…wenn die größten Schätze direkt vor der Haustür liegen…?
Diese Erfahrung machte ich am vergangenen Sonntag, den 8. Dezember.
Leti überredete mich, den Bus von vor der Schule nach Jinzhou zu nehmen, und von da aus zu dem Strand meines Viertels Nansha zu fahren.
Es war der vierte Anruf an diesem (nicht mehr) Morgen, den ich schlaftrunken aus dem Bett entgegen nahm, – zuvor gingen welche von diversen Freiwilligen ein, die jetzt alle im Januar das warme Guangzhou und uns besuchen und deswegen von der Exilantin (=mir) Tipps bezüglich Unterkunft und Infrastruktur wollten.
Letztes Wochenende kam ja schon der erste, Reiner aus dem Goethe-Institut Shanghai, mit seinem Freund Niyat, in „mein“ Hostel auf der Shamian-Insel.
Franzi, Reiner, Niyat, Alex und Alex‘ Freundin Alex, wir alle verbrachten einen netten Abend.
Ich schälte mich nun also widerwillig aus dem Bett, trat nach einer Weile aus der Tür und bekam den ersten freudigen Schreck: Sonne! Und es war warm!
..Doch der zweite folgte sogleich. Ich entdeckte eine Bushaltestelle vor unserer Schule! 😀 Der Bus kam auch sogleich und fuhr Leti und mich schnurstracks nach Jinzhou. Dort aßen wir – Frühstück? Mittagessen? Nachmittagessen? – und suchten den Bus, der zum Strand hinausfahren würde. Leider wusste Leti nicht mehr genau, welcher das war….
Also versuchten wir uns auf dem Busfahrplan zu orientieren, alle Zeichen mit 海
(das kennt ihr aus 上海, Shanghai, liebe Leute, hai = Meer) zu extrahieren… und zuletzt fragten wir einen Busfahrer, ob er denn ans Meer fahren würde, hihi. Wie erwartet verneinte er und verwies auf die Linie 3.
Überraschung Nummer 3: Unser Bus fuhr also mit uns los, musste aber bei der nächsten Gelegenheit anhalten, um – zu tanken. Jawohl. Ist doch völlig normal, ne. Also, für mich war es das nicht, und deswegen musste ich den Anblick auch festhalten.
Dann stellten wir fest, dass eben dieser Bus sogar die Fernbusstation anfährt, an der ich gerade erst letztes Wochenende aus Shenzhen wiedergekommen war! Gut zu wissen!
Die nächste Haltestelle war der Hafen von Nansha, an der die Fähren nach Hong Kong und Macau ablegen. Auch gut zu wissen, dachte ich mir, denn genau das plane ich in den Ferien. Wir waren schon sehr weit gefahren, durch viel Grün und schwindende Zivilisation, da stoppten wir endgültig. In der Ferne konnte ich ein Riesenrad ausmachen, rechts begann eine große Felswand, und ganz oben sahen wir schon die wunderschöne Pagode.
Es roch ganz anders, viel frischer. Beinahe erwartete ich das Kreischen von Möwen.
Leti und ich liefen durch den prächtig fürs Chinesische Neujahr geschmückte Eingangsportal des Parks und zum Strand. Das Meer lag glatt ausgebreitet vor uns, die Containerschiffe waren auf den Weg in die weite Welt, ich sah die Humen-Brücke, die mich mit dem Reisebus nach Shenzhen geführt hatte, und auch die Insel, die ich da schon bestaunt hatte. Natürlich war es windiger, und so war ich doch froh über meinen Schal.
Wir machten so unsere Fotos, bis Leti plötzlich einfiel, dass wir uns vielleicht beeilen sollten, weil der 天后-Tempel (tianhou = wörtlich: hinter dem Himmel) um 17h schließe. Es war schon 17.15h, und deswegen war ich nicht verwundert, als uns der Wachmann wieder zurückpfiff. Wir probierten es am zweiten Eingang noch mal, aber wurden wieder fortgeschickt. Allerdings wurde uns vorgeschlagen, doch einfach an der Promenade entlang zu schlendern. Das taten wir dann auch, denn die Sonne tauchte alles in wunderschönes Licht. Ohne Ankündigung tauchte eine alte, längst vergessene Treppe neben uns auf. Neugierig folgten wir ihr, und das für eine ganze Weile. Wir blieben mal stehen, um wieder zu Atem zu kommen, und genossen schon eine formidable Aussicht. Es wurde klar, dass wir uns links von der Tempelanlage befanden. Auf einer Plattform, an der wir vorbeigingen, stand eine Kanone. Danach schlängelte sich die Treppe mit ungleichmäßigen, klobigen Stufen noch weiter in die Höhe. Endlich oben angekommen begrüßte uns ein weiteres auf uns gerichtetes Kanonenrohr. Wir befürchteten schon, am Ende unseres Spaziergangs zu sein, denn es sah so als, als ginge es nicht mehr weiter.
Jedoch, die Kanone stand auf einem Podest, um das herum mehrere Tunnel strahlenförmig hinwegführten – ähnlich wie beim Kolosseum. Wir tasteten uns in die Dunkelheit eines der Tunnel… und standen bald wieder im Licht. Dort sah es aus wie im Dschungel. Unbekannte Tiere kreischten, und alles machte einen sich selbst überlassenen Eindruck.
Unverdrossen setzten wir unseren Weg fort, und an einer Kreuzung trafen wir die richtige Wahl. Der Anblick des Haupttempels direkt vor mir kam völlig unvermittelt. Ich hätte ja nie damit gerechnet, den heute noch zu sehen! Das ganze Anwesen lag verlassen vor uns, nicht ein Wachmann war zu sehen. Nur die Räucherstäbchen rauchten.
Die Lampions wehten im Wind, eine Katze huschte über den Tempelvorplatz – und dann ging auch noch ein riesiger Vollmond auf. Ich war verzückt.
Nur Leti war ein bisschen unruhig (nachdem auch sie ordentlich gestaunt hatte). Sie hatte Angst, erwischt zu werden, alleine im Park, nach deutlichen Hinweisen darüber, dass er geschlossen hatte, ohne Ausweis. Deswegen machten wir uns auch bald wieder an den Abstieg. Ich fand es fantastisch, alleine an so einem schönen Ort zu sein.
An jeder Terrasse, an der wir vorbeikamen, gab es noch einen kleineren Vortempel, und als wir wieder unten angekommen waren, sah ich, dass die Allee, die majestätisch zu dem Berg mit den Tempeln führte, mit vielen chinesischen Statuen gesäumt war.
Langsam begann die Blaue Stunde, und wir huschten heimlich aus dem Park.
Es war nicht eine Menschenseele zu sehen.
Diese Tatsache erleichterte Leti enorm.
Unser Bus wartete schon auf dem Parkplatz. Zufrieden mit unserem Tag, setzten wir uns. Schon bald füllte er sich mit vielen Menschen. Hinter uns knackten die Leute Sonnenblumenkerne, und die einzige Ruhe, die uns blieb, war die in uns.