People die auf Bären starren.

In diesem Moment bin ich auf dem Papier seit vollen 248 Tagen volljährig. Erwachsen? Nein, bestimmt noch lange nicht. Doch bin ich mir gerade auch gar nicht mehr so sicher, ob ich das überhaupt wirklich sein möchte oder wie ich dieses „Erwachsen-sein“ so finde. Natürlich gibt es unschlagbare Vorteile: Autofahren, auch noch nach 12 in die heimische Dorfdisco eintrudeln zu können und natürlich den kleinen Dingen des Lebens, wie gestreiftes Nutella aus dem Glas zu löffeln als Abendessen. Das Nutella schmeckt übrigens auch gleich mal besser wenn man es von seinem eigenen, wenn auch sehr bescheidenem, Gehalt bezahlt hat.

Andere Dinge am Erwachsensein sind einfach nur doof. Wie der Berg von Bürokratie, in dem ich gerade versinke. Ich bin immer noch die Königin der Prokrastination und habe mich dadurch zwar perfekt an das etwas langsamere Lebenstempo hier angepasst, aber auch einen mittelschweren Nervenzusammenbruch bei mir selbst verursacht. Inzwischen sind meine Nerven wieder beisammen und die Bezuschussungsanträge eben etwas nach der Frist bei kulturweit in Berlin. Trotzdem nimmt der Berg an Dingen die zu reorganisieren sind nicht ab. Warum aber reorganisieren? Hä? Was? Какво?

Um alles aufzuklären müssen wir ein bisschen zurückgehen und können so gleich mal wieder die ganzen letzten Wochen nacherzählen. Nach meiner Rückkehr von der Balkanreise hatte ich zwei nicht ereignislose, aber eher ruhige Wochen. Erwähnenswert ist, dass ich jetzt auch mal endlich mit einem Sprachkurs begonnen habe. Erfolge sind bisher nur wenige zu verzeichnen, aber als Ziel hab ich mir gesetzt, am Samstag mal meine Getränke in der Bar auf Ungarisch zu bestellen. Puh! Na hoffentlich würfel ich da dann nicht die 44 Buchstaben des Alphabets durcheinander. Sonst kommt sofort als Antwort wieder zurück: White or Rosé?
Das zweite Highlight war ein als kleiner Spazierganz geplante Ausflug mit Mascha, EFD Freiwilliger hier bei mir, der aber in eine waghalsige Nachtwanderung ausartete. Sonntagmittag um 16 Uhr wollten wir auf den Elisabethaussichtsturm, etwas außerhalb des XII. Bezirks, auf dem höchsten Berg Budas. Blöd nur wenn man am Rand der Zeitzone lebt und es hier inzwischen immer schon um 16:00 zapfenduster wird. So kämpften wir uns eben in der Dunkelheit nach oben, die Sicht war so schlecht, dass ich mich öfters fragen musste: Wo ist Mascha? Aber die Aussicht auf „unsere“ leuchtende Stadt entschädigte uns am Ende doch für unsere Mühe.

Gerade machte sich nach diesem Abenteuer das leichte Kribbeln einer aufkommenden Erkältung in der Nase bemerkbar, stand schon das Zwischenseminar an. Das am Werbellinsee noch Lichtjahre entfernt schien. Also ging es für mich wieder auf die kilometertechnische nicht besonders lange, aber doch sehr beschwerliche Reise ins wilde, aber wunderschöne Rumänien. Eigentlich sagt man ja Planung sei das A und O. Doch hier ist Planung einfach oft vollkommen überflüssig. Es bringt nämlich nichts, brav 2 Monate vorher einen Bus rauszusuchen, wenn man am Abend vorher dann von dem Busunternehmen erfährt, hach neeee den Bus? Ne den gibt’s gar nicht. Suchen sie sich was anderes.

So musste ich dann statt 10h Bus eben 15 Stunden Zug fahren, aber wenigstens hatte ich so meine Pécis um mich, dadurch auch die neue NEON neben mir und jemand zum Kartenspielen. Nach einer wiedermal recht unbequemen Nacht tuckerten wir im rumänischen Highspeedtempo von ca. 40 km/h durch die unberührte Landschaft. Nicht zum letzten Mal trafen wir diese Woche so auf den berüchtigten transsilvanischen Nebel, der so dicht ist, dass man buchstäblich die eigene Hand vor Augen nicht mehr sieht. Außerdem auch wieder Siedlungen in solch verwahrlostem und ärmlichem Zustand wie man ihn vielleicht aus Bildern von „Entwicklungsländern“ zu kennen meint, aber doch nicht in der EU. Voll in der Zeit (nur +1h Verspätung oder so) kamen wir dennoch schließlich in Braşov an. Wo wir das Wochenende noch zu einem kurzen Urlaub mit anderen Freiwilligen nutzen wollten. Nach einer echt lustigen Odyssee voller Verständigungsprobleme. (Die rumänische Taktik: Was? Du sprichst kein rumänisch? Nur englisch? Dann schrei ich einfach auf rumänisch und benutze viel Gestik damit du mich verstehst!), kamen wir endlich im Hostel an und nutzten gleich die volle Zeit, um die Stadt zu erkunden. Diverse Türme wurden bestiegen, die kleinste Gasse des Landes (?) durchquert und die Schwarze Kirche besichtigt. Die ist allerdings eine echte Enttäuschung und irgendwie gar nicht schwarz. Sondern Grau. Darüber regte ich mich noch den ganzen Tag lautstark auf, bis mich die Tatsache, dass sie zumindest nachts nicht beleuchtet und somit pechschwarz war, etwas besänftigte. Genauso wie der wundervolle Blick den wir vom Tâmpa Berg aus auf die Stadt und den Sonnenuntergang über den Karpaten hatte. Auf dem Berg, über eine Sesselbahn zu erreichen, war früher durch Kahlschlag bzw. andere Bepflanzung groß STALIN zu lesen. Heute wird der Berg durch ein Braşov Schild im Hollywoodschriftzug verziert. Naja ihr wisst worauf ich mit dieser Anekdote hinauswill.

Sonntags, man will es gar nicht laut sagen, waren wir keine wandernden, selbstorganisierenden Abenteurer, sondern griffen auf einen örtlichen Guide samt Privatbus für uns zurück. Zumindest hieß dieser stilecht Vlad und zeigte uns die wichtigsten Sehenswürdigkeiten des Gebietes. Außerdem erzählte er nebenher noch ein bisschen von der Geschichte Rumäniens, während wir über einen wundervollen Bergpass in die Stadt Sinai fuhren und dort das Schloss Peleș besichtigten. Wie so oft überraschte mich die grandiose Aussicht und Natur, z.B. in Predeal, einem Skihotspot Rumäniens. Weiter ging es zum Schloss Bran, in dem Bram Stokers Dracula spielt. Hier hätten wir uns am liebsten einen der Straßenhunde mitgenommen. Doch dafür blieb keine Zeit, den wir hatten noch das Fort in Râșnov zu besichtigen, wo sich uns bei schönstem Sonnenschein bei Glühwein das volle Karpatenpanorama eröffnete. Zwischendrin gab Vlad uns noch seine persönliche, aber leider sehr weit verbreitete Meinung über die „Zigeuner“ wieder. Die musste erstmals so hingenommen werden. Nach 2 ½ Monaten haben die von uns, die mit solchen Kommentaren und dem oft offenen Rassismus konfrontiert waren, gemerkt, dass es beinahe unmöglich ist mit Einheimischen darüber zu debattieren.
Als Abschluss unserer Touritour besichtigten wir noch eine Tropfsteinhöhle, dort hatten wir eine so unglaublich motivierte Fremdenführerin, ihr Enthusiasmus und ihre Begeisterung hauten einen fast um, ja sie war noch motivierter als meine ungarische Bäckerin. Nicht. Trotzdem, die Tour war wirklich toll und das bisschen Komfort einer Pauschaltour hatten wir uns doch verdient.

Doch obwohl der Tag ja schon vollgepackt gewesen war, hatte eine kleine Gruppe in unserer kleinen Gruppe noch nicht genug und wollte noch die letzte Attraktion der Gegend ausfindig machen: Bären. 40% der Bärenpopulation Europas lebt in Rumänien, in Braşov selbst gibt es ein Wohngebiet, in dem einige Bären bis an die Häuser herankommen und aus den Mülltonnen fressen, bzw. teilweise sogar angefüttert wurden. Jeweils bewaffnet mit einigen Dosen lokalen Bieres, das wie ein Zeichen des Universums auch noch „Ursus-Bär“ heißt, begannen wir unsere große Safari. Der Taxifahrer lachte uns erst mal ein bisschen aus , als wir ihm unseren Plan erzählten, genauso wie die Anwohner, als wir eingepackt in Jacke, Mütze, Handschuh mit unserem Bier am Block vor den Müllcontainern lehnten. Doch um die Mütter daheim zu beruhigen, zu keinem Zeitpunkt waren wir in Gefahr, sobald wir unseren selbstgewählten Sicherheitsabstand von …erhm… 5 m? (Vlad hatte ja 30 empfohlen) unterschritten, wies uns unser Sicherheitsbeauftragter Steffen zur Ordnung. Doch bevor wir irgendetwas spannendes sehen konnten wurden wir richtig zur Ordnung gerufen. Die echten Ordnungshüter, zwei sehr missmutige Polizisten, schickten uns weg. „Ihr sollt keine Ursus mehr suchen“.  Trotzdem war es ein toller Abschluss eines tollen Tages während einer tollen Reise mit tollen Leuten. Wir freuen uns. Wie und auf Schnitzel und Bolle.

Am Montagmorgen hieß es schon Abschied nehmen von Braşov und auf nach Sibiu! Doch diese Abreise gestaltete sich, vor allem für mich persönlich, als nicht so glücklich. Der Bus den wir eigentlich für uns reserviert hatten war vollkommen überladen. Der sehr hitzige Busfahrer ging nicht auf unsere Beteuerung, doch reserviert zu haben ein und beschimpfte uns nur als „Scheiß Amerikaner“. Den anderen Leuten im Bus allerdings, war die ganze Situation sehr unangenehm und wie so meistens erfuhren wir von ihnen eine sehr nette hilfsbereite Haltung gegenüber uns. Auf dem Weg zum schnell gefundenen Ersatzbus musste ich jedoch leider feststellen, dass in der ganzen Hektik mein Geldbeutel geklaut worden war, mit allen Karten, Personalausweis und meinen Lieblingsbildern. Natürlich, es gibt nichts zu beschönigen an der Situation. Wenn man darin jetzt allerdings das Vorurteil, in Rumänien wird ständig geklaut bestätigt sieht, möchte ich hier ganz klar zu bedenken geben, dass mir so etwas genauso gut jederzeit in Deutschland hätte passieren können. In meinen bisher zwei Reisen in Rumänien habe ich mich kein einziges Mal unsicher gefühlt, sondern sogar eher herzlicher aufgenommen und unterstützt, als dies auf Reisen in Deutschland der Fall gewesen wäre. Auch die Freiwilligen in Rumänien können dies bestimmt bestätigen und ja, mein Geldbeutel ist weg. Die Armut war eben dieses Mal einfach stärker. Ich hoffe zumindest, dass die Person von den 135 Lei ganz viele Puffuletten kauft. Wütend bin ich auch nicht, nur das neuorganisieren von Papieren und Karten ist etwas umständlich, aber ich hab ja eine unglaublich tolle Familie die mich großartig unterstützt und mir fast alles an Stress abnimmt. Als Schlusswort zu dem ganzen Durcheinander hat Jelena einen richtigen letzten Denkanstoß zusammengefasst: „Ein Rumäne in Deutschland hat mit Sicherheit mit mehr Schwierigkeiten zu kämpfen als eine Deutsche in Rumänien.“
Die Odyssee ging nach diesem relativ unerfreulichem Morgen weiter, schafften wir es schließlich doch in einen Bus nach Sibiu. Denn ja, in einen Bus mit 20 Sitzplätzen kann man locker 35 Leute+Koffer packen, wenn man nur genug Ikonen der Jungfrau Maria an die Windschutzscheibe klebt. (Acht um genau zu sein) Immerhin erreicht das Thermometer im Bus so schnell wundervoll sommerliche 30°C und wenn man kann auch nicht umfallen wenn man durch die überdimensionalen Schlaglöcher poltert. Ach, ich mag Reisen in Wild Ost.

Endlich angekommen am Seminarhaus in Sibiu war schnell alle Anstrengung, physischer und emotionaler Art, vergessen und wir wurden von einigen Muschis, also Katzen, sowie unseren anderen Bulgaren, Rumänen und Ungarn begrüßt. Das Seminar stand unter dem Motto von Austausch, Reflektion und auch (feuchtfröhlicher) Interaktion. Neben ernsten und interessanten Themen wie der bisherigen Zeit als Freiwillige_r und einem Thementag über Antziganismus wurde vor allem nachts so einiges (auf)geklärt. Was teilweise dazu führte, dass wir alle sehr verwirrt waren. Naja, trotzdem ergab sich auch eine echt tolle Projektidee, bei der ich jetzt mitarbeite. Milan zeigte uns dann noch seine Stadt, die einen mitten in Siebenbürgen doch sehr an Deutschland erinnert. Es gab gutes (Gulaschsuppe im Brot!) und weniger gutes (Bohneneintopf ohne Kompott) Essen und vor allem „menschelte“ es sehr. Ich fand wir waren eine echt tolle Truppe PEOPLE. Zerstörtes Mobiliar wurde gleich repariert, der Boden auch noch mit vollem Körpereinsatz geputzt und kaum etwas war zu albern. Nur Sonem, Mond und Sterne. Bevor ich den außenstehenden Leser noch weiter mit irgendwelchen blöden Insidern langweile, lässt sich nur noch sagen, es war eine wirklich kürbiscoole Woche, die mir auch viele neue Ideen für die verbleibende Zeit in Budapest gegeben hat. Köszönöm/mulțumesc/благодаря!
Meine Rückreise gestaltete sich wieder etwas beschwerlich. Bei Nacht stand ich mit zwei Ungarnfreiwilligen und unserer Trainerin Jule im Nebel von Medias, da unser IC eine für uns, da auf rumänisch durchgesagt, uneinschätzbare Verspätung hatte. Schließlich und endlich kamen wir nach weiterer Verzögerung doch in Budapest an. Mein schwedischer Sitznachbar allerdings war an der Grenze zurückgeschickt worden.
Puh, jetzt steht hier in Budapest nochmal einiges an: Projektarbeit, Reorganisation, Besuche von Freunden aus Deutschland, eine Weihnachtsreise nach Bratislava und Silvester mit den anderen Freiwilligen. Nicht zu vergessen, dass ich dank dem tollen Packet meiner Eltern aus Deutschland die Wohnung hier jetzt weihnachtlich schmücken kann. Geschneit hat es immerhin zum ersten Mal diese Woche. 😉
Bye People!

Ein Gedanke zu “People die auf Bären starren.

  1. Die Zeit rast, Wahnsinn! Genieße weiter die Zeit. Aus einmal kommen einem die 6 Monate doch soooo kurz vor…

    Ein toller Bericht, habe herzhaft gelacht und mir Aliena mit einer Dose „Bärenbier“ vorgestellt… 😉

    Die Fotos sind einmalig! Wahnsinn!!!

    Eine weiter so tolle Zeit wünsche ich Dir!

    Liebe Grüße
    Severin

Die Kommentarfunktion ist geschlossen.