Liebe LeserInnen – in der Tat habe ich einiges an Blogeinträgen nachzuholen. Fangen wir sogleich an – nicht wundern – auch wenn es schon Anfang Februar ist, von den skurillsten Weihnachtsgeschichten bekommen wir nie genug, nicht? ; )
„Julia! Where for god sake are you??!“. Mürrisch betätigt Eiman die rote Taste ihres Handys, da niemand abhob.
Eiman ist eine sehr gut gewonnene Freundin, getroffen haben wir uns in der Schulmensa, da sie an meiner Schule als Englischlehrerin arbeitet.
Nachdem wir für Wochen schweigend am selben Tisch zu Mittag speisten, fasste ich eines Tages doch noch den Mut sie anzusprechen, denn zu der Zeit war ich wegen meiner schwachen Stimme gehemmt diesen Schritt zu wagen. Später stellte sich heraus, dass sie mich nie angesprochen hatte, weil sie dachte, ich sei die ausländische, nicht englischsprechende, Japanischlehrerin.
Still hocken wir geknickt am Esstisch, starren auf das penibel servierte Essen und versuchen angestrengt ein Gesprächsthema anzustoßen, was nach einem Warten von fast zwei Stunden jediglich eine von Hunger ausgelöste Spannung hervorbringt.
Um die Wahrnehmung dessen Gefühl bewusst zu ignorieren, betrachte ich verklärt den Tannenbaum. „In meinem bisherigen Leben war ich bislang wohl noch nie so sehr in Weihnachtsstimmung wie ich es in Shanghai bin“, dieser Gedanke zieht sich durch mein Bewusstsein, als mir auffiel, wie die grünen Plastiknadeln der Tanne, das glänzende Lametta und die glitzernen Sterne ästhetisch einem Obstsalat glichen. Möglichst viele variierende Obstsorten, um ja den Tagesbedarf an all erdenklichen Vitaminen und Nährstoffen abzudecken. Als wäre der Tannenbaum dadurch weihnachtlicher je mehr Schmuck er trägt, denn bei diesem habe ich das Gefühl, dass etliche Haushalte ihr Dekoschmuck für diese eine Tanne beigetragen haben müssen.
Wie wahrscheinlich jede Weihnachtstanne in China, wurde auch diese über „Taobao“ (http://www.taobao.com/) – so eine Art chinesischem ‚eBay‘ bestellt. Hier kann schon von einem kulturellem Massenphänomen gesprochen werden, zumal eine Summe von 39,9 Millionen aktiven Mitgliedern verzeichnet wurde und die Onlineplattform somit zur größten im asiatischen Raum zählt. Zoey, meine Ansprechpartnerin an der Schule, beschrieb die Popularität des „Taobao-ens“ folgendermaßen:“Wozu brauchen wir die ganzen Fakemärkte, wozu die Schlacht durch die Menschenmassen und wozu den ganzen Stress um den besten Preisnachlass, wenn <<Taobao>> uns dies alles erspart?“. Da scheint es normal Hunde über die Website zu kaufen, mit der Begründung: „Ich wollte genau diese spezielle Rasse.“ -für Chinesen trägt <<淘宝>> anscheinend das Gütesigel am Ramschstern. Besonders beliebt ist es ebenso einen Vorrat Kinderwindeln oder Conflakes über dieses Auktionshaus zu bestellen.
Mittlerweile wird bei großen Modeketten achtsam ein Auge darauf gelegt, dass vor allem junge Chinesinnen kein Foto von dem Preisetikett knipsen, weil die Möglichkeit besteht mithilfe der Identifikationsnummer des Kleidungsstückes, das exakte Modell vergünstigt auf Taobao wiederzufinden – juckt ja keinen, wenn’s eine Kopie mit schlechter Qualität ist – hey, wir sitzen immerhin an der Quelle. Was ist heutzutage denn nicht „Made in China“?
Nun – Euphorie, die jeden Ausländer (inklusive mir) in China jetzt packt, wandelt sich gnadenlos in Enttäuschung aus zweierlei Gründen:
1. Die Internetseite ist komplett auf Mandarin – hallo Google-Übersetzer!
2. Registration ist nur mit chinesischer ID möglich (oh, allerliebste chinesische Freunde, wo seid ihr?) – Gerüchte über eine internationale Expansion gibt es jedoch bereits seit dem Jahre 2008…
Wenn meine Donghui-Schüler nichtsdestotrotz mittags vorne am Pförtnerhäuschen in vergilbten Kartons vergeblich versuchen die Kisten vom Klebeband zu befreien, um anschließend aufgeregt schnatternd dessen Inhalt zu enthüllen und den Klasssen, bzw. Personen zuzuordnen oder Lehrer Schüler als Laufburschen ins Office rufen, grinse ich verschmitzt und murmel wissend vor mich hin:
„Ich bin wohl wirklich in China. It’s taobao-time…“
Zuckend schrecke ich aus meinen Gedanken, als Eiman aus vollem Halse brüllt vor lachen und mich die Angst packt, das Handy rutsche ihr aus der Hand, so sehr wie sich ihr Körper vor lachen wendet und kringelt. Nachdem sie sich unfähig vom Lachkrampf halbherzig von der Person am Ende der anderen Leitung verabschiedet, gluckst sie mich wenige Sekunden an – was mir selbst ein ungewolltes Lächeln aufs Gesicht zeichnet – und berichtet mir den Grund für Julias zuspätkommen.
In China ist in nahezu allen wohlhabenen und vor allem in Expatrise-Haushalten eine sogenannte weibliche „Ayi“ (Maid) angestellt – männliche sind mir bislang keine bekannt… Ihre Aufgaben können dabei vielseitig mehrere Aufgabenfelder (Kinder- oder Haustierbetreuung, etc.) abdecken. Üblicherweise werden jedoch „Putz-ayis“ in Haushalte übernommen, die zu festgelegten Zeiten – meist vormittags – die Apartments instand halten, das meist zu einem Hungerlohn von durchschnittlich 25RMB (drei Euro) die Stunde bezahlt wird. In „Luxus-Apartments“ (dazu zählen bereits Wohnungen wo die Kaltmiete um die 12000 RMB = 1500 Euro monatlich beträgt) gibt es normalerweise drei Fahrstühle, dabei ist der ganz rechts außen nie wirklich ausgebaut, d.h hier gibt es keine Verspiegelungen, Monumente oder Verzierungen – sondern wirkt, als ob dieser mitten in der Ausbauphase steckengeblieben ist. Erschreckenderweise erfuhr ich, dass dieser Fahrstuhl unausgesprochen menschenverachtenderweise für die Ayis gedacht ist, da „das ganze hinein- und hinausschleifen des Putzequippments, die Fahrstuhleinrichtung schadet und somit effizienterweise Renovierungsgelder vornherein gespart werden…“.
Für das bevorstehende Weihnachtsessen hatte Julia einen ganzen Truthahn gekauft und zum Entfrosten in die Badewanne gelegt. Für chinesische Mentalität ist dies ein ‚No-go‘, sodass ihre Ayi während der Arbeit gutgemeint erschrocken und aufgebracht diesen in die Küche rettete und halbierte, um diesen zunächst behutsam zurück in den Gefrierschrank eines Nachbarns zu sperren. Nichtsahnend kehrte Julia am späten Nachmittag zurück, das geplante Highlight des Weihnachtsessen spurlos verschwunden. Daher verbrachte sie den Rest des Tages damit Tatort zu spielen. Die Ayi hatte wahrscheinlich durch ihren straffen Zeitplan vergessen, den Gefrierschrank des Hauses Julia auszuräumen, damit sie den Hahn zurückholen konnte.
Am Ende löste ein einfacher Anruf an die besagte Ayi den Fall – es herrschte wieder Friede, Freude, Eierkuchen.
Ah ja, der Truthahn war nach all den Strapazen dennoch köstlich.