„Hallo Aron Denda, wir freuen uns sehr, Ihnen einen Einsatzplatz für einen Freiwilligendienst mit kulturweit in Ulanbator (Mongolei) anbieten zu können.“
Hm, Mongolei. Vieh haltende und Gemüse anbauende Nomaden. Weite, unberührte Steppe Landschaften. Einsame kleine Jurten. Dschingis Khan. Yaks. Das sind meine ersten Assoziationen mit der Mongolei. Und dort soll ich an eine deutsche Schule? Muss ich mich schonmal um einen Reitkurs kümmern und Bogenschießen lernen?
Jetzt bin ich seit über einem Monat in Ulanbator und kann Gott sei Dank mitteilen, dass meine fehlenden Fertigkeiten an Pferd und Bogen die nächsten 6 Monate kein Problem darstellen werden. Ich habe mir die Mongolei agrarisch, ländlich und rustikal vorgestellt. Auch die ersten Google Bilder bestätigten meine Vorstellung, die Mongolei wurde mir als unbebautes, bäuerliches Land präsentiert. Doch seit meiner Ankunft hat mich Ulanbator jeden Tag aufs Neue überrascht und mir gezeigt, wie wenig meine Vorstellungen mit der Realität von Ulanbator gemein hatten. Die Stadt ist eine blühende Metropole, modern und erstaunlich westlich. Auf meinem Schulweg komme ich an gläsernen Hochhäusern, glitzernden Malls und geselligen Restaurants vorbei. Anstatt zu lernen, wie man Yaks weidet, habe ich mir die letzten Wochen unzählige neue Apps heruntergeladen, die das Leben hier erleichtern: Ob UB Cab (Uber), TokTok Delivery (Lieferando) oder ebarimt (Payback), das Leben hier erinnert mich mehr an Berlin als ich es mir hätte denken können.
Jugendliche hören über ihre Airpods Kpop, der Bubble Tea wird mit dem Iphone bezahlt und im Burger King wird über die neuesten NBA Spiele diskutiert. Zwar sind das Leben, die Menschen und die Mentalität anders als in Deutschland, doch mein Kulturschock ist mehr ein Schock über Modernität und Vertrautheit als über Fremdheit und Verlorenheit. Die Stadt ist um einiges internationaler als gedacht, es gibt koreanische Restaurants, russische Matrjoschkas, chinesische Kaufhallen, deutsche Produkte im Supermarkt, Schweizer Uhrengeschäfte, französische Boulangeries und amerikanische Malls. Auch was die Sprache angeht ist die Mongolei im Wandel. Während die Kommunikation mit älteren Menschen ausschließlich über mongolisch oder russisch läuft, kommt man bei jüngeren Mongolen gut mit Englisch zurecht.
Die Stadt entspricht überhaupt nicht meinen Vorstellungen, ich hätte mir nie eine pulsierende Millionenstadt mitten in der Mongolei ausgemalt. Ulanbator zu verstehen heißt auch sich selber zu verstehen. Ulanbator zu verstehen heißt wissen um die eigenen Vorstellungen über das Einsatzland, welche erst durch Kontakt und Dialog auf den Prüfstand gestellt werden können. Von den 193 Ländern der Welt haben wir spätestens von den 144 außerhalb Europas eine vage, mit Stereotypen gefüllte und von den Medien getragene Vorstellung, wie diese aussehen (sollen). Allgemein sind Stereotypen erstmal nichts Schlechtes, sie helfen uns, die Länder der Welt einzuordnen und ein Bild von Ihnen zu haben, ohne sie genau kennen zu müssen. Wir sollten deswegen Stereotype nicht stereotypisieren, erst wenn sie in Vorurteile umschlagen und den gemeinsamen Dialog ersticken, sind sie Gift für die Völkerverständigung und ein gemeinsames Nebeneinander. Die Mongolen sind keine Hinterwäldler mit kargen Leben in einfachen Jurten, ich habe gelernt, dass gerade die Jugendlichen ein modernes und urbanes Leben führen, sie genau wie Jugendliche in Deutschland TikToks schauen und Bilder auf Instagram posten. Genau das ist die Feuerprobe für Stereotype: Kontakt. In die andere Kultur eintauchen und Fragen stellen, den Gegenüber so kennenlernen und akzeptieren, wie er ist. Dann können wir uns den Stereotypen widmen und sie bewerten. Genau diese Chance bietet kulturweit. Ohne den Freiwilligendienst wäre die Mongolei für mich weiterhin ein Land der nomadischen Hirten, ohne urbane Zivilisation. Für mich heißt kulturweit aufräumen. Mit Vorurteilen über das Einsatzland und über Deutschland. Denn genau wie ich eine moderne und urbane Mongolei kennenlerne, kann ich (m)ein aktuelles Deutschlandbild in die Mongolei tragen. Eine Zweibahnstraße, bei der jeder gewinnt. Und das gegenseitige Kennen schlägt um ins gemeinsame Können. Denn wirkliche Zusammenarbeit ist erst möglich, wenn man den Partner wirklich kennt. Andersherum ist es genau wie Alexander Humboldt einmal gesagt hat: „Die gefährlichste Weltanschauung ist die Weltanschauung derer, die die Welt nie angeschaut haben“.