Ich denke nicht so oft an Piroschka-dafür umso mehr an das Sziget Festival

Ich denke oft an Piroschka! Mein neuer Lieblingsfilm kommt direkt aus dem Jahr 1955 und war die erste Assoziation diverser älterer Verwandter und Bekannter, wenn ich im letzten Sommer von meinem bevorstehenden Ungarnabenteuer berichtete. Bisher hatte ich dieser Perle schnulzig biederer Unterhaltung keine Beachtung geschenkt. Zu Unrecht! Schon in den ersten 15 Minuten wird so gut wie jedes Klischee, dass es über Ungarn gibt oder je gegeben hat ausführlichst aufgegriffen.  So wird der ahnungslose Austauschstudent zu Paprikawurst und selbstgebranntem Schnaps eingeladen und kommt schließlich am Bahnhof des  „ganz miserabligen Nestes  Hódmezővásárhelykutasipuszta“ an. Und zwar nur 20 Minuten zu spät. Nach ungarischen Maßstäben also mehr als überpünktlich.

Die Preisfrage lautet nun: Welches dieser Klischees hat sich nach meiner inzwischen fast halbjährigen Studie des Landes von Paprika& Puszta als großer Humbug herausgestellt ? Der Selbstgebrannte Schnaps, die furchtbar langen Wörter oder die Verspätung der Bahn?  1,2 oder 3? Ob ihr wirklich richtig steht seht ihr wenn das Licht angeht. Oder um in meine Realität zurückzukommen, wenn der Bus/Zug wegfährt. Mal wieder drei  Minuten zu früh. Wie mehrmals die Woche. Das Verkehrssystem hier ist nämlich nicht immer zu spät, wie Piroschka suggeriert…sondern  einfach eher leicht willkürlich.

Lange Vorrede, doch diese Beobachtung hat sich wieder einmal bestätigt. Wie seit Tagen, nein Wochen, vorgenommen, wollte ich letzten Freitagabend einen kurzen Abstecher nach Komárno machen, um Lukas endlich mal zurückzubesuchen, nachdem er schon viermal hier Rapstammtisch Sticker im Fahrstuhl zurückgelassen hat. Komárno liegt nur eine gute Stunde von  Budapest entfernt, immerhin war es ja mal bis vor gar nicht allzu langer Zeit in einem unbekannten Land wie heute (Slowakei), sondern Teil Ungarns. Eigentlich war ja früher so gut wie alle was die Sonne berührt Ungarn. Oke, vielleicht nicht ganz so viel, aber einfach verdammt viel. So viel, dass der Verlust von 2/3 des Gebietes  an die Nachbarstaaten, durch den Vertrag von Trianon 1918, auch heute noch Grund für kollektiven Herzschmerz eines ganzen Volkes und Teil politischer Rhetorik ist. Also. Auf nach Komárno! Pünktlich trudelte ich am Bahnsteig 9 ¾..quatsch, is ja albern, Bahnsteig 12 ein und stieg in den Zug. Irgendwie wiedermal 3 Minuten zu früh fuhr der ultramoderne Zug  los. Irgendwie kam mir das alles schon bisschen komisch vor, Wi-Fi? Kein Ausrangierter DB Zug ? Das seltsame Bauchgefühl löste sich, als der Schaffner mir, die zuerst  nur Bahnhof (wortwörtlich, der Mann wiederholte  das ungarische Wort für Bahnhof), erklärte, ich sei im falschen Zug und müsste hier ausstiegen. Tja, da stand ich dann eben an einem verlassenen Vorvorvorort Bahnhof irgendwo im Nirgendwo. Immerhin war da noch ein Hund der mir Gesellschaft leistete. Nachdem dann ein der nächste Zug irgendwo noch an mir vorbeigefahren war, startete ich eine wilde fünfzigminütige  Odyssee mit dem Bus zur äußersten Metro und mit der M2 zurück zum Keleti Bahnhof…wo ich den letzten Zug nach Komárno dann um 2 Minuten verpasst hatte. Hm. Früher hätt ich vermutlich geweint, inzwischen hat die ungarische Fertigkeit sowas abzutun (wenn eben oft Dinge nicht funktionieren, muss man sich arrangieren) abgefärbt und ich fragte einfach mal einen Herrn in obligatorischer Jogginghose, ob er eine Ahnung habe wie ich nach K. kommen könnte.

Hatte er nicht. Eigentlich telefonierte er auch gerade am Handy, als ich ihn von der Seite anquatschte.  Doch statt mich einfach abzuwimmeln, legte er auf.  Und fragte für mich den Schaffner, den Gleisvorsteher, die Ticketfrau und das Informationsbüro. Auf den Laufwegen dazwischen, über den ganzen Bahnhof, erzählte er mir noch schnell seine Lebensgeschichte, wo er so perfekt deutsch gelernt hatte und entschuldigte sich noch 45-mal für Ungarn. Es würde ja immer alles schief gehen.  Sehr glücklich war er allerdings, als ich hingegen erzählte wie sehr es mir hier gefällt. Ich glaube ich habe in meinem ganzen Leben noch nie so viele bemühte, nette Menschen getroffen wie in den letzten 5 Monaten. Eine gute  Frage in dem Kontext ist, wie man das deutsche Wort Ellenbogengesellschaft wohl in andere Sprachen übersetzt.

Trotzdem kam ich an diesem Abend nicht mehr in Komárno an. Dafür am Samstagabend, in klirrender Kälte. Nach einer Suppe zum Aufwärmen und nachdem ich kaum angekommen, schon das Mobiliar zerstört hatte, zeigte mir Lukas das schönste Gebäude der Stadt, seinen Block, das Denkmal für die Unterdrückung der Ungarn in der Slowakei  (herzallerliebst) und die Trend Bars der Stadt. Keine Ruinenbars, aber trotzdem spaßig. In Budapest könnte man nicht einfach kurz aus der Bar ohne zu bezahlen, um sich schnell einen Döner zu holen (leider zu viel Käse). Und Weinschorle für 90 Cent ist im VII Bezirk auch eher selten anzutreffen.  Außerdem kann man über viele Brücken gehen (7 :D), aber dabei nicht in ein anderes Land laufen. Oh! Das Beste überhaupt war aber das hervorstechende Accessoire in L.s Eingangsbereich. Keine gehäkelten Deckchen oder Landschaftskalender hat der nette Vermieter dort gelassen, nein: Eine riesige Großungarnkarte. Mit den Grenzen von vor 1918, so wie sie der aufmerksame Beobachter in Budapest sie auch oft als Sticker an Autos oder am Revers von alten Ladies finden kann.

Sonntags machte ich mich dann auch schon wieder zurück in die Hauptstadt, sah auf dem Weg noch Tata und angeblich die Ausläufer der Karpaten. Ach und weil mir jetzt kein schöner Abschluss einfällt, nochmal auf den Titel, ich denke nicht so oft an Piroschka. Mehr an Sachen die um mich rum passieren und an das Sziget Festival. Bestes Festival Europas. Sieben Tage auf einer Insel in der Donau im August. Bastille spielt quasi direkt vor meiner Haustür. Oder wo meine Haustür mal gewesen ist, im August bin ich schon lang wieder in Deutschland und sogar von meiner nächsten Reise ans andere Ende der Welt zurück.  Immerhin ist inzwischen mein letzter Monat in Ungarn angebrochen. Was oke ist, so hab ich mich ja entschieden.  Aber trotzdem im August denke ich trotzdem bestimmt viel an die Party auf dem Sziget mit Bastille, das Szimpla, meine Stadt und vielleicht sogar ein bisschen an Piroschka.

Neue Rubrik: Was-ich-noch-so-gemacht-hab-aber-nicht-so-toll-verpacken-konnte: (WINSGHANSTVK)

-Nationalgalerie in Buda ( Sehenswert eigentlich vor allem wegen dem scheußlich großflächigem sozialistischen Innern im Kontrast zur Burgfassade)

-Nationalmuseum in Pest  (War aber irgendwie halb in Renovierung)

-Ludwig Museum (Sehr cool, jedenfalls wenn man moderne Kunst mag, interessant auch, dass neben Roy Lichtenstein, Andy Warhol oder Picasso auch immer Gegenstücke sozialistischer Künstler ausgestellt waren)

-Stadtspaziergänge, wie in meinem ersten Monat

-Mein Lieblingsmini Indisches Restaurant  wieder besucht

-Georgisches Essen gegessen. Ohne Gabel! So wie es sein muss

-Eine Ruinenbar in Buda gefunden! Das ich sowas noch erleben darf!

-Im Palast der Künste ( MűPa) mit 20 Erstklässlern musiziert

-Kaffee für mich entdeckt und den besten der Stadt wiedergefunden (Fekete Kávé am Astoria)

-Gefühlte 100000 Zeugnisse gestempelt und abgeheftet

-Denn ersten richtigen Schnee in der Stadt erlebt 🙂

Und hier noch ein  Bild von Ungarn früher und heute, mehr Bilder gibt es leider nicht so ohne Kamera 🙁

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