Meine Vorgaengerin hier in Bolivien hat mich gewarnt: „Die Verlaengerung des Visums ist wirklich nervenaufreibend und schlimm, ich habe lange dafuer gebraucht, um alle Dokumente zu bekommen “. Oha, dachte ich mir, aber so schlimm wird es schon nicht werden. Jetzt kann ich sagen: Doch, es war genau so schlimm und gefuehlt noch schlimmer! Ich dachte immer, Deutschlands Buerokratie sei die Schlimmste, aber ich wurde eines Besseren gelehrt. Der Unterschied zwischen deutscher und bolivianischer Buerokratie ist, dass sich Deutsche strikt an einen Faden halten und diesen schlicht und verlaesslich durchziehen und Bolivianer staendig was anderes fuer wichtig erachten und ihre Arbeit mehr oder weniger (eher weniger) rasch vollziehen.
Alles fing mit einer Liste an, die mir mein Ansprechpartner von der GIZ zusandte. Zwei DinA4 Seiten mit einer Tabelle, in der alle Dokumente aufgelistet sind, die ich fuer die Visumsverlaengerung brauche. Also fing ich an: 1. Station: FELCN (Polizeistelle, zustaendig fuer den Kampf gegen Drogenhandel). Die Liste besagt, ich brauche ein Memorial von einem Anwalt, eine Kopie davon, drei Kopien meines Reisepasses und ein Passfoto. Wichtig: das Passfoto muss 4×4 mit rotem Hintergrund sein. Ich besorgte mir also die Dokumente und gab alles in der FELCN ab. Drei Tage spaeter konnte ich mein Zeugnis ohne Probleme abholen. In der Zwischenzeit ging ich ins Krankenhaus, da die Liste besagt, dass ich einen medizinsichen Check machen muss. Nachdem ich im Krankenhaus drei Personen nach dem Ort gefragt habe (das Krankenhaus ist ziemlich unuebersichtlich), vorab bezahlt habe, meine Zaehne, Gewicht und Groesse kontrolliert lassen habe, viele Fragen ueber mich ergehen lassen habe, eine Urin- und Blutprobe abgegeben und ein Roentgenbild meiner Lunge lassen machen habe, bekam ich den Schein, um in drei Tagen mein Medizinisches Zeugnis abholen zu koennen. Innerhalb einer Woche hatte ich also schon zwei Punkte auf meiner Liste abgearbeitet – wie gut, dachte ich mir und machte mich auf zu Interpol, Punkt 3.
Interpol: Ein grosses schoenes Fachwerkhaus und viele Polizisten, die anscheinend nichts zu tun hatten. Ich gab einem arbeitenden Polizisten die auf der Liste aufgelisteten Dokumente (Kopie vom Zeugnis von FELCN und Reisepass, saemtliche Angaben zu meinem Wohnort hier in La Paz (inklusive Rechnung von Wasser und Licht und notarielle Eigentumserklaerung des Hauses) und mehrere Passfotos (dieses mal wichtig: 3 Fotos 3×4 von vorne, ein Profilbild 3×4 von der rechten Gesichtshaelfte, roter Hintergrund)) ab und der Polizist machte Abdruecke von meinen zehn Fingern, ich bezahlte in einem anderen Buero und holte einen Schein ab, den ich fuenf Werktage spaeter in mein Fuehrungszeugnis von Interpol eintauschte.
Bis dahin lief alles reibungslos und ich war schon recht positiv gestimmt.
Naechster Punkt auf der Liste sah vor, zur FELCC (Polizeistelle, zustaendig fuer den Kampf gegen das Verbrechen) zu gehen. Nachdem mir beim ersten Mal eine Kopie fehlte (stand nicht auf der Liste, war aber dringend noetig), reichte ich am naechsten Tag saemtliche geforderte Dokumente ein und tatsaechlich stellten sie mir augenblicklich das Zeugnis aus! Diese Polizisten wurden mir immer sympathischer. Naechster Schritt war ebenfalls in der FELCC, allerdings in einem anderen Buero. Ich musste meinen Wohnort registrieren. Die dafuer zustaendige Polizistin war auch recht nett und ich hatte auch alle noetigen Dokumente dabei (ebenfalls (unter anderem) Rechnung von Wasser und Licht, die Eigentumserklaerung, Kopien des Persos von der Besitzerin und zwei Personen aus dem gleichen Viertel, die bezeugen, dass ich tatsaechlich da wohne). Doch schnell wurde mir die Frau ziemlich unsympathisch. Denn sie verlangte nicht nur Geld, um mit einem Taxi zu meinem Haus zu fahren, um zu gucken, dass das Haus tatsaechlich existiert, sondern sagte mir zusaetzlich, dass die zwei Zeugen persoenlich zur FELCC kommen muessen, um ein Dokument zu unterschreiben. Ich dachte erst, es sei ein Scherz und sah die Frau fragend und unglaeubig an. Doch nein, es war kein Scherz. Es blieb mir nichts anderes uebrig, als zu gehen und am naechsten Tag mit den Zeugen zurueckzukehren. Das taten wir auch. Nur war die Frau nicht im Buero (ihre Arbeitszeiten standen gross an ihrer Buerotuer, die allerdings geschlossen war). Man koennte jetzt denken, dass sie jemand vertreten koennte oder eine andere Person den Schluessel fuer ihr Buero hat. Aber das waere vielleicht in Deutschland der Fall gewesen, jedoch nicht in Bolivien. Nachdem sie am naechsten Tag auch nicht anwesend war und ich mit meinen Zeugen nutzlos vor der Buerotuer stand fuehlte ich mich langsam wie bei „Verstehen sie Spass“. Leider hatte ich saemtlichen Humor bereits am Vortag verloren.
Ich war bereits ungefaehr acht Tage illegal in Bolivien, bezahlte jeden Tag zwei Euro Strafe und das nur, weil die Bolivianer nicht ihre Arbeit machten. Ich war ziemlich wuetend. Aber meine Zeugen (Bolivianer) sahen es entspannt. Also standen wir am naechsten Tag (ich hatte vorher in der FELCC angerufen, um sicher zu gehen, dass die Polizistin da sein wuerde) in dem Buero. Zwei Minuten dauerte das Unterschreiben. Dann sagte mir die Frau, ich koenne mein Zeugnis in drei Tagen abholen. Ich rauchte vor Wut, war aber froh, die Frau angetroffen zu haben.
Donnerstagabend sah ich auf meine Liste und laechelte. Morgen werde ich den letzten Schritt in meinem Buerokratiemarathon erreichen: Die Migración. Ich plante also, zur FELCC zu fahren, das Zeugnis abzuholen und dann weiter zur Migración zu pilgern. Ganz einfach, dachte ich.
Um 8:15h stand ich bei der Polizistin der FELCC auf der Matte. Mein Zeugnis war fertig. Wie eigenartig. Es hatte einen Fehler in meiner Reisepassnummer. Wie normal. Zum Glueck konnte der Fehler schnell (in 45 Minuten) behoben werden und ich konnte mich auf den Weg zum letzten Punkt auf meiner Liste machen. In der Migración zog ich eine Nummer, wartete eine Stunde, stand am Schalter, und… „Ne, also dieses Zeugnis wurde korrigiert und das muss auf der Rueckseite von der FELCC bestaetigt werden.“, sagte mir der junge Mann in der Migración. „Ausserdem wurde dieses Memorial vom Anwalt handschriftlich verbessert und das akzeptiert die Migración nicht.“. Der Anwalt hat die Tilden von „ñ“ handschriftlich geschrieben. Das geht nicht. Ich stand also da mit Wuttraenen in den Augen und fragte nach, ob es deren Ernst ist, dass ich nochmal zur FELCC fahren muss und mir ein neues Memorial besorgen muss, obwohl ich ja theoretisch alle Unterlagen zusammen hatte. Und ja, es war deren Ernst. Zwei Stunden spaeter hatte ich alles korrigiert und zog eine neue Nummer und wartete 1,5 Stunden. Wie man sich denken kann, war meine allgemeine Stimmung ziemlich schlecht und ich dachte, es kann alles nicht schlimmer kommen. Aber falsch gedacht. Beim zweiten Durchsehen meiner Dokumente fiel der Person auf, dass ganz dringend mein Originalvertrag zwischen mir, kulturweit und meiner Einsatzstelle benoetigt wird und dass meine notariell beglaubigte Karte unvollstaendig war. Ich schaffte es mit vor Wut zitternder Stimme zu sagen, dass ich meinen Originalvertrag selber brauche. „Ja, dann muessen Sie zur deutschen Botschaft gehen und den Originalvertrag beglaubigen lassen.“. Ganz einfach, verbrachte ich ja nur den ganzen Morgen und Mittag damit, in der Migración zu warten oder neue Dokumente zu besorgen – um am Ende nichts erreicht zu haben und weitere Tage Strafe bezahlen zu muessen, da ich ja immernoch illegal in Bolivien weilte. Wutschnaubend ueber diese Unverschaemtheiten verliess ich die Migración.
Ich konnte nicht fassen, dass ich den halben Tag verloren und nichts erreicht hatte. Und das nur, weil die bolivianischen Behoerden ihre Willkuer einsetzen konnten wie sie wollten. Ich war, glaube ich, noch nie so wuetend wie an diesem Tag. Doch ich konnte mal wieder nichts an der Situation aendern. Meine Kollegen bemitleideten mich zwar kurz, mussten danach aber schnell ueber meine Verzweiflung schmunzeln. Sie sind diese Situationen in Behoerden gewoehnt. Hier werden naemlich nicht nur Auslaender so behandelt, sondern alle. „Todos somos igual ante la ley“ („Vor dem Gesetz sind wir alle gleich“) – ein Spruch, den man in jedem Laden und Restaurant findet. Wie schoen. Danke.
Nachdem ich das Wochenende ueber weitere Straftage gesammelt habe und meine Stimmung sich nicht merklich gebessert hat, ging ich also in die deutsche Botschaft, um meinen Vertrag beglaubigen zu lassen. Deutscher Boden, deutsche Preise. Aber was sollte ich machen… Nachdem ich beim Notar meine notarielle Karte vervollstaendigen lassen habe, sass ich also zum dritten Mal mit all meinen Dokumenten in der Migración. Und, man glaubt es kaum, sie waren vollstaendig und korrekt!
Nach mehreren Nervenzusammenbruechen, saemtlichen Besuchen in verschiedenen Polizeistellen und 15 Tage Illegalitaet in Bolivien, gab man mir eine Bankverbindung und ich durfte zur Bank gehen und die Straftage sowie das Visum bezahlen. Mit der Ueberweisungsbestaetigung ging ich zurueck zur Migración (wieder Nummer ziehen) und gab meinen Reisepass mit all den Dokumenten ab. Es war geschafft! Ich konnte es kaum glauben und war immernoch so wuetend, dass ich keine Freude empfinden konnte. Man gab mir einen Zettel: In zwei Wochen darf ich meinen Reisepass mit Visum abholen. Was fuer ein (gutes) Gefuehl.
Wow, da fehlen mir ebenfalls die Worte…Odysseus würde vor Neid erblassen, was für ein Horrortrip! Glückwunsch zum verlängerten Visum, kann man da nur sagen ;).
Mir fehlen die Worte liebe Alisa. Ich wäre wohl auch explodiert. Aber was will man machen. Du hast es jetzt immerhin geschafft 🙂 <3
Danke für dein Mitgefühl, Lilli 🙂 Ja, das war auch wirklich eine Erleichterung. :-*