25cent).

Wobei mir gerade auffält, dass ich gar nicht als armer Schlucker endete, denn Robin (kulturweitler in Wuxi) überreichte uns jeweils bei seinem letzten Besuch vor wenigen Tage ein hongbao – ich bin reich! Ultimative 200-Fake-Yuan Scheine bergte der Umschlag, die gewöhnlich zum Gedenken der Ahnen verbrannt werden.
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Es war ein komisch bekanntes Gefühl mit Christina in der Neujahrsnacht den eisglatten Weg zum Krachen der Feuerwerkskörper entlangzuschlittern. Zum „westlichen“ Neujahr am 1.1. war es unheimlich still in Shanghai. Zwar wurde partymäßig nicht gegeizt und ich hatte zur damaligen Zeit auch nicht das Gefühl, es hätte etwas gefehlt. Das lag wahrscheinlich daran, dass ich in einer internationalen Blase gefangen bin – traurigerweise eher weniger etwas mit Lokalisten zutun habe und daher auch alles aus einer verzerrten Sichtweise erlebe.In der Nacht vom 9. zum 10. Februar realisierte ich, das ich das befangend prickelnde Gefühl leuchtendes und glitzerndes Feuerwerks vermisste. Ich weiß nicht wie es euch geht, doch ich bin wie gefesselt von solch einem Lichtspiel und könnte diesem unendlich lange zusehen. So machten wir es uns vor Eimans Balkon im 17. Stock bequem und schauten dem Lichtkunstwerk verklärt und sehnsüchtig zu – quasi Silvester reloaded.
„Was am ersten Tag des neuen Jahres passieren wird, reflektiert das kommende Jahr.“
Nun, am ersten Tag bestellten wir uns dreimal vom McDonald’s Lieferservice unser Essen (wir hatten ja keine Wahl – alle Lokale waren geschlossen und kochen wurde von uns anscheinend überbewertet) und schauten nebenher vier Filme – was heißt das nun für den Rest des kommenden Jahres?
Ah ja, ihr habt richtig gelesen, „McDonald’s-Lieferservice“ gibt es in Shanghai in der Tat. Allgemein hat die Fastfoodkette einen vergleichsweise guten Ruf in China, das Essen sei „hygienischer“, weil das Bratöl in regelmäßigen Abständen ausgetauscht wird. Bestellen tut man telefonisch (+864008517517) oder online. Bei der ersten Bestellung werden deine Kontaktinformationen koheränt zu der anrufenden Telefonnummer gespeichert, sodass bei weiteren Bestellungen die Angaben nur nochmal zum Abgleich heruntergeleiert werden und du bestätigst. Danach kannst du dir dein Fast-Food nach Lust und Laune aussuchen und das rund um die Uhr! Die Lieferzeit variiert zwischen 30 und 40 Minuten. Einmal warteten wir zwei Stunden – naja, wir hatten die Bestellung auch um vier Uhr morgens aufgegeben.
Nur erwacht Shanghai hoffentlich bald aus seinem Winterschlaf, denn (zu Recht) kaltschnäuzige und genervte McDonald’s Bestellungsaufnehmer können schon einschüchternd und angsteinflößend sein ;).






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Lien, ich kann gerade total verstehen, dass dich das gespenstische Shanghai stört. Die Uni bei mir ist total ausgestorben… Läden direkt neben der Uni sind geschlossen, die Essenstände auf der Straße sind weg und nur noche in Restauran hat auf… Ich freue mich auch schon auf das Ende des Winterschlafs!
Deinen Artikel finde ich sehr schön geschrieben! Und: das Foto von der leeren U-Bahn ist ein bisschen unheimlich 😉