Um direkt und nahtlos an den vorhergegangen Teil anzuschließen, auch aus drängenden Zeitgründen: Wir hatten also den Zug nach Sarajevo bestiegen und bahnten uns (im wahrsten Sinne des Wortes) unseren Weg durch Kroatien in Richtung Grenze. Auf dem Weg, vor allem in der Nähe von Zagreb, waren noch einige überflutete Felder und durch den extremen Regen verursachte Schäden zu sehen. Während es also draußen mehr Wasser hatte, als dem Bauer lieb sein konnte, war die Situation in unserem Zugabteil eher umgedreht. Weitsichtig talentiert wie eh und je, hatten meine kroatischen Kuna nur noch für eine Mini Flasche Trinken gereicht. Noch weitsichtiger und wirtschaftlicher war diese Mini Flasche dann auch schon nach ungefähr einer Stunde leer. Verblieben ja nur noch weitere 9h auf dem Trockenen. Doch genug rumgejammert, außer der total nervigen ständig aufgehenden Abteiltür, konnten wir es uns recht behaglich einrichten, die Maschas hängten diverse Kleider zum Trocknen auf und bezogen abwechselnd eine Bank als Schlafquartier. In kürzester Zeit hatte sich unsere kleine Koje so in einen persönlichen Mikrokosmos verwandelt, an dem nur selten andere verlorene Seelen vorbeigeisterten. Mit so wenigen Leuten an Bord, hätte die Grenzkontrolle eigentlich ja relativ fix gehen müssen. Hätte hätte Fahrradkette wie wir ja alle wissen. Allerdings lag die seltsame Verzögerung dieses Mal nicht an der allgemeinen Willkür oder Absurdität unserer Reise, sondern aktiv an uns. Na, wenn man schon mal so einen fetzigen Einreisestempel von Bosnien und Herzegowina haben kann, warum soll man sich dann die Chance entgehen lassen, dachten sich Mascha (W!) und ich. Also verschwand der nette man mit der Waffe am Revers mit unseren Pässen. Nur unseren Pässen. Alle anderen Reisenden hatten nur ihren Personalausweis gezeigt. So beobachteten wir den Beamten beim Aussteigen mit unseren kleinen roten Ausweisen, dem Verschwinden im Haus mit unseren kleinen roten Ausweisen und nach seltsam langer Zeit, die irgendwie auch genau für einen Kaffee gepasst hätte, seinem Wiedereinsteigen mit nur unsren kleinen roten Ausweisen. Aber die schicke kleine Lok neben dem Einreisedatum, war diese unplanmäßige Hinausschiebung alle mal wert.
An jetzt also Bosnien. Auf der Fahrt sahen wir so einiges an großartiger Natur, Bergketten, Flussläufen und Tälern. Dazwischen aber auch andere bleibende Eindrücke. Von halbfertigen, unverputzten (dieses Mysterium sollte sich aber noch auflösen) Häusern, von viel Verlassenem, noch Zerstörtem und von den ersten Fassaden mit Einschusslöchern. Außerdem von den kleinen, irreal wirkenden Minenschildern im Dickicht direkt an der Bahnlinie oder hinter dem Kohlkopffeld bei der Kinderschaukel im Garten der Leute. Minen mitten im Alltag. Bosnien ist das am stärksten verminte Land Europas und nach Kambodscha auf dem traurigen zweiten Platz weltweit. Es lässt einen innehalten, innerlich.
Während wir oder ich innerlich eigenen Gedanken nachhingen, hing auch der Zug aus unerklärlichen Gründen immer wieder eine gefühlte Ewigkeit in kleineren Bahnhöfen fest. Als wir dann endlich in Sarajevo einliefen, war ich zugegebenermaßen schon sehr erleichtert. Das Kleinkind, das nebenan die letzten 1 ½ Stunden Fahrt durchgängig geschrien hatte vermutlich auch. Nach minimal verwirrender Anreise und nur 100% Anfängeraufschlag im Taxi fand unsere 2xMascha+1 Reisegruppe ein tolles Obdach bei Juliane und Eicke, die Revanche für ihren Besuch bei mir war also geglückt. Ich hab diesen Blogeintrag echt schon eine ganze halbe Ewigkeit fertigschreiben wollen, aber einer der Gründe, warum es einfach auch so zäh voranging, ist, dass ich es unglaublich schwer finde, Sarajevo richtig zu beschreiben und „rüberzubringen“, wie man immer so schön sagt. Am ersten Abend ging es für uns mit unseren Gastgebern in eine Bar in einem alten umgestalteten Kino. Die aber im Moment irgendwie eigentlich geschlossen hat und leicht illegal agiert, was der guten Stimmung bei Live Musik allerdings keinen Abbruch tat. Und wer braucht schon eine Heizung. Nachdem ich dann noch ein sehr interessantes Gespräch mit einem relativ seltsamen Typ über die Belagerung Sarajevos hatte, fuhren wir im Taxi zurück. Was eigentlich nur erwähnenswert ist um Zusammenhang mit der ersten Episode des Spiels „Wie Balkan bist du inzwischen? Auf einer Skala von 0 bis „ich-schnall-mich-immer-an“.
Auch Unruhen, die von der ZEIT vielleicht etwas vorschnell als Balkan Frühling tituliert wurden, haben für Touristen etwas Gutes. So hatte Eicke wegen den Protesten frei und konnte uns den ganzen Tag die Stadt zeigen. Immerhin im eigentlichen Sinn des Wortes war an diesem Tag zu unserem Glück Frühling. Wir begannen die Tour mit unserem kompetenten und allseits informierten Insideguide zu Fuß in die Altstadt. Wenn jemand mich fragen würde, was das erste Wort wäre, das mir im Zusammenhang mit Sarajevo einfällt, wäre es vermutlich Löcher. In Budapest sieht man am Rande des ehemaligen Ghettos an einzelnen Fassaden noch Einschusslöcher aus dem Zweiten Weltkrieg. In Sarajevo sieht man einzelne Fassaden ohne Einschusslöcher aus dem Bosnienkrieg. Außerdem, sehr einprägend, die Löcher von Granateneinschlägen auf dem Gehweg, ganz zu schweigen von den Rosen von Sarajevo. Aber dann, zwischen Verfallenem und gegenüber der Hütte am Fluss: ein weiteres riesiges Einkaufszentrum in Bau, mit den einschlägigen westlichen Marken. Fragt sich nur, wer sich dort etwas kaufen können soll. Genug halbherzige Kritik, im österreichisch-ungarischem Teil der Altstadt besuchten wir eine wunderschöne alten Synagoge, deren Vorraum hingegen ein bisschen aussah, wie man sich Deutschland in Ende der 50er vorstellt. Danach kamen wir dann zu dem Ort, auf den ich kleiner Geschichtecrack so lang gewartet hatte: Die Brücke auf der Erzherzog Franz Ferdinand und seine Frau Sophie 1914 erschossen wurden, was irgendwie dann letztendlich zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs führte. An dieser Stelle sollten noch die detaillierten, eigentlich nicht so lustigen, aber trotzdem sehr coolen Hintergrundinfos unseres Guides über das Attentat prämiert und gewürdigt werden. Gut gemacht mein junger Padawan! J Zugegeben, viel interessanter und beeindruckender, war allerdings die türkische Altstadt, in der wir auf hoffnungsloser Mission zwischen dem Touriramsch nach schönen Postkarten suchten, ein Plan, der kläglich scheiterte. Stattdessen wanderten wir mit Burek auf einen Hügel über der Stadt, schossen die obligatorischen, aber nichtsdestotrotz sehr reizvollen Panoramabilder (ohne Smog!), wurden noch in einem kurzen Intermezzo von einem Rudel Straßenhunde aufmerksam gemacht, in wessen Nachbarschaft wir uns da verirrt hatten (wieder ein netter Anlass für „ Wie Balkan bist du inzwischen?“) und beschlossen so, abends doch noch etwas länger an diesem faszinierendem Ort zu bleiben. So konnten wir am nächsten Tag noch etwas mehr Moscheen, den Markt und die Stadt erkunden und uns etwas verloren im ehemaligen Olympiagelände umsehen. Von den Protesten oder der „Anarchie, die nach Einbruch der Dunkelheit in Sarajevo“ ausbricht, merkten wir auch am nunmehr dritten Abend nicht wirklich etwas, als wir mit Juliane in einer extrem coolen Bar (irgendwas mit einem Goldfisch?) waren. Tagsüber waren wir kurz durch eine Polizeisperre gekommen und hatten von weitem einen Auflauf Demonstranten gesehen, uns aber deshalb schnell einen anderen Weg nach Hause gesucht.
Nach einer sehr kurzen Nacht mussten wir von unseren lieben Gastgebern Abschied nehmen, um den einzigen Bus in Richtung Serbien zu besteigen. Wie immer bot die Fahrt eine wundervolle Aussicht auf tolle Natur, von Ort zu Ort zuckelnd überquerten wir den ein oder anderen Bergpass mit erstklassiger Aussicht und teilweise schneebedeckter Umgebung, aber insgesamt war der Drang zu schlafen dann doch etwas größer.
Als ich meine Augen das erste Mal wieder öffnete (bis auf die Pause an der seltsamen Raststätte mit dem Schaf über offenem Feuer), waren wir schon in Belgrad. Große, graue Jugohauptstadt mit ihrem Stadtheiligen Tito. Das klang jetzt viel zu negativ, eigentlich war alles halb so schlimm und doppelt so gut. Nur waren wir am Anfang wieder etwas verwirrt, einige von dem Wechselkurs, alle von dem kyrillischem und unser Hostel war, man muss es so sagen, eine wirklich dreckige Absteige. Immerhin war das Bier billig. Nach einer ersten Eroberung der Festung bei Sonnenuntergang nutzten wir dieses billige Bier aus und gingen dem Tipp aller Menschen ins BIGZ. Das frühere aufgegebene Gebäude der jugoslawischen Presseagentur, in dem jetzt versteckte Clubs, Bars und Bandräume sind. Es genauer zu beschreiben, macht kaum Sinn. Wie es dort drinnen aussieht und zugeht, glaubt einem sowieso niemand, der nicht selbst dort war. Die wundervolle Terrasse der Jazz Bar im obersten Stock hatte zwar eine prima Aussicht, aber mit unserer anschließende private Jamsession in ganzen 3 Bandräumen kann nicht mal die mithalten. Genug gesagt. Eine verrückte Nacht.
Trotz verrückter Nacht schafften wir es am nächsten Morgen trotzdem pünktlich zu unserer Free Guided Tour. Nur den Sliwowitz, den es (ganz nach serbischer Gewohnheit?) um 11 Uhr zum gratis probieren dazu gab, ließen wir aus. Stattdessen gingen wir mit neuen Bekannten von der Tour serbisch essen und, obwohl es auch dieses mal wieder keine Sarma für mich gab, hing wenigstens ein überlebensgroßes Tito Ölgemälde in jedem Raum des Restaurants. Ach Tito. Mein zweitliebster Diktator. Tito lässt einen auch gut einen Bogen zu unserem letzten Stopp schlagen. Nach einem weiteren Abend in Belgrad ging es wieder in Richtung Ungarn, doch genau wie auf meiner ersten großen Rundreise, so führte auch dieses mal jeder Weg nach Subotica (Szabadka!?), zur lieben Lisa.
Dort stießen wir auch auf einige andere bekannte Gesichter, einige der anderen Ungarn, Nils aus Kroatien und natürlich auch Johanna. Doch nicht Eurocreme oder Lisas Kochkünste alleine hatten diese große Dichte an kulturweit Freiwilligen hervorgerufen. Sondern die Abschiedsparty der beiden Suboticamädels. Schon komisch, als klar wurde, dass nicht nur die Reise sondern zumindest für Lisa, Johanna und mich die ganze kulturweit Zeit zu Ende ging. Trotzdem wurde nochmal gut zusammen gegessen, gefeiert und bis der Club zu machte zu Balkanbeats getanzt. Entsprechend organisiert sah die Abreise dann am nächsten Morgen aus. Mascha N. und ich mussten uns auf den Weg zurück nach Budapest machen und die andere Mascha zurücklassen. Was aber ja hoffentlich kein Abschied für immer bleibt. Auch zurücklassen musste ich den Riesentitobildband aus Lisas Wohnzimmerregal, den hätte ich vermutlich nicht über die Grenze gebracht und noch viel weniger in mein Handgepäck beim Rückflug, dessen Tag auch immer näher rückte.
Danke an meine Mitreisenden und alle anderen, die sich so nett um uns drei verlorene Seelen gekümmert haben. Alle folgenden Bilder sond von Mascha N. Meine Kamera war ja immernoch nicht einsatzfähig.